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Full text: Die barrierefreie Stadt / Stein, Signe (Rights reserved)

Die barrierefreie Stadt Bildungswerk für Alternative Kommunalpolitik eine Zukunftsaufgabe für die Bezirkspolitik Die Barrierefreie Stadt eine Zukunftsaufgabe für die Bezirkspolitik 1 2 3 4 5 6 6.1 6.2 6.3 6.4 6.5 6.6 6.7 7 8 8.1 9 9.1 9.2 9.3 10 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 11 11.1 11.2 12 13 Einleitung/Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Warum hat die barrierefreie Stadt eine so große Bedeutung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung für Kommunen und Kommunalpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Was bedeutet Barrierefreie Stadt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Veränderung beginnt im Denken – ein Exkurs – Integration oder Inklusion . . . . . . Handlungsmöglichkeiten für KommunalpolitikerInnen und Intessierte . . . . . . . . . . . . . Behindertenbeauftragte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Behindertenbeirat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Öffentliche Gebäude in Bezug auf Barrierefreiheit prüfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Barrierefreie Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verwaltung von Städten/Kommunen/Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parks, Grünflächen und Spielplätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internetseite einer Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Für und Wider von Checklisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Barrierefrei - aber wie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Barrierefreiheit im Öffentlichen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschiedliche Perspektiven einnehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ExpertInnenwissen nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitbestimmung bei Planungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltungsgrundsätze für Gehwege in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Historisch gewachsene Gehwegstruktur als Leitsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sichere und barrierefreie Querungsmöglichkeiten in Wohnstraßen . . . . . . . . . . . . . . . Historischer Kompromiss: Auftrittshöhe von 3 cm an Übergangsstellen . . . . . . . . . . . . Rillenplatten als taktile Bodenindikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konflikte von Fuß- und Radverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genehmigung von Sondernutzung im Straßenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Barrierearme Baustelleneinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Barrierefreiheit und Zugänglichkeit zum ÖPNV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Kasseler Sonderbord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelplan für eine barrierefreie Bushaltestelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Checklisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 4 5 6 6 7 7 8 8 8 10 12 13 13 14 15 18 18 19 19 20 20 23 24 25 26 27 27 28 29 30 32 34 1 Impressum Broschüre „Die barrierefreie Stadt - eine Zukunftsaufgabe für die Bezirkspolitik“ Bildungswerk für Alternative Kommunalpolitik (BiwAK) e.V. Kottbusser Damm 72, 10967 Berlin AutorInnen: Signe Stein, Cornelius Bechtler Titel-Fotografie: Anke Dziewuslki, Albrecht E. Arnold / pixelio.de Graphik/Gestaltung: Anke Dziewulski Druck: BuK!, Breitschuh & Kock GmbH, www.buchwerft.de, Wittland 8a, 24109 Kiel 1. Auflage, Berlin, Dezember 2010 2 Die Barrierefreie Stadt eine Zukunftsaufgabe für die Bezirkspolitik 1 Einleitung/Vorwort Sehr geehrte Leserinnen und Leser, sehr geehrte KommunalpolitikerInnen, sehr geehrte kommunalpolitisch Aktive und Interessierte, die vorliegende Broschüre will Sie auf dem Weg in die „Barrierefreie Stadt“ begleiten und wird ihnen den Einstieg in einen „Barrierefreien ÖPNV“ (Öffentlicher Personennahverkehr) zeigen. Sie möchte ihnen erläutern, was „Barrierefreie Kommunikation“ ist. Begriffe wie Demographischer Wandel, alternde Gesellschaft, Barrierefreiheit werden zunehmend in der Öffentlichkeit wahrgenommen und erlangen weiter an Bedeutung. In Kommunen und Gemeinden steht das Thema Barrierefreiheit immer häufiger auf der Agenda. Die Broschüre versteht sich als kleiner Leitfaden für die Arbeit als kommunalpolitisch Aktive und alle, die sich für diesen Themenbereich interessieren. Neben der Relevanz für Kommunen und Gemeinden werden Beispiele aus der Praxis aufgezeigt. Es werden die Schwierigkeiten benannt, die mit der Realisierung der „Barrierefreien Stadt“ verbunden sind. Im Glossar werden Begriffe rund um das Thema kurz dargestellt. Bei der Konzeption der Broschüre haben wir uns an der Verwaltungsstruktur von Berlin orientiert, bestehend aus der Ebene der Hauptverwaltung und den Berliner Bezirken. Alle Aussagen, die wir zu den Bezirken machen, treffen auch auf die Kommunen außerhalb der Stadtstaaten zu. Diese Broschüre will Ihre Neugier wecken, sich näher mit dem Thema zu beschäftigen und Sie ermuntern, Projekte anzuschieben und umzusetzen. Beim Erstellen der Broschüre haben wir uns um eine allgemeinverständliche Sprache bemüht, um die Informationen vielen Menschen zugänglich zu machen. Wir wünschen Ihnen Spaß beim Lesen und viel Erfolg für die eigene Arbeit. Signe Stein und Cornelius Bechtler, BiwAK e. V. 3 2 Warum hat die barrierefreie Stadt eine so große Bedeutung? Die Tatsache, dass Menschen mit einer Behinderung im öffentlichen Raum nicht wahrgenommen werden, liegt nicht daran, dass es diese Menschen nicht gibt, sondern an den Randbedingungen. Oftmals ist das Wissen und Verständnis für die Belange dieser Bevölkerungsgruppe noch nicht ausreichend bekannt. Es geht bei der barrierefreien Stadt nicht allein um einzelne Bewohnergruppen, Ziel ist eine Gestaltung, die alters-, geschlechter- und herkunftsunabhängig ist. Das Zusammenspiel von öffentlichem Raum und öffentlichen Gebäuden als barrierefrei gestaltete Orte bildet hierzu die Basis. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen. Ob der Vater in Elternzeit, der zum BürgerInnenamt will, die gehörlose Jugendliche, die eine Veranstaltung besuchen möchte, die Frau, die nach einem Unfall auf einen Rollstuhl angewiesen ist und sich mit Freunden verabredet hat, der alte Herr, der sein Wahlrecht wahrnehmen möchte oder die Touristin, die das vielfältige kulturelle Angebot der Stadt erleben will. Alle profitieren von der Barrierefreien Stadt. Die Wege, die von den Menschen benutzt werden, und die Orte, die sie aufsuchen, sind sehr unterschiedlich, die Rahmenbedingungen, die es ermöglichen selbständig zu sein, sind für alle gleich. Als kleines Beispiel soll der Weg zum BürgerInnenamt beschrieben werden. Es beginnt mit dem barrierefreien Zugang zum Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Nicht nur, dass der Einstieg in Busse und Bahnen mit Kinderwagen, Kofferrolli und Rollstuhl möglich ist, Ansagen müssen auch zu hören und Anzeigen zu sehen sein. Auf vielen Bahnhöfen ist die vorhandene Akustik nicht geeignet, um die Sprachdurchsagen zu verstehen, nicht zuletzt wegen der vielen Nebengeräusche. Anzeigen mit Abfahrtzeiten hängen oftmals in Schaukästen mit spiegelndem und reflektierendem Glas. Die Schriftgröße ist leider oft zu klein, um gut lesbar zu sein1. Schon für BrillenträgerInnen ist das eine Herausforderung. Leitsysteme, die taktil, akustisch oder optisch den Weg weisen, sind vielerorts nicht vorhanden. Dabei ist die Forderung einer Gestaltung nach dem 2-Sinne-Prinzip noch gar nicht berücksichtigt. Wenn der Weg geschafft ist und sich die BürgerInnen vor dem Gebäude befinden, sind die Hürden noch nicht alle genommen. Ist das Gebäude wirklich barrierefrei zugänglich? Auch eine Stufe ist zu viel, denn mit einem Rollstuhl ist die Überwindung nicht möglich. Weiter geht es durch das Gebäude. Wo finde ich was? Dafür ist eine Informationstafel gut geeignet, könnte man denken. Dies gilt nur, wenn die Schrift ausreichend groß, die Gestaltung kontrastreich und die Beleuchtung blendfrei ist. Taktile Pläne des Gebäudes helfen hier weiter, ebenso eine kontrastreiche Gestaltung der Flure und Sanitärbereiche. Es gibt einen Aufzug, doch gibt es neben der Bedientastatur auch eine taktile Anzeige und eine Sprachansage zu den Stockwerken? Wie erreichen Kleinwüchsige die Bedientastatur? Angekommen in der gewünschten Etage, muss der richtige Raum gefunden werden. Es zeigt sich, dass das Leitsystem sich durch das gesamte Gebäude ziehen muss. Nur im Eingangsbereich ist nicht ausreichend. Endlich angekommen im Zimmer des Sachbearbeiters. Aber wohin mit dem Rollator oder wie miteinander ins Gespräch kommen, wenn einer nur Gebärdensprache kann, der andere nicht? Wenn es eine Internetseite geben würde, auf der die BürgerInnen mitteilen können, welche Hilfsmittel oder welche Unterstützung sie benötigen, wäre der Gebärdendolmetscher bereits vor Ort. Denn ein Telefon ist für gehörlose Menschen kein geeignetes Kommunikationsmittel. Und wie ist es mit den MitarbeiterInnen von Städten und Kommunen? Auch sie profitieren von 1 4 DIN 32975 Gestaltung visueller Informationen im öffentlichen Raum zur barrierefreien Nutzung der Barrierefreiheit. Eine kontrastreiche Gestaltung reduziert ganz erheblich die Stolpergefahr auf Treppen und damit das Risiko von Arbeitsunfällen. Das ist ein anderes Thema und soll nur verdeutlichen, wie vielschichtig und facettenreich das Thema Barrierefreiheit ist. Es geht nicht nur darum, eine Stadt für Menschen mit Behinderung zu konzipieren, sondern eine qualitätvolle Stadt für alle Bürgerinnen und Bürger. Das Vorgenannte erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, soll aber einen Eindruck geben, welche Bereiche barrierefrei zu gestalten sind und warum. 