November 2010
Ausgabe 10
Inhalt:
Leben nach Migration
Newsletter des Migrationsrats Berlin-Brandenburg
„Deutschenfeindlichkeit“
„Deutschenfeindlichkeit“, Zur Problematik
eines Begriffs 1
Ärger mit der Ausländerbehörde, Zwischenbericht der Härtefallkommission, Seite 3
Termine:
06.12.2010 Netzwerktreffen zu "Gut
angekommen" Übergang Schule
Beruf, beim MRBB
14:00-16:00 Uhr
Zur Problematik des Begriffs
Wer den Begriff „Deutschenfeindlichkeit“
verwendet, sollte wissen, aus welcher
politischen Richtung er propagiert wird:
Im Februar 2008 brachte die rechtspopulistische Wählervereinigung BÜRGER IN
WUT eine Petition in den Bundestag ein,
um „deutschenfeindliche Äußerungen“
als Volksverhetzung ahnden zu lassen.
Unterstützt wurde diese Petition von dem
Bundestagsabgeordneten Henry Nitzsche, der Ende 2006 aus der CDU ausgetreten ist, nachdem rechte Parolen von
ihm bekannt wurden. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge soll er auf
einer Parteiveranstaltung erklärt haben,
er begrüße die Debatte um Patriotismus,
„um endlich vom Schuldkult runterzukommen“ und damit „Deutschland nie
wieder von Multi-Kulti-Schwuchteln in
Berlin regiert wird“. Nitzsche hat mittlerweile eine eigene Wählervereinigung
gegründet, die sich „Bündnis Familie Arbeit Vaterland“ nennt. Wer die Webseite
besucht, merkt schnell, was für eine politische Ausrichtung diese Wählervereinigung hat. Zum Staatsbürgerschaftsrecht
heißt es dort u. a.: „Wir fordern die Abschaffung des Geburtsortsprinzips und
dagegen das Abstammungsprinzip als
einzige Möglichkeit des Erwerbs der
Staatsbürgerschaft durch Geburt.“
Die Forderung nach einer Aufweichung
des Volksverhetzungsparagraphen, dessen rechtspolitische Funktion in Deutschland insbesondere vor dem Hintergrund
der historischen Erfahrung des NS-
Massenmordes an Juden sowie Sinti und
Roma auf den Schutz von Minoritäten
ausgerichtet ist, zieht eine Relativierung
und Fehldeutung von Rassismus und
Antisemitismus nach sich. So heißt es
auf der Webseite der Rechtspopulisten,
die die Petition in den Bundestag eingebracht haben: „Wir BÜRGER IN WUT
meinen: Die pauschale Verunglimpfung
von Menschen aufgrund ihrer ethnischen
Herkunft ist in jedem Fall rassistisch, egal ob die Opfer Zuwanderer oder Deutsche sind. Hier darf auch der Gesetzgeber keine Unterschiede machen. Wer in
Deutschland Haß gegen Ausländer
schürt, der wird wegen Volksverhetzung
bestraft. Und das ist auch gut so. Wer
aber zum Haß gegen die deutsche Bevölkerung aufstachelt oder Deutsche generell beschimpft, der geht straffrei aus.“
Bei solchen Versuchen, „Deutschenfeindlichkeit“ mit Rassismus gleichzusetzen, werden die Machtverhältnisse zwischen Mehrheitsbevölkerung und Minorisierten ausgeblendet. Denn diese sind
keineswegs symmetrisch, sondern hierarchisch strukturiert. So können Angehörige des gesellschaftlich hegemonialen
Bevölkerungsteils – in Deutschland also
Weiße Deutsche – zwar individuelle Ausgrenzungserfahrungen machen, sie sind
jedoch keinem strukturellen Rassismus
ausgesetzt, der beispielsweise auf dem
Arbeits- oder Wohnungsmarkt wirksam
ist. Rassismus ist also immer an eine
Machtposition gekoppelt. Die Frage von
Kein Wir ohne Uns
Leben nach Migration wird gefördert vom Beauftragten des Berliner Senats für Integration und Migration
Leben nach Migration
Begriffe: Weißsein
Der Begriff des Weißseins bezieht sich auf
keine biologische, sondern eine soziale und
politische Konstruktion,
die eine dominante und
privilegierte gesellschaftliche Position beschreibt. Genauso betrifft die Bezeichnung
„Migrationshintergrund“
im öffentlichen Diskurs
nicht per se alle MigrantInnen und ihre Nachkommen (Vgl. dazu
Leben nach Migration,
Ausgabe 3, 2010).
