DEMO - ONLINE.DE
DEMO
73. JG | A02125
EINZELPREIS 10,00 €
11/12 2021
VO R WÄ R T S - KO M M U N A L ■ DA S S OZ I A L D EM O K R AT I S C H E M AG A Z I N F Ü R KO M M U N A L P O L I T I K
KIRCHE UND KOMMUNEN
Gemeinden,
die sich brauchen
FOTO: THORSTEN SCHNORRBUSCH
Wie Glaubensgemeinschaften und Staat für das
Gemeinwohl miteinander kooperieren
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Globale Entwicklungsziele kommunal umsetzen
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Die 17 globalen Entwicklungsziele der Agenda 2030 bieten Anlass und unzählige
Möglichkeiten, eine lebenswerte und zukunftsfähige Kommune für kommende
Generationen zu gestalten. Die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt unterstützt Landkreise, Städte und Gemeinden auf diesem Weg.
Wir beraten Sie . Telefon: 0228 20 717-2670 . www.kommunal-global-engagiert.de
mit ihrer
INHALT 3
11-12/2021 DEMO
2
Ab 202 italer
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Aktuell
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DIE NE le Politik
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Kommu Fokus
im
Titel
Kirche und Kommune
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6
Liebe Leserin, lieber Leser,
FOTOS: DIRK BLEICKER, LANDESHAUPTSTADT MAINZ ; HARALD LACHMANN; XANDER HEINL /PHOTOTHEK.DE; UTE GRABOWSKY/PHOTOTHEK.NET
das Jahr 2021 neigt sich dem Ende zu und wir
hoffen alle sehr auf ein neues, leichteres und
lebensfreudigeres Jahr. Auf ein Jahr, in dem uns
die Corona-Pandemie deutlich weniger belastet
und wir von Katastrophen wie die im Ahrtal und
in NRW verschont bleiben.
Neues macht Hoffnung. Verlässliches sollte man
wahren und weiterentwickeln. Und das wollen
wir von der DEMO im nächsten Jahr auch tun.
Wir wollen Neues wagen und auf Verlässliches
setzen, um das Sprachrohr sozialdemokratischer
Kommunalpolitik in eine gute und wirtschaftlich
tragfähige Zukunft zu führen. In konstruktivem
Austausch mit den SGKen haben wir ein neues
Konzept entwickelt: Mit einer stärkeren digitalen
Ausrichtung, einer viermal im Jahr erscheinenden
Print-DEMO, die jede und jeder abonnieren
kann und einer stärkeren Vernetzung kommunal
Aktiver und Interessierter erhalten die DEMO und
die Kommunalpolitik in der SPD mehr Sichtbarkeit
und Reichweite.
Es ist der Wunsch des Treuhänders und des
vorwärts-Verlags, die kommunalpolitische Arbeit
von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
stärker aufzuwerten. Deswegen wird neben der
DEMO und ihren verschiedenen Aktivitäten auch
dreimal im Jahr eine kommunale Beilage im „vorwärts“ erscheinen. Auch dort können sich unsere
Kommunalen einbringen. Denn, wie sagte schon
Franz Müntefering: „Die Kommunalpolitik ist nicht
das Kellergeschoss unserer Demokratie, sondern
ihr Fundament.“ Wir wollen dieses stärken und
dazu beitragen, es vor Unwetter zu schützen.
Ihnen und Euch wünsche ich erholsame Feiertage.
Mögen wir uns alle hinreichend geschützt haben,
um die Weihnachtstage und das neue Jahr
gesund und vital zu erleben und andere treffen
zu können. Ich hoffe und freue mich darauf, dass
auch wir uns im neuen Jahr wieder persönlich
begegnen können. Tun wir das Unsrige dafür und
freuen uns auf die ruhige und besinnliche Zeit
im Jahr, während der die Kirchen und Kommunen
– wie auch im Heft zu lesen ist – bestens ineinandergreifen.
Karin Nink, Chefredakteurin
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„Kooperativ ist nach wie vor das richtige Leitbild“ | Interview mit Michael Ebling, Mainzer
Oberbürgermeister
Zusammen für eine bessere Welt | Das Ehrenamtsbüro MEM in Mainz ist ein Beispiel für die Partnerschaft
von Kommunen und kirchlichen Sozialdiensten
Kirchen und Kommune | Gemeinsam für die Menschen aktiv
Die Kita in der Kirche | Die Bethlehem-Kirche in Hamburg sollte abgerissen werden – nun ist dort eine Kita.
Gemeinsam handeln | Kirchen und Kommunen tun sich zusammen, um dörfliche Infrastrukturen zu erhalten
Neues Leben für alte Gotteshäuser | Immer mehr Kirchen werden entwidmet oder profaniert
Philharmonie in der ehemaligen Barockkirche | Neues Konzerthaus Liebfrauen in Wernigerode
Kirchen werden zu Beratungsstätten | In Mannheim werden Kirchengebäude unterschiedlich genutzt
Religiöse Wahrzeichen | Kirchen prägen vielerorts das Stadtbild. Tourismus und Kulturleben profitieren
Was Krefeld glaubt | Die „Krefelder Erklärung“ zum interreligiösen Zusammenleben zeugt von Toleranz
Deutsche Friedhofskultur weltweit einzigartig | Kommunale und konfessionelle Friedhofsträger kooperieren
Leipzigs jüdisches Leben blüht wieder auf | Die Israelitische Gemeinde zu Leipzig ist die größte im Osten
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Blickpunkt
Koalitionsvertrag
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Fahrplan für den Fortschritt | Was die Ampel im Koalitionsvertrag für Kommunen ausgehandelt hat
Bezahlbar wohnen, klimagerecht gestalten, Lebensqualität sichern | Kommunen werden mitgedacht
Report
Kommunale Dienstleistungen
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Die Stadt der Zukunft aus Sicht der Bürger | Bertelsmann-Stiftung: Befragung zu Zukunftsvisionen
Luftreinigung für Schulen ist wichtige Corona-Maßnahme | Fachmesse zum Infektionsschutz in Erfurt
Auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045 | Warum die Energiewende auch eine Wärmewende werden muss
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News | Drei Fragen an Frank Baranowski zum Koalitionsvertrag
Bundes-SGK | 18. ordentliche Delegiertenversammlung der Bundes-SGK
Klimaschutz und Nachhaltigkeit | Vorreiter im Klimaschutz – Auszeichnung „Klimaaktive Kommune 2021”
Bücher | Wahlen | Termine
Das Letzte | Weihnachtsgruß | Impressum
4 TITEL
DEMO 11-12/2021
„Kooperativ ist nach wie vor
das richtige Leitbild“
Michael Ebling, Oberbürgermeister von Mainz, lobt die Zusammenarbeit der
Kommunen mit den großen christlichen Kirchen im sozialen Bereich als „sehr
kooperativ“, bedauert aber, dass vermehrt Kitas oder Schulen aufgegeben werden
Interview Karin Nink, Karin Billanitsch
Kirche und
Religion in den
Kommunen
ZUR PERSON
Michael Ebling, 1967 in MainzMombach geboren, trat bereits
1983 in die SPD ein. Nach
einem Jurastudium war er
u. a. als Grundsatzreferent im
Ministerium für Wissenschaft,
Weiterbildung, Forschung und
Kultur von Rheinland-Pfalz beschäftigt.