3 Bedeutung für Kommunen und Kommunalpolitik Die Schlagworte sind bekannt: Demographischer Wandel, die alternde Gesellschaft – doch welche Konsequenzen werden aus diesen bekannten Tatsachen gezogen? Viele Kommunen haben begonnen, diesem Thema mehr Beachtung zu schenken, aber es müssen noch viel mehr werden. Warum ist das Thema Barrierefreie Stadt von so großer Bedeutung? Mit den bestehenden gesetzlichen Vorgaben wie Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) auf Bundesebene oder den entsprechenden Gesetzen auf Landesebene, Landesgleich­ berechtigungsgesetz in Berlin (LGBG) und DIN-Normen ist die Zielrichtung definiert. Seit dem 26. März 2009 ist nun auch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung in Deutschland verbindlich. Es bedarf aber offensichtlich noch weiterer Argumente, um die Umsetzung zügig auf den Weg zu bringen. Viele Kommunen haben große finanzielle Schwierigkeiten, die öffentliche Hand muss genau überlegen und abwägen, wofür das Geld ausgegeben werden soll. Eine Kommune barrierefrei zu gestalten, ist eine Investition in die Zukunft. Bis zum Jahr 2050 werden ca. 30 % der Bevölkerung mobilitätseingeschränkt sein. Schon jetzt ist Barrierefreiheit für • 10 % der Bevölkerung unentbehrlich • 40 % der Bevölkerung notwendig • 100 % der Bevölkerung komfortabel Damit ist klar: Eine barrierefreie Kommune hat für alle Bewohnerrinnen und Bewohner Vorteile. Barrierefreiheit wird ein Entscheidungskriterium sein, wo Menschen wohnen werden. Dort, wo ihnen das größte Maß an Selbständigkeit möglich ist. Somit wird die Barrierefreie Stadt zu einem attraktiven Wohnort und Wirtschaftsstandort. Ca. 5 alte bzw. hochbetagte Menschen schaffen einen Arbeitsplatz mit den Dienstleistungen, die sie nachfragen. Erster Schritt bei der Umgestaltung in eine barrierefreie Kommune ist die ganzheitliche Betrachtung der Stadt. Eine in die Zukunft gerichtete Planung mit Beteiligung aller Akteure und Entscheidungsträger. Eine schrittweise Anpassung der Gebäude, die sich in kommunalem Besitz oder in kommunaler Verwaltung befinden und die fortlaufende Umgestaltung des öffentlichen Raums. Die Einbindung privater Bauherren und Investoren in das Gesamtkonzept Barrierefreie Stadt sollte immer Ziel kommunalen Handelns sein. Leitgedanken müssen das „Design für Alle“ sowie die konsequente Anwendung des 2–Sinne– Prinzips sein. Nur wenn der Verkehrsraumgestaltung, den Leitsystemen im öffentlichen Raum und in öffentlichen Gebäuden ein Gesamtkonzept zu Grunde liegt, entsteht ein attraktives Wohnumfeld. Menschen mit und ohne Behinderung wünschen sich bzw. brauchen Verlässlichkeit – hinter einem Begriff muss ein verlässlicher, eindeutig definierter Inhalt stehen – Barrierefreiheit. Dies bedeutet, dass z. B. Ampeln (Lichtsignalanlagen) mit akustischen (hörbaren) und taktilen 5 (fühlbaren) Zusatzeinrichtungen ausgestattet sind, die Grünzeiten bei Ampeln der Fußgängergeschwindigkeit angepasst werden. Dabei wird es nicht immer ohne Kompromisse gehen. Für die Blinden und Sehbehinderten sind taktile Kennzeichnungen an einer Straßenquerung erforderlich, für Rollstuhlfahrer wäre ein Übergang ohne Niveauunterschied ideal. Als Kompromiss gilt z. Zt. ein Niveauunterschied von 2 cm bis max. 3 cm. Ziel muss es sein, im konstruktiven Miteinander sinnvolle und realisierbare Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. Die Barrierefreie Stadt, die wir heute bauen und realisieren, kommt uns morgen selber zu Nutzen. Keiner weiß, wann er auf die Barrierefreiheit angewiesen sein wird - und älter werden wir von ganz alleine. 4 Was bedeutet Barrierefreie Stadt? Eine Stadt, eine Kommune, in der es keine Hindernisse gibt. So einfach ist es leider nicht. Es beginnt damit, dass diverse Begriffe verwendet werden wie ‚barrierefrei‘, ‚barrierearm‘, ‚altengerecht‘, ‚seniorInnenfreundlich‘ oder ‚behindertengerecht‘. An dieser Stelle zeigt sich, dass sehr oft die Seniorinnen und Senioren sowie Menschen mit einer Mobilitätseinschränkung die vermeintliche Zielgruppe für eine Barrierefreie Stadt sind. Menschen mit einer Behinderung sind der kleinere Anteil, doch ca. 10 % der Bevölkerung gehören dieser Personengruppe an. Der Anteil der SeniorInnen beträgt zzt. etwa 20 %. Dabei wird häufig außer Acht gelassen, dass Personen mit Gepäck, Kinder, Menschen mit Kinderwagen, Kofferrolli oder einem Gipsbein und Gehstützen, aber auch Menschen mit nicht deutscher Herkunftssprache ebenfalls davon profitieren, wenn keine Barrieren in der gebauten Umwelt vorhanden sind. Barrierefreiheit nützt der gesamten Bevölkerung und ist nicht an ein bestimmtes Alter, an Geschlecht, Art der Behinderung oder eine Erkrankung gebunden. Die Wahrscheinlichkeit, als alter Mensch zwingend auf eine barrierefreie Lebenswelt angewiesen zu sein, ist größer als für Junge. Der Anteil der Alten und Hochbetagten an der Gesamtbevölkerung wird laut Erhebungen des Statistischen Bundesamtes bis 2050 auf ca. 30 % steigen. Gleichzeitig besteht der Wunsch der Menschen nach Selbständigkeit und Teilhabe auch und gerade im Alter. Der Begriff der Barrierefreiheit ist auf alle Bereiche einer Stadt, einer Kommune anzuwenden. Öffentliche Gebäude mit Rathaus / BürgerInnenamt, Bibliotheken, Schulen, ÖPNV, Straßen und Plätze, Parks, Sportanlagen, Schwimmbäder, Museen. Auch alle Orte, die nicht in kommunaler Verwaltung sind, sollten mit einbezogen werden. Hierzu zählen z. B. Restaurants, Theater, Kino. Die Kommunikation zwischen den Bürgerinnen und Bürgern mit der Verwaltung ist ein weiteres Handlungsfeld für Barrierefreiheit. Gerade für blinde und sehbehinderte Menschen bildet das Internet eine der Hauptinformationsquellen. Alle für die BürgerInnen relevanten Informationen sollten per Internet barrierefrei zur Verfügung gestellt werden. Die neusten technischen Entwicklungen wie Smartphones bieten mit ihren zahlreichen Applikationen ganz neue Möglichkeiten einer aktuellen kostengünstigen Informationsvermittlung, z. B. interaktive Navigation für barrierefreie Wege zu kommunalen Einrichtungen. 5 Die Veränderung beginnt im Denken – ein Exkurs – Integration oder Inklusion – Bei der Beschäftigung mit dem Thema Barrierefreiheit wird schnell klar, dass am Anfang ein Umdenken stehen muss. Die Bereitschaft zu einem Perspektivwechsel, die Offenheit, sich vom 6 Gebrauch gewohnter Begrifflichkeiten zu verabschieden. An dieser Stelle werden die wichtigsten Schritte aufgezeigt, die eine Veränderung auf den Weg bringen und beginnen können. Die Einteilung der Menschen in Personengruppen wie Alte, Kinder, Menschen mit Behinderung, Erwachsene usw. sollte nicht mehr Grundlage des Denkens und Handelns in Bezug auf Barrierefreiheit sein. Bisher galt es als Ziel, die Menschen, die zu einer vermeintlichen Randgruppe gehören, in die Gesellschaft zu integrieren, also der Versuch der „Herstellung eines Ganzen“ einer Gesellschaft. Die Inklusion sollte zur neuen Leitidee im gesellschaftlichen Miteinander werden. Inklusion bedeutet Einbeziehung, Vielfalt ist etwas Positives und umfasst alle Ebenen des unterschiedlichen Seins. Dabei wird gefragt, wie eine Ausgrenzung von vornherein vermieden werden kann. Denn wer nicht ausgegrenzt wurde, muss nicht wieder in die Gemeinschaft zurückgeholt werden. Das ist ein anspruchsvolles gesamtgesellschaftliches Ziel. An diesem Punkt wird die Teilhabe aller Menschen zu einer Frage der Realisierung von Bürgerrechten. Die Aufgabe von Kommunen muss es sein, diesen geänderten Denkansatz zur Grundlage des kommunalen Handels zu machen. 6 Handlungsmöglichkeiten für KommunalpolitikerInnen und kommunalpolitisch Interessierte Im Folgenden werden Handlungsfelder aufgezeigt, bei denen KommunalpolitikerInnen und kommunalpolitisch Interessierte sich aktiv an der Gestaltung einer Barrierefreien Kommune beteiligen können. Neben der Präsenz und Mitarbeit in Beiräten, Ausschüssen und Arbeitskreisen gibt es die Möglichkeit, mit Anträgen und Anfragen die Entscheidungsträger und Akteure der Verwaltung für das Thema Barrierefreiheit zu sensibilisieren und zum Handeln aufzufordern. Es besteht für die Bezirksämter wie in Berlin, oder Kommunalverwaltungen wie in Gemeinden und Landkreisen die Aufgabe die Beschlüsse der Bezirksverordnetenversammlung (Gemeinde-/Stadträte umzusetzen. Diese Handlungsfelder können und sollten genutzt werden, es sind die wichtigsten Instrumente der Kommunalpolitik. Es wird nicht immer einfach sein, genügend Stimmen für die erforderlichen Maßnahmen zur Realisierung einer Barrierefreien Kommune zu erhalten. Ausdauer und fachgerechte Argumentation werden den Prozess in jedem Fall befördern. 6.1 Behindertenbeauftragte Entsprechend dem § 7, Abs. 1 ff., „Bezirksbeauftragte für Menschen mit Behinderung“, Landesgleichberechtigungsgesetz (LGBG) gibt es in allen Bezirken Behindertenbeauftragte. Sie sollen Fürsprecher für die Belange von Menschen mit Behinderung sein und ihre Interessen vertreten. Auf den jeweiligen Internetseiten der Bezirke finden sich teilweise Informationen zur Arbeit und den Aufgaben sowie allgemeine Informationen und Tipps rund um die Themen Behinderung und Barrierefreiheit. 7 6.2 Behindertenbeirat Damit regelmäßig das Thema Barrierefreiheit ein Gremium hat, gibt es in den Bezirken einen Behindertenbeirat. Je nach Erfordernis tagen die Beiräte alle 6 – 12 Wochen. Mitglieder sind z. B. die Behindertenbeauftragte / der Behindertenbeauftragte, VertreterInnen von Behinderten­ verbänden, Gewerbetreibende sowie interessierte BürgerInnen und VertreterInnen der politischen Parteien. Der Tagungsort muss zentral gelegen und barrierefrei erreichbar sein. Zu beachten ist nicht nur die barrierefreie Zugänglichkeit des Ortes, sondern auch die Anbindung an den ÖPNV und die Parkmöglichkeiten. Mögliche Aufgaben des Behindertenbeirats können sein: • Feststellen des Ist-Zustands im Bezirk, hierbei können Checklisten und Begehungen / Berollungen eingesetzt werden. (Die Städte Münster und Erfurt haben hierzu Materialien und Informationen zusammengestellt) • Formulieren von Leitlinien und festlegen von Zielen • Empfehlungen, Anträge, Anfragen an die Verwaltung bzw. die politischen Parteien richten In Berlin gibt es in jedem Bezirk einen Behindertenbeirat. Wann der Behindertenbeirat tagt und wer die Mitglieder sind, ist über die Internetseiten der Bezirke oder telefonisch zu erfahren. 6.3 Öffentliche Gebäude in Bezug auf Barrierefreiheit prüfen Als öffentliche Gebäude werden im allgemeinen Gebäude verstanden, die für die Bevölkerung ohne Einschränkung zugänglich sind. Hierzu zählen unter anderem Rathäuser, BürgerInnenämter, allgemein die kommunale Verwaltung, Bibliotheken, Schwimmbäder, Schulen, Volkshochschulen, Sportanlagen, Krankenhäuser. Auch viele weitere Gebäude sind als öffentliche Gebäude anzusehen, auch wenn sie nicht von der Kommune verwaltet werden, es sind Postämter, Banken, Einzelhandel, Theater, Kino, allgemeine Veranstaltungsorte, Arztpraxen, Restaurants, Hotels und Museen. Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollzähligkeit. Alle öffentlich zugänglichen Gebäude müssen die Kriterien der Barrierefreiheit erfüllen. Bei Bestandsgebäuden ist eine kontinuierliche Herstellung der Barrierefreiheit umzusetzen, wenn diese nicht vorhanden ist. Neubauten müssen barrierefrei errichtet werden. Es gelten Ausnahmen für private Bauherren, wenn es keine öffentlich zugänglichen Gebäude sind. Die Barrierefreiheit ist nicht nur für Menschen mit einer Mobilitätseinschränkung wie z. B. RollstuhlnutzerInnen herzustellen, sondern auch für die Anforderungen von nicht sehenden, sehbehinderten, gehörlosen und kleinwüchsigen Menschen und Menschen mit Lernschwierigkeiten. Einige Aspekte der Bewertung der Barrierefreiheit sind: • Zugänglichkeit, Erreichbarkeit • Orientierung, Leitsystem, Beschilderung • Beleuchtung • Sanitäre Einrichtungen 6.4 Barrierefreie Schule Aus pädagogischer Sicht gibt es vielfältige Argumente für eine gemeinsame Schulzeit von allen Kindern, auf die hier nicht eingegangen werden soll. Grundsätzlich besteht in Deutschland eine Schulpflicht von 9 – 10 Jahren für alle Kinder und ist in den einzelnen Landesverfassungen geregelt. 