56 DIR WICHTIGSTEN MOMENTE DES CHRISTLICHEN GLAUBENS
hat. Auf dem Standpunkte des gelösten Zwiespaltes, des Einheitsbe
wusstseins Christi wird die göttliche Bestimmtheit des Menschen zu
seiner durch Leiden und Sünde hindurch sich verwirklichenden Ver
herrlichung zur freien Selbstbestimmung für den Kampf mit den
Leiden und der Sünde. Je mehr in dem Einheitsbewusstsein Leiden
und Sünde im Prinzip überwunden sind, um so mehr wird das Ge
fühl sowohl für die eigenen Leiden und Reizungen geschärft, die als
Objekt des weltüberwindenden Glaubens nie im Leben ausbleiben,
als auch entfaltet der Glaube Christi in uns die ihm ureigne Richtung
auf die Teilnahme an den Leiden und Irrungen der menschlichen
Gesellschaft. Die Weltflüchtigkeit liegt dem Glauben Christi in dem
Gläubigen fern, vielmehr fühlt er eine heilige Sympathie mit der lei
denden Menschheit und eine freudige Bereitwilligkeit, für die sündige
Menschheit sich im Liebesdienst zu opfern, auf dass im fortschreitenden
Siege des Welt und Tod übenvindenden Glaubens die Erwählung der
Menschheit und die Verherrlichung der Gottheit sich erfülle. Wie
Christus Leiden und Sünde der Welt getragen hat, so sind auch die
Gläubigen Kreuzträger, nach dem Worte Christi: „Wer mir nach-
folgen will, der nehme mein Kreuz auf sich!“ Das Bewusstsein, in
Leiden frei zu sein von Leiden, mitten im Verkehr mit der sündigen
W 7 elt ausgestattet zu sein mit der Macht über die Sünde, das Be
wusstsein, im Besitze des wahren Lebens in Gott stets fähig zu sein,
das irdische Leben für den Sieg der Wahrheit einzusetzen, das sind
die Selbstbetätigungen des Glaubens Christi in uns, der da sagt:
„Wer sein Leben findet, der wird es verlieren, und wer sein Leben
verliert um meinetwillen, der wird es finden“ und dann: „Wer sein
Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben
verliert um meinetwillen, der wird es finden.“ So bewährt sich der
Glaube Christi in dem einzelnen Menschen in der sittlichen Kraft
gegenüber den Gütern dieser W r elt, die ihn im Genuss derselben frei
macht von der Herrschaft des Genusses, die ihm in der Fähigkeit der
Entsagung die Herrschaft Uber die Welt giebt. Das Gebet aus diesem
Glauben ist seiner Erhörung gewiss, da die Erfüllung desselben von
demselben Faktor abhängig ist, aus dem der Glaube des Betenden
hervorgeht, d. h. aus der Selbstoffenbarung des göttlichen Geistes im
menschlichen und durch den menschlichen. Was der Mensch bittet
im Glauben, d. h. aus dem in seinem Selbstbewusstsein sich bethäti-
genden göttlichen Geiste, das muss sich notwendig durch dieselbe
göttliche ßethätigung in seinem Handeln erfüllen. Wenn sich die
Gebete des Menschen nicht durch entsprechende Handlungen desselben
erfüllen, so ist das ein Beweis mangelnden Glaubens, ein Zeichen,
dass das religiöse Bewusstsein sich seines Zieles nicht klar bewusst