Von 1994 bis 2002 war Ebling
Mitglied im Stadtrat in Mainz
und im Fraktionsvorstand.
2008 stieg der Jurist zum Vorsitzenden der Mainzer SPD auf.
2002 rückte er als hauptamtlicher Beigeordneter der Stadt
Mainz für Soziales, Jugend,
Gesundheit und Wohnen auf
die Position seiner Vorgängerin Malu Dreyer, die in das
rheinland-pfälzische Kabinett
gewechselt war. Im März 2012
gewann er die Wahlen zum
Oberbürgermeister von Mainz,
in einer Stichwahl im November 2019 wurde er wiedergewählt. Er ist seit Januar
2016 ehrenamtlicher Präsident
des VKU und seit 2013 stellvertretender Vorsitzender der
Bundes-SGK. Im Januar stellt
er sich der Wahl zum SGK-Vorsitzenden. (KB)
Der Mainzer Dom prägt das Stadtbild. Wie viel Einfluss hat er auf
Kommunalpolitik?
Der prägende Eindruck ist richtig. Interessanterweise hat in der Vergangenheit dieser dafür gesorgt, dass man annahm, dass
die katholische Kirche die Stadt insgesamt
stärker geprägt habe. Fakt ist aber, dass
die Mainzerinnen und Mainzer, die in der
evangelischen Kirche sind, fast genauso
zahlreich sind wie in der katholischen –
auch schon in der Vergangenheit. Das nähert sich jetzt im Moment sogar deutlicher
an. Insofern ist der Dom ein gutes Beispiel, dass so ein dominantes Bauwerk
auch einen Machtanspruch repräsentieren kann, der vielleicht de facto gar nicht
so sehr der Realität entspricht oder entsprach. Ich erlebe die katholische Kirche
auch in Mainz à la Präsenz – Dom, viele
Liegenschaften, private Schulen – trotzdem eher verunsichert. Auch der neue
Bischof Kohlgraf ist keiner, der in prägenden Rollen nach außen tritt, sondern eher
sehr stark darum bemüht ist, nach innen
zu wirken und Reformen zu erklären.
Die Folge ist auch, dass Gebäude nicht
renoviert oder verkauft werden und vieles andere mehr.
Schulen, Kitas, Krankenhäuser – ein
großer sozialer Bereich wird von den
christlichen Kirchen übernommen.
Wie kooperativ ist die Zusammenarbeit?
Meine Erfahrung ist eher eine sehr
kooperative. Ich erlebe z. B. einen katholischen Träger, die Caritas, auch als innovationsfähig in Bezug auf die soziale Arbeit.
Kooperativ ist nach wie vor das richtige
Leitbild. Wir spüren auch, dass diese
Geschäftsfelder – die sozialen Arbeitsfelder, Kitas – natürlich unter einem ungeheuren finanziellen Druck stehen.
Woran macht sich das fest?
Zum Beispiel darin, dass die Träger
natürlich versuchen, die sich auftuenden
finanziellen Lücken der Eigenfinanzierung
durch erhöhte Zuschüsse kompensieren
zu wollen – bis hin zu aus meiner Sicht
sehr unglücklichen Entscheidungen, sich
im Felde der Elementarpädagogik zurückzuziehen. Mit der Folge, dass Einrichtungen wie Kitas und Schulen wirklich vor
der Schließung stehen.
Kann man das als Kommunalpolitiker, als Bürgermeister nachvollziehen? Die katholische Kirche als
solche ist ja reich ohne Ende.
Ich will der katholischen Kirche da keine
Tipps geben. Ich versuche aber dort, wo
ich Mitglied bin und aus Überzeugung
Beitrag zahle, nämlich in der evangelischen Kirche, schon auch zu vermitteln.
Einen Rückzug aus dem Bereich der Kitas
kann ich nicht verstehen. Das ist das Wesen von Gemeindearbeit, wie ich es kennengelernt habe, und deswegen bin ich
heute noch in meiner Mainz-MombachKirchengemeinde, wo ich getauft und
konfirmiert wurde.
Ein Rückzug aus der Arbeit mit den
Kindern, wie es in Deutschland organisiert ist über die Elementarpädagogik,
die Kindertagesstätten, finde ich nicht
verständlich, weil ich damit natürlich auch
den Kontakt zu den Familien verliere.
Dann lässt die Bindekraft von Kirchengemeinden noch schneller nach, als wir das
ohnehin in diesen Zeiten haben, in denen
generell erkennbar ist, dass große Organisationen – dazu gehören die Kirchen,
aber auch Gewerkschaften und Parteien
– an Bindekraft verlieren.
Setzen Kommunen auf die Kooperation mit den Kirchen?