8 Es gibt in Deutschland ca. 430.000 Kinder mit einer Behinderung, das entspricht etwa 4,5 % aller SchülerInnen. Drei wichtige Argumente für gemeinsame Schulen für alle SchülerInnen: • es entfällt eine Stigmatisierung einzelner SchülerInnengruppen • gemeinsames Lernen ist gelebte Inklusion • Schulen haben die Möglichkeit, sich mit entsprechenden Leitlinien ein eindeutiges Schulprofil zu geben. Ziel muss es sein, dass sich SchülerInnen und Eltern zukünftig für eine Schule entsprechend den eigenen Interessen und Neigungen entscheiden und nicht mehr davon abhängig sind, die Schule nach dem Stand der Barrierefreiheit auszusuchen. Für Schulen können in Bezug auf die Barrierefreiheit die Kriterien von öffentlichen Gebäuden angeführt werden. Dabei geht es nicht nur um einen barrierefreien Lern- und Arbeitsort für die SchülerInnen, sondern auch für die LehrerInnen. An dieser Stelle sei auf den demographischen Wandel verwiesen, der an anderer Stelle in dieser Broschüre bereits thematisiert wurde. Eine Unterteilung in Grund- und Oberschule wird nicht vorgenommen, da sich in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Schultypen entwickelt haben bzw. gerade eingeführt werden. Als Stichworte seien die Gemeinschaftsschule und Sekundarschulen genannt. Welche Bereiche und Räume einer Schule müssen nun barrierefrei sein? Ausgehend von dem Grundsatz des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG von 2002) muss das für Schulgebäude, Sporthalle/-flächen, Aula und die Pausenflächen gelten. Das BGG regelt in § 4, was unter Barrierefreiheit zu verstehen ist. Hier heißt es: “Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“ Da es sich bei Schulen oft um ältere Gebäude handelt, wird immer im Einzelfall zu prüfen sein, wie die Forderungen des BGG umgesetzt werden können. Grundsätzlich sollte als erster Schritt die Möglichkeit von organisatorischen Maßnahmen geprüft werden. Die barrierefreie Zugänglichkeit ist dabei die Grundvoraussetzung und muss neben den Belangen der mobilitätseingeschränkten SchülerInnen und LehrerInnen auch die der Seh-und Hörbehinderten sowie die SchülerInnen mit kognitiven Einschränkungen berücksichtigen. Besonders wichtig ist es, dass die Fachräume für z. B. den Chemie-, Physik- oder Kunstunterricht barrierefrei sind, um auch hier einen gemeinsamen Unterricht zu gewährleisten. Ob diese Idealerweise ebenerdig angeordnet sind, um eine barrierefreie Erreichbarkeit sicherzustellen, ist für jede Schule separat zu untersuchen. Unstrittig ist, dass bei der Erarbeitung von barrierefreien Lösungen auch wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden müssen. So ist abzuwägen, welche organisatorischen Maßnahmen möglich und welche baulichen Maßnahmen erforderlich sind. Ein weiterer Aspekt für eine Barrierefreiheit ist, dass dadurch das allgemeine Unfallrisiko erheblich gemindert werden kann. Dies ist gerade für die gesetzlichen Unfallkassen der Länder, bei denen die SchülerInnen im Regelfall versichert sind, von Interesse. 9 Zusammenfassend gehören zu einer barrierefreien Schule die Barrierefreiheit von: • Verkehrswegen wie Flure und Treppen • Klassen- und Fachräumen • Frei-, Spiel- und Pausenflächen • Schulgarten • Sporthallen / Sportplätze einschließlich der Umkleide- Dusch- und Sanitärräume • Aula / Mehrzweckraum • Mensa • Sanitärräumen • Mobiliar • Unterrichtsmaterial Barrierefreie Schulen sind Lebens- und Erfahrungsräume, in denen alle NutzerInnen günstige Bedingungen vorfinden. 6.5 Verwaltung von Städten/Kommunen/Gemeinden Die Verwaltung einer Gemeinde oder Stadt kann durchaus mit einem Dienstleistungsunternehmen verglichen werden. Verwaltungen erbringen Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger. Zielgruppenorientiertes Handeln bedeutet, seine Zielgruppe zu kennen, auf Bedarf und Bedürfnisse zu reagieren und ein entsprechendes Leistungsangebot bereitzustellen. Im Sinne einer gelebten Unternehmenskultur ist es wichtig, dass die Ideen und Prinzipen der Barrierefreiheit den MitarbeiterInnen von Städten/Kommunen/Gemeinden bekannt sind und gelebt werden. Zu diesem Gesamtpaket barrierefreie Stadt/Kommune/Gemeinde gehören vielfältige Bereiche, die zum einen die verwaltungsinternen Abläufe betreffen, aber zum anderen auch den direkten Kontakt mit den BürgerInnen. Wenn es gelingt, dies in ein funktionierendes Miteinander zu bringen, ist ein großer Schritt in Richtung Glaubwürdigkeit und Realisierung von Barrierefreiheit getan. In diesem Abschnitt geht es nicht um die baulichen Rahmenbedingungen, sondern um die Bereiche der Verwaltungstätigkeit. 6.5.1 Verwaltung intern MitarbeiterInnenschulungen und Information sind wichtige Maßnahmen auf dem Weg zu einer barrierefreien Verwaltung. Das Verständnis für die Belange der BürgerInnen sollte das Grundprinzip des Verwaltungshandelns sein. Dabei ist es unerheblich, ob die Personen eine Behinderung haben, im fortgeschrittenen Lebensalter stehen oder nicht deutscher Herkunftssprache sind. Auf diese Anforderungen sollten die MitarbeiterInnen vorbereitet und geschult sein. Dabei haben sich Seminare mit einem Praxisteil bewährt. Mit verschiedenen Hilfsmitteln, wie Gehstützen und Rollstuhl, aber auch mit Aging-Anzügen, Brillen und Gehörschutz werden Beeinträchtigungen in der Mobilität oder Wahrnehmung simuliert. Die Erfahrungen aus dem eigenen Erleben führen zu einen größeren Verständnis und schulen die Wahrnehmung für bestehende Hindernisse und Barrieren. Weiterhin sollte interessierten MitarbeiterInnen im Rahmen von Weiterbildung und Qualifizierung die Möglichkeit gegeben werden sich zu qualifizieren. Das könnte sein: • Gebärdensprache erlernen • einfache Sprache • barrierefreie Gestaltung von Printmedien und Internet 10 Wenn Kenntnisse zur Barrierefreiheit in den Verwaltungen bestehen, kann dies direkt in die Angebote der Verwaltung einfließen. Exemplarisch seien genannt, die Gestaltung von Informationsmaterial und Internetauftritt. Sollten diese Leistungen an Dritte beauftragt werden, können die Kenntnisse der VerwaltungsmitarbeiterInnen für Ausschreibung, Angebotsprüfung und Prüfung der erbrachten Leistung genutzt werden. Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob der Anteil der Beschäftigten mit einer Behinderung 5% beträgt. Wenn diese Vorgabe eingehalten oder sogar überschritten wird, trägt das viel zur Glaubwürdigkeit bei, dass Barrierefreiheit ein ernstgemeintes Ziel ist. 6.5.2 Verwaltung extern Die Kommunikation zwischen den Bürgerinnen und Bürgern mit der Verwaltung ist ein weiteres Handlungsfeld für Barrierefreiheit. Gerade für blinde und sehbehinderte Menschen bildet das Internet eine der Hauptinformationsquellen. Alle für die BürgerInnen relevanten Informationen sollten per Internet barrierefrei zur Verfügung gestellt werden. Erreichbarkeit der Verwaltung Neben der Erreichbarkeit per Telefon tritt das Internet als Kommunikationsmedium immer mehr in den Vordergrund. Dabei hat jedes Medium Vor- und Nachteile für unterschiedliche NutzerInnen. Komfort und Service ergibt sich aus dem Zusammenspiel und der Ergänzung der einzelnen Medien. Einige grundlegende Bedingungen sollten bei Internetauftritt und Telefon berücksichtigt werden. Telefon • Einfache und verständliche Sprache bei Ansagen • Langsames Sprechtempo und ausreichend Pausen für Notizen • MitarbeiterInnen sollten Name und Abteilung nennen. • Eindeutige Weiterleitung, ein/-e neue/-r Gesprächspartner/-in sollte ebenfalls Name und Abteilung nennen. Veranstaltungen Bei Veranstaltungen oder z. B. BürgerInnensprechstunden sollten die Orte nach den Kriterien der Barrierefreiheit ausgewählt werden. Neben der Erreichbarkeit spielt die Ausstattung eine wichtige Rolle. Hierzu zählen: • Beleuchtung • Akustik • Lautsprecheranlage • für Hörbehinderte z. B. Induktions-, Infrarot- oder FM-Anlagen • GebärdensprachdolmetscherIn, SchreibdolmetscherIn • Anordnung von Möblierung im Raum • Barrierefrei gestaltete Vorträge in Wort und Schrift Formulare, Informationsbroschüren, Flyer in Papier und Online Bei der Gestaltung gelten im Wesentlichen die Kriterien für die Internetseite und Beschriftungen • klare, übersichtliche, eindeutige und logische Struktur • einfache Sprache • serifenfreie Schrift, Schriftgröße min. 11 pkt besser 14 pkt • kontrastreiche Farbgestaltung (Rot-Grün-Sehschwäche beachten!) • Bilder für Layoutzwecke • Positionierung von Elementen 11 Alle Maßnahmen müssen auch an die BürgerInnen kommuniziert werden. Dafür eignen sich die vorgenannten Medien. Regelmäßige Aktualisierung sollte selbstverständlich sein. Denn nur was bekannt ist, kann auch genutzt werden. Bei der Ankündigungen und Informationen der Verwaltung in der Tagespresse, Anzeigenblättern usw. sollte ebenfalls darauf geachtet werden, dass die Informationen barrierefrei zu den Bürgerinnen und Bürgern kommen. 6.6 Parks, Grünflächen und Spielplätze Auch für diese Orte gilt die Barrierefreiheit. Besonders auf das Oberflächenmaterial von Wegen sowie Art und Anzahl der Beleuchtung und das vorhanden sein von Leitsystemen sollte geachtet werden. Insbesondere bei Spielplätzen ist zu berücksichtigen, dass die Spielgeräte barrierefrei sind. Dies bedeutet, dass die Spielgeräte auch von Kindern mit einer Behinderung benutzt werden können. Dabei ist die Zugänglichkeit zu den Spielplätzen ebenfalls barrierefrei zu gestalten. Spielplätze sind Erlebensräume und müssen für alle Kinder die Möglichkeit bieten, sich im Spiel auszuprobieren, selbst aktiv zu sein und Erfahrungen zu sammeln. Das gemeinsame Spielen fördert gemeinsame Erfahrungen und ermöglicht ein selbstverständliches Miteinander von Kindern unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Fähigkeiten. Barrierefreiheit bezieht sich dabei nicht alleine auf die Angebote an Spielgeräten, sondern auch auf die Erreichbarkeit. Bei der Erreichbarkeit sind es die Wege in den Wohnquartieren und damit der öffentliche Straßenraum. Es gelten die gleichen Kriterien, die beim Kapitel Gestaltungs­grundsätze für Gehwege genannt werden. Hier wird umso mehr deutlich, warum die Barrierefreiheit so wichtig ist, denn mit Kinderwagen, Bobbycar, Fahrrad oder Rollstuhl müssen die Spielplätze gleichermaßen gut erreichbar sein. Es ist wichtig daran zu denken, dass auch die Begleitpersonen der Kinder mobilitätseingeschränkt sein können. Am Spielplatz angekommen müssen die Spielgeräte für Kinder und Erwachsene barrierefrei zugänglich sein. Weitere Ausstattungen sind Orientierungshilfen als Leitsystem und ein barrierefreies WC. Barrierefreie Spielplätze zeichnen sich dadurch aus, dass die Kinder ihrem Alter und ihren Fähigkeiten entsprechend unterschiedliche Spielangebote erhalten. Es müssen sinnesanregende Angebote vorhanden sein. Häufig beschränken sich die Spielgeräte allein auf die Beanspruchung des Gleichgewichts. Geruchs-, Tast- und Hörsinn müssen aber gleichermaßen angesprochen werden. Bei der Gestaltung von Sandkästen ist sicherzustellen, dass sie auch mit einem Rollstuhl erreichbar sind. Es ist darauf zu achten, dass ein Umsetzen der Kinder nicht erforderlich