RUBRIK
bürgerbegehren
bericht 2018
1
MEHR DEMOKRATIE E. V.
Mehr Demokratie ist die größte Nichtregierungsorganisation für direkte Demokratie.
Wir starten Kampagnen, beraten Initiator/innen von Bürgerbegehren und erarbeiten
wissenschaftliche Studien und Gesetzentwürfe zu Demokratiethemen – seit über 25
Jahren.
Zu unseren Erfolgen zählen mehr als 20 von uns initiierte Volksinitiativen und
Volksbegehren, insgesamt fünf Millionen gesammelte Unterschriften und die
Aktivierung von 37.000 Unterstützer/innen für eine der größten Verfassungs
beschwerden in der Geschichte der Bundesrepublik („Europa braucht mehr
Demokratie“ gegen ESM und Fiskalvertrag).
Wissenschaftlicher Koordinator von Mehr Demokratie: Frank Rehmet
Am Bürgerbegehrensbericht 2018 haben neben Frank Rehmet viele Personen
aus den Landesverbänden und aus dem Arbeitskreis Bürgerbegehren von
Mehr Demokratie mitgearbeitet.
www.mehr-demokratie.de
INSTITUT FÜR DEMOKRATIE- UND PARTIZIPATIONSFORSCHUNG
DER BERGISCHEN UNIVERSITÄT WUPPERTAL
Das Institut für Partizipations- und Demokratieforschung der Bergischen Universität
Wuppertal (IDPF) existiert seit 1975; es wurde seinerzeit als „Forschungsstelle
Bürgerbeteiligung“ errichtet. Hier wurde u.a. das auf Zufallsauswahl aufbauende
Beteiligungsverfahren der Planungszelle entwickelt und systematisiert.
Das Institut erforscht und evaluiert direktdemokratische und partizipative Verfahren
in ihren Effekten und analysiert die praktische Durchführung partizipativer Verfah
ren in ihrer engen Verzahnung dieser Bürgerbeteiligung mit den Erfordernissen und
Routinen herkömmlicher Politikprozesse.
Das Team des Instituts verfügt über umfangreiche Erfahrungen in der Organisation,
Durchführung und Auswertung von Planungszellen, Bürgerforen, ‚citizen juries‘, von
Zukunftswerkstätten sowie Open Space, World Café, Whole Social Change usw. Es
verfügt deshalb auch über umfassende Kenntnisse der Organisation von Großveran
staltungen. Zur reibungslosen Abwicklung außeruniversitärer Veranstaltungen
arbeitet das IDPF eng mit dem Institut für bürgerschaftliche Politik in Europa /
Institute for European Citizenship Politics (EuCiP e. V.) zusammen.
Leiter der Forschungsstelle: Prof. Dr. Hans Lietzmann
Am Bürgerbegehrensbericht 2018 haben zudem Dr. Volker Mittendorf und Yazgülü
Zeybek maßgeblich mitgearbeitet.
www.buergerbeteiligung.uni-wuppertal.de
FORSCHUNGSSTELLE BÜRGERBETEILIGUNG UND DIREKTE DEMOKRATIE
DER PHILIPPS-UNIVERSITÄT MARBURG
Die Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie an der PhilippsUniversität Marburg erforscht seit 1997 themenzentrierte Beteiligungsverfahren. Sie
ist am Institut für Politikwissenschaft angesiedelt. Die Arbeiten stehen unter der
Fragestellung, ob und wie politische Entscheidungen durch themenzentrierte
Beteiligungsverfahren anders getroffen werden. Zu diesen Verfahren zählen
direktdemokratische Sachentscheidungen (Bürgerbegehren oder Volksbegehren)
ebenso wie zum Beispiel runde Tische, Diskussionsforen oder Mediationen. Ihre
Gemeinsamkeit besteht darin, dass die Sachthemen im Vordergrund stehen und
nicht die Diskussion über geeignetes Personal. Schwerpunkt der Arbeit der
Forschungsstelle sind derzeit direktdemokratische Verfahren.
Leiter der Forschungsstelle: Prof. Dr. Theo Schiller.
www.forschungsstelle-direkte-demokratie.info
BÜRGERBEGEHRENSBERICHT 2018
von Mehr Demokratie e. V.
in Kooperation mit
dem Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung der Bergischen Universität Wuppertal und
der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie an der Philipps-Universität Marburg.
IMPRESSUM
Herausgeber
Mehr Demokratie e. V.
Greifswalder Straße 4
10405 Berlin
info@mehr-demokratie.de
www.mehr-demokratie.de
Philipps-Universität Marburg
Forschungsstelle Bürgerbeteiligung
und direkte Demokratie
Wilhelm-Röpke-Straße 6
35037 Marburg
www.forschungsstelle-direkte-demokratie.de
Bergische Universität Wuppertal
Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung
Gaußstraße 20
42119 Wuppertal
mittendorf@uni-wuppertal.de
www.buergerbeteiligung.uni-wuppertal.de
Autoren
Frank Rehmet,
Thorsten Sterk (Kapitel 6. Bürgerbegehren zu umweltfreundlicher Verkehrspolitik),
Volker Mittendorf, Yazgülü Zeybek (Datenverantwortliche)
Lektorat
Anne Dänner, Thorsten Sterk
Layout
Susanne Appelhanz, www.change-ahoy.de
www.mehr-demokratie.de | Bürgerbegehrensbericht 2018
INHALT
Inhalt
1.
Einleitung............................................................................................................................................6
2. Wichtige Zahlen und Fakten in Kürze........................................................................................7
2.1
Anzahl und Häufigkeit.............................................................................................................7
2.2 Themen.......................................................................................................................................7
2.3
Ergebnisse und Erfolgschancen............................................................................................7
2.4 Bürgerentscheide.....................................................................................................................7
3. Fragestellungen und Datengrundlage....................................................................................... 8
3.1
Verfahrenstypen und Verfahrensablauf............................................................................ 8
3.2 Verwendete Begrifflichkeiten................................................................................................9
4. Regelungen: Übersicht und neuere Entwicklungen.............................................................. 11
4.1
Regelungen............................................................................................................................... 11
4.2 Neuere Regelungsentwicklungen....................................................................................... 12
5. Praxis: Daten und Analysen 1956-2017................................................................................. 13
5.1
Anzahl, Häufigkeit, regionale Verteilung.......................................................................... 13
5.2 Themen.................................................................................................................................... 20
5.3 Ergebnisse und Erfolgsquote.............................................................................................. 22
6. Spezial: Bürgerbegehren zu umweltfreundlicher Verkehrspolitik nehmen zu ......... 32
6.1
Einleitung................................................................................................................................. 32
6.2 Bürgerbegehren in Deutschland........................................................................................ 33
6.3 Literaturhinweise................................................................................................................... 35
7. Fazit und Ausblick ....................................................................................................................... 36
7.1
Regelungen werden zunehmend bürgerfreundlich....................................................... 36
7.2
Praxis in den Bundesländern wächst, Kluft zwischen einzelnen Ländern bleibt...... 37
7.3
Fazit........................................................................................................................................... 38
Literatur und Links................................................................................................................................ 39
5
EINLEITUNG
1. Einleitung
Mehr Demokratie e. V., die Forschungsstelle Bürgerbeteiligung an der Bergischen Universität
Wuppertal und die Forschungsstelle Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie an der PhilippsUniversität Marburg legen hiermit einen aktualisierten Bürgerbegehrensbericht für Deutschland
vor. Dies ist die fünfte umfassende Darstellung der kommunalen direkten Demokratie und umfasst
den Zeitraum von 1956 bis Ende 2017.
Seit Mitte der 1990er Jahre wächst die Zahl der kommunalen Bürgerbegehren und
Bürgerentscheide in den Gemeinden, Städten und Landkreisen. Die Notwendigkeit und die Bereitschaft, Bürger/innen direkt an politischen Entscheidungen zu beteiligen, hat stark zugenommen.
Partizipation als ein Grundprinzip unserer Demokratie funktioniert über ein breites Spektrum
von Formen und Verfahren, welche die repräsentative Demokratie ergänzen. Es reicht von Protest,
Bürgerinitiativen, Bürgerforen, Mediation oder Gerichtsverfahren bis hin zu Abstimmungen.
Dieses Gesamtklima einer „Demokratisierung der Demokratie“ prägt auch die Entwicklungen der
kommunalen Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, die im Mittelpunkt dieses Berichtes stehen.
Jahrzehntelang war Baden-Württemberg das einzige Bundesland, das direktdemokratische
Verfahren auf kommunaler Ebene kannte, wenngleich die Regelung prohibitiv war und zudem zu
vielen unzulässigen Verfahren führte. Erst in den Jahren 1990 bis 1997 führten fast alle Länder
Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in ihren Gemeinden, Städten und mit wenigen Ausnahmen auch in den Landkreisen ein. Berlin schloss diesen Prozess im Jahr 2005 ab. Seitdem ist die
kommunale Direktdemokratie flächendeckend verbreitet.
Diese demokratischen Fortschritte hat der 1988 gegründete Verein Mehr Demokratie entscheidend mitgeprägt, indem er zahlreiche Gespräche mit Politiker/innen führte und mehrere Initiativen
zur Einführung von direkter Demokratie in den Kommunen durch landesweite Volksentscheide
anschob (am bekanntesten in Bayern 1995 und Hamburg 1998). Schon früh in den 1990er Jahren
suchte und fand Mehr Demokratie die Kooperation mit den Universitäten Marburg und Wuppertal zur Erfassung und Auswertung der zahlreichen Bürgerbegehren und Bürgerentscheide. Ein
Resultat der fruchtbaren Kooperation sind gemeinsame Datenauswertungen und -analysen sowie
Publikationen wie der vorliegende Bericht.
In den letzten Jahren wurden pro Jahr etwa 300 Bürgerbegehren und Ratsreferenden verzeichnet. Die Gesamtzahl der Bürgerbegehren bis Ende 2017 liegt bei 7.503 Verfahren. Den
größten Anteil an allen Verfahren hat Bayern mit knapp 40 Prozent.
In den letzten Jahren hat sich die Gesetzgebung erfreulich entwickelt: Seit 2011 haben mehrere
Bundesländer ihre Gemeinde- und Kreisordnungen reformiert. In jüngerer Zeit wagten SchleswigHolstein (2013), Baden-Württemberg (2015) und Thüringen (2016) bedeutende Reformschritte.
Auch Rheinland-Pfalz und Niedersachsen verbesserten die Regelungen, 2018 folgten Brandenburg
und Sachsen-Anhalt. Die Anzahl der Bundesländer mit restriktiven Regelungen sinkt somit.
Der vorliegende Bericht wertet die Häufigkeit, die Gegenstände und die Ergebnisse von
Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in allen Bundesländern aus. Ein eigenes Kapitel widmet
sich der Thematik von Bürgerbegehren zu umweltfreundlicher Verkehrspolitik, deren Anzahl in
letzter Zeit angestiegen ist.
Unser besonderer Dank gilt den Mitarbeiter/innen des Instituts für Demokratie- und Partizipationsforschung an der Bergischen Universität Wuppertal sowie von Mehr Demokratie, die
sich um die Pflege der Daten und die Weiterentwicklung der Datenbank verdient gemacht haben.
Auch dem Arbeitskreis Bürgerbegehren von Mehr Demokratie sei an dieser Stelle für wertvolle
Hinweise und die Mitarbeit am gemeinsamen Projekt gedankt.
6
www.mehr-demokratie.de | Bürgerbegehrensbericht 2018
ZUSAMMENFASSUNG
2. Wichtige Zahlen und Fakten in Kürze
2.1 Anzahl und Häufigkeit
n
n
n
n
Von 1956 bis 2017 gab es insgesamt 7.503 Verfahren auf kommunaler Ebene. Daraus folgten 3.796 Bürgerentscheide. Mehr als die Hälfte aller Verfahren fand zwischen 2003 und 2017
statt. Im Jahr 2017 wurden 278 neue Verfahren eingeleitet. Das ist etwas weniger als in den
Jahren zuvor.
Diese 7.503 Verfahren unterteilen sich in zwei Verfahrenstypen: 6.261 Bürgerbegehren wurden
durch die Bürger/innen „von unten“ eingeleitet, 1.242 Ratsreferenden wurden „von oben“ durch
den jeweiligen Gemeinderat initiiert.
Nahezu 40 Prozent (2.910) aller erfassten Verfahren fanden nach 1995 in Bayern statt.
Anwendungshäufigkeit: Für die relative Anwendungshäufigkeit (durchschnittliche Verfahrensanzahl pro Gemeinde) müssen zusätzlich die Anzahl der Gemeinden pro Bundesland sowie
die Praxisjahre berücksichtigt werden. Hier landet Bayern auf Platz 5 hinter den Stadtstaaten
Hamburg, Berlin und Bremen sowie knapp hinter Nordrhein-Westfalen. Spitzenreiter Hamburg verzeichnet pro Stadtbezirk etwa ein Verfahren pro Jahr. Bürger/innen in RheinlandPfalz dagegen müssen durchschnittlich 227 Jahre warten, bis in ihrer Gemeinde ein Bürgerbegehren oder Ratsreferendum stattfindet.
2.2 Themen
Die thematischen Schwerpunkte bildeten öffentliche Sozial- und Bildungseinrichtungen mit
19,4 Prozent, Wirtschaftsprojekte mit 17,4 Prozent, sowie Verkehrsprojekte mit 16,4 Prozent.
Welches Thema wie häufig auftritt, variiert zum Teil stark von Bundesland zu Bundesland. Ein
wichtiger Grund dafür: In mehreren Ländern ist die kommunale Bauleitplanung als Thema für
Bürgerbegehren nicht oder nur eingeschränkt zulässig.
2.3 Ergebnisse und Erfolgschancen
n
n
n
n
38,8 Prozent aller abgeschlossenen Verfahren waren erfolgreich im Sinne der Vorlage. Für
einen Erfolg ist nicht zwingend einen Bürgerentscheid nötig: 851 der 6.261 Bürgerbegehren
(13,6 Prozent) gelang es, den Gemeinderat zu einem Beschluss im Sinne der Initiator/innen
zu bewegen.
Betrachtet man nur die Bürgerentscheide, so waren 52 Prozent von ihnen erfolgreich im Sinne
der Abstimmungsvorlage. Ratsreferenden hatten dabei mit 57 Prozent eine höhere Erfolgsquote als bürgerinitiierte Entscheide mit 49 Prozent.
Es gab zahlreiche unzulässige Bürgerbegehren. Insgesamt 1.800 der 6.261 Bürgerbegehren
wurden für unzulässig erklärt (29 Prozent). Dieser Wert ist in den letzten drei Jahren leicht auf
26,6 Prozent gesunken, was auf die Wirkung der Reformen in mehreren Bundesländern hindeutet.