Ja. Zum einen, weil sonst das Jugendamt,
der Jugendhilfeträger vor Ort derjenige
ist, der für den Rechtsanspruch geradezustehen hat. Zum anderen denke ich
schon, dass das auch immer ein Ausdruck
von Vielfalt im politischen Sinne ist. Eltern
können dann auch in begrenztem Umfang
Angebote wählen. Eine kommunale Kita
darf auch anders sein als eine konfessionelle. Und umgekehrt, eine konfessionelle
tut auch andere Dinge. Insofern würde ich
das unterm Strich eher als eine Bereicherung empfinden in Bezug auf die Kitas.
Durch die Zuwanderung in den letzten 50, 60 Jahren ist auch die religiöse Vielfalt in den Kommunen deutlich
gewachsen. Wo liegen da die Herausforderungen?
Die Herausforderung liegt darin, dass
ein vielfältiges Bild in der Kommune viel
selbstverständlicher sein müsste, dass es
etwa auch Angebote von einem islamischen Kulturverein gibt. Aber wir sehen
natürlich, dass es diese Verfasstheit nicht
immer gibt auf der Seite der Religionen,
etwa des Islam, während katholische,
evangelische oder andere Kirchen auch
in kleinerem Umfang organisiert sind. Es
gibt ein Dekanat, es gibt Ansprechpersonen. Es ist möglich, Vertragsverhandlungen über Investitionen zu führen und verlässlich abzuschließen. Dort, wo islamischer Glaube gelebt wird, geschieht das
nach Gemeinden sehr unterschiedlich.
Deswegen hat es z. B. auch bei uns nur
einmal eine Situation gegeben, dass eine
Kulturgemeinde sagte: „Wir wollen auch
im Bereich der Kindertagesstätte ein Angebot machen.“ Das ist bedauerlich wenig. Das Angebot ging dann leider auch
richtig schief, das Jugendamt musste die
Betriebserlaubnis zurückziehen.
Da die Religion der größten Zuwanderergruppe nicht so organisiert ist wie
die katholische oder evangelische Kirche. – Wie können Kommunen dann
vertrauenswürdige Träger finden?
Die Frage gilt für Kitas und Schulen. Wie
sieht es etwa mit einem Angebot von
muslimischem Religionsunterricht aus?
TITEL 5
11-12/2021 DEMO
FOTOS: WOLFGANG PEHLEMANN CC BY-SA 3.0 DE VIA WIKIMEDIA COOMONS; STADT MAINZ
Das ist ähnlich schwierig. Ich glaube, solange wir im staatlichen Kanon des Angebots nicht ein solches Bedürfnis auch mitdenken können, umso mehr befördern
wir, dass es dann in den eigenen Milieus
stattfindet.
Das ist nicht per se falsch und nicht
verboten. Aber natürlich ist es dann nicht
auf Dialog ausgerichtet, sondern dann
findet eben der Unterricht – im Sinne, wir
lesen den Koran zusammen – ausschließlich in der Gemeinde statt. Wie viel schöner wäre es, wenn es für uns alle sichtbar
– und damit auch im positiven Sinne der
Auseinandersetzung zugänglich – in der
Schule stattfinden würde. Oder es ein
Angebot auch im Bereich der Kita-Vielfalt
geben würde. Dort gehen auch andere
Eltern hin, so wie in katholischen und
evangelischen Kitas ja auch, weil die Kita
wohnortnah oder schön ist oder weil die
Leitung sehr engagiert ist. Das sind ja die
Botschaften, die ankommen. Ich glaube,
das wäre für eine gelingende Integration
sehr förderlich.
Wie verhält sich Ihre Kommune,
wenn Beerdigungsrituale ganz andere sind als bei uns? Zum Beispiel
im Hinduismus.
Diese kulturelle Sensibilität müssen wir
uns bewahren. Bei den Beerdigungsriten
haben wir ein Angebot zum Beispiel für
Muslime, auch mit einer eigenen Trauerhalle, die die Voraussetzung für den rituellen Akt der Beerdigung mit den religiösen
Ritualen ermöglicht, bis hin auch zu den
Beerdigungsritualen. Es wird ja anders
beerdigt, nicht mit „Erdmöbeln“, wie wir
es kennen. Zur Kultursensibilität gehört
auch, dass wir, wenn jemand aus anderen religiösen Motiven heraus anfragt, so
etwas natürlich berücksichtigen wollen.
Um mal die positivere Seite des kommunalen Lebens unter diesem Aspekt mit
Blick auf die Lebenden zu schildern: Seit
vielen Jahren sprechen wir mit Pflegediensten über das Thema kultursensible
Pflege und haben auch schon entsprechende Pilotprojekte aufgesetzt. Das hat
am Ende dazu geführt, dass ansässige
Pflegebetriebe das als ein besonderes
eigenes Profil ansehen. Es kommen jetzt
weitere Generationen in das Alter, wo
mobile häusliche Pflege nötig wird und
die Großfamilien funktionieren nicht mehr
so, wie man es sich gewünscht hätte. Ich
finde da müssen Kommunen im Sinne der
Weltoffenheit in der Lage sein, so etwas
zu fördern oder die entsprechenden Netzwerke an den Tisch zu bringen.
Mainz hat mit Speyer und Worms
zusammen das „erste jüdische Welt-
erbe in Deutschland“. Was bedeutet
das für diese Städte des SchUM-Verbundes, für die Region auch mit Blick
auf den wachsenden Antisemitismus?
Die Würdigung dieser Epoche, in der jüdisches Leben in Europa und weit nach
Asien hinein seinen geistigen Mittelpunkt
– also Lehre, die Ausbildung der Lehre –
eben in diesen Städten hatte, sagt zum
einen viel über die Entstehung des Judentums, zum anderen über die Prägung
auch des Mittelalters durch das Judentum
und damit auch unserer Kulturtradition
aus. Das Verständnis, dass wir natürlich
nach der Barbarei des Nationalsozialismus
alles tun müssen, dass antisemitische Haltung sich nicht Bahn brechen darf, ist eine
sehr entscheidende Lehre.