ist. Gerade bei größeren Kindern ist dies für die Begleitpersonen mit großer körperlicher Anstrengung verbunden. So können Kinder auch alleine den Spielplatz besuchen. Es wird keine Empfehlung für bestimmte Spielgeräte und Spielangebote gegeben. Dies vor allem deshalb, da auch bei der Konzeption von Spielplätzen ExpertInnen einbezogen werden sollten. Dies können neben VertreterInnen von Behindertenverbänden auch PädagogInnen, TherapeutInnen und Eltern sein. 12 Die Kosten für einen barrierefreien Spielplatz liegen nicht höher. Im Allgemeinen steht ein Gesamtbudget für eine Maßnahme zur Verfügung, unabhängig davon, ob es sich um Neubau, Umbau oder Sanierung handelt. Die Maßnahmeplanung muss innerhalb des Budgets liegen. So geht es bereits im Planungsprozess darum, Kriterien festzuschreiben und diese zielgerichtet umzusetzen. Allgemeine Planungsgrundlagen für Spielplätze: DIN EN 1176 „Spielplatzgeräte„ und DIN EN 1177 „Stoßdämpfende Spielplatzböden“ 6.7 Internetseite einer Verwaltung Für viele Menschen ist das Internet zu einem wichtigen Informations- und Kommunikationsmedium geworden. Viele Kommunen bieten Ihren BürgerInnen bereits einen umfangreichen Service per Internet an. Unabhängig von Öffnungszeiten können sich die BürgerInnen informieren, Termine vereinbaren, Formulare ausfüllen und per E-Mail „abgeben“. Nicht nur für Berufstätige, sondern insbesondere für Blinde, Sehbehinderte und mobilitätseingeschränkte Menschen bedeutet das eine Steigerung der Lebensqualität. Voraussetzung ist aber, dass die Internetseiten der Kommune barrierefrei gestaltet sind. Was sind Kriterien für einen barrierefreien Internetauftritt? • klare, übersichtliche und eindeutige Navigation, logische Struktur • serifenfreie Schrift, Skalierbarkeit, ohne dass Texte „verloren“ gehen, da sie in andere Rahmen (Frames) hineinlaufen • kontrastreiche Farbgestaltung (Rot-Grün-Sehschwäche beachten!) • Bilder für Layoutzwecke • Positionierung von Elementen • Verwendung von Akronymen und Abkürzungen • Interaktive Schaltflächen per CSS • CSS (Cascading Style Sheets) und W3C (Testlauf barrierefreie Internetseite) 7 Das Für und Wider von Checklisten Bei der Beurteilung der Barrierefreiheit von Gebäuden oder Parkanlagen können Checklisten hilfreich sein. Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass damit immer eine eindeutige Bewertung möglich ist. Beurteilungen und Lösungen müssen immer einzelfallbezogen entwickelt werden. Bei allen Planungsprozessen sollten neben den Behindertenbeauftragten, Sachverständige und die Verbände der Menschen mit Behinderung einbezogen werden. Dies versteht sich für den Neubau wie auch für den Umbau oder Umgestaltung. Es geht nicht darum, nur Vorschriften zu machen, sondern für das Thema „Barrierefreiheit“ zu sensibilisieren. Gesetze und DIN-Normen sind als Planungs- und Handlungsgrundlage zu verstehen. Mit ihnen sollen und müssen funktionale und gestalterisch gute Lösungen entwickelt werden. Alle Belange von Menschen mit einer Behinderung zu berücksichtigen, wird immer nur im Einzelfall erreicht werden. Dies bedeutet nicht, sich mit „halben Lösungen“ zufrieden zu geben. Kooperationsbereitschaft bei allen am Prozess beteiligten Akteuren ist eine notwendige Voraussetzung für die Zielerreichung Barrierefreie Stadt. Die Auflistung kann als Checkliste dienen, um schnell mögliche Potenziale und Defizite festzustellen. 13 8 Barrierefrei - aber wie? Im folgenden Abschnitt werden die einzelnen Maßnahmen der Barrierefreiheit schlaglichtartig beschrieben. Eine umfassende Erläuterung zur barrierefreien Gestaltung von Gebäuden, Freizeitanlagen, wie Sportplätzen und Schwimmbädern sowie Bibliotheken, Parkanlagen und Straßenraum sind im Rahmen der vorliegenden Broschüre nicht möglich. Ziel dieser Broschüre ist es, einen Überblick über die Grundprinzipien der barrierefreien Gestaltung zu geben. Einiges wurde schon in den vorhergehenden Abschnitten erwähnt, jedoch immer in einem situativen Kontext. Nun werden die Maßnahmen listenartig aufgeführt. Dabei wird bei der Darstellung keine Wertigkeit vorgenommen, denn die einzelnen Handlungsfelder können nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Die Einzelmaßnahmen ergänzen sich und müssen immer im Zusammenhang umgesetzt werden. Die Aufzählung erfolgt deshalb in alphabetischer Reihenfolge. Grundsätzlich gilt, dass mit der Barrierefreiheit zwei Forderungen erfüllt werden sollen: • Ein teilweise ausgefallener Sinn ist durch Hilfsmittel optimal zu unterstützen • Das Zwei-Sinne-Prinzip ist konsequent einzuhalten Abbildung 1: Taktiler Gebäudeplan im Versorgungsamt in Dortmund, Umsetzung des Zwei-Sinne-Prinzips, Foto: Büro frp frei I raum I planen, Signe Stein Erreichbarkeit und Zugang zu einem Gebäude sowie die innere Erschließung mit Treppen, Aufzügen, Türen und Fluren, Versammlungsräume und Sanitäranlagen sind in eine barrierefreie Gestaltung einzubeziehen. Neben der Orientierung und der Gestaltung von Bedienelementen sind auch die Außenanlagen barrierefrei zu gestalten. Eine ausreichende Anzahl von Parkplätzen ist vorzuhalten. Innenbereich • alle Ebene müssen ohne Stufen erreichbar sein • Flure und Türen müssen ausreichend breit sein, ausgehend von RollstuhlnutzerInnen • Türbreite min. 1,00 m • Bewegungsflächen von min. 1,50 x 1,50 m, besser 1,80 x 1,80 m • Begegnungsflächen von min. 1,50 m breite • Zwei Handläufe an Treppen • Handläufe in unterschiedlichen Höhen Außenbereich • Wege mit einem rollstuhlgeeigneten Belag, kein Sand oder Kies • Breite von Wegen min. 1,50 m, damit ein Wenden möglich ist • Leitsystem 14 8.1 Leitsysteme Bei den Leitsystemen ist zwischen akustischen (hören), visuellen (sehen) und taktilen (fühlen) Systemen zu unterscheiden. Allerdings kommen häufig Kombinationen aus den einzelnen Leitsystemen zum Einsatz. 8.1.1 Akustische Leitsysteme Hierzu zählen alle Informationen, die akustisch wahrgenommen werden können. Neben Einzelsignalen können dies Sprachansagen oder Audiodateien sein. Akustische Ampeln Bei Ampeln kommen akustische Zusatzeinrichtungen zum Einsatz. Dabei geben unterschiedliche akustische Signale Hinweise zum Erkennen der Ampel und ihrer Rot-Grün-Phasen. Das Sehen wird durch das Hören ergänzt bzw. ersetzt. Teilweise sind die akustischen Ampeln noch mit einem taktilen Gehrichtungsanzeiger ausgestattet (dieser gibt die Richtung zum Überqueren der Straße an). Ansagen/Durchsagen Diese finden sich vor allen in Bahnhöfen und ergänzen die Anzeigetafeln für z. B. Abfahrt und Ankunft. Darüber hinaus können sie Hinweise zu allen anderen Informationen in und um den Bahnhof geben. Oft sind diese Ansagen auf Grund der schlechten Akustik in Bahnhöfen nur schwer verständlich. Auf diese Maßnahme sollte dennoch nicht verzichtet werden. Als ergänzender Service könnte angeboten werden, Informationen direkt abzurufen, z. B. über ein Handy. Weitere akustische Leitsysteme Diese stehen meistens als Audiodateien zur Verfügung und geben Informationen zu bestimmten Gebäuden oder Orten als Stadtführer. Bestimmte Wegstrecken, z. B. Fluchtwege, werden mit akustischen Signalen gekennzeichnet. 8.1.2 Optische Leitsysteme Neben Anzeigetafeln, Hinweisschildern, Faltblättern, Flyern, Piktogrammen und farbigen Markierungen, zählen auch Bodenindikatoren zu den optischen Leitsystemen. Die visuelle Wahrnehmung kann Informationen nur erkennen, wenn sich Schrift oder Zeichen optisch von der Umgebung abheben. Der Helligkeitsunterschied wird Leuchtdichtekontrast genannt. Es gibt Farbkontraste, die eine visuelle Wahrnehmung unterstützen (Weiß auf Blau) oder behindern (Rot/Grün oder Dunkelrot auf Dunkelblau). Deutliche Kontraste sind vorhanden bei einem hellen Hintergrund und dunkler Schrift oder Zeichen bzw. einem dunklen Hintergrund und heller Schrift oder Zeichen. Vorteilhaft sind folgende Eigenschaften: • deutliche Kontraste = hoher Leuchtdichteunterschied (Schwarz auf Weiß, Schwarz auf Grün) • auf Blendfreíheit achten • eine unbunte Komponente (Weiß auf Blau, Weiß auf Lila, Weiß auf Rot, Grün auf Schwarz) • Keine Kombination von Komplementärfarben (z. B. Gelb auf Blau) • Verwendung von Rot nur als dunkle Komponente (Weiß auf Rot, Gelb auf Rot) • eine Farbwahl, die eine Rot-Grün-Sehschwäche berücksichtigt • eine serifenfreie Schrift • eine ausreichende Schriftgröße von mindestens 12 pkt. bei Druckerzeugnissen • ausreichende Buchstabenabstände (Laufweite) • ausreichende Strichstärke • Kursivschrift sparsam verwenden • keine Texte in Großbuchstaben • nicht mehr als zwei Schriftarten 15 Abbildung 2: Deutliche Kontraste kombiniert mit taktilen Rillenplatten sorgen für die Orientierung im Weimarer Bahnhof, Foto: Büro frp frei I raum I planen, Signe Stein Eine gute Orientierung geben Verkehrszeichen, bei denen diese Prinzipien berücksichtigt werden und die zu den häufigsten Elementen im öffentlichen Straßenraum zählen. Kontrastreiche Markierungen auf dem Boden sind ein Bodenleitsystem, wenn es in einem logischen Zusammenhang aufgebaut ist und eindeutig von einem Start zu einem Ziel führt. Wegänderungen werden immer rechtwinkelig geführt. Neben Kontrasten kommen fast immer auch taktile Elemente zum Einsatz. Leitsysteme sind vor allem aus dem Straßenraum bekannt, jedoch ebenso in Gebäuden von großer Bedeutung. Das beginnt bereits vor dem Gebäude. Der Eingang muss eindeutig als dieser zu erkennen sein. Im Eingangsbereich und im ganzen Gebäude sind eine gute, blendfreie Beleuchtung und die kontrastreiche Gestaltung von Wand- und Bodenflächen erforderlich. Hinweise zur Orientierung sollten in unterschiedlicher Ausführung angeboten werden. Als Anzeigetafel, taktiler Gebäudeplan, Audiodatei, Faltblatt oder Flyer, auch in Brailleschrift. Schaukästen müssen blendfrei und aus nichtspiegelnden Materialien gestaltet sein. Auf einen geringen Abstand zwischen Information und Abdeckglas ist zu achten, damit auch mit einer Lupe das Dargestellte gelesen werden kann. Das Zwei-Sinne-Prinzip sollte in jedem Fall berücksichtigt werden. Die Anzahl der Maßnahmen wird sich aus der Anzahl der NutzerInnen eines Gebäudes ergeben. Türbeschilderung, Bedienelemente in Aufzügen und die kontrastreiche Gestaltung der Sanitärräume sind ebenfalls Bestandteile eines Leitsystems. 