Weiße Schweizer/innen
oder Belgier/innen dürften beispielweise selten
gemeint sein, wenn von
Jugendlichen mit
„Migrationshintergrund“
die Rede ist. Vgl. zur
deutschen Rezeption
der Critical Whiteness
Studies Eggers, Maureen Maisha et al. (Hg.):
Mythen, Masken und
Subjekte. Kritische
Weißseinsforschung in
Deutschland, Münster
2005.
von gesellschaftlicher Marginalisierung
ist deshalb keine, die sich allein an der
zahlenmäßigen Größe einer Gruppe
festmachen ließe. So kann es durchaus
sein, dass Schüler/innen, die Nachfahren
von Migrant/innen sind, in einigen Schulen inzwischen die quantitative Mehrheit
darstellen – auf der Seite der Lehrerschaft spiegelt sich diese Verteilung aber
keinesfalls wider. Die Schule ist kein
machtfreier Raum – Lehrer/innen benoten Schüler/innen, nicht umgekehrt.
Neben der Tatsache, dass der Begriff
„Deutschenfeindlichkeit“ ein Kampfbegriff
rechtsextremer und rechtspopulistischer
Gruppierungen ist, um die „echten“
Deutschen als Opfer ihrer Minderheiten
darzustellen, gibt es noch weitere Aspekte, die seine Verwendung fragwürdig
erscheinen lassen. Dass Übergriffe und
Beleidigungen gegen Weiße Deutsche
nicht aus Schulen gemeldet werden, die
von gutbürgerlichen Schüler/innen aus
migrantischen Familien besucht werden,
deutet darauf hin, dass es sich um ein
soziales Phänomen handelt, dessen Ursachen nicht kulturalisiert werden sollten.
Das beschriebene Mobbing richtet sich
an den betreffenden Schulen den Berichten von Lehrer/innen zufolge nämlich
genauso gegen Jugendliche aus migrantischen Familien, die als „Streber“ gehänselt werden.
Wenn Angehörige gesellschaftlich marginalisierter Gruppen durch „deutschenfeindliche“ Äußerungen und Taten auffallen, stellt sich jedoch die Frage, inwiefern
es sich hierbei um die Übernahme ethnisierender Zuschreibungen und die Rückgabe erlebter Diskriminierungen handelt.
Die strukturelle Ausgrenzung, die solche
Jugendlichen erfahren, tritt nicht zuletzt
in der Verweigerung von Zugehörigkeit
zutage. Wenn die Betreffenden von der
Mehrheitsgesellschaft, deren Zuschreibungsmacht gegenüber Minderheiten
nicht zu unterschätzen ist, ständig als
„Ausländer/innen“ „Muslim/innen“ oder
„Migrant/innen“ bezeichnet werden, ist
eine daraus folgende Selbstsethnisie-
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rung wenig verwunderlich, da ihnen andere Identitätsangebote oftmals verweigert werden. Denn unsere Selbstverortung als Individuum hängt in hohem Maße auch davon ab, wie wir erleben, dass
uns die anderen sehen.
Mit dem Begriff der „Deutschenfeindlichkeit“ wird diese Form der Zugehörigkeitsverweigerung letztendlich fortgeschrieben – denn er besagt nichts anderes, als dass diejenigen, deren Verhalten
mit diesem Begriff problematisiert werden soll, keine Deutschen sind und auch
nicht sein können, obwohl diese Jugendlichen größtenteils in Deutschland geboren und sozialisiert worden sind. Das
Mobbing und die sozialen Konflikte, die
unter dem Begriff „Deutschenfeindlichkeit“ subsumiert werden, dürfen daher
nicht isoliert betrachtet werden. Die Verwendung einer Begrifflichkeit, der eine
ausgrenzende „Wir“-„Sie“-Logik zugrunde liegt, trägt zu einer Überwindung dieser Konflikte und dem Ziel einer diskriminierungsfreien Schule nichts bei. Im Gegenteil.
Yasemin Shooman promoviert am Zentrum für
Antisemitismusforschung der TU Berlin zum
Thema Antimuslimischer Rassismus. Zuletzt
von ihr erschienen:
Yasemin Shooman: "... weil ihre Kultur so ist".
Der neorassistische Blick auf MuslimInnen, in:
"Rasse" – eine soziale und politische Konstruktion, hrsg. v. Sir Peter Ustinov Institut, Wien 2010,
S. 101-111.
Der Artikel erschien zuerst auf:
http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de
Weiterführende Literatur:
Claus Melter/Paul Mecheril (Hrsg.): Rassismuskritik, Bd. 1, Rassismustheorie und -forschung,
Schwalbach/Ts, Wochenschau Verlag 2009.
Wiebke Scharathow/Rudol Leiprecht (Hrsg):
Rassismuskritik, Bd. 2, Rassismuskritische Bildungsarbeit, Schwalbach/Ts, Wochenschau
Verlag 2009.