Aber es geht weit darüber hinaus,
nämlich das Erkennen, dass jüdische Traditionen über Jahrhunderte, in dem Falle
weit über tausend Jahre, zum Grundbestand unserer Zivilisation gehört haben
und natürlich uns auch heute noch genauso prägen, wie es katholische oder
dann später ja auch evangelische Traditionen taten.
Insofern erzählt SchUM natürlich von
einer Epoche, in der dieses Zusammenleben damals auf einem sehr hohen Stand
war. So wie wir das manchmal noch als
Touristen bewundern können, wenn wir
im Süden Spaniens unterwegs sind und
uns dort von Blütezeiten erzählt wird,
weil es auch arabische Traditionen auf
dem Kontinent gegeben hat und sie in
der Architektur, der Kultur, in der Musik, in der Malerei einen selbstverständlichen Platz hatten. Dieses Verständnis
geht nochmal weit über diese besondere
Rolle, die wir natürlich nach der NaziBarbarei dem Thema des jüdischen Lebens beimessen, hinaus: Das ist ein Teil
unserer Tradition. Wir sind in einer Linie.
Es ist Teil unserer Geschichte und damit
ein Stück weit auch unsere Identität. Ich
finde, es kann für uns kulturell, zivilisatorisch ein großer Fortschritt sein, dass dies
als Weltkulturerbe eine Würdigung, eine
Sichtbarkeit erfährt. Und es ist nochmal
das klare Bekenntnis, dass wir aus dieser
Tradition heraus auch den Auftrag haben, jüdisches Leben zu fördern und zu
unterstützen. Wir haben im Kontext der
SchUM-Verfahren z. B. in allen drei Städten inzwischen jüdische Kulturtage.
Gibt es in Ihrer Stadt auch antisemitische Übergriffe?
Mir ist in dem Sinne nichts geläufig,
auf Holz geklopft! Aber es ist gar keine
Frage, spätestens seit Halle haben hier
die Sicherheitsvorkehrungen deutlich zugenommen.
Der hohe Dom zu Mainz prägt das Stadtbild. Fast genauso zahlreich wie
die katholischen sind die evangelischen Mainzerinnen und Mainzer.
Ganz anderes Thema: Kirchen laufen
die Gläubigen davon. In der Folge
werden viele kirchliche Gebäude
umgewidmet. Wie geht Kommune
damit um?
Das gibt es bei uns auch. Es gibt Kitas, die
aufgegeben wurden. Es gibt auch Schulen bei uns, die aufgegeben wurden oder
in Gefahr sind, aufgegeben zu werden.
Bei solchen Einrichtungen, die von Allgemeinwohlinteresse getragen sind, sind
wir natürlich immer ansprechbar im Sinne von Sicherung des Angebotes. Denn
wir haben kein Interesse, dass Kita- oder
Schulplätze verloren gehen.
Insofern hat der Staat eine Auffangfunktion. Bei manchen solcher Debatten,
wo auch die Stadt in die Diskussion gezogen wird, habe ich auch schon mal gesagt: „Ich stelle fest, wenn der liebe Gott
nicht mehr hilft, dann die Stadt.“
Seit vielen
Jahren
sprechen wir
mit Pflegediensten über
das Thema
kultursensible
Pflege
und haben
auch schon
entsprechende
Pilotprojekte
aufgesetzt.
Michael Ebling,
Oberbürgermeister von
Mainz
Aber Kirchen sind in Mainz noch
nicht umgewidmet?
Nein. Wir haben es hier noch nicht gehabt. Wir sind ja auch eine Stadt vieler
Kirchen, wir haben den prägenden Dom,
aber es gibt auch im Innenstadtbereich
noch eine Reihe von historischen, teilweise auch wirklich wunderschönen katholischen und evangelischen Kirchen.
Aber die Zukunft wird nicht besser, entsprechende Beschlüsse nehmen zu. Unsere evangelische Kirche Hessen-Nassau,
sagt etwa: „Wir wollen unsere Kitas an
die Städte verkaufen. Wir wollen sie quasi
nur noch nutzen.“
Das heißt, auf die Kommunen
kommen zukünftig mehr Aufgaben
zu, die die Kirchen abgeben.
Erkennbar ist, dass in Zukunft da eher ein
Rückzug festzustellen ist, sicherlich nicht
aus allen Bereichen, aber es wird immer
öfter so sein, dass wir dann einzuspringen
haben.
6 TITEL
DEMO 11-12/2021
Zusammen für
eine bessere Welt
Das Ehrenamtsbüro MEM in Mainz ist ein Beispiel für die
Partnerschaft von Kommunen und kirchlichen Sozialdiensten
Autorin Irmela Heß
meinnützig arbeitende Vereine und Organisationen Antworten auf alle Fragen,
die der Einsatz von Ehrenamtlichen mit
sich bringt, etwa hinsichtlich finanzieller
Förderung, Versicherungen oder Datenschutz. Das Ehrenamtsbüro vermittelt
außerdem die Ehrenamtskarte des Landes Rheinland-Pfalz, eine seit 2014 existierende „Belohnung“ für regelmäßiges
und längerfristiges unentgeltliches Engagement, die seinem Besitzer beziehungsweise seiner Besitzerin Vergünstigungen
etwa beim Einkaufen, in Museen oder bei
Weiterbildungen verschafft.
Viele helfende Hände koordinieren: Das Ehrenamtsbüro MEM der Diakonie Rheinhessen und der Stadt Mainz ist Anlaufstelle für Menschen,
die sich ehrenamtlich engagieren wollen.