8.1.3 Tastbare Leitsysteme Bodenleitsysteme oder Bodenindikatoren Unter diesem Oberbegriff werden alle Systeme zusammengefasst, die im Boden verlegt oder auf den Boden aufgetragen werden. Sie sollen leiten, hinweisen und warnen. Erhabene Strukturen sind zu tasten und ein taktiles Element. Damit Bodenindikatoren gut wahrgenommen werden können, sollte der Umgebungsbelag fugenarm sein. Es gilt ebenfalls, das Leitsystem muss in einem logischen Zusammenhang aufgebaut sein und eindeutig von einem Start zu einem Ziel führen. Wegänderungen werden immer rechtwinkelig geführt. Abbildung 3: Schlechtes Beispiel: Am Spreeufer im Bereich des Marie-Elisabeth-Lüders-Haus führt das Leitsystem die Blinden auf die Säule zu, Foto: Büro frp frei I raum I planen, Signe Stein 16 Taktile Bodenleitsysteme müssen mit dem (Blinden-)Langstock gut zu tasten sein, daher ist ein Niveauunterschied von ca. 4 mm notwendig. Die Strukturen sollten auch mit den Füßen durch Schuhwerk hindurch wahrnehmbar sein. Zusätzlich können Bodenindikatoren akustische Komponenten (Hohlkörper) haben. Sie werden eingesetzt, wenn eine erhöhte Aufmerksamkeit notwendig ist, z. B. vor Treppen oder Straßenquerungen. Taktile Bodenleitsysteme bestehen aus • Leitstreifen sind aneinandergereihte Bodenindikatoren mit einer Rippenstruktur in Laufrichtung • Begleitstreifen sollen den Leitstreifen optisch hervorheben und somit dessen Information sicherstellen. Sie werden neben dem Leitstreifen geführt, wenn der Kontrast zwischen Leitstreifen und dem übrigen Bodenbelag nur gering ist. Sie bestehen aus einem glatten und fugenarmen Material und sind in diesem Sinn kein taktiler Bodenindikator. • Aufmerksamkeitsfeld ist eine quadratische Fläche von 0,90 x 0,90 m, besteht meistens aus einer Noppen- oder Rautenstruktur und weist auf einen Richtungs- oder Niveauwechsel hin. Es zeigt Querungsstellen von Straßen an. • Auffangstreifen oder Auffindestreifen sind Flächen aus Bodenindikatoren mit Rippenstruktur, die über die gesamte Breite eines Gehwegbereiches geführt werden. Sie dienen zum Auffinden einen Leitsystems und weisen auf Straßenquerungen oder Treppen hin. Die Rillenstruktur muss in Querungsrichtung verlegt sein. Abbildung 4: Taktile Bodenleitsysteme im Gebäude des Hauptbahnhofs in Berlin, Foto: Büro frp frei I raum I planen, Signe Stein Brailleschrift oder Punktschrift Sie besteht aus fühlbaren Punkten, die erhabene, aus dem Material heraustretende Braillschrift kann nur von ca. 30 % der blinden Menschen gelesen werden. Texte in Brailleschrift können umfangreiche und komplexe Informationen vermitteln. In Aufzügen und an Treppen (als Handlaufinformation) werden Einzelinformationen, z. B. Stockwerk, angegeben. Abbildung 5: Information in Pyramidenschrift und in Brailleschrift an einem Handlauf im Hauptbahnhof in Berlin, Foto: Büro frp frei I raum I planen, Signe Stein 17 Pyramidenschrift oder Reliefschrift Es werden normale lateinischen Buchstaben, vereinfachte grafische Muster oder Zeichen durch einen prismenartigen Querschnitt tastbar gemacht. Mit dieser Schrift werden im Allgemeinen Einzelinformationen vermittelt, z. B. als Handlaufinformation. Sie kann in Gebäuden für Hinweistafeln und Türschilder verwendet werden. Eine pultförmige Anordnung ist für viele NutzerInnen von Vorteil, weil sie tast- und sichtbar ist und somit das 2-Sinne-Prinzip erfüllt. An Haltestellen (Bezeichnung der Haltestelle, Bus-/Bahnlinie, Fahrtrichtung) oder im öffentlichen Raum können vielfältige Informationen vermittelt werden. 9 Barrierefreiheit im Öffentlichen Raum Unter öffentlichem Raum in der Stadt verstehen wir die Straßen und Plätze, aber auch die Grünanlagen und Parks. Allen Menschen muss der Zugang zum öffentlichen Raum möglich sein. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, damit alle mobil sein können und am öffentlichen Leben teilhaben. Barrieren schränken Menschen ein, behindern sie oder schließen sie gar vom öffentlichen Leben aus. Wie bereits dargestellt, profitieren nicht nur Menschen mit Behinderungen von einer barrierefreien Gestaltung. Menschen mit Behinderungen sind grundsätzlich auf eine barrierefreie Gestaltung des öffentlichen Raums angewiesen. Mit Gestaltungsgrundsätzen und Prinzipien beim Straßen- und Wegebau, bei der Gestaltung und Möblierung des Straßenraums und der unterschiedlichen Verkehrseinrichtungen wie „Ampeln“ und „Zebrastreifen“ lässt sich die Nutzbarkeit für Menschen mit Behinderungen erheblich verbessern. Im öffentlichen Raum befinden sich außerdem die Haltestellen des Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Der barrierefreie Zugang zum ÖPNV ist ein wichtiges Ziel der Kommunalpolitik. Um ein besseres Verständnis für die Kriterien einer (möglichst) barrierefreien Gestaltung des öffentlichen Raums zu erhalten, ist es aus unserer Sicht hilfreich, den Begriff der Behinderung als ein offenes Konzept zu verstehen. Behinderung entsteht eben nicht nur durch individuelle Beeinträchtigungen, sondern auch durch „einstellungs- und umweltbedingte Barrieren.“2 Entsprechend der Idee des Universal Design3 suchen wir also nach Gestaltungslösungen, die für alle nutzbar sind. 9.1 Unterschiedliche Perspektiven einnehmen Allen KommunalpolitikerIinnen möchten wir empfehlen, sich von Menschen mit Behinderungen die bestehenden Barrieren im öffentlichen Raum erläutern und darstellen zu lassen. Eine Begehung und Berollung (z.B. mit Rollstühlen) eines Straßenabschnittes oder Platzes zeigt anschaulich die verschiedenen Gestaltungsprobleme und Barrieren auf: • Mit dem Rollstuhl werden möglichst ebene und rutschfeste Oberflächen benötigt. • Sehschwache sind auf eine kontrastreiche Gestaltung, eine gute Beleuchtung und optische bzw. taktile Leitsysteme (z.B. im Boden eingelassene Rillenplatten) angewiesen. Die Gehbahn muss von Hindernissen frei gehalten werden. Bei Ampeln helfen akustische Zusatzeinrichtungen. • Für Blinde sind im Wesentlichen taktile Leitsysteme und taktile Bodenindikatoren notwendig, die sie mit dem Blindenstock ertasten können. Die Möblierung im Straßenraum muss zudem so gestaltet sein, dass sie Blinde gut mit dem Stock ertasten können. 2 3 18 Vgl. hierzu Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Präambel, Punkt e) Herwig, Oliver: Universal Design: Lösungen für einen barrierefreien Alltag, Birkhäuser Verlag, Basel, 2008 • Für Menschen mit geistigen Behinderungen oder Lernbehinderungen ist eine einfache, übersichtliche und klare Straßenraumgestaltung notwendig. Die Wegebeziehungen, die Querungsmöglichkeiten über die Straße müssen gut erkennbar sein. Zur Orientierung helfen markante, charakteristische Punkte im Straßenraum (z.B. durch Möblierung, farbliche Gestaltung, Bepflanzung). Diese Orientierungspunkte helfen auch Kindern oder älteren Menschen, aber auch Touristen, um sich in der Stadt zu orientieren. Durch veränderte Witterungsverhältnisse nehmen die Schwierigkeiten zu und es entstehen zusätzliche Gefahren. Manch passable Oberfläche verwandelt sich bei Nässe zu einer Rutschbahn. Unebenheiten und ein größeres Gefälle stellen bei Eisbildung eine Gefahr für Gehbehinderte dar. Hilfreich für das eigene Erleben und Nachempfinden von Mobilitätsproblemen kann das Simulieren einer Behinderung sein. Die Schwierigkeit sich im öffentlichen Raum zu orientieren, lassen sich z.B. mit eigens für diesen Zweck hergestellten Simulationsbrillen nachempfinden, die das Sehvermögen vergleichbar einer starken Sehstörung einschränken. Eine Probefahrt mit einem Rollator oder Rollstuhl ist für eine/n Nicht-Gehbehinderte/n eine erkenntnisreiche Erfahrung. 9.2 ExpertInnenwissen nutzen Menschen mit Behinderungen sind mit ihren täglichen Erfahrungen ExpertInnen in eigener Sache. Dieses ExpertInnenwissen sollte für die Straßen- und die Grünflächenplanung genutzt werden. • Mit dem Behindertenbeirat als gewähltes Gremium sollte ein Verfahren verabredet werden, wie der Beirat in Planungsverfahren, z.B. in Straßenplanungen, einbezogen werden kann. • Bei größeren Vorhaben sollte durch das planende Amt eine frühzeitige Stellungnahme des Behindertenbeirats und des Behindertenbeauftragten zur Entwurfsplanung eingeholt werden. Auf diese Stellungnahme sollte in den nachfolgenden Beratungen – z.B. in den Ausschüssen – eingegangen werden. • Sinnvoll kann es sein, dass VertreterInnen des Behindertenbeirats regelmäßig zu Ausschuss beratungen hinzugezogen werden, wenn eine Entwurfsplanung auf der Tagesordnung steht. Ähnlich kann mit den Mitgliedern des Seniorenbeirats verfahren werden. • Gestaltungs- und Baugrundsätze für Gehwege, Fußgängerüberwege oder Querungsmöglich keiten sollten gemeinsam und regelmäßig durch Behindertenbeirat und Tiefbauamt diskutiert und evaluiert werden. Schließlich entstehen neue Erkenntnisse und die Lösungsmöglichkeiten entwickeln sich fort. 9.3 Mitbestimmung bei Planungen Bei Neuplanungen werden in der Regel die Grundsätze der Barrierefreiheit nach dem Berliner Straßengesetz bzw. der dazugehörigen Ausführungsvorschrift AV Geh- und Radwege (s.u.) eingehalten und umgesetzt. Planungsprozesse sind jedoch komplex. Nachfragen und Hinweise sind immer eine Chance eine Planung zu verbessern. Als KommunalpolitikerIn sollten wir aus eigener Anschauung prüfen, ob die Ziele der Barrierefreiheit in der Planung möglichst weitgehend umgesetzt werden. Häufig sind aufgrund der Knappheit von Haushaltsmitteln einzelne Bauabschnitte einer Baumaßnahme begrenzt. In diesem Fall kann es sinnvoll sein, wenn der befasste Ausschuss die Planung darauf prüft, ob Behinderungen im Straßenraum auch in angrenzende Flächen abgebaut und diese Flächen ggf. einbezogen werden müssen. 19 Folgendes Verfahren der Einbeziehung der Ausschüsse hat sich bewährt:4 • Der Ausschuss sollte sich bei einer Straßenplanung die Entwurfsplanung vorstellen lassen. In dieser Planungsphase – der dritten Leistungsphase nach der Honorarordnung der Architekten und Ingenieure (HOAI) - können die Hinweise aus dem Ausschuss geprüft und ggf. berücksichtigt werden, bevor die Planung zur Genehmigung eingereicht wird. • Die Auseinandersetzung mit der Ausführungsplanung – Leistungsphase 5 - gibt dann die Möglichkeit, die Umsetzung der Anregungen zu prüfen. Jede/r KommunalpolitikerIn wird sich bei ihrer/seiner Arbeit auch fachlich in ein Thema einarbeiten und die Kenntnisse vertiefen wollen. Folgende Plan- und Regelwerke können die kommunalpolitische Arbeit dabei unterstützen: • AV Geh- und Radwege 5: In der Ausführungsvorschrift zum Berliner Straßengesetz werden Gestaltungsgrundsätze für Geh- und Radwege festgelegt. Im Zusammenhang mit dem Berliner Straßengesetz bilden die Normen die rechtliche Grundlage für die Gestaltung von Verkehrsanlagen, bei denen Fußgängerbelange zu berücksichtigen sind. • Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen (EFA) 6: Die Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen e.V., Köln brachte 2002 erstmals die EFA heraus. Sie befasst sich mit den Anforderungen des Fußgängerverkehrs an die Straßenplanung. In dem Regelwerk finden sich umfassende Hinweise und Hilfestellungen zum Entwurf von Fußverkehrsanlagen. • Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) 7: Enthält zahlreiche Empfehlungen und Hinweise für den Entwurf von Fußverkehrsanlagen im Zusammenhang mit der Straßenraum gestaltung. • DIN 18 024-1, Straßen, Plätze, Wege, öffentliche Verkehrs- und Grünanlagen sowie Spielplätze (Technische Baubestimmung): Verbindliches Regelwerk, für die kommunalpolitische Arbeit jedoch zu umfassend und zu technisch. In der Anlage dieser Broschüre finden Sie eine übersichtliche Checkliste, die für die wichtigsten Gestaltungsgrundsätze und Fragen der Barrierefreiheit als Hilfestellung insbesondere bei der Ausschussarbeit dienen kann. 10 Gestaltungsgrundsätze für Gehwege in Berlin 10.1 Historische