Den niedrigsten Anteil an unzulässigen Bürgerbegehren hat Bayern mit 17 Prozent. Vier Bundesländer (Sachsen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland) verzeichnen Werte von mehr als 40 Prozent. Das liegt vor allem an den gesetzlichen Regelungen.
Die meisten Begehren wurden wegen Fristüberschreitung/zu wenigen Unterschriften (21 Prozent) oder wegen des Ausschlusses von Themen (19 Prozent) für unzulässig erklärt.
2.4 Bürgerentscheide
n
n
Die durchschnittliche Abstimmungsbeteiligung bei Bürgerentscheiden betrug 50,2 Prozent.
Die Beteiligung in kleinen Gemeinden liegt deutlich über der in größeren Städten und Landkreisen.
12,5 Prozent aller Bürgerentscheide, in denen die Vorlage der Initiator/innen die Mehrheit
der Stimmen erhielt, erreichten das Zustimmungsquorum nicht (so genanntes „unechtes
Scheitern“). Ein solches Quorum gilt in den meisten Bundesländern.
7
FRAGESTELLUNG/DATENGRUNDLAGE
3. Fragestellungen und Datengrundlage
Der vorliegende Bericht erläutert zunächst die Regelungen in den einzelnen Bundesländern
(Kapitel 4). Kapitel 5 stellt die bisherige Praxis dar und analysiert sie. Folgende Fragen werden
beantwortet:
n
n
n
n
n
Wie häufig kam es in den einzelnen Bundesländern zu Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden?
Zu welchen Ergebnissen kam es? Wie viele Verfahren waren erfolgreich, wie viele wurden für
unzulässig erklärt?
Welche Themen waren von besonderer Bedeutung?
Wie hoch lag die Abstimmungsbeteiligung bei Bürgerentscheiden?
Wie wirkten sich die Details der rechtlichen Ausgestaltung auf die Praxis aus?
Der Untersuchungszeitraum umfasst die Bürgerbegehren und Ratsreferenden, die in den Jahren
1956 bis 2017 (Stichtag: 31. Dezember 2017) eingeleitet wurden. Da es von Beginn der Unterschriftensammlung bis zu einem Ergebnis in der Regel sechs Monate und länger dauert, sind noch
einige Fälle ohne Ergebnis – mit Verfahrensausgang „offen“ – vorhanden.
Der vorliegende Bericht stützt sich auf die an der Philipps-Universität Marburg entstandene
und zusammen mit der Bergischen Universität Wuppertal und Mehr Demokratie weiterentwickelte „Datenbank Bürgerbegehren“, die zur Vereinheitlichung von Datenbeständen und für eine
erleichterte Recherche und Auswertung von Daten geschaffen wurde. Die Datenbank ist öffentlich
zugänglich und wird beständig aktualisiert.1
Die Daten werden auf mehreren Wegen gewonnen: Kontinuierliche Recherchen, Beratungstätigkeiten von Mehr Demokratie und Befragung öffentlicher Stellen. Darüber hinaus können
Nutzer/innen fehlende Fälle ergänzen beziehungsweise bei ungenauen Daten Änderungen vorschlagen. Durch Medien- und Dokumentenanalyse werden Fälle entdeckt und durch Befragungen
der Gemeinden sowie durch Recherchen validiert und ergänzt. Eine Vollständigkeit kann dennoch
nicht garantiert werden, da es keine einheitliche Berichtspflicht der Gemeinden und Städte in
Deutschland gibt.
Die Verfahren werden in der Regel dem Jahr zugeordnet, in dem sie eingereicht wurden.
Dies bedeutet, dass ein Bürgerbegehren, das 2011 angekündigt und 2012 eingereicht wurde, aber
erst 2013 zum Bürgerentscheid gelangte, im Jahr 2012 gezählt wird. Bürgerbegehren, bei denen
die gesammelten Unterschriften nicht eingereicht wurden, werden dem Jahr des Sammelstarts
zugeordnet, Ratsreferenden in dem Jahr, in dem der Rat die Durchführung des Bürgerentscheids
beschloss.
Zudem gibt es Fälle, in denen Bürgerbegehren lediglich angekündigt oder öffentlich diskutiert
werden, ohne dass eine Unterschriftensammlung erfolgt. Solche Fälle werden in der Datenbank
teilweise erfasst, bleiben aber in dieser Auswertung unberücksichtigt.
3.1 Verfahrenstypen und Verfahrensablauf
Ein Bürgerentscheid kann in Deutschlands Kommunen auf zweierlei Weise eingeleitet werden:
n
1
www.mehr-demokratie.
de/nc/themen/
buergerbegehren-inden-kommunen/
datenbankbuergerbegehren sowie
www.datenbankbuergerbegehren.info
8
n
durch eine Unterschriftensammlung aus der Bevölkerung heraus „von unten“ (= Bürgerbegehren) sowie
durch einen Beschluss des Gemeinderats „von oben“ (= Ratsreferendum).
Rechtlich unterscheiden die Gemeindeordnungen der Bundesländer nicht, ob die Abstimmung
aufgrund eines Bürgerbegehrens oder eines Ratsreferendums erfolgte. Nahezu alle Gemeindeordnungen sprechen in beiden Fällen von „Bürgerentscheiden“. Nur Nordrhein-Westfalen differenziert
hier und bezeichnet ein Ratsreferendum als „Ratsbürgerentscheid“ oder „Kreistagsbürgerentscheid“.
www.mehr-demokratie.de | Bürgerbegehrensbericht 2018
FRAGESTELLUNG/DATENGRUNDLAGE
Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten erscheint es sinnvoll, die beiden Verfahren zu unterscheiden. Im Folgenden wird daher getrennt von „Bürgerbegehren“ und „Ratsreferendum“ gesprochen.
Für eine kommunale Volksabstimmung über eine Sachfrage wird der Oberbegriff „Bürgerentscheid“
jedoch beibehalten.
Abbildung 1: Ablauf eines erfolgreichen Bürgerbegehrens
1.
2.
3.
4.
5.
Vorbereitung
Öffentliche Anzeige des Bürgerbegehrens
Unterschriftensammlung
Prüfung durch die Verwaltung
Zulassung
Bürgerbegehren
Ratsreferendum
Information der Bevölkerung
Bürgerentscheid
3.2 Verwendete Begrifflichkeiten
Abstimmungsquorum
Legt fest, dass ein politisch bestimmter Prozentsatz der Stimmberechtigten sich am Bürgerentscheid beteiligen muss (Beteiligungsquorum) oder dass ein bestimmter Prozentsatz der Stimmberechtigten einer Vorlage zustimmen muss (Zustimmungsquorum), damit der Entscheid gültig
ist. In Bundesländern mit Abstimmungsquoren genügt es nicht, wenn die einfache Mehrheit der
Abstimmenden sich für eine Vorlage ausspricht.
Bürgerbegehren
Bezeichnet einen Antrag auf Bürgerentscheid aus den Reihen der Bürgerschaft. Eine Mindestzahl
von Bürger/innen muss ihn per Unterschrift unterstützen, damit es zum Bürgerentscheid kommt.
Direktdemokratische Verfahren
Sammelbegriff für Verfahren, in denen die Bürger/innen direkt und verbindlich über eine Sachfrage entscheiden. Eine solche Volksabstimmung wird entweder „von unten“ per Unterschriftensammlung oder automatisch wegen gesetzlicher Vorgaben ausgelöst. Direktwahlen oder Abwahlen
von Bürgermeister/innen und Landrät/innen werden nicht als direktdemokratisches Verfahren
gewertet. Es werden drei verschiedene Verfahrenstypen unterschieden:
1) Initiierende (dreistufige) Volksgesetzgebung
2) Fakultatives Referendum
3) Obligatorisches Referendum
9
FRAGESTELLUNG/DATENGRUNDLAGE
Gemeinderat/Rat
„Gemeinderat“ oder „Rat“ bezeichnet die direkt gewählten kommunalen Entscheidungsgremien
(„Kommunalparlamente“) in Gemeinden, Städten und Landkreisen. Sie werden je nach Bundesland zum Teil unterschiedlich benannt – in Hessen zum Beispiel „Kreistag“ in den Landkreisen
oder „Gemeindevertretung“ bzw. „Stadtverordnetenversammlung“.
Initiativbegehren
Bürgerbegehren, das ein Thema neu auf die politische Agenda setzt oder vorbeugend initiiert
wird, sich aber nicht gegen einen Beschluss des Gemeinderats richtet. Bei Initiativbegehren gilt
meist keine Frist zur Unterschriftensammlung.
Korrekturbegehren
Bürgerbegehren gegen einen Beschluss des Gemeinderats. Hier gilt meist eine Frist, innerhalb
derer die Unterschriften gesammelt werden müssen.
Kostendeckungsvorschlag
Vorschlag, wie Kosten, die durch die Umsetzung einer Beschlussvorlage entstehen, gedeckt werden können. Mehrere Gemeindeordnungen verlangen bei Bürgerbegehren einen umsetzbaren
Kostendeckungsvorschlag, was zu vielen unzulässigen Bürgerbegehren führt. In einigen Bundesländern ist dies daher anders geregelt: Entweder muss die Gemeinde eine Kostenschätzung
erstellen. Oder es ist kein Kostendeckungsvorschlag notwendig (wie in Bayern, Niedersachsen
und Hamburg), da die finanziellen Auswirkungen vor einem Bürgerentscheid ohnehin ausführlich
diskutiert werden.
Obligatorisches Referendum
Verpflichtend vorgeschriebener Bürgerentscheid zu bestimmten Beschlüssen des Gemeinderats. In
der Schweiz sind sie weit verbreitet auf Gemeinde- und Kantonsebene. Auf der Kommunalebene in
Deutschland existiert dieses Verfahren nur in den Städten Bremen und Bremerhaven bei Privatisierungen.
Ratsreferendum
Bürgerentscheid, der vom Gemeinderat „von oben“ anberaumt wird. Je nach Bundesland ist
hierfür eine einfache Mehrheit oder eine Zweidrittelmehrheit im Gemeinderat erforderlich. Das
Verfahren heißt auch „Ratsbegehren“ oder „Ratsbürgerentscheid“. In Bayern dienen sie oftmals
als Gegenvorschlag zu bürgerinitiierten Entscheiden.
Themenausschluss
Einschränkung der Themen, über die ein Bürgerbegehren/Bürgerentscheid stattfinden kann.
Ein Themenausschluss findet sich in allen Gemeindeordnungen. Die Materien, über die nicht
abgestimmt werden darf, sind seit 2014 in allen Bundesländern in Form eines Ausschlusskatalogs
definiert. Dieser sogenannte Negativkatalog ist je nach Bundesland unterschiedlich umfangreich.
Besonders einschränkend ist in sechs Bundesländern der Ausschluss der Bauleitplanung.
Unterschriftenquorum
Anteil der Wahlberechtigten, die ein Bürgerbegehren unterschrieben haben müssen, damit es zum
Bürgerentscheid kommen kann. Alternativ wird der Begriff „Einleitungsquorum“ verwendet.
Zustimmungsquorum
Siehe → Abstimmungsquorum.
10
www.mehr-demokratie.de | Bürgerbegehrensbericht 2018
REGELUNGEN
4. Regelungen: Übersicht und neuere Entwicklungen
4.1 Regelungen
Die Verfahrensregelungen auf Kommunalebene sind von Bundesland zu Bundesland sehr
unterschiedlich.
Tabelle 1: Verfahrensregelungen
Bundesland
Zulässige
Bürgerbegehren Bürgerentscheid
Ratsreferendum
Themen1 (Unterschriften-
(Zustimmungs-
(erforderliche
quorum)
quorum)
Ratsmehrheit zur
Einleitung eines
Bürgerentscheids)
Baden-Württemberg
2—
4,5 — 7 %
20 %
2/3-Mehrheit
Bayern
1—
3 — 10 %
10 — 20 %
Einfache Mehrheit
Berlin
Brandenburg
1
3%
10 %
2/3-Mehrheit
5+
10 %
25 %
Einfache Mehrheit2
Bremen (Stadt)
2+
5%
20 %
Einfache Mehrheit
Stadt Bremerhaven
2—
5%
20 %
2/3-Mehrheit
1
2—3%
kein Quorum
Einfache Mehrheit3
Hamburg
Hessen
2—
3 — 10 %
15 — 25 %
2/3-Mehrheit
Mecklenburg-
5+
2,5 — 10 %
25 %
Einfache Mehrheit
5+
5 — 10 %
20 %
Einfache Mehrheit4
Nordrhein-Westfalen
3—
3 — 10 %
10 — 20 %
2/3-Mehrheit
Rheinland-Pfalz
5+
5—9%
15 %
Einfache Mehrheit
Saarland
5+
5 — 15 %
Sachsen
2+
Sachsen-Anhalt
Vorpommern
Niedersachsen
30 %
Einfache Mehrheit
5
25 %
2/3-Mehrheit
5+
4,5 — 10 %
20 %
2/3-Mehrheit
Schleswig-Holstein
2—
4 — 10 %
8 — 20 %
Einfache Mehrheit
Thüringen
1—
4,5 — 7 %
10 — 20 %
2/3-Mehrheit
(5 —) 10 %
Quellen:
Stets aktualisierte Verfahrensübersicht unter https://www.mehr-demokratie.de/themen/buergerbe
gehren-in-den-kommunen/verfahrensregelungen/ sowie eigene Recherchen. Für die Benotung der
zulässigen Themen wurde der Bewertungsmaßstab des Volksentscheids-Rankings 2016 von Mehr
Demokratie verwendet.
Anmerkungen:
1 = sehr viele, 6 = sehr wenige
1
2
Nur bei Gemeindefusionen möglich.
3
In Hamburg beschränkt auf eine Alternativvorlage zu einem bürgerinitiierten Bürgerentscheid.
In Niedersachsen beschränkt auf den Sonderfall, dass der Rat einen Bürgerentscheid innerhalb
4
der Sperrfrist von zwei Jahren aufheben will.
In Sachsen kann das Unterschriftenquorum für ein Bürgerbegehren von den Gemeinden gesenkt
5
werden. Das Minimum beträgt fünf Prozent.
Die Stadt Bremen kennt die Besonderheit, dass vor dem Bürgerbegehren noch eine Verfahrensstufe
mit einer Unterschriftensammlung durchlaufen werden muss. Für diesen Antrag auf Zulassung
eines Bürgerbegehrens müssen 4.000 Unterschriften (etwa 0,94 Prozent der Stimmberechtigten)
gesammelt werden.