E
s ist beeindruckend: Laut Bundesinnenministerium engagieren
sich rund 30 Millionen Menschen
bundesweit ehrenamtlich; eine Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse
spricht von „nur“ rund 16 Millionen, aber
Fakt ist: Es sind viele, die unentgeltlich in
Sportvereinen, kirchlichen Projekten und
bei Hilfsorganisationen mitarbeiten und
damit die Welt ein bisschen besser machen. Um die Hilfswilligen mit Projekten,
die Helfende suchen, zusammenzubringen, gibt es bundesweit von verschiedenen Trägern rund 400 Ehrenamtsvermittlungsstellen. Das Ehrenamtsbüro
„MEM – Mein Engagement in Mainz“ ist
ein Kooperationsprojekt von der Stadt
Mainz und dem Diakonischen Werk
Rheinhessen, und es ist auch ein Beispiel
dafür, wie Kommunen und kirchliche
Sozialdienste zusammenarbeiten.
Caritas und Diakonie übernehmen viele gesellschaftliche Aufgaben. Der Staat
beziehungsweise die Kommunen übertragen diese Aufgaben, zu denen sie laut
Sozialgesetzgebung verpflichtet sind, gezielt freien Trägern (Subsidiaritätsprinzip)
und regeln, wie viel Geld diese dafür be-
Katharina Schön ist
Projektkoordinatorin im
MEM-Ehrenamtsbüro.
kommen. Gestemmt werden die Projekte
von den Angestellten der Organisationen
und häufig auch von ehrenamtlich Helfenden. Die Kommunen unterstützen
durch finanzielle Förderung, aber auch
durch die Überlassung von Grundstücken
oder von Gebäuden. Die Projekte kommen Obdachlosen oder Geflüchteten,
Kranken oder in Armut Lebenden, überforderten Eltern oder Kindern zugute.
Im MEM-Ehrenamtsbüro arbeitet
Katharina Schön seit Anfang dieses Jahres als Projektkoordinatorin. Bis 2017
hatte es in Mainz die Ehrenamtsagentur
gegeben, die von der Stadt und verschiedenen Wohlfahrtsverbänden getragen
wurde. Der Stadtrat wollte die Vermittlungsstelle nur noch einem Träger überlassen und schrieb das Projekt aus: Die
Diakonie Rheinhessen bekam den Zuschlag und betreibt MEM seit Mitte 2018.
Das Büro in der Mainzer Innenstadt ist
Anlaufstelle für Menschen, die ehrenamtlich arbeiten wollen und so einen „sinnvollen Beitrag zu einer engagierten Stadt
und einem Miteinander leisten wollen“,
aber nicht genau wissen, wo und wie sie
tätig sein können. Und hier finden ge-
Katharina Schön ist mit halber Stelle
Angestellte der Diakonie, die sich die
Kosten mit der Stadt Mainz und der
Staatskanzlei teilt. Unterstützt wird sie
von einem ehrenamtlichen Mitarbeiter,
der etwa drei Mal pro Woche Menschen
berät, die sich nicht für ein Angebot in
der Datenbank (am 5. November stehen 152 Einsatzmöglichkeiten zur Wahl)
entscheiden konnten. Die Wartezeit für
eine Beratung beträgt vier bis sechs Wochen. „In der Regel kann jeder, der ehrenamtlich arbeiten möchte, vermittelt
werden“, sagt die 34-Jährige, die MEM
bekannter machen möchte und für
Sichtbarkeit in sozialen Medien sorgt,
außerdem Kooperationen etwa mit der
Universität oder der Volkshochschule
aufbaut. Und was sie auf jeden Fall noch
installieren will, ist eine Art Rückmeldesystem, um nachverfolgen zu können,
ob die Vermittlungen auch längerfristig
erfolgreich waren.
Es gibt unzählige Projekte von Diakonie und Caritas, die von den Kommunen
unterstützt werden. Auch das Quartier
Geislar, ein neues Wohnprojekt der Bonner Caritas, hätte es ohne Unterstützung
der Stadt wohl nicht gegeben. Im Oktober dieses Jahres wurden zwei Apartmenthäuser im Bonner Stadtteil Geislar
eingeweiht, in denen 14 junge Menschen, die bisher in Einrichtungen der Sozialpsychiatrie und der Wohnungslosenhilfe betreut wurden, wohnen und (mit
ambulanter Betreuung) den Schritt in die
Eigenständigkeit wagen können. Sie hätten keine Chance gehabt, eine Bleibe auf
dem regulären Bonner Wohnungsmarkt
zu finden. Für das Zwei-Millionen-Projekt der Bonner Caritas stellten die Stadt
Bonn und die katholische Pfarrgemeinde
St. Josef das Bauland zur Verfügung.
Aber trotz finanzieller Förderung und
sozialen Engagements der Kirchen: Viele
Projekte würde es nicht geben, wenn sie
keine zusätzliche Unterstützung durch
ehrenamtlich Mitarbeitende hätten.
FOTOS: STOCK.ADOBE.COM/REDPIXEL; PRIVAT
Geteilte Kosten
TITEL 7
11-12/2021 DEMO
Kirchen und Kommune
Gemeinsam für die Menschen aktiv
Autor Dr. h. c. Herbert Schmalstieg, Oberbürgermeister der LH Hannover a. D.
FOTOS: PRIVAT
C
hristentum und Sozialismus stehen sich gegenüber wie Feuer
und Wasser.“ Das, was August
Bebel 1874 formulierte, hat die SPD sehr
schnell korrigiert. Heute stehen Kirchen
und SPD und natürlich die staatlichen
Ebenen mit den Kirchen und Glaubensgemeinschaften in ständigem Dialog. In
unseren Städten und Gemeinden wären
wichtige Aufgaben der Daseinsvorsorge
ohne die Kirchen oftmals nicht zu erfüllen. Bezeichnend ist auch, dass die Basis
des Staates und die der Kirchen in den
Gemeinden liegt. Nicht umsonst haben
beide ihren Sockel in den Gemeinden.
Hier erleben die Menschen, wie ihre Lebensbedingungen sind, hier entscheidet
sich, ob es ausreichende Angebote in
den Kindertagestätten, den Alteneinrichtungen, in Krankenhäusern und Sozialstationen und in der Kultur gibt – und
auch wie mit denen umgegangen wird,
die am Rand der Gesellschaft stehen.