Gehwegstruktur in Berlin – ein Leitsystem In der Ausführungsvorschrift zum § 7 des Berliner Straßengesetzes, der AV Geh- und Radwege, werden Gestaltungsgrundsätze und Prinzipien festgelegt. Berlin verfügt über eine historisch gewachsene Gehwegstruktur, die durch die AV Geh- und Radwege verbindlich ist (siehe Abbildung 1 und 2). Der Berliner Gehweg besteht aus einer meist 2 m breiten Gehbahn sowie einem Unter- und Oberstreifen. Historisch wurde die Gehbahn mit Charlottenburger Platten – auch „Schweinebäuche“ genannt - verlegt, die auf ihrer Oberseite glatt behauen sind. Die Unterseite ist nur grob behauen und findet dadurch im sandhaltigen Berliner Boden einen guten Halt. Die Gehbahn unterscheidet sich in ihrer Struktur und Farbe von dem Unter- und Oberstreifen, der durch Mosaikpflaster gestaltet ist. Der Oberstreifen, der zwischen Gebäude und Gehbahn liegt, wird für Auslagen von 4 5 6 7 20 Der Bezirk Pankow setzt seit dem 27.02.2008 ein vergleichbares Verfahren bei Baumaßnahmen in Sanierungsgebieten erfolgreich um, siehe Drucksache VI-0362, „Verfahrensweg“ Ausführungsvorschriften zu § 7 des Berliner Straßengesetzes über Geh- und Radwege (AV Geh- und Radwege) vom 13. August 2008, Link: http://www.stadtentwicklung.berlin.de/bauen/barrierefreies_bauen/de/rechtsgrundlagen.shtml Empfehlung für Fußgängeranlagen (EFA), Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V., Köln, Ausgabe 2002 Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06), Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V., Köln, 2007 Geschäften oder andere temporäre Nutzungen in Anspruch genommen. Die Straßenbeleuchtung, die Beschilderung und die Baumbepflanzung ordnen sich im straßenseitigen Unterstreifen ein. Die historisch gewachsene Gehwegstruktur bietet dabei für Blinde und Sehbehinderte eine gute Orientierung. Die Oberfläche der Granitplatten und das Mosaikpflaster lassen sich taktil gut unterscheiden. Die unterschiedlichen Beläge sind sogar mit Schuhen zu ertasten. Für Sehbehinderte bildet die unterschiedliche Struktur und Farbe einen erkennbaren Kontrast. Die Gehwegstruktur stellt deshalb für Sehbehinderte und Blinde ein Leitsystem dar. vorstreckung8 Abbildung 6: Wiederhergestellte historische Gehwegstruktur in der Kollwitzstraße (Prenzlauer Berg), Foto: Cornelius Bechtler Abbildung 7: Berlintypische Gegenwartsstruktur 8 Darstellung: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Die ebene Oberfläche der Granitplatten ist für Menschen mit Gehbehinderungen und für RollstuhlfahrerInnen gut nutzbar. Selbst bei schlechter Witterung bietet der Naturstein mit seiner leicht rauen Oberfläche ausreichend Haftung. Herausgefordert sind jedoch die Tiefbauämter, die für die Instandhaltung der Gehwege sorgen müssen. Die großen Granitplatten werden an ungünstigen Stellen nach einigen Jahren durch die Wurzeln der Straßenbäume angehoben und können somit eine überstehende Kante bilden, die ein gefährliches Hindernis darstellt. Problematisch sind Flachwurzler wie Pappeln. Deshalb müssen aus Gründen der Barrierefreiheit die Flachwurzler ersetzt und geeignetere Straßenbäume gepflanzt werden. Bei den zahlreichen Arbeiten der Kabelbetriebe im Gehwegbereich werden die Gehwegplatten nach Abschluss der Bauarbeiten nicht immer mit der notwendigen Sorgfalt verlegt. Auch hier ist mit dem Ziel der Barrierefreiheit mehr Problembewusstsein der Betriebe als auch mehr Kontrolle durch den Baulastträger, das Tiefbauamt, notwendig. 8 AV Geh- und Radwege, Anlage 1, Quelle: Zur Verfügung gestellt von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin. 21 Stadtgestalterisch ist die • klare Gliederung des Gehweges, der damit auch den unterschiedlichen Nutzungsansprüchen gerecht wird, • die gewählten Oberflächenmaterialien und • die Einheitlichkeit im Stadtbild ein Qualitätsmerkmal für Berlin. Ein Beispiel für ein universelles Design im Öffentlichen Raum. Heute wird die Gehbahn mit „Kunststeinen“ oder Betonpflastersteinen gestaltet. Die AV Geh- und Radwege sieht hierfür ungefasste Gehwegplatten, d.h. ohne sichtbare Fuge, oder Betonpflastersteine vor, wie sie in ganz Europa anzutreffen sind. Die Gehwegplatten (siehe Abbildung 2), wie sie meist im Innenstadtbereich aus gestalterischen Gründen eingesetzt werden, bieten dabei einen guten Kontrast zum Mosaikpflaster. Die Gliederung gibt gleichzeitig die Nutzung des Gehwegbereichs vor. Die Gehbahn hat von Sondernutzungen (z.B. Schankvorgärten von Restaurants, Auslagen von Geschäften) und Einbauten frei zu bleiben. Dies gilt grundsätzlich auch für das Aufstellen von Pollern, die das Befahren und Parken auf dem Gehweg durch Kfz verhindern sollen. Das Freihalten der Gehwegbahn wird nicht überall eingehalten. Dabei sind z.B. durch die Nachrüstung von Pollern auf bestehenden Gehwegen schlechte Lösungen entstanden. In der Gehbahn stellen sie eine Sturzgefahr für Sehbehinderte und Blinde dar. Abbildung 8: Hindernisse in der Gehbahn sollten vermieden werden, Foto: Cornelius Bechtler Fahrradbügel, Briefkästen oder Telekommunikationsanlagen werden im Unterstreifen untergebracht. Es ist Aufgabe der Tiefbauämter und der Ordnungsämter das Freihalten der Gehbahn zu überwachen. Ungenehmigte Schankvorgärten der Gastronomie stellen dabei zunehmend eine Behinderung oder sogar Gefährdung von Blinden und Sehbehinderten dar. Abbildung 9: Hindernisse in der Gehbahn sollten vermieden werden, Foto: Cornelius Bechtler 22 10.2 Sichere und barrierefreie Querungsmöglichkeiten in Wohnstraßen Neben der Gestaltung der Gehwege sind sichere Querungsmöglichkeiten der Fahrbahn ein wichtiges Ziel für die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum. Für alle FußgängerInnen bedeutet eine verbesserte Sichtbarkeit mehr Sicherheit. Durch den hohen Parkdruck in der Stadt ist die Sicht im Bereich von Straßenkreuzungen oder Einmündungen durch ordnungswidrig abgestellte Kfz behindert. Ähnlich wie bei Kindern werden die RollstuhlfahrerInnen aufgrund ihrer niedrigen Sitzhöhe von parkenden Kfz verdeckt. Gehwegvorstreckungen, die die Gehbahn so weit in die Fahrbahn verlängern, dass eine möglichst gute Sichtbeziehung besteht, verkürzen zudem die Gehstrecke über die Fahrbahn und führen durch die Verengung des Fahrbahnquerschnitts im Kreuzungsbereich allgemein zu einer Absenkung der Fahrgeschwindigkeit des Straßenverkehrs. Dies ermöglicht Menschen mit Mobilitätseinschränkungen eine gefahrlosere und bequemere Überquerung der Fahrbahn. Der Parkdruck führt weiterhin dazu, dass die Abstände zwischen den einzelnen Kfz beim Längswie Querparken auf ein Minimum reduziert werden. Insbesondere für RollstuhlfahrerInnen bestehen deshalb ohne Querungsstellen zwischen den Kreuzungsbereichen kaum Möglichkeiten die Straßenseite zu wechseln, da die Grundstückseinfahrten kaum frei gehalten werden. Die in Berlin historisch entstandenen Straßenräume müssen deshalb vor allem in Stadtgebieten mit hohem Parkdruck mit Querungsstellen für FußgängerInnen wie in Abbildung 6 nachgerüstet werden. Wie in der Abbildung zu erkennen ist, ragt die Vorstreckung über den Bereich der parkenden Autos hinaus und ermöglicht dadurch eine bessere Sichtbeziehung zwischen Kfz-FahrerInnen und FußgängerInnen. Abbildung 10: Gehwegvorstreckung in der Kollwitzstraße/Ecke Belforter Straße (Prenzlauer Berg), Foto: Cornelius Bechtler FußgängerInnen sind sehr umwegsensibel. Dies gilt umso mehr, wenn die Gehgeschwindigkeit wie z.B. von älteren Menschen geringer ist. In Straßen mit Querungsbedarf müssten mindestens alle 100 m barrierefreie Querungsmöglichkeiten eingerichtet sein. Sicher aufgrund der hohen Umbaukosten ein langfristiges Ziel. Abbildung 11: Kreuzungsgestaltung im Bereich der Kreuzung Kollwitzstraße/Belforter Straße (Prenzlauer Berg), Foto: Cornelius Bechtler 23 streckung9, Abbildung 12.: Behindertengerechte Gehweggestaltung an einer Überquerungsstelle mit Gehwegvorstreckung 9, Darstellung: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 10.3 Historischer Kompromiss: Auftrittshöhe von 3cm an Übergangsstellen Bei der Fassung der DIN 18 024-1, „Straßen, Plätze, Wege, öffentliche Verkehrs- und Grünanlagen sowie Spielplätze“ wurde ein Kompromiss zwischen den Sehbehinderten bzw. Blinden sowie RollstuhlfahrerInnen getroffen. Es fand eine Einigung über eine Auftrittshöhe von 3 cm bei Querungsstellen bzw. Kreuzungen statt. Diese 3 cm ermöglichen es einerseits Blinde, die Fahrbahngrenze mit dem Blindenstock zu ertasten. Ein Blindenhund kann außerdem die Bordsteingrenze noch wahrnehmen. Die Höhe stellt auch für RollstuhlfahrerInnen eine überwindbare Barriere dar. Immer wieder ist der Kompromiss Gegenstand von Diskussionen zwischen den unterschiedlichen Behindertenverbänden. Der Kompromiss zeigt zugleich, wie auf die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse und Anforderungen eine für alle tragfähige Lösung gefunden werden muss. Der Gesetzgeber in Berlin hat den Baulastträger – das bezirkliche Tiefbauamt – verpflichtet, in der Regel eine Auftrittshöhe von 3 cm an Straßenkreuzungen, Einmündungen oder Querungsstellen einzuhalten.10 Abbildung 13.: Auftrittshöhe an Übergangsstellen von 3 cm, Foto: Cornelius Bechtler 9 AV Geh- und Radwege, Anlage 5, Quelle: Zur Verfügung gestellt von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin. 10 § 7 Straßenbaulast, Abs. 3, Satz 2, Berliner Straßengesetz 24 Einmündung11, Abbildung 14., Behindertengerechte Gehweggestaltung an einer Einmündung11, Darstellung: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 10.4 Rillenplatten als taktile Bodenindikatoren Für Blinde und Sehbehinderte ist es wichtig, die Grenze von Gehweg und Fahrbahn mit dem Blindenstock taktil wahrnehmen zu können. Hierfür sorgen die Rillenplatten, die auf den Beginn der Fahrbahn hinweisen und gleichzeitig durch die Ausrichtung der Rillen über die Überquerungsrichtung informieren. Blinde verfügen über eine hohe Oberflächensensibilität, die sie mit Hilfe des Blindenstocks zur Orientierung nutzen können. Hiermit können sie die unterschiedliche Oberflächenbeschaffenheit von Gehweg- oder Straßenbelägen taktil wahrnehmen. Die Rillenplatten werden unmittelbar angrenzend an dem Bordstein verlegt. Sie kommen an Fußgängerüberwegen (Zebrastreifen), im Bereich von Überquerungshilfen (Mittelstreifen, Mittelinseln oder Gehwegvorstreckungen) sowie an Fußgängerfurten (Markierungen im Bereich von Ampelanlagen) zum Einsatz. Abbildung 15.: Auf dem Alexanderplatz dienen die Rillenplatten als Aufmerksamkeitsfeld und weisen auf die Straßenbahntrasse hin aus gestalterischen Gründen allerdings ohne Kontrastwirkung zum Natursteinbelag, Foto: Cornelius Bechtler Die Straßenbaulastträger gewährleistet, dass „kontrastreiche und taktil wahrnehmbare Orientierungshilfen in den Gehwegbelag eingebaut werden.