11
REGELUNGEN
4.2 Neuere Regelungsentwicklungen
Bürgerbegehren und Bürgerentscheide wurden überwiegend in den 1990er Jahren eingeführt
und seitdem in den meisten Bundesländern verbessert. Auch in den letzten Jahren – seit der Veröffentlichung des Bürgerbegehrensberichts 2016 – hat sich die Tendenz zu bürgerfreundlicheren
Regelungen fortgesetzt. In den Jahren 2015 und 2016 fanden viele Reformen statt – unter anderem
in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Thüringen 2 . 2017 und 2018 fanden kleinere Reformen
in Brandenburg und Sachsen-Anhalt statt.
Brandenburg: Mini-Reform 2018
Im Juni 2018 wurde in Brandenburg die Regelungen für Bürgerbegehren geringfügig reformiert.
Folgende Reformen wurden beschlossen:
n
n
n
Der Kostendeckungsvorschlag wurde durch eine amtliche Kostenschätzung der Verwaltung
ersetzt.
Die Kommunalaufsichtsbehörde entscheidet zukünftig über die rechtliche Zulässigkeit eines
Bürgerbegehrens. Bislang war hierfür der Gemeinderat zuständig.
Die Möglichkeit der Briefabstimmung ist nun in allen Gemeinden gewährleistet.
Sachsen-Anhalt: Reform 2018
Ebenfalls im Juni 2018 wurde die Kommunalverfassung Sachsen-Anhalts wie folgt reformiert:
n
n
n
Das Zustimmungsquorum für Bürgerentscheide wurde von 25 auf 20 Prozent gesenkt.
Der Kostendeckungsvorschlag wurde durch eine amtliche Kostenschätzung der Verwaltung
ersetzt.
Die Vertreter/innen eines Bürgerbegehrens haben zukünftig ein Anhörungsrecht nicht nur in
der Gemeinderatssitzung, sondern auch in allen Ausschüssen.
Negativ auch hier – wie in Brandenburg: Bürgerbegehren zur Bauleitplanung sind weiterhin nicht
möglich.
2
vgl. detailliert: Volksent
scheidsranking 2016 von
Mehr Demokratie
12
www.mehr-demokratie.de | Bürgerbegehrensbericht 2018
DATEN UND ANALYSEN
5. Praxis: Daten und Analysen 1956–2017
In den folgenden Abschnitten werden die Bürgerbegehren und Bürgerentscheide mit Blick auf
ihre Anzahl, Häufigkeit, regionale Verteilung, Themenbereiche und Erfolge untersucht. Nicht
berücksichtigt sind Verfahren, die nur angekündigt oder nur öffentlich diskutiert wurden.
5.1 Anzahl, Häufigkeit, regionale Verteilung
Die folgende Tabelle listet die Anzahl von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden auf.
Tabelle 2a: Verfahrensanzahl (1956 bis 2017)
Bundesland
Verfahren
davon BB
davon RR
BE gesamt
gesamt
Bayern
2.910
2.412
498
1.786
Baden-Württemberg
891
675
216
415
Nordrhein-Westfalen
784
762
22
241
Schleswig-Holstein
489
435
54
284
Hessen
446
439
7
167
Sachsen
335
243
92
174
Niedersachsen
330
328
2
98
271
160
111
170
Sachsen-Anhalt
259
105
154
186
Rheinland-Pfalz
246
211
35
123
Thüringen
196
193
3
55
Hamburg
142
131
11
27
Mecklenburg-Vorpommern
135
99
36
56
Berlin
43
42
1
13
Saarland
17
17
0
0
Bremen
9
9
0
1
Gesamt
7.503
6.261
1.242
3.796
Brandenburg
Abkürzungen: BB = Bürgerbegehren, RR=Ratsreferenden, BE = Bürgerentscheide
Anmerkung:
Die Gesamtzahl der Bürgerentscheide (Spalte 5) setzt sich aus Bürgerbegehren, die
zum Bürgerentscheid gelangten, zuzüglich der Anzahl an Ratsreferenden, zusammen.
Anzahl gesamt
Auf kommunaler Ebene gab es bis Ende 2017 insgesamt 7.503 Verfahren, davon gelangten 3.796
zum Bürgerentscheid. Nach Verfahrenstyp differenziert handelte es sich um 6.261 (83,4 Prozent)
Bürgerbegehren und 1.242 (16,6 Prozent) Ratsreferenden. Ein Ratsreferendum wird stets als eigenständiges Verfahren gezählt, auch wenn es eine Gegenvorlage zu einem Bürgerbegehren darstellt
und beide Verfahren eng miteinander verzahnt sind.
Jahr 2017
Neben der Gesamtbetrachtung ist ferner interessant, wie sich die Verfahren im Jahr 2017 verteilten.
Dies veranschaulicht die folgende Tabelle.
13
DATEN UND ANALYSEN
Tabelle 2b: Verfahrensanzahl 2017
Bundesland
Verfahren
davon BB
davon RR
davon BE
gesamt
105
93
12
57
Baden-Württemberg
Bayern
47
45
2
21
Nordrhein-Westfalen
29
25
4
11
Rheinland-Pfalz
27
15
12
20
Hessen
13
11
2
5
Niedersachsen
11
11
0
3
Schleswig-Holstein
11
11
0
7
Hamburg
9
8
1
2
Sachsen
7
6
1
6
Thüringen
7
5
2
3
Sachsen-Anhalt
5
5
0
2
Mecklenburg-Vorpommern
3
3
0
0
Berlin
2
2
0
0
Brandenburg
2
2
0
0
Bremen
0
0
0
0
Saarland
0
0
0
0
278
242
36
137
Gesamt
Abkürzungen: BB = Bürgerbegehren, RR=Ratsreferenden, BE = Bürgerentscheide
Anmerkung:
Die Gesamtzahl der Bürgerentscheide (Spalte 5) setzt sich aus Bürgerbegehren, die
zum Bürgerentscheid gelangten, zuzüglich der Anzahl an Ratsreferenden, die zum
Bürgerentscheid gelangten, zusammen.
Im Jahr 2017 konnten wir mit 278 neu eingeleiteten Verfahren etwas weniger als 2016 (293) beobachten. Die neuen Verfahren des Jahres 2017 sind regional ähnlich verteilt wie die Gesamtheit der
Verfahren: Bayern führt vor Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Auf Platz 4 überrascht
Rheinland-Pfalz, das Schlusslicht der Gesamtbetrachtung. Hier wirken drei Effekte: Zunächst macht
sich die Reform im Jahr 2016 bemerkbar. Zudem wurde das Instrument mit den ersten Bürgerentscheiden in den drei größten Städten Koblenz, Mainz und Trier bekannter. Und schließlich gab es
viele Bürgerbegehren und auffällig viele Ratsreferenden (siehe Spalte 4) zum Thema Gebietsreform.
Abbildung 2: Anzahl der Verfahren nach Jahren, 1956 bis 1989
Anzahl Verfahren
60
50
40
30
20
10
14
90
Jahr
19
85
19
80
19
75
19
70
19
65
19
19
60
0
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DATEN UND ANALYSEN
Abbildung 3: Anzahl der Verfahren nach Jahren, 1990 bis 2017
Anzahl Verfahren
500
400
300
200
100
15
Jahr
20
10
20
05
20
00
20
19
95
0
Der Zeitraum von 1956 bis 2017 lässt sich in zwei Zeitabschnitte unterteilen: In den Jahren von
1956 bis 1990 waren Bürgerbegehren und Ratsreferenden nur in Baden-Württemberg möglich
(Abbildung 2). Vor 1990 war die Verfahrensanzahl daher logischerweise äußerst gering. Das Jahr
1971 stellt eine Ausnahme dar, weil aufgrund der Gemeindegebietsreform in Baden-Württemberg
zahlreiche Ratsreferenden stattfanden. Ab dem Jahr 1991 werden die Daten für alle Bundesländer
dargestellt (Abbildung 3).
Im gesamten Zeitraum von 1956 bis 1989 gab es insgesamt 288 Verfahren – ein Wert, der in
den letzten Jahren pro Kalenderjahr erreicht wird. Der Anstieg seit 1990 beruht zunächst darauf,
dass in immer mehr Bundesländern direktdemokratische Verfahren überhaupt möglich wurden.
Bis zum Jahr 2000 hatten 15 der 16 Bundesländer Bürgerbegehren und -entscheide eingeführt,
seit 2005 alle Länder.
Die Jahre mit den meisten Verfahren waren die Jahre 1996 und 1997 (vgl. Abbildung 3), was
auf die rege Praxis in Bayern zurückzuführen ist. Im Oktober 1995 wurde das Instrument in Bayern durch einen landesweiten Volksentscheid eingeführt. Der Freistaat gilt seitdem als Musterland
der direkten Demokratie auf Kommunalebene. Damals bestand ein regelrechter Reformstau, der
durch zahlreiche Bürgerbegehren und Bürgerentscheide abgebaut werden konnte. Hinzu kam der
hohe Bekanntheitsgrad des Instruments, da dies schon im Volksbegehren und in den Monaten
vor dem Volksentscheid intensiv diskutiert wurde. In den anderen Bundesländern ließ sich ein
solcher Einführungseffekt nicht in gleichem Umfang beobachten.
Seit 1998 beträgt die Zahl der Verfahren in allen Bundesändern rund 250 bis 330 pro Jahr.
Regionale Verteilung
Die Daten in Tabelle 2 (gesamter Untersuchungszeitraum) zeigen, dass etwa 40 Prozent aller
Verfahren (2.910) in Bayern und etwa 12 Prozent (891) in Baden-Württemberg stattfanden. Etwa
die Hälfte aller Verfahren konzentrieren sich also auf zwei Bundesländer.
Nach Bayern und Baden-Württemberg folgen Nordrhein-Westfalen mit 784, Schleswig-Holstein mit 489 und Hessen mit 446 Verfahren. Die Stadtstaaten Berlin und Bremen bilden neben
dem Saarland die Schlussgruppe der Bundesländer, wenn man die absolute Verfahrensanzahl
15
DATEN UND ANALYSEN
betrachtet. Dies liegt an der im Vergleich zu den Flächenländern deutlich geringeren Anzahl
an Gemeinden bzw. Stadtbezirken. Um einen aussagekräftigen Vergleich der Bundesländer zu
gewährleisten, muss man daher die Anzahl der Gemeinden/Stadtbezirke sowie die Praxisjahre
berücksichtigen. Dies geschieht im Abschnitt „Anwendungshäufigkeit“ (siehe unten). Zuvor
werfen wir noch einen Blick auf das Verhältnis von Bürgerbegehren zu Ratsreferenden.
Anteil Ratsreferenden
Insgesamt waren 1.242 von 7.503 Verfahren Ratsreferenden. Dies entspricht einem Anteil von
16,6 Prozent an allen Verfahren. Dieser Wert ist für die letzten Jahre relativ konstant.
Einige Bundesländer verzeichnen hier höhere Werte, allen voran Sachsen-Anhalt mit 59,5 Prozent und Brandenburg mit 41,0 Prozent, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern mit 26,7 Prozent.
In allen diesen Bundesländern gab es viele Ratsreferenden zu Fragen der Gemeindegebietsreform,
etwa zum Zusammenschluss mit einer Nachbargemeinde. In den ostdeutschen Bundesländern
mit Ausnahme Thüringens, wo bis vor kurzem keine Ratsreferenden möglich waren, spielte das
Thema Gebietsreform generell eine wichtige Rolle 3.
Spitzenreiter
Während viele Gemeinden noch gar keine Erfahrungen mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden gemacht haben, scheint in anderen Gemeinden und Städten eine direktdemokratische
Kultur bereits etabliert. So wurden in mehreren Großstädten bereits mehr als zehn Verfahren
eingeleitet, darunter die folgenden zehn Städte mit den meisten Verfahren.
Tabelle 3: Top 10 der Städte
Stadt
Bundesland
Anzahl Verfahren
Anzahl BE
(BB und RR)
1–2
Augsburg
Bayern
32
7
1–2
München
Bayern
32
11
3
Passau
Bayern
21
8
4–5
Landshut
Bayern
20
8
4–5
Regensburg
Bayern
20
11
6–8
Coburg
Bayern
18
14
6–8
Erlangen
Bayern
18
13
6–8
Ingolstadt, Donau
Bayern
18
4
9 – 10
Landsberg am Lech
Bayern
17
15
9 – 10
Würzburg
Bayern
17
11
Abkürzungen: BB = Bürgerbegehren, RR=Ratsreferenden, BE = Bürgerentscheide
Anmerkung:
Es wurden nur Städte und keine Stadtbezirke der Stadtstaaten Hamburg und Berlins
ausgewertet. Ratsreferenden als Gegenvorlage zu einem Bürgerbegehren wurden
als eigenes Verfahren gewertet.
3
vgl. Mehr Demokratie,
Bürgerbegehrensbericht
2014, Auswertungen zu
Ratsreferenden von Fabian
Reidinger
16
Angesichts des hohen Anteils bayerischer Bürgerbegehren an der Gesamtzahl verwundert es nicht,
dass alle zehn Städte mit der intensivsten Praxis in Bayern liegen. Bundesweite Spitzenreiter sind
Augsburg und München mit jeweils 32 Verfahren – in einem Zeitraum von 23 Jahren.
Bei den Bürgerentscheiden führt Landsberg am Lech (15 Abstimmungen) vor Coburg (14)
und Erlangen (13).
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DATEN UND ANALYSEN
Verteilung der Verfahren nach Gemeindegröße
Interessant ist auch die Frage, ob Bürgerbegehren eher in kleineren Gemeinden oder in Großstädten stattfinden. Inwieweit die Gemeindegröße einen Einfluss auf die Anwendungshäufigkeit
hat, zeigt Tabelle 4.
Tabelle 4: Verfahren nach Gemeindegrößenklasse
Einwohnerzahl
Anzahl
Anteil (%)
Verfahren
bis 5.000
3.291
Anzahl
Anteil (%)
Gemeinden/Kreise
43,9
8.136
71,7
5.000 bis 9.999
1.141
15,2
1.344
11,8
10.000 bis 19.999
1.129
15,0
884
7,8
20.000 bis 49.999
998
13,3
506
4,5
50.000 bis 99.999
400
5,3
161
1,4
100.000 bis 199.999
208
2,8
185
1,6
200.000 bis 499.999
197
2,6
116
1,0
500.000 und mehr
Gesamt
139
1,9
21
0,2
7.503
100,0
11.353
100,0
Quelle: Statistisches Bundesamt (Stand: 31. Dezember 2016).
