66 DIE WICHTIGSTEN MOMENTE DES CHRISTLICHEN GLAUBENS
und um der Vielheit willen, der ganzen Menschheit, verwirklichte
sich die höchste und letzte Erwählung in einem Einzelnen. In Christo
ist die ganze Menschheit erwählt; des Menschen Sohn ist gekommen,
zu retten das Verlorne, zu dienen und sein Leben zu geben für
viele; sein Evangelium soll in der ganzen Welt verkündet werden; viele
werden kommen vom Aufgang und Niedergang; die Engel werden
die Auserwählten sammeln von den vier Winden. Die Aufforderung,
alle Völker zu belehren, stellt auch die Nichtgetauften schon in ein
Verhältnis zum Reiche Gottes; denn sie alle, die zur Bekehrung be
stimmten. stehen in einem, wenn auch historisch noch nicht begrün
deten, so doch ideellen Zusammenhänge mit den zur Belehrung Be
rufenen und dem, von dem diese Berufung ausgeht. Wie die römische
Kirche alle Getauften in ein Verhältnis zu sich stellt, so geht der
ideale Begriff des Reiches Gottes Uber die Gemeinschaft der Getauften
hinaus zur geistigen Gemeinschaft der gesammten Menschheit, für
deren Eingliederung in das historisch verwirklichte Gottesreich die Taufe
zwar die Vermittelung bildet, deren Endziel aber, das unsichtbare
Reich Gottes, notwendig wieder in das ideale Gebiet zurückfuhrt,
aus dem der Begriff des Reiches Gottes stammt. Die historische
Verwirklichung des Begriffes in der sichtbaren Gemeinschaft der Ge
tauften kann daher für das Verhältnis der Menschheit im Ganzen zu
Christo nur insofern massgebend sein, als der Einfluss des Geistes
Christi, der von der unsichtbaren Gemeinschaft als dem Kerne der
sichtbaren ausgeht, durch das reine Wort Christi sich fähig erweist,
die zeitlichen und örtlichen Beschränkungen des historischen Begriffes
zu durchbrechen und einen Geist der echten Humanität zu entfalten,
in dem das Band der historisch ausserchristlichen Welt durch die
sichtbare Kirche mit der ideal innerchristlichen Welt geknüpft ist.
Das Volk, in dem die historische Verwirklichung des Christentums
begonnen hat, ist zugleich das letzte, in dem sie enden soll, nach dem
Worte Christi: „Die Ersten werden die Letzten sein.“ Das Ver
hältnis der Heidenvölker zu der historischen Verwirklichung des
Reiches Christi in der ersten Gemeinde zu Jerusalem hing also von
der Fähigkeit des christlichen Geistes ab, die zeitlichen und örtlichen
Schranken der ersten Erscheinung zu durchbrechen, und wie sich so
der ideale Begriff des Reiches Gottes in einer Mehrheit von Völkern
in erweiterter Weise einheitlich bestimmt hat, so muss er, in stetig
erneuter Durchbrechung historischer Formen, sich in der möglich
grössten Mannigfaltigkeit von Erscheinungsgruppen zum Begriff der in
Christo geeinten idealen Menschheit erheben, wobei sich stetig die Er
scheinung wiederholt, dass die Ersten die Letzten werden, im Verhältnis
zu ihrer geschichtlichen Berufung. Wenn die Fülle der Heiden ein