“12 Rillenplatten sind Betonwerkstein aus Weißzement und frosttauglich. Der Weißzement führt zu einem deutlichen Kontrast zu den dunk11 AV Geh- und Radwege, Anlage 3, Quelle: Zur Verfügung gestellt von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin. 12 § 7 Straßenbaulast, Abs. 3, Satz 1, Berliner Straßengesetz 25 leren Bodenplatten. Er bietet somit einen hohen taktilen, optischen, aber auch akustischen Kontrast. Durch den Blindenstock lassen sich akustische Unterschiede wahrnehmen zwischen den Bodenindikatoren und den Gehwegplatten der Gehbahn oder dem Asphalt bzw. Kopfsteinpflaster der Fahrbahn. Seit 2008 mit der neuen AV Geh- und Radwege werden in Berlin Rillenplatten mit einem Rillental von 35 mm verwendet. Diese sind durch die größere Breite der Rillen mit den Blindenstöcken besser wahrnehmbar. Abbildung 16., Neue Rillenplatten mit einem Rillental von 35 mm, Foto: Cornelius Bechtler In der Zwischenzeit wird in einigen Kommunen mit zwei unterschiedlichen Bodenindikatoren gearbeitet. Ein Aufmerksamkeitsfeld (Noppenplatten) weist auf Anfang und Ende von Leitstreifen, Treppen, Aufzüge oder Überquerungsmöglichkeiten hin. Der Auffang- und Leitstreifen (Rillenplatten) informiert über die Begrenzung bzw. den Übergang z.B. zur Fahrbahn und gibt mit der Richtung der Rillen die Gehrichtung vor. Der Berliner Sehbehinderten und Blindenverband setzt sich auch in Berlin für dieses neue Leitsystem ein. Bisher sind jedoch nur die Rillenplatten als taktile Leitsysteme vorgesehen. 10.5 Konflikte von Fuß- und Radverkehr FußgängerInnen bewegen sich grundsätzlich auf eine andere Art und Weise wie FahrradfahrerInnen. Die Gehrichtung ist weniger zielgerichtet, häufiger finden Richtungswechsel statt. FußgängerInnen beanspruchen um sich herum einen Sicherheitsraum, der auf einem intensiv genutzten Gehweg zu Konflikten mit FahrradfahrerInnen führt. Dies gilt im noch größeren Maße für FußgängerInnen mit Blindenstock oder RollstuhlfahrerInnen. FahrradfahrerInnen, die sich im Straßenraum nicht sicher fühlen, nutzen dabei häufig die ihnen vertrauten Gehwege. Mittlerweile hat die Verkehrsplanung in Berlin erkannt, dass Radverkehrsanlagen auf der Straße konfliktfreier und für alle sicherer sind. In vielen Stadtstraßen in Berlin befinden sich baulich angelegte Radwege im Bereich des Seitenraums. Z.T. sind diese Radwege nur durch eine weise Leit- und Begrenzungslinie getrennt. • Sehbehinderte können Markierungen auf dem Gehweg nicht ertasten. Deshalb sind zwischen Radwegen und angrenzenden Gehwegen Begrenzungsstreifen anzulegen, die optisch, kontrastreich und taktil deutlich wahrnehmbar sind.13 • Bei baulich getrennter Führung eines asphaltierten Rad- und Gehwegs ist neben weißen Einfassungsbetonsteinen ein Mosaikstreifen mit min. 35 cm Breite anzulegen.14 Radwege in Asphaltbauweise unterscheiden sich optisch, aber auch taktil von den Betonstei nen des Gehweges. 13 RASt 06, Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen, FGSV, 2006, S. 85 14 Teil A, III Radwege, (3), AV Geh- und Radwege 26 Abbildung 17.: Sehbehindertengerechter Begrenzungsstreifen zwischen baulich angelegten Radwegen und angrenzenden Gehwegflächen aus weißen Betonsteinen und Mosaikpflaster in der Danziger Straße (Prenzlauer Berg), Foto: Cornelius Bechtler 10.6 Genehmigung von Sondernutzung im Straßenland Nutzungen des Straßenlandes, die über dem Gemeingebrauch hinausgehen, sind Sondernutzungen und benötigen einer Erlaubnis durch die Straßenbaubehörde.15 Von Interesse sind dabei insbesondere die Schankvorgärten der Kneipen und Restaurants sowie Auslagen der Geschäfte. Aber auch Möblierungen wie Fahrradständer oder Plakatständer von Geschäften. Sondernutzungen sind grundsätzlich nicht erlaubt, wenn „behinderte Menschen durch die Sondernutzung in der Ausübung des Gemeingebrauchs erheblich beeinträchtigt würden.“16 Die Gehbahn ist dabei grundsätzlich frei zu halten. Die Einhaltung der Sondernutungsgenehmigungen erfolgt zukünftig durch die Ordnungsämter. Ein wichtiges Aufgabenfeld, um barrierefreie Mobilität in der Stadt zu ermöglichen. Seit dem 01.01.2009 ist Teil der Sondernutzungsgenehmigung für Schankvorgärten in Berlin, dass sie sichtbar im Eingangsbereich angebracht werden müssen. Ab dem 01.01.2010 werden die Sondernutzungen von den Ordnungsämtern überprüft. Die Verwaltung erhofft sich hiermit eine bessere Durchsetzung der Freihaltung der Gehbahn durch Sondernutzung wie Schankvorgärten oder Auslagen von Geschäften. Abbildung 18.: Das Geschäft müsste die gesamte Gehbahn freihalten, Beispiel am Kottbusser Damm in Kreuzberg, Foto: Cornelius Bechtler 10.7 Barrierearme Baustelleneinrichtungen Ein wichtiges Handlungsfeld ist die möglichst barrierefreie oder barrierearme Führung im Bereich von Baustellen. Oft sind für Menschen ohne Handicap Baustelleneinrichtungen schon eine erhebliche Behinderung. Für Blinde bzw. Sehbehinderte stellen dagegen unzureichende Baustelleneinrichtungen eine erhebliche Gefahr dar. Ein Flatterband ist bei einer Aufgrabung auch provisorisch kein geeignetes Mittel, um auf mögliche Gefahren hinzuweisen. 15 § 11 (1), Sondernutzung, Berliner Straßengese 16 § 11 (2) Satz 2, Sondernutzung, Berliner Straßengesetz 27 Die zweistufige Verwaltung in Berlin macht die Koordination und Überwachung von Baustelleneinrichtungen nicht einfacher. Unzureichende Personalausstattung in den Tiefbauämtern der Bezirke macht die Aufgabe für die Verwaltung schwer lösbar. Bisher fehlt ein umfassendes Baustellenmanagement durch den Baulastträger mit gezielten Kontrollen und Auflagen für die bauenden Firmen und Unternehmen. Oft werden die Tiefbauämter über Bauarbeiten im Straßenland von den zahlreichen Leitungsbetrieben wie die Telekom, die Gasag oder den Wasserbetrieben nur unzureichend unterrichtet. Baustelleneinrichtungen müssen so beschaffen sein, dass die Abtrennungen kontrastreich und gut erkennbar sind. Ggf. müssen sie auch für FußgängerInnen nachts beleuchtet werden. Die Wegeführung muss weitgehend eben und von der Oberfläche gut begehbar bzw. befahrbar sein, so dass sie von Gehbehinderten oder RollstuhlfahrerInnen auch benutzt werden können. Abbildung 19.: Gut sichtbare und sicher Absperrung bei einer Aufgrabung, Baustelleneinrichtung in Berlin, Foto: Cornelius Bechtler 11 Barrierefreiheit und Zugänglichkeit zum ÖPNV Ein barrierefreier ÖPNV bedeutet für viele Menschen mit Mobilitätseinschränkungen eine erhebliche Ausweitung ihres Aktionsradius. So können sie sich selbständig, möglichst ohne fremde Hilfe in der Stadt bewegen. Deshalb ist ein barrierefreier ÖPNV ein wichtiges Ziel für eine barrierefreie Stadt. • Die Ausstattung von Regionalbahnhöfen, von S- und U-Bahnhöfen mit Aufzügen, Blindenleit systemen, Orientierungshilfen und Informationsangeboten stellen eine wichtiges Aufgaben feld der Bahn- und Verkehrsgesellschaften dar. Grundsätzlich wird in Berlin bei Neueinrichtung eines Aufzuges der Bahnhof soweit nicht vorhanden mit einem Blindenleitsystem ausgestattet.17 • Die Anschaffung barrierefreier Fahrzeuge ist ein weiteres Aufgabenfeld, das mit erheblichen Investitionen verbunden ist. Ab Ende des Jahres 2009 werden alle Berliner Busse niederflurig zugänglich sein (Stichtag 13.12.2009). • Die Straßenbahn- und Bushaltestellen sind im öffentlichen Raum integriert. Durch eine Ein trittshöhe von 18 cm (Idealmaß) lässt sich ein barrierefreier Einstieg ermöglichen. Das so genannte Kasseler Sonderbord ermöglicht den Bussen dabei möglichst nah an den Bordstein heran zufahren. Die Haltestellen für die Straßenbahn und für den Bus liegen im öffentlichen Straßenland. Hier ist die Verkehrsgesellschaft, die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) auf eine gute Zusammenarbeit mit den bezirklichen Straßenbaulastträgern, den Tiefbauämtern, angewiesen. In einigen Bezirken treffen sich deshalb regelmäßig Abstimmungsrunden von BVG und Bezirk, um anstehende Probleme zielgerichtet zu lösen. Dabei sind z.T. auch Bezirksverordnete beteiligt. 17 Nahverkehrsplan 2006-2009, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, S. 196 28 Abbildung 20.: Barrierefreier oder barrierearmer Einstieg in den Bus am S/U-Bhf. Alexanderplatz, Foto: Cornelius Bechtler 11.1 Das Kasseler Sonderbord Das von den Kasseler Verkehrsbetrieben mitentwickelte Kasseler Sonderbord ermöglicht es den Bussen möglichst nah an die Bushaltestelle heranzufahren und verhindert, dass der Reifen auf den Bord aufklettert. Abbildung 21.: Das Kasseler Sonderbord, Quelle: Kundenorientierter und behindertenfreundlicher ÖPNV mit Omnibussen, Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), Präsentation vom 12.06.2008 Die leichte Abschrägung des Betonbords verhindert dabei, dass die Seitenwand des Reifens beschädigt wird. Dadurch wird die Lücke zwischen Auftrittstelle am Bord und der Einstiegskante des Busses auf ein Minimum reduziert. Der Kasseler Sonderbord verfügt zudem über eine genoppte Oberfläche, die bei Feuchtigkeit oder Schneeglätte den notwendigen Halt gibt sowie für Blinde bzw. Sehbehinderte gut ertastet werden kann. Der weiße Profilstein hebt sich von den angrenzenden Oberflächenmaterialien ab und bildet einen deutlichen Kontrast. Die Anlage des Kasseler Sonderbord erfordert jedoch in der Regel umfangreichere bautechnische Anpassungen, die zusätzlich Geld kosten. Eine Herausforderung stellt dabei die Entwässerung dar. In der Regel ist der Bordstein in Berlin nur etwa 10 cm höher als die Fahrbahn. Der Kasseler Sonderbord benötigt jedoch eine Auftrittshöhe von 16 cm, besser von 18 cm. Die Straßenentwässerung ist jedoch unterhalb des Bordsteins am Fahrbahnrand angebracht. So muss entweder im Gehwegbereich eine Entwässerung geschaffen werden oder das Wasser seitlich so abgeleitet werden, dass es zu den Ablaufschächten der Straßenentwässerung gelangen kann. 29 Die Kasseler Verkehrsbetriebe sind eines der ersten niederflurigen Nahverkehrssysteme in Deutschland und entwickeln systematisch ein barrierefreies Angebot. Mittlerweile sind 95% der Straßenbahnhaltestellen und 100% der Bushaltestellen barrierefrei zugänglich. Für 2011 ist vorgesehen, dass die restlichen Hochflur-Zweirichtungs-Stadtbahn-Fahrzeuge des Typs N8C von Düwag durch Niederflurfahrzeuge ersetzt werden. Das bedeutet, dass neben einem niveaugleichen Zugang der Fahrzeuge und der Haltestellen Blindenleitsysteme vorhanden sind.18 11.2 Regelplan für eine barrierefreie Bushaltestelle Die BVG in Berlin hat sich ebenfalls eine barrierefreie Ausstattung der Bus- und Tramhaltestellen zum Ziel gesetzt. Ab dem 13. Dezember 2009 fährt die BVG mit allen Bussen mit einem barrierefreien Einstieg. Die neue Flexity-Straßenbahn wird in den nächsten Jahren systematisch die alten Hochflur-Tatra-Bahnen ersetzen. Abbildung 22.: Bushaltestelle mit Blindenleitstreifen, am S/U-Bhf. Alexanderplatz, Foto: Cornelius Bechtler Die neu geschaffenen Haltestellenkaps für die Busse besitzen den Vorteil, dass sie zügig von den Bussen angefahren werden können und keine Behinderungen durch parkende Kfz entstehen. Stellt sich ein Kfz in den Bereich einer Haltestelle, kann der Bus nicht mehr möglichst nah an das Bord fahren. Ein barrierefreier Einstieg in den Bus ist hiermit nicht mehr möglich. Bei der Ausgestaltung der Bushaltestellen werden folgende Kriterien umgesetzt: • Die Bushaltestelle verfügt über einen Kasseler Sonderbord, der ein möglichst dichtes Heranfahren des Busses an die Haltestelle bzw. an den Buskap ermöglicht. • Ein Blindenleitstreifen führt zur Vordertür des Busses. • Im Bereich der zweiten Türe wird eine ausreichende Fläche von 1,50 m x 1,50 m als Rangierbereich für Rollstühle frei gehalten. • Der Haltestellenbereich muss frei sein von abgestellten Kfz. Dies gilt je nach Haltestelle und dem entsprechenden Fahrzeugtyp, der die Haltestelle ansteuert, im Bereich vor dem Haltestel lenmast für eine Distanz von 32 bis 52 m, nach dem Haltestellenmast von 8 m. Es wird in die sem Bereich ein Parkverbot angeordnet. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass der Bus mög lichst nah an den Bord heranfahren und auf der Höhe des Blindenleitstreifens mit seiner ersten Türe die Fahrgäste aufnehmen kann. Die BVG bietet eine Ansprechperson für Fahrgäste mit Behinderungen an. Sie vertritt zudem die Belange der Fahrgäste im Unternehmen BVG, die auf eine möglichst barrierearme Mobilität angewiesen sind. 18 Michael Wissenhütter, Behindertenbeauftragter der Kasseler Verkehrsbetriebe 30 Abbildung 23.: Musterhaltestelle, Haltestellenkap, Quelle: Arbeitshilfe für den Entwurf von Omnibushaltestellen in Berlin, erstellt von Stadtraum, August 2007, Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) Abbildung 24.: Musterhaltestelle am Fahrbahnrand, Quelle: Arbeitshilfe für den Entwurf von Omnibushaltestellen in Berlin, erstellt von Stadtraum, August 2007, Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) 31 12 Checklisten Die Checklisten sind für die Ausschussabreit, aber auch für einen Vor-Ort-Termin vorgesehen. Die wichtigsten Fragen der Barrierefreiheit sollen angesprochen werden. Kurzcheckliste öffentliches Gebäude Die Checkliste unterstützt Sie bei der Beurteilung der Barrierefreiheit ja nein Es gibt eine Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)   Der Zugang zum ÖPNV ist barrierefrei, z. B. Rampe, Aufzug, Bus mit Rampe   Der Zugang zum Gebäude ist eindeutig   Es gibt eine Anbindung an den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)   Der Zugang zum ÖPNV ist barrierefrei, z. B. Rampe, Aufzug, Bus mit Rampe   Der Zugang zum Gebäude ist eindeutig   Der Zugang zum Gebäude ist ebenerdig   Es gibt ein Leitsystem   Informationen und Hinweise sind nach dem 2-Sinne-Prinzip gestaltet   Die Beleuchtung ist blendfrei   Gibt es barrierefreie Sanitäranlagen   ist ein Aufzug vorhanden   ist der Aufzug barrierefrei erreichbar   ist die Bedienung nach dem 2-Sinne-Prinzip gestaltet   barrierefreien Duschen und Umkleidebereichen   Informationen zum Sporthallenboden bekannt   Barrierefreier Zugang zu den Geräteräumen vorhanden   Abstellfläche für Hilfsmittel und Sportgeräte vorhanden (Sportrollstühle)   Wenn das Gebäude mehrgeschossig ist: Schwimmbäder und Sportanlagen mit: 32 Gehwege, Kreuzugen und Querungsstellen Die Checkliste unterstützt Sie bei der Beurteilung der Barrierefreiheit ja nein Besteht eine klare Gehwegstruktur? Setzt sich die die Gehbahn kontrastreich ab und ist auch von Sehschwachen als Gehbahn zu erkennen?   Ist die Gehbahn frei von Hindernissen (Einbauten und Möblierungen)?   Sind die Oberflächenmaterialien eben und bieten einen guten Halt?   Bestehen ausreichend Querungsmöglichkeiten in der Straße (Zielmarke: ca. alle 100 m eine Querungsmöglichkeit)?   Sind die Keuzungen und Querungsstellen mit abgesenkten Bordsteinen ausgestattet (3 cm)?   Bestehen an Kreuzungen und Querungsstellen gute Sichtverhältnisse zwischen Fußgänger/innen und dem Straßenverkehr?   Sind die Bordsteinkanten an den Querungsstellen bzw. im Bereich der Übergänge an Kreuzungen mit Blindenleitsystemen ausgestattet?   Gibt es im Bereich des Gehweges Nutzungskonflikte?   • mit Fahrradverkehr?   • mit Schankvorgärten von Restaurants und Kneipen?   • mit Auslagen von Geschäften?   • Sonstige Nutzungskonflikte   Sind Möblierungen mit dem Blindenstock ertastbar?   Reichen sie bis zum Boden und können somit mit dem Stock ertastet werden?   Gibt es Behindertenparkplätze in der Straße?   Haltestellen von Straßenbahn und Bus ja nein Besteht eine Bordsteinhöhe von 18 cm, der einen barrierefreien Einstieg in die Niederflurfahrzeuge ermöglicht?   Ist der Wartebereich der Haltestelle frei von Konflikten, z.B. mit dem Fahrradverkehr?   Führt Parkdruck dazu, dass der Haltestellenbereich zugeparkt wird? (Parkverbot beachten)   Ist das Wartehäuschen so gestaltet, dass es auch von Sehbehinderten wahrgenommen werden kann?   Reicht das Wartehäuschen bis zum Boden, so dass es mit dem Blindenstock gut ertastet werden kann?   Führt eine Blindenleitstreifen zur ersten Tür des Busses?   33 13 Glossar Barrierefreiheit Eine barrierefrei gestaltete Umwelt garantiert Zugänglichkeit, Benutzbarkeit, Begegnung und Informationen für alle Menschen, egal ob sie im Rollstuhl sitzen, ob es sich um Eltern mit Kindern oder Personen nicht deutscher Muttersprache handelt, ob es blinde, gehörlose, physisch oder psychisch behinderte oder alte Menschen sind. Barrierefreie Gestaltung der Umwelt kann somit als Qualitätsgewinn für alle Menschen angesehen werden. Im Hinblick auf den demografischen Wandel und die höhere Lebenserwartung wird eine barrierefreie Gestaltung der gebauten Umwelt unverzichtbar werden. Allerdings ist die 100%ig gestaltete barrierefreie Umwelt ein Ideal, da es unmöglich ist, alle körperlichen und geistigen Einschränkungen durch bauliche oder technische Maßnahmen zu kompensieren. Berollung Berollungen / Begehungen werden häufig von Behindertenbeiräten durchgeführt. Ziel ist es z. B. die Barrierefreiheit von Gebäuden, Plätzen, Parks festzustellen. Dabei wird geprüft, ob öffentliche Verkehrsflächen vollständig zur Verfügung stehen oder durch Stühle und Tischen von Restaurants eingeengt sind, Aufsteller von Geschäften den Weg versperren oder die Orientierung erschweren. Berollungen sollten zweimal pro Jahr durchgeführt werden. Bei Baumaßnahmen die den Fußverkehr betreffen empfehlen wir zusätzliche Berollungen. Demografischer Wandel Demografischer Wandel ist ein Begriff, mit dem die Veränderung der Altersstruktur in einer Gesellschaft bezeichnet wird. Beeinflusst wird die Bevölkerungsentwicklung durch drei Faktoren: • Geburtenrate • Lebenserwartung • Wanderungsbewegungen (Zuzug und Wegzug von Menschen) In vielen Industrieländern wird es einen deutlichen Anstieg der Bevölkerung über 65 Jahre geben. Im Gegenzug sinkt der Anteil der erwerbstätigen Menschen. Dies hat auf alle Bereiche der Gesellschaft Auswirkungen, wie z.B.: • den Arbeitsmarkt, • das Konsumverhalten, • den Bedarf an Infrastruktur wie Wohnraum, öffentliche Einrichtungen, • die Verkehrsplanung und • den öffentlichen Personennahverkehr. Besonders Kommunen und Gemeinden müssen sich auf den »Demografischen Wandel« einstellen. Das Sinken der Bevölkerungszahl als Ganzes und die Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung haben vielfältige Auswirkungen. Die Charakteristik und Anforderung an kommunale Infrastruktur, die gebaute Umwelt und den Wohnraum werden sich verändern müssen. Begleitet wird der »Demografische Wandel« vom Wunsch der älteren Menschen, selbstständig und selbstbestimmt zu leben. Design for All Design for All oder auch Universal Design verfolgt das Ziel, im baulichen und produktgestalterischen Bereich Lösungen anzubieten, die von möglichst vielen Menschen, je nach Fähigkeit und 34 Bedürfnis, gleichberechtigt genutzt werden können. Es werden Lösungen entwickelt, die somit ein breites Nutzungsspektrum ermöglichen. Eine Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen wird somit vermieden. Gerade im Hinblick auf den demografischen Wandel müssen zukunftsfähige (nachhaltige), flexible Lösungen nach dem Design for All geschaffen werden. Rechtliche Grundlage sind in Deutschland das Bundesgleichstellungsgesetz sowie die Antidiskriminierungsgesetze der EU und der Europäischen Kommission. Nach dem Design for All müssen mehrere Kriterien erfüllt werden, u. a.: • Flexibilität • Intuitive Nutzung • Fehlertoleranz Interdisziplinär Planungsaufgaben werden immer komplexer, Wissen immer differenzierter, Informationen vielfältiger. In interdisziplinären Teams werden Aufgaben gemeinsam bearbeitet. Die Mitglieder einer interdisziplinären Gruppe haben unterschiedliche Berufe oder Erfahrungen, so werden die Fragestellungen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und mit unterschiedlichen Methoden oder Verfahren bearbeitet. Die Ergebnisse werden zusammengeführt und schon während der Bearbeitung der Aufgabe findet, bei Bedarf, ein Austausch von Informationen statt. Teilweise werden die Fragestellungen auch von zwei oder mehr Personen erarbeitet. Vorteile von interdisziplinären Teams: • Wissen aus unterschiedlichen Berufen und allgemeine Erfahrungen stehen dem gesamten Team zur Verfügung • Schneller Informationsaustausch • Mehrere berufsspezifische Methoden und damit vielfältige Herangehensweise Lebenszyklus Lebenszyklus bezeichnet die physiologischen Veränderungen eines Menschen im Laufe seines Lebens. Kinder, Jugendliche, Erwachsene und alte Menschen, sie alle haben gemeinsame und spezielle Bedürfnisse. Fähigkeiten und Fertigkeiten werden erlernt und müssen immer wieder geübt und angewandt werden, um Tätigkeiten selbstverständlich ausführen zu können. Während Babys die Beweglichkeit und Feinmotorik der Hände erlernen müssen, lässt mit zunehmendem Alter die Beweglichkeit nach, wenn nicht laufend durch bestimmte Tätigkeiten die Fingerfertigkeit trainiert wird. Gleichgewicht, Sehen und Hören entwickeln sich im Kindesalter und verändern sich im Laufe des Lebenszyklus. Barrierefreie Lebensräume sind daher eine gute Voraussetzung, unabhängig vom Alter gut und komfortabel zu leben. Hierzu zählen die Erreichbarkeit und Nutzbarkeit von Gebäuden, des öffentlichen Personennahverkehrs ebenso wie von Parks und Spielplätzen. Vorteile barrierefreier Lebensräume: • Selbstständigkeit • Mobilität • Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben 35 Schlusswort Zum Abschluss dieser Broschüre möchten wir uns bei Ihnen/Euch bedanken. Sie/Ihr habt gelesen, Informationen erhalten, sicherlich über das Eine oder Andere nachgedacht und Ideen entwickelt, wo und wie Sie/Ihr aktiv werden könnt. Wenn diese Broschüre bei Ihrem/Eurem Weg zu einer barrierefreien Stadt ein Begleiter wird, dann machen Sie/Ihr uns eine große Freude, denn wir konnten unsere Kenntnisse zu dem Thema weitergeben an Interessierte. Sollte die Broschüre Ihnen/Euch eine Hilfe gewesen sein, beim Erreichen und Umsetzen eigener Ziele für eine barrierefreie Stadt, dann waren auch wir erfolgreich. Denn Sie zu motivieren und in Ihrer/Eurer Arbeit zu unterstützen war unser Ziel. „Es ist nicht genug, zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug, zu wollen, man muss auch tun.“ J. W. von Goethe Wilhelm Meisters Wanderjahre 36
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