Tabelle 4 zeigt, dass in größeren Städten überdurchschnittlich häufig Bürgerbegehren und Ratsreferenden stattfanden: In Deutschland umfassen 71,7 Prozent aller Gemeinden weniger als 5.000
Einwohner/-innen. In diesen kleinen Gemeinden, die die Mehrheit der deutschen Kommunen
bilden, wurden aber nur 43,9 Prozent aller Verfahren durchgeführt. In größeren Städten und
Landkreisen mit mehr als 50.000 Einwohner/innen, die lediglich 4,2 Prozent aller Gemeinden
Deutschlands ausmachen, fanden 12,6 Prozent aller Verfahren, also relativ viele, statt (siehe Tabelle 4, Zeilen 5 bis 8). Warum ist das so? Vermutlich wirken sich drei Faktoren aus:
n
n
n
In kleineren Gemeinden haben die Bürger/innen bessere Einflussmöglichkeiten auf die „etablierte“ Politik als in größeren Städten. Auch die Kommunikation ist einfacher, Probleme und
Konflikte können so frühzeitiger erkannt und diskutiert werden. Bürgerbegehren erübrigen
sich daher in kleineren Gemeinden eher als in großen.
Ergebnisse der politischen Kulturforschung legen nahe, dass in vielen kleineren Gemeinden
Pflicht- und Akzeptanzwerte dominieren, die etablierte Politik und die lokalen Autoritäten
also weniger in Frage gestellt werden. Das eher unkonventionelle Instrument „Bürgerbegehren“
wird daher seltener angewandt.
Drittens wachsen mit der Einwohnerzahl auch die Aufgaben einer Kommune. Es gibt somit
mehr potenzielle Themen für Bürgerbegehren – etwa Bäder, Kitas, Schulen oder Jugendeinrichtungen.
Anwendungshäufigkeit
Um die Anwendung der Bürgerbegehren in den Bundesländern genauer miteinander vergleichen
zu können, reicht die absolute Verfahrensanzahl, die wir weiter oben dargestellt haben, nicht aus.
Zusätzlich müssen noch die Anzahl der Gemeinden pro Bundesland und die Anzahl der Jahre,
in denen Bürgerbegehren möglich waren, berücksichtigt werden. Erst dann kann man Aussagen
treffen, in welchen Bundesländern die Verfahren am häufigsten angewandt werden.
17
DATEN UND ANALYSEN
Tabelle 5a: Anwendungshäufigkeit (1956 bis 2017)
Bundesland
Verfahren Jahre1
gesamt
1
Hamburg
2
Berlin
3
Bremen
4
Nordrhein-Westfalen
5
Bayern
6
Verfahren Anzahl Gemeinpro Jahr
de/Kreise
Mittlerer Zeitabstand in Jahren2
142
20
7,1
7
1
43
13
3,3
12
4
9
24
0,4
2
5
784
24
32,7
426
13
2.910
23
126,5
2.127
17
Sachsen-Anhalt
259
25
10,4
230
22
7
Hessen
446
25
17,8
447
25
8
Sachsen
335
25
13,4
448
33
9
Brandenburg
271
25
10,8
433
40
10 Schleswig-Holstein
489
28
17,5
1.132
65
11
330
22
15,0
1.044
70
Niedersachsen
12 Saarland
17
21
0,8
57
70
13 Baden-Württemberg
891
62
14,4
1.101
77
14 Thüringen
196
25
7,8
878
112
15 Mecklenburg-
135
24
5,6
786
140
246
24
10,3
2.330
227
121,0
11.460
Vorpommern
16 Rheinland-Pfalz
Gesamt/Durchschnitt
Quelle:
7.503
Statistische Jahrbücher für die Bundesrepublik Deutschland (Stand: 31. Dezember 2013).
Hinweis:
In den letzten Jahren reduzierte sich insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern
die Anzahl der Gemeinden, was die Vergleichbarkeit etwas einschränkt.
Anmerkungen:
Anzahl der Jahre seit Einführung der Bürgerbegehrensregelung.
1
Pro Gemeinde findet im Durchschnitt alle X Jahre ein Bürgerbegehren oder Ratsreferendum statt.
2
Platz 1–3: Die Stadtstaaten
Die Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen landen hier auf den Spitzenplätzen: Durchschnittlich dauert es in Hamburg ein Jahr und in Berlin vier Jahre, bis es in einem Bezirk zu einem
Bürgerbegehren oder Ratsreferendum kommt. Dennoch kann man, was die Anwendungshäufigkeit
angeht, auch bei den bundesdeutschen Spitzenreitern nicht von „Schweizer Verhältnissen“ sprechen. Die Stadt Winterthur im Kanton Zürich beispielsweise, in der rund 80.000 Einwohner/innen
leben, erlebt pro Jahr bis zu zehn Abstimmungen. Sehr viele Verfahren sind dort obligatorische
Referenden über Themen, die als besonders wichtig erachtet werden, zumeist Haushaltsfragen.
Platz 4 und 5: Nordrhein-Westfalen und Bayern
Nordrhein-Westfalen steht auf Platz 4 und ist damit das Flächenland mit der höchsten Anwendungshäufigkeit. Alle 13 Jahre findet dort in einer Gemeinde ein Verfahren statt. Dies liegt an den
befriedigenden Regelungen und der hohen durchschnittlichen Gemeindegröße von etwa 40.000
Einwohner/innen pro Gemeinde/Stadt.
Bayern liegt auf Platz 5. In einer bayerischen Gemeinde findet durchschnittlich etwa alle 17
Jahre ein Bürgerbegehren oder ein Ratsreferendum statt. Bei der absoluten Anzahl an Verfahren
liegt Bayern unangefochten auf Platz 1 – mit durchschnittlich 127 Verfahren pro Jahr (vgl. Spalte
4). Diese Position Bayerns erklärt sich zum einen mit den anwendungsfreundlichen Regelungen –
18
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DATEN UND ANALYSEN
zum Beispiel geringer Themenausschluss, Zulässigkeit der gesamten Bauleitplanung sowie moderate Quoren –, zum andern durch die vielen Gemeinden (mehr als 2.000).
Platz 6 und 7: Sachsen-Anhalt und Hessen
Auf Platz 6 und 7 der Häufigkeit folgen Sachsen-Anhalt und Hessen. In Sachsen-Anhalt sind
hierfür die zahlreichen Ratsreferenden zur Gemeindegebietsreform verantwortlich. Dass Hessen
noch einigermaßen gut abschneidet, hat mehrere Gründe: Dort war von 1993 bis 2011 die gesamte Bauleitplanung zulässig. Zudem gibt es auch in Hessen wenige kleine Gemeinden und mehr
mittelgroße oder große Städte als in anderen Flächenländern.
Schlusslichter: Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen
Schlusslichter der relativen Anwendungshäufigkeit sind mit Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen jene Länder, in denen jahrelang sehr restriktive Verfahrensregelungen
galten – etwa viele Themenausschlüsse und hohe Quoren. Bürgerbegehren und Bürgerentscheide
blieben in diesen Ländern lange Zeit Ausnahmeerscheinungen. In Mecklenburg-Vorpommern
etwa wurde in einer Gemeinde durchschnittlich nur alle 140 Jahre ein Verfahren eingeleitet, in
Rheinland-Pfalz (mit deutlich mehr kleineren Gemeinden) sogar nur alle 227 Jahre.
Aktuelle Anwendungshäufigkeit (Betrachtung der letzten fünf Jahre)
Tabelle 5a zeigt Durchschnittswerte über einen längeren Zeitraum. Der aktuelle Zustand wird nur
bedingt sichtbar, da historische Einflüsse vorhanden sind, etwa jahrzehntelange wenig Praxis in
Baden-Württemberg in Zusammenhang mit äußert restriktiven Regelungen.
Um diese historischen Einflüsse zu filtern, wurde die Anwendungshäufigkeit der letzten fünf
Jahre – also die Jahre 2013 bis 2017 – ausgewertet.
Tabelle 5b: Anwendungshäufigkeit (2013 bis 2017)
Bundesland
Verfahren Jahre Verfahren
gesamt
Anzahl
pro Jahr Gemeinden/
Kreise
1
Hamburg
2 Bremen
Mittlerer
Mittlerer
Zeitabstand Zeitabstand
2013 bis
1956 bis
2017
2017
42
5
8,4
7
1
1
3
5
0,6
2
3
5
12
5
2,4
12
5
4
4 Nordrhein-Westfalen
144
5
28,8
426
15
13
5 Bayern
588
5
117,6
2.127
18
17
6 Hessen
87
5
17,4
447
26
25
7 Baden-Württemberg
167
5
33,4
1.101
33
77
8 Brandenburg
49
5
9,8
433
44
40
9 Sachsen
45
5
9
448
50
32
3 Berlin
21
5
4,2
230
55
22
10 Sachsen-Anhalt
11 Schleswig-Holstein
96
5
19,2
1.132
59
65
12 Niedersachsen
82
5
16,4
1.044
64
70
13 Thüringen
63
5
12,6
878
70
112
14 Rheinland-Pfalz
83
5
16,6
2.330
140
227
2
5
0,4
57
143
70
21
5
4,2
786
187
140
301
11.460
15 Saarland
16 Mecklenburg-Vorpommern
Gesamt/Durchschnitt
1.505
19
DATEN UND ANALYSEN
Die Auswertung ergab:
n Die Spitzenreiter im gesamten Durchschnitt (Stadtstaaten, NRW und Bayern) sind auch in der aktuellen Betrachtung vorne. Auch die Anwendungshäufigkeit ist ähnlich (vgl. letzte beiden Spalten).
n Baden-Württemberg rangiert sehr viel weiter vorne als im gesamten Zeitraum, da ein besonders
großer „historischer Ballast“ vorhanden war. Der langjährige Durchschnitt liegt bei 14,4 Verfahren
pro Jahr (Tabelle 5a), was im Ländervergleich Platz 13 entspricht. Betrachtet man hingegen nur die
letzten fünf Jahre, dann liegt Baden-Württemberg auf Platz 7 mit 33,4 Verfahren pro Jahr (Tabelle 5b).
n Auch in Rheinland-Pfalz und Thüringen finden in den letzten Jahren deutlich häufiger Bürgerbegehren statt.
n Die ostdeutschen Länder bis auf Thüringen hingegen stehen in der Tabelle 5b weiter hinten, da
die Gemeindegebietsreformen dort in den Jahren vor 2013 stattfanden. Am deutlichsten ist dies
anhand von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt zu beobachten. Im gesamten Zeitraum belegt Sachsen-Anhalt Platz 6 der Anwendungshäufigkeit (alle 22 Jahre findet in einer
Gemeinde ein Verfahren statt), in den Jahren 2013 bis 2017 liegt es auf Platz 10 (alle 55 Jahre
ein Verfahren in einer Gemeinde).
n Für Thüringen trifft dies wie bereits erwähnt nicht zu, die Praxis hat in den letzten Jahren leicht
zugenommen: Im Zeitraum 2013 bis 2017 fanden 13 Verfahren pro Jahr statt, im gesamten Untersuchungszeitraum nur acht Verfahren pro Jahr. Dies erklärt sich aus den Reformen im Jahr 2009 und
2016, die – nach jahrelanger spärlicher Praxis – deutlich bürgerfreundlichere Regelungen verankerten.
5.2 Themen
Die bundesdeutsche Kommunalpolitik beschäftigt sich mit einer Vielzahl an Themen. Dies spiegelt sich auch in den eingeleiteten Bürgerbegehren und Ratsreferenden wider. Die Datenbank
Bürgerbegehren bündelt die einzelnen Verfahren in verschiedene Themenbereiche.
Tabelle 6: Themen
Themenbereiche
Beispiele
Anzahl
Anteil (%)
Verfahren
Öffentliche Sozial- und
Schulen, Kindergärten, Sportstätten,
Bildungseinrichtungen
Bäder
1.455
19,4
Wirtschaftsprojekte
Hotels, Einkaufszentren, Windparks
1.306
17,4
Verkehrsprojekte
Umgehungsstraßen, Fußgängerzonen
1.232
16,4
Öffentliche Infrastruktur- und
Rathausneubau, Bürgerhäuser,
1.016
13,5
Versorgungseinrichtungen
Privatisierung von Stadtwerken
Gebietsreform
Gemeindezusammenschlüsse
769
10,2
Planungssatzungen
Veränderungssperren in Bebauungs
367
4,9
(Bauleitplanung)
plänen, Festlegung der Gebäudehöhe
Kulturprojekte
Museen, Kunstprojekte, Denkmäler
286
3,8
Entsorgungsprojekte
Abwasserprojekte
273
3,6
Sonstiges
Straßennamen
247
3,3
Wohngebietsprojekte
Wohngebiete (Gestaltung, Größe)
172
2,3
Hauptsatzung oder
Haupt- oder ehrenamtliche/r Bürger
161
2,1
andere Satzung
meister/in, Baumschutzsatzung
Wirtschaftsprojekte: Mobilfunk
Mobilfunkmast
145
1,9
Gebühren und Abgaben
Abwassergebühren, Müllgebühren
Gesamt
20
74
1,0
7.503
100,0
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DATEN UND ANALYSEN
Die thematischen Schwerpunkte bilden öffentliche Sozial- und Bildungseinrichtungen mit 19,4
Prozent, Wirtschaftsprojekte mit 17,4 Prozent sowie Verkehrsprojekte mit 16,4 Prozent. Jeweils
mehr als zehn Prozent erreichten auch die Bereiche Öffentliche Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen sowie Fragen der kommunalen Gebietsreform:
Die Themenschwerpunkte variieren von Bundesland zu Bundesland, denn sie sind von der
jeweiligen Themenzulässigkeit sowie von spezifischen Problemstrukturen beeinflusst. Vor allem
unterscheiden sich hier Länder mit Bauleitplanung als zulässigem Themenbereich (etwa Bayern,
Hamburg und Sachsen) von Ländern, in denen die Bauleitplanung nicht zulässig ist (etwa Brandenburg, Niedersachsen oder Sachsen-Anhalt).