In der Gemeinde erfahren sie Hilfe und
Trost. Hier treffen sich Kirche und Kommune. Sie sorgen gemeinsam für das
Zusammenleben der Menschen.
Kirchen prägen durch ihre Bauten das
Stadtbild, die Verantwortlichen jedoch
bringen sich aktiv in den Stadtdialog ein.
Und sie haben eine gemeinsame Grundlage. Gern greift man auf die Bergpredigt zurück. Für die Mitmenschen da
zu sein; einander zu lieben; sich mit Re-
spekt zu begegnen; Gutes zu tun; sich
zu helfen, den Benachteiligten und den
Schwachen. Und dazu gehört auch Frieden zu stiften. Frieden, wenn es um den
sozialen Ausgleich in der Stadt geht, um
den Frieden beim Erhalt unserer Umwelt
oder um den äußeren Frieden. In diesen
Tagen wird oft an die Ostpolitik Willy
Brandts erinnert. An die Versöhnung mit
dem polnischen Volk. Es war die Weitsicht und Vision Willy Brandts, diesen
Weg zu gehen. Ich behaupte aber, ohne die vorausgehende Denkschrift der
EKD zur Ostpolitik und die Erklärung der
polnischen Bischöfe wäre dieser Versöhnungsschritt 1972 nicht oder noch nicht
möglich gewesen.
Getragen von Grundwerten
Und die sozialdemokratischen Kommunalpolitiker und -politikerinnen sind getragen von den Grundwerten der SPD.
Was generell gilt, ist auch die Grundlage
für die Arbeit in den Kommunen. Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind
die tragenden Säulen unserer Arbeit. Solidarität ist tätige Nächstenliebe. Es geht
in der Kommune darum, den Ausgleich
zu schaffen zwischen Arm und Reich,
Jungen und Alten, behinderten und
nichtbehinderten Menschen, zwischen
denen mit und ohne Migrationshintergrund. Wir leben nicht nur auf der einen
Welt, wir leben gemeinsam in unserer
Herbert Schmalstieg vor dem Neuen Rathaus in Hannover. Für ihn ist Solidarität
tätige Nächstenliebe.
Bezeichnend ist,
dass die Basis
des Staates
und der Kirchen
in den
Gemeinden
liegt.
Herbert Schmalstieg,
er war fast 35 Jahre Oberbürgermeister von Hannover
und gehörte 15 Jahre
dem Kirchenvorstand der
Martkirchengemeinde an.
Veranstaltung in der
hannoverschen Marktkirche
Scholz hofft auf neue Verhandlungen für Pflegetarife
Caritas-Dienstgeber wollen „konstruktive und erfolgreiche Zusammenarbeit fortsetzen“
E
s machte große Schlagzeilen, als der
allgemeinverbindliche Tarifvertrag für Altenpflegende in Deutschland im Frühjahr
scheiterte. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil
war enttäuscht, als die arbeitsrechtliche Kommission (ARK) der Caritas den Flächentarifvertrag
ablehnte. Vizekanzler Olaf Scholz appelliert nun
an Caritas und Diakonie, mitzuwirken, damit alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davon
profitieren. „In der zu Ende gehenden Legislaturperiode ist es zu meinem Bedauern nicht gelun-
gen, einen Flächentarifvertrag allgemeinverbindlich zu machen“, so Scholz. „Ich hoffe sehr, dass
das Vorhaben in einem weiteren Anlauf gelingt.
Das nötige Gesetz haben wir ja nun schon.“
Hubertus Heil hat im Juni eine wichtige Pflegereform vorgelegt: Von September 2022 an müssen
alle Pflegeeinrichtungen ihre Beschäftigten nach
Tarif oder in Tarifhöhe bezahlen, wenn sie mit der
gesetzlichen Pflegeversicherung abrechnen wollen. Dafür haben Heil und die SPD im Bundestag
hartnäckig gestritten. Die Kirchen haben ein eige-
Gemeinde. Dass jede und jeder sich frei
entfalten kann, sie gleiche Bildungschancen haben, sie geachtet werden
und ihre Würde unantastbar ist, gehört
zu diesen Grundwerten.
Ohne Städte ist kein Staat zu machen,
aber ohne die Arbeit der Kirchengemeinden wäre auch die Kirche nicht das, was
sie ist. Und hier zeigt sich ihre Präsenz in
den Kommunen. Sie leistet nicht nur ergänzende Arbeit in den Sozialstationen
oder den Alten- und Pflegeheimen, nein,
sie und ihre karitativen Organisationen
stehen ein für die soziale Stadt. Und immer wieder stehen Kommunen wie Kirchen vor neuen Herausforderungen. Sie
kümmern sich um die Zugewanderten,
helfen Flüchtlingen, wenden sich aktiv
gegen Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass. Und helfen Obdachlosen und
Nichtsesshaften auch dadurch, dass im
Winter die Kirchen für sie – wie die hannoversche Marktkirche – auch nachts
geöffnet bleiben.
Kommunen und Kirchen, das ist
schon ein Erfolgsprojekt. Das muss so
bleiben und sollte ausgebaut werden.
nes System des Arbeits- und Tarifrechts entwickelt
– den sogenannten „Dritten Weg“. Nun wäre die
Einberufung einer neuen Pflegekommission nötig,
damit dort die Mindestbedingungen im Bereich
der Pflege festgelegt werden können.
Für die erneute Einberufung der Kommission ist
die Bundesregierung zuständig. „Auch in der Fünften Ständigen Pflegekommission, die hoffentlich
bald für den Zeitraum von fünf Jahren einberufen
wird, wollen wir die konstruktive und erfolgreiche
Zusammenarbeit fortsetzen und uns weiterhin für
bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten
in der Altenpflege einsetzen“, bestätigt die Dienstgeberseite der Caritas der DEMO. „Vor diesem
Hintergrund freuen wir uns auf die Arbeit in der
Fünften Pflegekommission.“ KB
8 TITEL
DEMO 11-12/2021
Die Kita in der Kirche
Die Bethlehem-Kirche in Hamburg stand leer und sollte
abgerissen werden. Inzwischen ist sie als Kita ein Ort der
„Herzensbildung“– mit einer ganz besonderen Eingangstür
wiesen, dass alles im Guten zusammenwirkt.“ Zudem biete die Religion
Antworten auf viele Fragen der Kinder:
Wo komme ich her? Was passiert nach
dem Tod? Gibt es Worte, die mir helfen, wenn ich traurig bin? Wie entsteht
unser Essen?