Seite 3
Leben nach Migration
Ärger mit der Ausländerbehörde
Zwischenbericht der Härtefallkommission 2010
Der Beratungsbedarf ist auch in diesem
Jahr nicht zurückgegangen. Dabei entsteht dieser allerdings oft nur, weil die
Ausländerbehörde Fälle nicht sachgerecht bearbeitet. Andernfalls wären Fälle
längst erledigt und wir müssten weder
beraten noch die Härtefallkommission
damit befassen.
An Beispielen mangelt es nicht: Es sei
genannt der Fall eines afrikanischen
Studenten, dem die Ausländerbehörde
vorhält, seine Studienzeiten weit überschritten zu haben. Dabei hätte die Feststellung keiner großen Mühe bedurft,
dass dieser Student stets konsequent
studiert hat und ein Studienabschluss in
greifbarer Nähe ist. Ein anderer Fall betrifft eine Palästinenserin aus dem Libanon, deren Abschiebung permanent von
der Ausländerbehörde forciert wird, obwohl die Rechtslage eindeutig und eine
Abschiebung ausgeschlossen ist.
Ärgerlich ist das Verhalten der Ausländerbehörde auch überall dort, wo sie
Lösungen verweigert, die allen Seiten
nützen würden. Der Irrationalität sind da
keine Grenzen gesetzt. Da war der Fall
eines gut qualifizierten Mannes aus dem
ehemaligen Jugoslawien, der eine
Landsfrau geheiratet hatte, die hier in
Berlin mit einer Niederlassung lebt und
wechselnd geringbeschäftigt oder arbeitslos ist. Die Beiden hatten sich auf
dem Balkan kennen gelernt und geheiratet. Er war zuerst in seiner Heimat
geblieben, sie nach Berlin zurückgekehrt. Nach der Geburt des ersten Kindes hier in Berlin, wollte der Vater zu
seiner Frau und kam mit einem ungarischen Schengen-Visum nach Deutschland. Die Ausländerbehörde warf ihm
vor, nicht ordnungsgemäß seinen Familiennachzug betrieben zu haben. Wie
hätten die beiden diesen aber anders
betreiben sollen? Ihr zu geringes Einkommen, hätte regelmäßig dazu geführt,
dass ihm von der deutschen Botschaft
ein Visum zum Zwecke der Familienzusammenführung verweigert worden wä-
re. Und völlig übersehen wurde von der
Ausländerbehörde, dass es auch im Interesse des deutschen Staates ist, wenn
er sich in Deutschland bei seiner Frau
und seinem Kind aufhält. Er ist nämlich
aufgrund seiner Ausbildung in der Lage,
einer gut bezahlten Arbeit nachzugehen
und damit seine Familie aus dem Sozialhilfebezug herauszubringen. Die Ausländerbehörde war nicht dazu zu bewegen,
ein Gericht musste es richten.
Nicht alle Flüchtlingsberatungen münden
in einer Anmeldung bei der Härtefallkommission. In diesem Jahr sind die
beiden Vertreter/innen des MRBB in der
Härtefallkommission, Thúy Nonnemann
und Claus Foerster, verstärkt dazu übergegangen, Fälle unterhalb der Ebene der
Härtefallkommission zu regeln. Und sie
rufen häufiger den Petitionsausschuss
des Abgeordnetenhauses an. In 18 Fällen jedoch wurde in 2010 bislang ein
Härtefallantrag gestellt. Die nachfolgende Tabelle schlüsselt diese Fälle nach
Herkunftsland der Flüchtlinge auf.
Herkunftsland
Zahl der Anmeldungen
Bosnien
3
Türkei
3
Algerien
2
Thailand
2
Kosovo
1
Libanon
1
Nigeria
1
Serbien
1
Sri Lanka
1
Vietnam
1
ungeklärte Staatsangehörigkeit
2
insgesamt
18
Ein Stempel der sehr einsam vom
Ständer baumelt. Die anderen
werden wohl grade benutzt.
Migrationsrat
Berlin-Brandenburg
Oranienstr. 34
10999 Berlin
TELEFON:
030 / 61658755
FAX:
030 / 61658756
E-MAIL:
presse@mrbb.de
Herausgeber: MRBB
Redaktion:
Deniz Utlu (du),
Elena Brandalise (eb)
Nuran Yiğit
Texte von Autor/innen, die nicht in
der Redaktion sind, geben ausschließlich die Meinung dieser
Autor/innen wieder, genauso, wie
Aussagen in Interviews ausschließlich die Meinung der Interviewten
wiedergeben.
Texte können verwendet und vervielfältigt werden, sofern die Quelle
angegeben ist.