Abbildung 4: Themenbereiche
Wirtschaftsprojekte: Mobilfunk 1,9 %
Hauptsatzung oder
andere Satzung 2,1 %
Wohngebietsprojekte 2,3 %
Gebühren und Abgaben 1,0 %
Öffentliche Sozial- und Bildungseinrichtungen 19,4 %
Sonstiges 3,3 %
Entsorgungsprojekte 3,6 %
Wirtschaftsprojekte 17,4 %
Kulturprojekte 3,8 %
Planungssatzungen
(Bauleitplanung) 4,9 %
Verkehrsprojekte 16,4 %
Öffentliche Infrastruktur- und
Gebietsreform 10,2 %
Versorgungseinrichtungen 13,5 %
21
DATEN UND ANALYSEN
5.3 Ergebnisse und Erfolgsquote
Tabelle 7: Ergebnisse
Ergebniskategorie
Offen/Unbekannt
Ergebnis
Anzahl Verfahren
Offen
90
1,2
Unbekannt
112
1,5
548
7,3
BB zurückgezogen
181
2,4
Kompromiss
110
1,5
Positiv erledigt durch neuen
851
11,3
Unzulässig
1.804
24,0
Versandet
11
0,1
1.758
23,4
BB nicht eingereicht
Verfahren gelangt
nicht zum BE
Anteil (%)
Gemeinderatsbeschluss
BE im Sinne des Begehrens
BB gelangt zum BE
BE in Stichentscheid angenommen
210
2,8
RR findet statt
BE nicht im Sinne des Begehrens
1.128
15,0
Ergebnis ist bekannt
BE in Stichentscheid gescheitert
224
3,0
BE unecht gescheitert
Gesamt
476
6,3
7.503
100,0
Abkürzungen: BB = Bürgerbegehren, BE = Bürgerentscheide, RR=Ratsreferenden
Betrachten wir nun die Ergebnisse und Erfolgsaussichten der Bürgerbegehren und Ratsreferenden.
Indirekte Erfolge von Bürgerbegehren und -entscheiden – zum Beispiel auf die Beeinflussung
der politischen Agenda, die Berichterstattung in den Medien oder auf die Anzahl und Qualität
von politischen Diskussionen – sind nur schwer zu messen und zu quantifizieren. Eine „direkte
Erfolgsquote“ allerdings ist mit unseren vorhandenen Daten mess- und darstellbar. Ein „direkter
Erfolg“ bedeutet, dass politisch im Sinne der Vorlage/im Sinne der Initiator/innen entschieden
wurde. Bezogen auf die Ergebnis-Kategorien der Tabelle 7 heißt dies: „Erfolgreich“ umfasst
die Ergebnisse „positiv erledigt durch einen neuen Gemeinderatsbeschluss“, „Erfolg im Bürgerentscheid“ und „Erfolg im Stichentscheid“. Als halber Erfolg wurde das Ergebnis „Teilerfolg/
Kompromiss“ gewertet.
Daraus ergibt sich: Die formale Erfolgsquote liegt bei 38,8 Prozent (2.874 von 7.413 abgeschlossenen Verfahren), etwa vier von zehn eingeleiteten Verfahren waren erfolgreich im Sinne
der Initiatoren. Diese formale Erfolgsquote bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass alle in ihr
erfassten Verfahren tatsächlich im Sinne der Vorlage enden. Zum Beispiel kam es vereinzelt dazu,
dass Bürgerentscheide nicht umgesetzt wurden. Umgekehrt können aber auch formal erfolglose
Verfahren de facto erfolgreich sein – etwa wenn ein Bürgerbegehren zwar formell unzulässig
ist, aber dazu führt, dass ein Projekt aufgrund des offenkundig gewordenen Protests abgeändert
oder neu überdacht wird.
Im Folgenden werden die wichtigsten der in Tabelle 7 dargestellten Ergebniskategorien betrachtet: Zunächst die unzulässigen Bürgerbegehren, dann jene Begehren, bei denen der Gemeinderat die Forderungen des Bürgerbegehrens übernahm und abschließend die Ergebnisse
der Bürgerentscheide.
22
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DATEN UND ANALYSEN
5.3.1 Unzulässige Bürgerbegehren
Bürgerbegehren müssen bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllen: Die Gemeinde muss
für die Angelegenheit zuständig sein, es muss über eine entscheidbare Frage abgestimmt werden,
das Geforderte muss rechtlich und tatsächlich umsetzbar sein und das Bürgerbegehren benötigt
ausreichend Unterstützungsunterschriften.
Obwohl die Entscheidung, ob ein Bürgerbegehren zulässig ist, im Unterschied zum jeweiligen
Anliegen eine Rechtsfrage ohne Ermessensspielraum ist, wird sie in der Regel vom Gemeinderat beziehungsweise bei Kreisangelegenheiten vom Kreistag getroffen. Zuvor wird häufig, in
Mecklenburg-Vorpommern zwingend, die Kommunalaufsicht eingeschaltet. In Hamburg und
Berlin entscheidet das Bezirksamt, in Schleswig-Holstein und seit kurzem auch in Brandenburg
die Kommunalaufsichtsbehörde. Gegen eine Ablehnung kann die Initiative das zuständige Verwaltungsgericht anrufen. Immer mehr Bundesländer sehen inzwischen eine Beratung der Initiator/
innen – meist durch die Gemeindeverwaltung – vor.
Gesamtzahl
Die Auswertung ergab, dass insgesamt 1.800 der 6.261 bürgerinitiierten Verfahren (28,7 Prozent)
unzulässig waren. Insgesamt waren 1804 Verfahren unzulässig (vgl. Tabelle 7, Ergebnisse). Die
Differenz zu den hier erwähnten 1.800 Bürgerbegehren erklärt sich dadurch, dass auch vier
Ratsreferenden (von der Kommunalaufsicht) für unzulässig erklärt wurden.
Betrachtung der letzten fünf Jahre
Im Zeitraum 2013 bis 2017 betrug diese Unzulässigkeitsquote 27,7 Prozent und war somit etwas
geringer als im gesamten Berichtszeitraum. Im Jahr 2017 sank sie sogar auf 21,8 Prozent. Die Zahl
unzulässiger Begehren sollte angesichts der verabschiedeten und noch anstehenden Reformen
auch zukünftig weiter zurückgehen. Folgende Reformen wirken sich auf die Zulässigkeit aus:
n
n
n
n
Mehr Themen werden zugelassen.
Sehr wichtig: Der von den Initiator/innen auszuarbeitende Kostendeckungsvorschlag – eine
große „Unzulässigkeitsfalle“ – wird in immer mehr Ländern gestrichen oder durch eine Kostenschätzung der Verwaltung ersetzt.
In einigen Ländern ist die Frist für Korrekturbegehren verlängert worden.
Die Verwaltung wird in immer mehr Ländern zur Beratung verpflichtet.
Eine Analyse zu Schleswig-Holstein hat nachgewiesen, dass durch entsprechende Reformen in
allen erwähnten Punkten die Unzulässigkeitsquote stark gesunken ist. Im gesamten Betrachtungszeitraum beträgt die Unzulässigkeitsquote 28,5 Prozent (vgl. Tabelle 8). Nach Reformen im Jahr
2013 sank die Quote im Jahr 2014 auf 10,0 Prozent und 2015 sogar auf 8,3 Prozent. 4
4
vgl. Bürgerbegehrensbericht Schleswig-Holstein
2016 von Mehr Demokra
tie, S. 10 ff.:
https://h.mehrdemokratie.de/fileadmin/
pdf/2017-04-11_BBBericht_SH.pdf
23
DATEN UND ANALYSEN
Regionale Verteilung
Interessant ist, welche Unterschiede zwischen den Bundesländern bestehen.
Tabelle 8: Unzulässige Bürgerbegehren nach Bundesland
Bundesland
Bayern
Berlin
Hamburg
Anzahl
Anzahl
BB gesamt
unzulässige BB
Anteil (%)
2.412
405
16,8
42
8
19,0
131
33
25,2
Schleswig-Holstein
435
124
28,5
Hessen
439
144
32,8
Bremen
9
3
33,3
211
73
34,6
Nordrhein-Westfalen
762
272
35,7
Brandenburg
160
58
36,3
Thüringen
193
72
37,3
Baden-Württemberg
675
252
37,3
Rheinland-Pfalz
Sachsen-Anhalt
105
42
40,0
Sachsen
243
104
42,8
Niedersachsen
328
145
44,2
99
55
55,6
17
10
58,8
6.261
1.800
28,7
Mecklenburg-Vorpommern
Saarland
Gesamt
Abkürzungen: BB = Bürgerbegehren
Anmerkung: Insgesamt waren 1804 Verfahren unzulässig (vgl. Tabelle Ergebnisse). Die Differenz
zu den hier aufgelisteten 1800 Bürgerbegehren erklärt sich dadurch, dass auch vier
Ratsreferenden für unzulässig erklärt wurden (von der Kommunalaufsicht).
Ein Blick auf die Werte der einzelnen Bundesländer bestätigt die bisherigen Überlegungen. Generell gilt: Je bürgerfreundlicher das Verfahren geregelt ist, desto niedriger die Unzulässigkeitsquote.
Bayern hat mit 16,8 Prozent die niedrigste Unzulässigkeitsquote, gefolgt von Berlin (19,0 Prozent)
und Hamburg (25,2 Prozent). In allen drei Bundesländern sind die Regelungen recht bürgerfreundlich. Auf den hinteren Plätzen finden sich Länder, in denen ein restriktiver Themenkatalog und/
oder hohe Unterschriftenquoren gelten: Im Saarland und in Mecklenburg-Vorpommern sind sogar
mehr als die Hälfte aller Bürgerbegehren unzulässig.
24
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DATEN UND ANALYSEN
Tabelle 9: Unzulässigkeitsgründe für Bürgerbegehren
Gründe
Anzahl
Anteil (%)
Frist überschritten / zu wenige Unterschriften
385
20,8
Themenausschluss
349
18,8
Formfehler allgemein (keine Details bekannt)
289
15,6
Kostendeckungsvorschlag (unzureichend oder fehlend)
264
14,3
Mehrere Gründe (keine Details bekannt)
211
11,4
Mängel der Fragestellung (suggestiv / nicht entscheidbar / zu unbestimmt)
113
6,1
Rechtswidriges Ziel
102
5,5
Irreführende Begründung
75
4,0
Falscher Adressat
36
1,9
Zu viele / zu wenige Vertrauenspersonen
15
0,8
Einheit der Materie
13
0,7
1.852
100,0
Gesamt
Anmerkung: Mehrfachnennungen waren möglich
Die drei wichtigsten Unzulässigkeitsgründe waren Fristüberschreitung beziehungsweise zu wenig Unterschriften (385 Fälle), Themenausschluss (349), Formfehler (289) sowie Mängel beim
Kostendeckungsvorschlag (264).
Dass nicht genügend Unterschriften zusammenkamen und die Frist nicht eingehalten wurde,
hängt üblicherweise zusammen. Denn eine kurze Frist von wenigen Wochen bei Korrekturbegehren, die sich gegen einen Beschluss des Gemeinderats richten, führt häufig dazu, dass sich
nicht genügend Unterzeichner/innen finden. Die Auswertung ergab, dass insgesamt 385 Verfahren
daran scheiterten.
Der zweite wichtige Grund für eine Unzulässigkeit: der Themenausschluss. Alle Bundesländer
regeln dies ausschließlich in einem so genannten „Negativkatalog“. Das Gesetz benennt, welche
Themen nicht zulässig sind. Früher gab es in einigen Ländern noch einen „Positivkatalog“ – hier
wurde aufgelistet, zu welchen Themen Bürgerbegehren erlaubt sind. Dieser Positivkatalog wirkte
sich insbesondere in Baden-Württemberg von 1956 bis 2005 verheerend aus. Denn er schränkte
nicht nur die Zahl der Themen drastisch ein, sondern ließ zudem noch durch unpräzise Formulierungen Spielraum für Interpretationen und führte somit zu sehr vielen Unzulässigkeitserklärungen
und Rechtsstreitigkeiten. Nahezu alle Verfahren der Datenbank Bürgerbegehren, die aufgrund des
Positivkatalogs für unzulässig erachtet wurden, wurden in Baden-Württemberg vor dem Jahr 2005
initiiert. Mit den Reformen in Baden-Württemberg (2005), Rheinland-Pfalz (2010), Bremerhaven
(2012) und Sachsen-Anhalt (2014) ist der Positivkatalog inzwischen Geschichte.
Die in allen Ländern vorhandenen Negativkataloge sind sehr unterschiedlich ausgestaltet. Sechs
Länder halten ihn kurz: In Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Sachsen und Thüringen sind Bürgerbegehren zu sehr vielen Themen, insbesondere auch zur kommunalen Bauleitplanung, zulässig.
In den anderen Ländern sind Flächennutzungs- und Bebauungspläne – ein zentrales kommunalpolitisches Steuerungsinstrument – ganz oder teilweise von Bürgerbegehren ausgeschlossen. In vier
Ländern (Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein) ist nur ein
Teil der Bauleitplanung zugelassen: Dort sind zumindest Bürgerbegehren über den Aufstellungsbeschluss beziehungsweise den verfahrenseinleitenden Beschluss zulässig. Am restriktivsten sind die
Regelungen in den sechs Bundesländern Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern,
Niedersachsen, das Saarland und Sachsen-Anhalt. Dort ist die Bauleitplanung komplett ausgeschlossen, was zu weniger Praxis in diesen Ländern führt.
25
DATEN UND ANALYSEN
5.3.2 Ergebnis: Gemeinderat übernimmt das Anliegen der Initiatoren
Ein beachtlicher Anteil der Bürgerbegehren führt zu einem Umdenken des Gemeinderats. Durch
einen neuen Ratsbeschluss wird das Anliegen des Bürgerbegehrens übernommen. Somit entfällt
der Bürgerentscheid. Dies kam mehr als 850 Mal und somit bei 13,6 Prozent aller eingeleiteten
Bürgerbegehren vor. Tabelle 10 stellt dies differenziert nach Bundesländern dar.
Tabelle 10: Vom Gemeinderat übernommene Anliegen
Bundesland
Bürgerbegehren Anzahl positiv erledig-
Anteil (%)
insgesamt
ter Bürgerbegehren
Hamburg
131
42
32,1
Berlin
42
8
19,0
Saarland
17
3
17,6
Sachsen
243
38
15,6
Brandenburg
160
25
15,6
Nordrhein-Westfalen
762
119
15,6
99
15
15,2
Mecklenburg-Vorpommern
Hessen
439
65
14,8
Bayern
2.412
345
14,3
Rheinland-Pfalz
211
30
14,2
Sachsen-Anhalt
105
12
11,4
Thüringen
193
22
11,4
9
1
11,1
Schleswig-Holstein
435
46
10,6
Niedersachsen
328
33
10,1
Baden-Württemberg
675
47
7,0
6.261
851
13,6
Bremen
Gesamt
Die Auswertung zeigt, dass nur wenige Bundesländer vom Durchschnittswert 13,6 Prozent wesentlich abweichen. In Hamburg wurden mit 32,1 Prozent überdurchschnittlich viele Begehren
übernommen, in Baden-Württemberg hingegen mit 7,0 Prozent relativ wenig. Woran liegt das?