Geschichten aus der Bibel
Autorin Susanne Dohrn
BETREUUNG
50
Prozent aller Kindertagesstätten in Deutschland werden
von der evangelischen bzw. der
katholischen Kirche getragen.
29
Prozent der Einrichtungen
sind katholisch, 21 Prozent
evangelisch. Rund 500.000
Kinder gehen in eine
evangelische, rund 600.00
in eine katholische Kita.
QUELLE: KIRCHENFINANEM.DE; EIGENE
RECHERCHE
evangelische oder katholische Einrichtungen. Diese Kitas sind, wie die Bethlehem-Kita, konfessionsoffen. „Kinder
mit anderen religiösen Hintergründen
sind ausdrücklich willkommen“, sagt
die Pastorin. Die Begegnungen von
Menschen aus verschiedenen sozialen
Milieus sind ihr wichtig, ebenso wie die
Sensibilisierung dafür, dass es Not und
bedürftige Menschen gibt.
Etwa ein Drittel der Eltern gehört
keiner Kirche an. „Sie schicken ihre
Kinder zu uns, weil sie das Menschenbild und die religiöse Bildung schätzen,
die in unseren Einrichtungen vermittelt
wird“, so Pastorin Schumann. Sie nennt
es Herzensbildung: „Das Leben ist ein
Geschenk und wir sind darauf ange-
Biblische Geschichte erleben
Einst bewunderter Sakralbau
In den Jahren 1958/1959 errichtet, war
das Gebäude mit seiner roten Klinkerfassade ein bewunderter Sakralbau
der Nachkriegszeit. Anfang des neuen
Jahrtausends reichte die Zahl der Kirchenmitglieder nicht mehr aus, um vier
Gotteshäuser in der Kirchengemeinde
Eimsbüttel zu finanzieren. Zwei wurden entwidmet. St. Stephanus beherbergt heute eine Werbeagentur. Die
Bethlehem-Kirche wurde für mehr als
eine Million Euro umgebaut. Einen Teil
finanzierte ein Investor, der auf dem
Kirchengelände Wohnungen errichtete.
„Die Nutzung als Kita ist das Beste, was
uns passieren konnte“, sagt Pastorin
Nina Schumann. „So wird der wunderbare Raum weiterhin kirchengemeindlich genutzt.“
Christlich und konfessionsoffen
Von den gut drei Millionen Kindern, die
in Deutschland in Tagesstätten betreut
werden, besuchen mehr als eine Million
Jeden Tag Weihnachten: Die Tür und die Erklärungen von Pastorin Nina Schumann (l.)
und Kitaleiterin Kirsten Dieckow faszinieren die Kita-Kinder immer wieder neu.
Die Finanzierung von Kitas ist weitgehend Aufgabe des Staates. Bis zu 30
Wochenstunden inklusive Mittagessen
sind in Hamburg beitragsfrei. Berufstätige Eltern zahlen einen nach zusätzlichem Bedarf gestaffelten Betrag. Die
Kitas erhalten von der Stadt für die Betreuung eine entsprechende Summe,
die die Kirche bezuschusst. „So können
wir ein qualitativ hochwertiges Angebot aufrechterhalten“, ergänzt die Pastorin. Die Bezahlung der Beschäftigten
erfolgt nach dem Kirchlichen Arbeitnehmerinnen Tarifvertrag (KAT), der
mit der Dienstleistungsgewerkschaft
ver.di ausgehandelt wurde und dem im
öffentlichen Dienst entspricht.
In der Kita Bethlehem werden die
letzten Kinder um 16 Uhr abgeholt.
Diesmal spielt die Tür beim Abschied
eine Rolle. Das Jesuskind auf Marias
Schoß erhält Streicheleinheiten, die von
König Herodes beauftragten Kindermörder werden unsanft geknufft. Die
Biblische Geschichte kennen alle sehr
genau.
FOTO: SUSANNE DOHRN
D
ie schwere Bronzetür öffnet
sich, ein Kind nach dem anderen stürmt hinaus zu den
fröstelnden Eltern. Die Leiterin der Kindertagesstätte Kirsten Dieckow verabschiedet alle mit Namen, begrüßt die
Eltern, erzählt vom geplanten Laternenumzug am Martinstag. Jetzt um 14 Uhr
haben die Kleinen keinen Blick für die
schönen Bronzefiguren der zweiflügeligen Tür: Maria und die Verkündigung
der Geburt Jesu, die Hirten, die Heiligen Drei Könige, der Kindermord von
Bethlehem und die Flucht der Heiligen
Familie nach Ägypten. Einst betrat man
durch die Tür mit den Figuren des Hamburger Künstlers Fritz Fleer (1921–1997)
ein Gotteshaus mit 400 Plätzen im Hamburger Innenstadtbezirk Eimsbüttel.
Jetzt toben im Kirchenschiff Drei- bis
Sechsjährige. Hinter einer transparenten Holz-Glas-Konstruktion im rechten
Teil befinden sich Gruppenräume, auf
Höhe der Empore Büros. Der Altar am
Ende des Raums zeugt von der ehemaligen Nutzung.
Immer Freitags erzählt eine Pastorin Geschichten aus der Bibel, alle sitzen im
Kreis um eine Kerze, singen und beten
zusammen. Feste wie Ostern, Pfingsten
und Weihnachten sind Bestandteil des
Kita-Alltags. „Beim Erntedankfest bringen die Kinder Erntegaben mit, oft aus
dem eigenen Schrebergarten, die sie in
einen Korb auf dem Altar legen. Daraus
kochen wir eine Gemüsesuppe und essen sie gemeinsam“, erzählt Kitaleiterin
Dieckow.