Über den MRBB
Der Migrationsrat BerlinBrandenburg (MRBB), ein
Dachverband mit 76 Mitgliedsorganisationen, versteht sich als Interessenvertretung von „Migrant/innen“
und ihren Angehörigen und
setzt sich für ihre rechtliche,
soziale und politische Gleichstellung ein. Themen des
MRBB sind u.a. Partizipation,
Bildung, Medien und Empowerment. Der Newsletter erscheint monatlich und ist als
Informationsmedium an alle
direkten oder indirekten Mitglieder und darüber hinaus
an Multiplikator/innen und
Interessierte gerichtet. Für
Mitglieder gibt es monatlich
einen Redaktionstag, an dem
sie ihre Anliegen für den
Newsletter thematisieren
können. Artikel können unverbindlich an presse@mrbb.de gesandt werden.
www.mrbb.de
Leben nach Migration
Es ist zu beachten, dass eine Anmeldung sich in der Regel auf eine ganze
Familie, also auf mehrere Personen bezieht. Es waren dementsprechend weit
mehr als 18 Menschen von den Anträgen betroffen. Die Zahlen zeigen jedoch,
dass die meisten Fälle derzeit Menschen
aus dem Libanon, der Türkei und dem
ehemaligen Jugoslawien betreffen.
Die nächste Tabelle stellt dar, welcher
Erfolg den Anträgen beschieden war.
Dazu muss man wissen, dass die angemeldeten Fälle in der Härtefallkommission beraten und abgestimmt werden. Nur
wenn die Kommission mit den Stimmen
von zwei Dritteln ihrer Mitglieder einem
Antrag zustimmt, kommt es zu einem
sogenannten Ersuchen an den Innensenator. Diesem steht es dann frei, dem
Ersuchen nach zu kommen oder nicht.
Der Innensenator Erhart Körting muss
seine Entscheidung nicht begründen. Ein
Härtefallverfahren ist also erst dann
erfolgreich beendet, wenn die
Kommission ein Ersuchen gestellt und
der Senator dieses aufgegriffen hat.
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Kein Ersuchen seitens der
Kommission
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Ersuchen, aber nicht aufgegriffen
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Ersuchen und aufgegriffen
3
In acht Fällen fand sich in der Härtefallkommission keine Zwei-Drittel-Mehrheit.
Damit kam kein Ersuchen an den Innensenator zustande. Von den zehn Ersuchen, die die Kommission an den Senator stellte, griff dieser allerdings lediglich
drei auf und setzte diese um. Ein auf den
ersten Blick ernüchterndes Ergebnis,
aber in keinem Fall war das negative
Ende des Härtefallverfahrens das Ende
des Engagements für die Flüchtlinge. In
der Regel konnten zum Schluss Abschiebungen verhindert und ein Aufenthalt erreicht werden. Die Härtefallkommission ist ein wichtiges Instrument, um
das Bleiberecht für Migrantinnen und
Migranten zu sichern, aber nicht das einzige. Alle Instrumente müssen eingesetzt
werden. Thúy Nonnemann, Claus
Foerster
Marianne Ballé Moudoumbou
bewirbt sich für eine Mitgliedschaft beim Rundfunkrat des Rundfunks Berlin Brandenburg
Stellen wir uns kurz vor: Wir schauen Brandenburg Aktuell oder die Tagesschau bei
rbb und wir erkennen viele unserer Gesichter. Im Laufe des Tages bzw. der Woche
wird mehrere Stunden über die bedeutenden Beiträge, Leistungen und das unermüdliche Engagement von Migrant/innen im Hörfunk und im Fernsehen berichtet. Auf
www.rbb-online.de steht unter AZBrandenburg etliches über „Migration“. Sogar unsere
Sprachen ertönen öfter, mal sehnsüchtig,
mal fröhlich, mal nachdenklich. Bald wird der
rbb das 20. Jubiläum der deutschen Einheit
und zugleich das 20–jährige Bestehen von
Brandenburg feiern. Wir sollen dabei sein.
Sichtbar und aktiv. In Wort, Stimme und
Bild. Wir möchten nicht nur tagelang erfahren, was andere über uns behaupten, sondern selber zu Wort und ins Bild kommen
und zum Mikrophon greifen – friedlich, respektvoll, entschieden greifen. Wir möchten,
dass unsere Kinder, und Jugendlichen beim
rbb als Nachwuchsjournalist/innen oder
Techniker/innen verstärkt ein Praktikum er-
halten können. Migrantinnen mit Flüchtlings/Diaspora und allen anderen Hintergründen – oder wie einige sagen –
Vordergründen! – mit bzw. ohne sicheren
Aufenthalt und aus allen Nationen als
aktive Mitwirkende: Hörbar, sichtbar, respektiert. Dafür möchte ich mich beim rbbRundfunkrat auf die Arbeit meiner VorgängerInnen bauend, im Auftrag aller
Migrant/innen einsetzen.
Marianne Ballé Moudoumbou