Der hohe Wert Hamburgs mit 32,1 Prozent erklärt sich vor allem mit einer hanseatischen
Besonderheit. In mehreren Fällen ist eine „Scheinübernahme“ des Bürgerbegehrens dokumentiert: Um einen Bürgerentscheid zu verhindern, übernahm die gewählte Bezirksversammlung ein
zustande gekommenes Bürgerbegehren, obwohl sie inhaltlich dagegen war. Anschließend hat die
Regierung der Stadt Hamburg (der Senat) diesen Beschluss des Bezirks „evoziert“, das heißt an
sich gezogen und dann einen anderen Beschluss gefasst. Rein rechtlich gesehen darf der Senat
dies tun. Mit dem Verweis auf ein gesamtstädtisches Interesse (etwa, wenn es um ein großes
Wohngebietsprojekt geht) kann er jeden Beschluss einer Bezirksversammlung ohne Begründung
aufheben und an sich ziehen. Politisch ist dieses Vorgehen allerdings höchst fragwürdig und wird
von Mehr Demokratie kritisiert.
Baden-Württemberg weist den bundesweit niedrigsten Wert (7,0 Prozent) auf. Dies liegt daran, dass
jahrzehntelang viele Bürgerbegehren unzulässig waren oder diese aufgrund hoher Abstimmungsquoren
im Bürgerentscheid nur sehr geringe Erfolgsaussichten hatten. Der Gemeinderat musste deshalb keine
Niederlage im Bürgerentscheid befürchten. Dies hat sich durch die Reformen in Baden-Württemberg
(2009, 2016) geändert. Die Betrachtung der letzten fünf Jahre bestätigt diese Vermutung: Von 2015
bis 2017 betrug der Wert der vom Gemeinderat übernommenen Bürgerbegehrens-Anliegen in BadenWürttemberg 9,6 Prozent und weicht somit nicht mehr so stark vom Durchschnitt ab.
26
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DATEN UND ANALYSEN
5.3.3 Bürgerentscheide
Tabelle 11: Ergebnisse von Bürgerentscheiden
BE nach BB
RR
Gesamt
1.206
552
1.758
BE in Stichentscheid angenommen
107
103
210
BE in Stichentscheid gescheitert
122
102
224
BE nicht im Sinne des Begehrens
806
322
1.128
413
63
476
2.654
1.142
3.796
BE im Sinne des Begehrens
BE unecht gescheitert
Gesamt
Abkürzungen: BB = Bürgerbegehren, BE = Bürgerentscheid, RR = Ratsreferendum
Insgesamt war mehr als die Hälfte (51,8 Prozent) aller kommunalen Abstimmungen erfolgreich
im Sinne der Initiatoren (1.968 von 3.796). Ratsreferenden hatten mit 57,4 Prozent (655 von 1.142)
eine etwas höhere Erfolgsquote als bürgerinitiierte Bürgerentscheide, von denen 49,5 Prozent
erfolgreich im Sinne der Initiatoren war (1.313 von 2.654). Ähnliche Werte findet man auch in
Staaten mit intensiver Praxis wie der Schweiz und den US-Bundesstaaten. Dort haben Vorlagen,
die von der Parlaments-/Ratsmehrheit empfohlen werden oder obligatorisch zur Abstimmung
gelangen, eine höhere Erfolgschance als bürgerinitiierte Abstimmungsvorlagen.5
Bürgerentscheide, die keine Abstimmungsmehrheit erhielten, werden hier als „nicht im Sinne
des Begehrens“ bezeichnet. Sie werden auch echt gescheiterte Verfahren genannt. Als „unecht
gescheitert“ gelten hingegen Bürgerentscheide, die zwar eine Abstimmungsmehrheit erreichten,
jedoch aufgrund des geltenden Zustimmungsquorums nicht wirksam waren. Von den 3.796 Bürgerentscheiden scheiterten 476 (12,5 Prozent) unecht.
Wenn man nur die die letzten fünf Jahre von 2013 bis 2017 betrachtet, dann ist dieser Wert
mit 12,9 Prozent etwa gleich groß wie im gesamten Zeitraum. Das Sinken des Zustimmungsquorums durch die Reformen in einigen Bundesländern in den letzten Jahren wirkt sich bezüglich
der Gesamtzahlen offenbar noch nicht aus. Wahrscheinlich liegen die Reformen noch nicht lange
genug zurück, etwa in Baden-Württemberg (Ende 2015), Rheinland-Pfalz (Mitte 2016) oder
Niedersachsen (Ende 2016).
Betrachtet man Bundesländer, bei der die Reform schon etwas länger zurück liegt, sieht es
schon anders aus. Schleswig-Holstein senkte das Zustimmungsquorum 2003 von 25 auf 20 Prozent
und im Jahr 2013 von 20 Prozent auf – nach Gemeindegröße gestaffelt – 8-20 Prozent. Der Effekt
ist deutlich: Scheiterten bis 2004 19,6 Prozent der Bürgerentscheide am Zustimmungsquorum, so
sank dieser Wert für die Bürgerentscheide seit 2004 auf 5,7 Prozent.6
Ebenfalls interessant: Ratsreferenden scheiterten seltener am Zustimmungsquorum (5,5
Prozent) als bürgerinitiierte Abstimmungen (15,6 Prozent). Die folgenden beiden Abbildungen
illustrieren dies.
5
vgl. Silvano Moeckli, 2013,
Direkte Demokratie.
Spieler, Spielverläufe,
Spielergebnisse, Zürich/
Chur
6
vgl. Bürgerbegehrensbe
richt Schleswig-Holstein
2016 von Mehr Demokra
tie, S. 15 ff.
27
DATEN UND ANALYSEN
Abbildung 5: Bürgerentscheide aufgrund von Bürgerbegehren – Ergebnisse
BE unecht gescheitert 15,6 %
BE nicht im Sinne des
Begehrens 30,4 %
BE in Stichentscheid
gescheitert 4,6 %
BE im Sinne des
Begehrens 45,4 %
BE in Stichentscheid
angenommen 4,0 %
Abbildung 6: Bürgerentscheide aufgrund von Ratsreferenden – Ergebnisse
BE unecht gescheitert 5,5 %
BE nicht im Sinne des
Begehrens 28,2 %
BE in Stichentscheid
gescheitert 8,9 %
BE im Sinne des
Begehrens 48,3 %
BE in Stichentscheid
angenommen 9,0 %
Die Unterschiede sind eventuell dadurch erklärbar, dass bei bürgerinitiierten Verfahren Behinderungen seitens der Exekutive oder der Ratsmehrheit möglich sind. Etwa indem der Termin für
einen Bürgerentscheid in die Ferien gelegt wird oder andere administrative Maßnahmen getroffen
werden, welche die Abstimmung erschweren. Ebenso kommt es vor, dass die Mehrheitsfraktionen
im Rat oder der/die Bürgermeister/in eine aktive Diskussion vor dem Bürgerentscheid verweigern
und so hoffen, dass der Entscheid an der mangelnden Beteiligung und somit am Zustimmungsquorum scheitert.
28
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DATEN UND ANALYSEN
Abstimmungsbeteiligung
Tabelle 12: Abstimmungsbeteiligung nach Gemeindegröße
Gemeindegröße
(Einw.zahl)
bis 5.000
Anzahl BE
Durchschn.
Durchschn.
Durchschn.
gesamt
Beteiligung
Beteiligung bürger
Beteiligung
alle BE (%)
initiierte BE (%)
RR (%)
1.095
61,5
60,8
63,4
bis 10.000
881
51,0
48,3
55,5
bis 20.000
500
43,9
42,5
49,5
bis 30.000
229
41,8
41,5
42,9
bis 50.000
197
35,6
33,0
45,2
bis 100.000
122
30,7
30,2
33,0
bis 200.000
70
29,0
27,0
37,1
bis 500.000
49
34,8
33,4
40,9
mehr als 500.000
Gesamt
25
26,0
25,0
29,8
3.168
50,2
48,7
54,0
Abkürzungen: BB = Bürgerbegehren, BE = Bürgerentscheid, RR = Ratsreferendum
Anmerkung:
Von 3.168 Bürgerentscheiden ist die Gemeindegrößenklasse bekannt.
Die Abstimmungsbeteiligung bei Bürgerentscheiden betrug durchschnittlich 50,2 Prozent. Die
Beteiligung sank, wie auch bei Kommunalwahlen, mit zunehmender Einwohnerzahl. Wie aus
der Tabelle ersichtlich ist, betrug die Beteiligung in Gemeinden mit weniger als 5.000 Einwohner/innen durchschnittlich 61,5 Prozent, in Städten mit 50.000 bis 100.000 durchschnittlich
30,7 Prozent und in Großstädten und Landkreisen über 500.000 Einwohner/innen 26,0 Prozent.
Die Zahlen erklären sich zum Teil durch die Problemstruktur. Wenn beispielsweise in
Großstädten nur bestimmte Stadtteile von einer Maßnahme betroffen sind, dann wird die Beteiligung dort höher sein, in der gesamten Stadt jedoch eher niedrig.
Die Abstimmungsbeteiligung variiert auch danach, wer den Bürgerentscheid einleitet:
Bürgerentscheide „von unten“ aufgrund von Bürgerbegehren erreichten eine durchschnittliche
Beteiligung von 48,7 Prozent, Ratsreferenden „von oben“ 54,0 Prozent der Stimmberechtigen.
Dies liegt vermutlich daran, dass erstens Ratsreferenden häufiger mit Wahlen zusammengelegt wurden und zweitens viele Ratsreferenden nur Themen von sehr großer Bedeutung
zum Gegenstand hatten. So fanden zum Beispiel in vielen kleinen Gemeinden – so etwa in
Sachsen-Anhalt – Bürgerentscheide zur Gemeindegebietsreform statt. Dabei bewirkte sowohl
die geringe Gemeindegröße als auch das Thema selbst eine vergleichsweise hohe Abstimmungsbeteiligung.
Nur die durchschnittliche Abstimmungsbeteiligung je Bürgerentscheid zu betrachten, reicht
allerdings für ein umfassenderes Bild der Beteiligung nicht aus. Der Schweizer Forscher Uwe
Serdült hat für die Stadt St. Gallen nachgewiesen, dass sich nicht immer dieselben Menschen
an den unterschiedlichen Abstimmungen beteiligen. Er hat untersucht, wie viele Bürger/innen
an mindestens einer von sieben Abstimmungen innerhalb von zwei Jahren teilnahmen. Das
interessante Ergebnis seiner Forschungen lautet: Während die durchschnittliche Beteiligung an
einer einzelnen Abstimmung in St. Gallen bei 45 bis 50 Prozent lag, hatten sich an mindestens
einer von zwei Abstimmungen 66 Prozent beteiligt und an mindestens einer von sieben Abstimmungen sogar rund 75 Prozent. Serdült spricht von der „kumulierte Beteiligungsquote“.7
Diesbezügliche Forschungen zu deutschen Städten wären sicher erhellend.
7
vgl. Uwe Serdült, 2013,
Partizipation als Norm
und Artefakt in der
schweizerischen
Abstimmungsdemokratie
, in: A. Good/B. Platipodis
(Hrsg.), Direkte Demokra
tie, Herausforderungen
zwischen Politik und
Recht (Festschrift für
Andreas Auer zum 65.
Geburtstag, Bern, S. 41 ff.
29
DATEN UND ANALYSEN
Bürgerentscheide: Erfolgschancen und Quorum
In fast allen Bundesländern (außer in Hamburg) gilt beim Bürgerentscheid ein Zustimmungsquorum.
Neben der Mehrheit der Abstimmenden muss der Vorlage auch eine bestimmte Mindestanzahl an
Stimmberechtigten zustimmen. Dies führt mitunter zu Boykottstrategien, die sich nachteilig auf
die Höhe der Abstimmungsbeteiligung sowie auf die Erfolgschancen auswirken.
Dieser Bericht betrachtet Bürgerentscheide, die am Zustimmungsquorum scheiterten, differenziert nach ihrem Ergebnis. Die Bürgerentscheide, die am Quorum scheiterten, wobei gleichzeitig
die Mehrheit der Abstimmenden für die Vorlage gestimmt hat, wurden bei der Darstellung der
Ergebnisse (siehe oben) als „unecht gescheitert“ bezeichnet. Bürgerentscheide, die keine Mehrheit
bei den Abstimmenden fanden, gelten dagegen als (echt) gescheitert.
Tabelle 13: Unecht gescheiterte Bürgerentscheide
Bundesland
Zustimmungsquorum
Anzahl BE Davon unecht
Anteil unecht
gescheitert gescheiterter BE (%)
Hamburg
Bremen (Stadt)
Saarland
Thüringen
Sachsen
Bayern
Sachsen-Anhalt
MecklenburgVorpommern
Schleswig-Holstein
Brandenburg
Rheinland-Pfalz
BadenWürttemberg
Hessen
Niedersachsen
30
keines
27
0
0,0
bis 1997: 50 %-Bet.quorum
1997 bis 2009: 25 %
seit 2009: 20 %
0
0
0,0
30 %
0
0
0,0
bis 2002: 25 %
2002 bis 2009: 20–25 %,
seit 2009: 10–20 %
55
3
5,5
25 %
174
10
5,7
bis 1999: keines,
seit 1999: 10–20 %
1.786
104
5,8
bis 1997: 30 %
1997 bis 2018: 25 %
seit 2018: 20 %
186
13
7,0
25 %
56
6
10,7
bis 2002: 25 %
2002 bis 2013: 20 %,
seit 2013: 8–20 %
284
31
10,9
25 %
170
20
11,8
bis 2010: 30 %,
2010 bis 2016: 20 %
seit 2016: 15 %
123
15
12,2
bis 1975: 50%-Bet.quorum,
1975 bis 2005: 30 %,
2005 bis 2015: 25 %
seit 2016: 20 %
415
87
21,0
bis 2016: 25 %
seit 2016: 15–25 %
167
42
25,1
bis 2016: 25 %
seit 2016: 20 %
98
32
32,7
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DATEN UND ANALYSEN
Bundesland
Zustimmungsquorum
Anzahl BE Davon unecht
Anteil unecht
gescheitert gescheiterter BE (%)
Berlin
bis 2011: 15%-Bet.quorum,
seit 2011: 10 %
13
5
38,5
bis 2000: 25 %,
2000 bis 2011: 20 %,
seit 2011: 10–20 %
241
107
44,4
bis 2012: 30 %,
seit 2012: 20 %
1
1
100,0
Gesamt
3.796
476
12,5
Gesamt ohne Bayern
2.010
372
18,5
Nordrhein-Westfalen
Bremerhaven
(Stadt)
Abkürzung: BE = Bürgerentscheide
Tabelle 13 zeigt, dass bisher rund jeder achte Bürgerentscheid am Zustimmungsquorum scheiterte
(12,5 Prozent). Betrachtet man alle Bundesländer ohne Bayern (das ungefähr die Hälfte der Fälle
auf sich vereint), so betrug der Wert sogar 18,5 Prozent.
Aus der Tabelle ist ersichtlich: Länder mit wenigen und großen Städten und/oder Länder mit
hohem Zustimmungsquorum weisen einen erhöhten Wert an unecht gescheiterten Bürgerentscheiden auf. Lässt man Bremerhaven wegen der geringen Fallzahl außer Acht, dann befinden
sich mit Nordrhein-Westfalen (44,4 Prozent) das Bundesland mit der größten durchschnittlichen
Gemeindegröße und mit Berlin (38,5 Prozent) ein Stadtstaat auf den letzten Plätzen im LänderVergleich – dort scheitern besonders viele Entscheide unecht. Auch Hessen mit weniger und dafür
größeren Gemeinden und Städten verzeichnet einen erhöhten Wert mit 25,1 Prozent. Wie bereits
oben gezeigt wurde, sinkt die Abstimmungsbeteiligung mit zunehmender Gemeindegröße. Somit
steigt auch das Risiko, am Zustimmungsquorum zu scheitern.
Bei Baden-Württemberg (21,0 Prozent) kann man den hohen Anteil an unecht gescheiterten
Bürgerentscheiden auf jahrelang geltende hohe Abstimmungsquoren (s. Tabelle, Spalte 2) zurückführen. Dies bestätigt die Betrachtung der letzten fünf Jahre in Baden-Württemberg, der Anteil
betrug von 2013 bis 2017 nur noch 11,8 Prozent.
Trotz hoher Zustimmungsquoren befinden sich Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt
relativ weit oben in der Tabelle. Doch die Durchschnittswerte sind dem hohen Anteil an Ratsreferenden in kleinen und kleinsten Gemeinden zur Gebietsreform mit hohen Abstimmungsbeteiligungen geschuldet. Dies belegt die Betrachtung der letzten fünf Jahre, in denen es keine
Bürgerentscheide zur Gebietsreform gab: Von 2013 bis 2017 betrug der Anteil unecht gescheiterter
Bürgerentscheide in Brandenburg 25,0 Prozent, in Sachsen 15,4 Prozent und in Sachsen-Anhalt
40,0 Prozent und lag damit höher als der bundesweite Durchschnitt von 12,6 Prozent.
31
SPEZIAL
6. Spezial: Bürgerbegehren zu umweltfreundlicher Verkehrspolitik nehmen zu
von Thorsten Sterk und Frank Rehmet
6.1 Einleitung
In letzter Zeit häufen sich Bürger- und Volksbegehren zum Thema umweltfreundliche Verkehrspolitik / Ausbau der Radinfrastruktur. Dieser Bericht listet die kommunalen Bürgerbegehren in
Deutschland auf und erläutert Hintergründe.
Der Bereich Verkehrspolitik ist aus unserer Sicht für direktdemokratische Verfahren besonders geeignet, denn:
n
n
n
n
n
Sehr viele Menschen sind betroffen: Sowohl direkt als Verkehrsteilnehmer/in oder Anwohner/
in als auch indirekt durch Lärm, Abgase und Feinstaubbelastung.
Das Thema wird oft kontrovers diskutiert: Unterschiedliche Vorstellungen und Bedürfnisse
prallen aufeinander, es kann eine hohe Konfliktintensität geben.
Verkehrsprojekte sind oft mit hohen Kosten verbunden, etwa durch Lärmschutz, die Umgestaltung von Flächen oder den Bau von Umgehungsstraßen.
Klimaschutz ist ein zentrales Politikfeld des 21. Jahrhunderts.
Viele Menschen wollen nicht abwarten, sondern selbst die Zukunft ihrer Stadt und der Verkehrsinfrastruktur mitgestalten.
Ein Grund, warum sich in jüngerer Zeit kommunale Bürgerbegehren häufen, ist sicherlich die Debatte um die Diesel-/Feinstaubbelastung in Innenstädten und allgemein der Klimaschutzgedanke.
Ein weiterer Grund ist eine Berliner Initiative. In der Hauptstadt wurden Radwege und die
Radinfrastruktur jahrelang vernachlässigt. Um dies zu ändern, gründete sich im März 2016 das
„Netzwerk Lebenswerte Stadt e.V.“. Er erarbeitete über mehrere Monate hinweg ein eigenes
Radgesetz, das mehrere Forderungen zur Verbesserung des Radverkehrs in Berlin bündelte.
2017 startete der Verein dann ein Volksbegehren mit dem Titel „Volksentscheid Fahrrad“.8 Der
Antrag auf Volksbegehren wurde im Juni 2016 mit 105.425 Unterschriften eingereicht. Er gelangte
jedoch nicht über die erste Stufe hinaus. Denn es kam zu einem Regierungswechsel und zu Verhandlungen mit der neuen Regierung und dem Parlament. Der Verein hatte Erfolg, das Parlament
verabschiedete im Juni 2018 ein eigenes Mobilitätsgesetz. Der Verein kommentiert dies wie folgt:
28. Juni 2018, 11:26 Uhr: Habemus Mobilitätsgesetz
8
https://volksentscheidfahrrad.de/de/chronikdes-volksentscheidfahrrad/
9
Quelle:
https://volksentscheidfahrrad.de/de/chronikdes-volksentscheidfahrrad.
10
vgl. https://nrw.mehrdemokratie.de/themen/
volksentscheid/archiv/
volksinitiativen/
volksinitiative-fahrrad/
32
„Das Berliner Abgeordnetenhaus beschließt mit Mehrheit der Regierungskoalition das Gesetz
zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mobilitätsgewährleistung, kurz MobiG. Damit
erlangen nicht nur ein Großteil der Forderungen des Radentscheid Gesetzeskraft, sondern es
wird die gesetzliche Grundlage für eine umfassende Verkehrswende in Berlin gelegt. Der
Radentscheid, der im November 2015 mit zehn Zielen gestartet war, hat in über zweieinhalb
Jahren mit 40.000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit ein beispielgebendes Gesetz erkämpft, das
den Vorrang für den gesamten Umweltverbund in Berlin dauerhaft sichert. Für die vielen Engagierten fängt nun eine neue Phase an: Die Umsetzung des Gesetzes muss weiter vorangetrieben
werden und dazu wird weiterhin die kritische Zivilgesellschaft benötigt.“9
Aus dem Verein ist das bundesweite Netzwerk „Changing Cities“ (https://changing-cities.org/) hervorgegangen. Dieses Netzwerk treibt nach eigenen Angaben die Verkehrswende „von unten“ voran.
Das Ziel: Mehr Radverkehr und mehr Sicherheit für Radfahrende. Es vernetzt Aktive und Interessierte,
die unter anderem dann lokale Bürgerbegehren (zum Beispiel in Bamberg, Darmstadt oder Frankfurt)
initiieren und auch Impulse für Flächenländer setzen, so zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, wo am
16. Juni 2018 eine unverbindliche Volkspetition „Aufbruch Fahrrad“ auf Landesebene gestartet wurde.10
In diesem Netzwerk wird Wissen und Kampagnen-Know-How generell und speziell zu Bürger- und
Volksbegehren generiert und verbreitet, was für kommunale Bürgerbegehren natürlich sehr wichtig ist.
www.mehr-demokratie.de | Bürgerbegehrensbericht 2018
SPEZIAL
6.2 Bürgerbegehren in Deutschland
Wie in den Auswertungen dieses Bürgerbegehrensberichts deutlich wurde, fanden 16,4 Prozent
aller Bürgerbegehren und Ratsreferenden in Deutschland zum Thema Verkehrspolitik statt. Zu beachten ist allerdings, dass gar nicht alle Bundesländer Bauleitplanung und Flächennutzungspläne
als Thema zulassen und somit viele Verkehrsthemen gar nicht Gegenstand eines Bürgerbegehrens
sein können. Mit bürgerfreundlicheren Regelungen in allen Bundesländern wäre der Anteil von
Verkehrs-Bürgerbegehren wahrscheinlich noch höher. Dabei umfassen kommunale Bürgerbegehren eine große Bandbreite innerhalb der Verkehrspolitik: Umgehungsstraßen, Brückenbauten,
Tunnel, Verkehrsberuhigung von Innenstädten oder auch die Gestaltung von Plätzen und Straßen.
In jüngerer Zeit kam es verstärkt zu Initiativen, die einen Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur
oder Verbesserungen des ÖPNVs fordern. Die folgende Tabelle listet diese Bürgerbegehren zu
umweltfreundlicher Verkehrspolitik auf, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben:
Tabelle 14: Bürgerbegehren zu umweltfreundlicher Verkehrspolitik
(Stand: 15.08.2018)
Nr. Ort
(Bundesland)
1
Dresden
Jahr der
Thema
Ergebnis/
Einleitung
und Link
Stand der Dinge
1998
(Sachsen)
„Hände weg von der
Positiv erledigt, die Stadt
Straßenbahn“ (für Erhalt)
übernahm das Bürgerbe
Fahrradfreundliches
Positiv erledigt,
Recklinghausen
die Stadt übernahm das
Für mehr und
Das Bürgerbegehren
gehren
2
Recklinghau
2000
sen (NRW)
Bürgerbegehren
3
Bielefeld
2005
(NRW)
breite Radwege
wurde wegen zu geringer
Resonanz nicht eingereicht
4
Cottbus
2009
(Brandenburg)
Für den Erhalt des
Unzulässig
kompletten Straßenbahnnetzes und
(Formfehler)
für Erstellung eines Gutachtens
5
Peiting
2013
(Bayern)
6
Ansbach
2015
(Bayern)
Für Verkehrsberuhigung
Im Bürgerentscheid
in der Ortsmitte
gescheitert
Gegen Kürzungen Im Bürgerentscheid unecht
beim ÖPNV (am Zustimmungsquorum)
gescheitert
7
München
2016
(Bayern)
„Sauba sog i“:
Positiv erledigt,
Für Verkehrswende / Ausbau
die Stadt übernahm 2017
umweltfreundlicher Verkehrsmittel
das Bürgerbegehren
www.luft-reinheitsgebot.de
8
Bamberg
2017
(Bayern)
9
München
2017
(Bayern)
„Radentscheid Bamberg“: Für Ver-
Positiv erledigt,
besserung der Radinfrastruktur,
die Stadt übernahm 2017
www.radentscheid-bamberg.de
das Bürgerbegehren
Für verstärkten Ausbau
Das Bürgerbegehren
des Radverkehrs
wurde nur angekündigt/
öffentlich diskutiert
10
Stuttgart
(Baden-Württ.)
2017
„Stuttgart laufd nai“ (schwer zu
Positiv erledigt,
übersetzen, d. Verf.) Für eine
die Stadt übernahm 2017
größere autofreie Zone in der
das Bürgerbegehren
Innenstadt
www.stuttgart-laufd-nai.de
33
SPEZIAL
Nr. Ort
(Bundesland)
11
Landshut
Jahr der
Thema
Ergebnis/
Einleitung
und Link
Stand der Dinge
2017
(Bayern)
„Mehr ÖPNV – gut gegen Stau
Im Bürgerentscheid
(Busse, Baby!)“: Für besseres
erfolgreich
Busnetz / den Ausbau des ÖPNV in
Landshut, www.bussebaby.de
12
Pähl
2017
(Bayern)
13
Darmstadt
2017
(Hessen)
Für Radweg entlang
Unzulässig, da keine
einer Staatsstraße
Kompetenz der Gemeinde
„Radentscheid Darmstadt“
Offen. Start: 2017. Im Juni
Für mehr Sicherheit
2018 vom Magistrat der
im Fuß- und Radverkehr
Stadt als unzulässig ein
www.radentscheid-darmstadt.de
geschätzt wegen unzurei
chendem Kostendeckungs
vorschlag, Entscheidung
des Kommunalparlaments
findet am 30.08.2018 statt.
Verhandlungen erscheinen
möglich.
14
Frankfurt
2018
(Hessen)
„Radentscheid Frankfurt“:
Offen.
Für Verbesserung
Das Bürgerbegehren
der Radinfrastruktur
wurde Anfang 2018
www.radentscheid-frankfurt.de
gestartet, am 26. Juni
2018 wurden mehr als
35.000 Unterschriften
eingereicht
(benötigt: 15.000).
15
Stuttgart
2018
(Baden-Württ.)
„Radentscheid Stuttgart“:
Offen.
Für Verbesserung
Start des Begehrens
der Radinfrastruktur
war im Juni 2018
www.radentscheid-stuttgart.de
16
Kassel
2018
(Hessen)
„Radentscheid Kassel“
Offen.
Für Verbesserung
Start des Begehrens
der Radinfrastruktur
war Ende Juli 2018
www.radentscheid-kassel.de
Quelle: Datenbank Bürgerbegehren.
Bei der Betrachtung der 16 Fälle ist folgendes bemerkenswert:
n
n
n
n
n
34
Von den 16 wurden zehn in den letzten Jahren seit 2016 initiiert.
Von diesen zehn befinden sich gleich drei Städte in Hessen (Frankfurt, Darmstadt, Kassel),
was auf einen höheren Vernetzungsgrad schließen lässt. Alle drei sowie das Stuttgarter Begehren verweisen auch jeweils auf die Berliner und Bamberger Erfolgsgeschichte und haben
denselben Titel „Radentscheid ...“.
Die beiden Städte Recklinghausen und Bielefeld in Nordrhein-Westfalen waren diesbezüglich
Pionierstädte und starteten bereits 2000 bzw. 2005 ein Bürgerbegehren.
Dass Stuttgart ein Begehren gestartet hat und in München eines diskutiert wurde, verwundert
nicht aufgrund der Luftqualität, der Feinstaub-Diskussionen und der Verkehrsprobleme in den
Landeshauptstädten.
Auch in anderen (Universitäts-)Städten in Baden-Württemberg sind Bürgerbegehren potenziell denkbar. Teilweise steht dort allerdings umweltfreundliche Verkehrspolitik schon länger
www.mehr-demokratie.de | Bürgerbegehrensbericht 2018
SPEZIAL
n
n
auf der Agenda der Kommunalpolitik – etwa in Karlsruhe (vgl. https://www.karlsruhe.de/b3/
verkehr/radverkehr/massnahmen.de) oder in Freiburg (vgl. https://www.freiburg.de/
pb/,Lde/372947.html)
Inwiefern andere Städte diese Impulse aufgreifen, muss sich zeigen. Die Voraussetzungen
hierfür sind unseres Erachtens jedoch gegeben.
Betrachtet man die Ergebnisse, so zeigt sich, dass die Politik sich offen gegenüber den Inhalten
zeigt: In fünf von 12 abgeschlossenen Verfahren (42 Prozent) übernahm der Gemeinderat das
Anliegen des Bürgerbegehrens, so dass es nicht zum Bürgerentscheid kam.
6.3 Literaturhinweise
Baier, Anne, Wie fahrradfreundlich sind Hessens Städte? In: Hessischer Rundfunk, HR Inforadio
vom 15. Juni 2018, https://www.hr-inforadio.de/programm/themen/wie-fahrradfreundlich-sindhessens-staedte,fahrradfreundliches-hessen-100.html (Zugriff 14.8.2018).
Breitinger, Matthias, „Die ganze Stadt ist auf das Auto ausgelegt“, Interview mit This Lucas
in: Die ZEIT vom 8. Juni 2018: https://www.zeit.de/mobilitaet/2018-06/stuttgart-thijs-lucasstrassenverkehr-radwege-verkehrsnetz-buergerentscheid (Zugriff 14.8.2018)
Changing Cities, Berlin: https://changing-cities.org/
Tomik, Stefan, Mehr Fahrrad wagen, in FAZ vom 17. Juni 2018, http://www.faz.net/aktuell/
politik/inland/verkehrswende-initiative-mehr-fahrrad-wagen-15644614.html (Zugriff 14.8.2018).
Volksentscheid Fahrrad, Leseempfehlungen: https://volksentscheid-fahrrad.de/de/
leseempfehlungen/ (Zugriff 14.8.2018).
35
FAZIT
7. Fazit und Ausblick
In den 1990er Jahren wurden Bürgerentscheide in fast allen Bundesländern neu eingeführt. Damals wurden die direktdemokratischen Instrumente sehr misstrauisch beäugt, Kritiker/innen
sahen die repräsentative Demokratie in Gefahr. Dieses Misstrauen schlug sich oft in hohen Unterschriften- und Zustimmungsquoren und restriktiven Themenausschlusskatalogen nieder, die
eine nennenswerte Praxis verhinderten.
Dieses Misstrauen ist im Jahr 2017 nach fast 6.300 Bürgerbegehren und 1.300 Ratsreferenden
zwar noch vereinzelt vorhanden, doch insgesamt einer realistischeren Einschätzung der angeblichen „Gefahren“ von Bürgerentscheiden gewichen. Vielmehr kommen in der Praxis die Chancen
zur Belebung der Demokratie ans Tageslicht.
Alle Parteien in Deutschland schätzen inzwischen Bürgerbegehren und Bürgerentscheide als
sinnvolles Mittel, um die Kommunalpolitik zu beleben und die Bürger/innen stärker an politischen
Sachentscheidungen zu beteiligen. Zunehmend werden weitere Vorteile von Bürgerentscheiden
sichtbar: Insbesondere eine hohe Akzeptanz und Legitimation von politischen Entscheidungen,
mehr und sachlichere Informationen und Diskussionen sowie die Suche und die Abwägung von
konkreten Politik-Alternativen sind hier zu nennen. Auch, dass Themen, die von der etablierten
Politik vernachlässigt werden, auf die politische Agenda gesetzt werden können, ist ein großer
Vorteil der Bürgerbegehren. Am Beispiel von Radverkehrs-Bürgerbegehren haben wir gesehen,
wie die Agenda beeinflusst werden kann. Bürger/innen konnten darauf aufmerksam, dass aus ihrer
Sicht mehr für die Radinfrastruktur getan werden muss. Zugleich haben wir – etwa in Bamberg
beim Thema Radverkehr – gesehen, dass die Kommunalpolitik diese Impulse auch aufgreift, den
Dialog mit den Initiator/innen sucht und die Inhalte von Bürgerbegehren übernimmt.
Inzwischen haben sich die Diskussionen um Bürgerbegehren und Bürgerentscheide verlagert.
Es geht längst nicht mehr um das „Ob“, sondern um das „Wie“ und um das „Wieviel“ an direkter
Mitbestimmung.
7.1 Regelungen werden zunehmend bürgerfreundlich
Nach dem anfänglichen Misstrauen wurden nach und nach – nicht in allen Bundesländern – die
Regelungen bürger- und anwendungsfreundlicher ausgestaltet. In den letzten Jahren sind hier besonders die teilweise weitreichenden Reformen in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und
Thüringen hervorzuheben. Andere Länder wie etwa Rheinland-Pfalz reformierten zwar auch,
jedoch zögerlicher. An einigen wichtigen Verfahrenselementen soll der Wandel verdeutlicht werden.
Themenausschluss
In immer mehr Ländern ist die Bauleitplanung ganz oder teilweise zulässig. Nur noch sechs
Länder – Niedersachsen, Saarland, Rheinland-Pfalz, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern
und Sachsen-Anhalt – verweigern ihren Bürger/innen die direkte Mitentscheidung bei diesen
zentralen kommunalpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten.
Beispiel Schleswig-Holstein: Seit 2013 sind Bürgerbegehren zur Bauleitplanung teilweise zulässig.
Mehrere Bürgerentscheide – etwa in der Landeshauptstadt Kiel – fanden seitdem statt.
Unterschriftenquorum und Fristen beim Bürgerbegehren
Die Unterschriftenquoren werden gesenkt, die Fristen für Korrekturbegehren wurden verlängert
oder abgeschafft.
Beispiel Baden-Württemberg: Ende 2015 wurde das Unterschriftenquorum in den meisten Gemeinden von zehn auf sieben Prozent gesenkt und die Frist für Korrekturbegehren wurde von
sechs Wochen auf drei Monate verlängert.
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FAZIT
Zustimmungsquorum beim Bürgerentscheid
Galten einst fast überall Zustimmungsquoren von 25 Prozent und mehr, sind solche hohen Hürden nur noch vereinzelt anzutreffen: Das Saarland sieht als einziges Land noch 30 Prozent vor,
25 Prozent gelten nur noch drei Ländern – in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und
Sachsen.
Beispiel Rheinland-Pfalz: Das beim Thema Bauleitplanung zögerliche Rheinland-Pfalz setzte
mit der Reform 2016 neue Standards für Flächenländer mit anwendungsfreundlichen 15 Prozent
für alle Städte und Gemeinden.
Kostendeckungsvorschlag
Nur noch fünf Bundesländer fordern von Bürgerbegehren einen Kostendeckungsvorschlag:
Baden-Württemberg, Bremen (Stadt Bremen sowie Stadt Bremerhaven), Hessen, das Saarland
und Sachsen. In Thüringen gilt dieser nur bei Bürgerbegehren zur Höhe von Abgaben als verpflichtend. Noch vor einigen Jahren forderten diesen Kostendeckungsvorschlag fast alle Länder
und war – wie wir gesehen haben – mindestens 264 Mal für die Unzulässigkeit eines Begehrens
verantwortlich. Wo der Kostendeckungsvorschlag nicht gänzlich wegfiel, wurde er durch eine
Kostenschätzung der Verwaltung ersetzt.
Beispiel Rheinland-Pfalz und Niedersachsen: Niedersachsen schaffte den Kostendeckungsvorschlag mit guter Begründung 2016 ab, Rheinland-Pfalz reformierte wie folgt: Eine amtliche
Kostenschätzung ersetzt den Kostendeckungsvorschlag, diese Kostenschätzung muss jedoch erst
vor dem Bürgerentscheid erstellt und kommuniziert werden.
Mit beiden Varianten vermeidet man Probleme wie etwa in Nordrhein-Westfalen, wo die
amtliche Kostenschätzung bereits auf der Unterschriftenliste des Bürgerbegehrens enthalten
sein muss. Dies führte zu Verzögerungen sowie zu Klagen vor Gerichten, welche die amtliche
Kostenschätzung als fehlerhaft beurteilten.11
7.2 Praxis in den Bundesländern wächst, Kluft zwischen einzelnen Ländern bleibt
Der vorliegende Bericht zeigt, wie viele Verfahren zu welchen Themen und mit welchem Ergebnis
es in allen Bundesländern gab. Bis Ende 2017 zählten wir 7.503 Verfahren, davon 6.261 Bürgerbegehren und 1.242 Ratsreferenden. Pro Jahr kommen etwa 250 – 320 Verfahren hinzu. Dies belegt,
dass die Bürger/innen großes Interesse an direkter Mitbestimmung zwischen den Wahlen haben.
Der Bericht weist auch nach, dass es sehr große Unterschiede zwischen den Bundesländern
gibt: In Bayern, Nordrhein-Westfalen und den drei Stadtstaaten sind direktdemokratische Verfahren schneller bekannt geworden und wurden häufiger genutzt als in anderen Bundesländern.
In anderen Ländern wie im Saarland, in Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern sind
Bürgerbegehren jedoch noch Ausnahmeerscheinungen und wenig bekannt.
Innerhalb der Flächenländer ereignen sich Bürgerbegehren in kleineren Gemeinden seltener
als in größeren Städten. Vereinzelt kann man inzwischen schon von einer größeren Bekanntheit
des Instruments sprechen. Der Bericht wies zum Beispiel für zehn bayerische Städte mehr als 16
Verfahren in 23 Jahren Praxis nach.
11
vgl. Mehr Demokratie,
Landesverband Nord
rhein-Westfalen,
https://nrw.mehrdemokratie.de/themen/
buergerentscheid/
was-wir-wollen/
kostenschaetzung
37
FAZIT
7.3 Fazit
Insgesamt haben Bürgerbegehren und -entscheide Kommunalpolitik verändert und belebt.
Da Bürgerbegehren themenzentrierte Beteiligungsverfahren sind, steht stets ein Sachthema –
wie etwa die innerstädtische Radverkehrsinfrastruktur / Verkehrspolitik – im Vordergrund der
Politik. In Zeiten, wo viele Bürger/innen Politik als Bereich wahrnehmen, in dem es besonders
oft um Personen, Machtspiele innerhalb von Parteien, Posten und persönliche Befindlichkeiten
von Ministerpräsident/innen oder Bürgermeister/innen geht, ist die Erfahrung, über Sachthemen
gründlich zu diskutieren, besonders bedeutsam.
Bürgerbegehren und Bürgerentscheide bieten die große Chance, sich über das Thema umfassend zu informieren, dabei zu lernen und vor allem auch Sach-Politik in der Familie, im
Freundes- und Kollegenkreis, ja sogar auf öffentlichen Plätzen bei Informationsveranstaltungen
zu diskutieren. In Zeiten, wo Facebook & Co an Einfluss gewinnen, zum Konsum und raschem
Klicken verleiten, ist diese Erfahrung, sich Zeit für ein Thema zu nehmen, dieses gründlicher
zu überdenken und mit einem realen Gegenüber (face-to-face) über das Thema des kommenden
Bürgerentscheids zu diskutieren und Argumente auszutauschen, besonders bedeutsam.
Bürgerbegehren und Bürgerentscheide sind Instrumente zur Selbstermächtigung. Bürger/innen
werden von Zuschauern zu Akteuren der Lokalpolitik. Wer sich bis dahin oft ohnmächtig fühlte,
kann durch die direkte Demokratie die eigene Macht zur Veränderung spüren. Es entscheiden
nicht mehr „die da oben“, sondern alle Menschen, die ihren Namen unter eine Unterschriftenliste
setzen und ihre Stimme in die Abstimmungsurne werfen. Politiker/innen und Verwaltungen sind
angehalten, für ihre Entscheidungen zu werben, denn sie müssen nicht mehr nur in den Räten
um Mehrheiten kämpfen. Nicht selten lassen sich Räte auch von Bürgerbegehren überzeugen und
ändern ihre Haltung zu einer politischen Frage. Oder Wähler und Gewählte handeln nach einem
Bürgerbegehren einen Kompromiss aus und tragen diesen gemeinsam. Die stärkt die Identifikation
mit unserer Demokratie und dient damit dem Gemeinwohl.
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www.mehr-demokratie.de | Bürgerbegehrensbericht 2018
LITERATUR
Literatur und Links
Arbeitskreis Bürgerbegehren von Mehr Demokratie e.V. (2016): Positionspapier Nr. 12,
Themenausschlüsse bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden, Berlin 2016:
www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/Positionen12_Themenausschluesse_
Buergerbegehren_Buergerentscheid.pdf (Zugriff 25.7.2018)
Arbeitskreis Bürgerbegehren von Mehr Demokratie e.V. (2018), Positionspapier Nr. 13,
Bürgerbegehren und Bürgerentscheide anwendungsfreundlich regeln und handhaben,
Berlin 2018: www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/Positionen13_Anwendungsfreundliche_
Buergerbegehren_und_Buergerentscheide.pdf (Zugriff am 29.7.2018)
Datenbank Bürgerbegehren
https://www.mehr-demokratie.de/nc/themen/buergerbegehren-in-den-kommunen/
datenbank-buergerbegehren/
www.datenbank-buergerbegehren.info
Mehr Demokratie e.V. (2014): Bürgerbegehrensbericht 2014, Berlin 2014:
www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/bb-bericht2014.pdf (Zugriff am 14.7.2018)
Mehr Demokratie e.V. (2016a): Bürgerbegehrensbericht 2016, Berlin 2016:
www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/2016-06-16_BB-Bericht2016.pdf
(Zugriff am 14.7.2018)
Mehr Demokratie e.V. (2016b): Volksentscheids-Ranking 2016, Berlin 2016:
www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/volksentscheids-ranking_2016.pdf
(Zugriff am 14.7.2018).
Moeckli, Silvano (2013): Direkte Demokratie. Spieler, Spielverläufe, Spielergebnisse,
Zürich/Chur 2013 (Reihe: Kompaktwissen CH, Band 19).
Serdült, Uwe (2013): Partizipation als Norm und Artefakt in der schweizerischen Abstimmungsdemokratie – Entmystifizierung der durchschnittlichen Stimmbeteiligung anhand
von Stimmregisterdaten aus der Stadt St. Gallen, in: Good, Andrea Good/Bettina Platipodis
(Hrsg.): Direkte Demokratie: Herausforderungen zwischen Politik und Recht. Festschrift für
Andreas Auer zum 65. Geburtstag, Bern, 2013, S. 41–50.
[ ] Ja, ich werde Mitglied bei Mehr Demokratie e.V.
Ich zahle einen jährlichen Beitrag von _____ EUR
(Einzelbeitrag 78 EUR, ermäßigt 30 EUR)
[ ] Ja, ich erteile ein SEPA-Lastschriftmandat
Ich ermächtige Mehr Demokratie e.V. bis auf Widerruf, Zahlungen von meinem Konto mittels Last
schrift einzuziehen. Zugleich weise ich mein Kreditinstitut an, die von Mehr Demokratie e.V. auf
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[ ] 1/2jährlich
[ ] jährlich
Ort, Mitgliedsbeiträge
Datum, Unterschrift
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Der Einzug erfolgt:
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an Mehr
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hörde, sollten Sie den Eindruck haben, Ihre Daten werden unrechtmäßig genutzt.
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