Am 2. Advent findet traditionell – in
Nicht-Corona-Zeiten – ein Familiengottesdienst in der nahe gelegenen Christuskirche statt, der mit den Kindern vorbereitet wird. „Wenn wir muslimische Kinder
in den Gruppen haben, feiern wir auch
zusammen das Zuckerfest am Ende des
Fastenmonats Ramadan.“ Die Sensibilität
für andere Religionen ist ihr wichtig. In
einer anderen Kita der Kirchengemeinde
arbeiten zwei Muslima als Erzieherinnen.
Für die Bethlehem-Kita kommt als weiterer Pluspunkt hinzu: Sie bietet mit zwei
Gruppen und insgesamt 44 Kindern eine
sehr familiäre Atmosphäre.
TITEL 9
11-12/2021 DEMO
Gemeinsam handeln
Kirchen und Kommunen tun sich zusammen,
um dörfliche Infrastrukturen zu erhalten
Autoren Ulf Buschmann, Karin Billanitsch
Höhe von rund 700.000 Euro übernahm
mit 395.000 Euro das Land Niedersachsen. Das zuständige Bistum Hildesheim
110.000, die Stadt 60.000 Euro. Weitere
50.000 Euro übernahmen die Kirchengemeinde St. Nikolaus sowie der Ortsrat Tiftlingerode über Spenden in Höhe von rund
36.000 Euro. „Der Weg war richtig“, zieht
Johannes-Ludwig Dornieden, der sich im
Gemeindekirchenrat von St. Nikolaus um
die Belange des Begegnungszentrums
kümmert, eine positive Bilanz. Er findet das Projekt wegweisend, gerade für
kleinere Dörfer. „Die Weiterentwicklung
des Gemeindezentrums Tiftlingerode ist
insbesondere für die Kinder und Jugendlichen des Ortes (...) ein sehr guter Schritt
gewesen“, erklärt eine Stadt-Sprecherin.
Treffpunkt im Dorfladen
Ein gelungenes Beispiel für Dorferneuerung ist auch der Dorfladen in der Gemeinde Eichenberg, einem Ortsteil von
Sailauf im Spessart. Vor allem älteren Bewohnerinnen und Bewohnern des Dorfes
fehlten Einkaufsmöglichkeiten in fußläufiger Entfernung, auch ein Ort, wo man
sich unterhalten kann. So entstand die
Idee, die profanierte Kirche Sankt Wende-
St. Nikolauskirche in
Tiftlingerode. Die Kirchengemeinde will – gemeinsam
mit der Stadt Duderstadt –
ihr Pfarrzentrum erweitern.
Die Weiterentwicklung
des Gemeindezentrums ist
insbesondere
für die
Kinder und
Jugendlichen
des Ortes
ein sehr
guter Schritt
gewesen.
Sprecherin der Stadt
Duderstadt
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OZG is!
Mit neuem Schwung in die digitale Verwaltung
17. Februar 2022, München
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Eine Veranstaltung des
§
Grafik: BS/Hoffmann unter Verwendung
von patrimonio designs, stock.adobe.com
FOTO: KIRCHENFAN/CC0, VIA WIKIMEDIA COMMONS
U
m neues Leben ins Dorf zu bringen, tun sich Kirchen und Kommunen zusammen. Tiftlingerode
im Landkreis Göttingen ist so ein Ort mit
einem Erfolgsprojekt. Die Ortschaft mit
ihren rund 900 Einwohnern gehört seit
dem 1. Januar 1973 zu Duderstadt und liegt
im katholisch geprägten Untereichsfeld
am äußersten Südrand von Niedersachsen. Die Landesregierung unter Ministerpräsident Stefan Weil (SPD) hat frühzeitig
erkannt, wie wichtig Dorfentwicklung ist
und hat dafür ein Förderprogramm aufgelegt. Dieses hat entscheidenden Anteil
daran, dass Tiftlingerode seit Januar 2020
wieder einen Treffpunkt für Vereine, Institutionen und private Feiern hat.
Dafür haben sich die katholische Gemeine St. Nikolaus und die Stadt Duderstadt zusammengetan. Das Ziel: Aus dem
Pfarrzentrum sollte ein Begegnungszentrum für alle werden – ein Pilotprojekt
für Niedersachsen. Beide Partner schlugen
damit zwei Fliegen mit einer Klappe. So
konnte das in die Jahre gekommene Pfarrzentrum aus den 1980er Jahren saniert
werden und die Stadt sorgte dafür, dass
es wieder einen Treffpunkt für die Menschen gibt. Den Löwenanteil der Kosten in
lin zu nutzen. Von Anfang an haben sich
die Eichenberger für das Projekt starkgemacht: Fünf Ortsvereine, eine Bürgergenossenschaft und das Amt für ländliche
Entwicklung haben sich eingesetzt.
Die alte Kirche Sankt Wendelin wurde
um 1700 erbaut und war bis etwa 1950
Zentrum des kirchlichen Lebens, zeichnet ein Flyer der Pfarrgemeinde St. Vitus
im Vorspessart die Geschichte des Gotteshauses nach. Nach der Profanisierung
wurde sie 1955 an die Raiffeisenbank verkauft; seit den 80ern wurde das Gebäude nicht mehr genutzt. Seit 2005 setzte
sich eine Interessengruppe für eine neue
Nutzung der Kirche ein – nachdem das
Amt für ländliche Entwicklung der Gemeinde im Rahmen des bayerischen
Dorferneuerungsprogramms Zuschüsse
in Aussicht stellte, kam Bewegung in die
Sache. 2015 fiel die Entscheidung für
einen Dorfladen. Laut den Projektunterlagen für den Antrag wurden die Kosten
auf 96.000 Euro veranschlagt, davon
sollten 40 Prozent aus der EU-LEADERFörderung kommen. Der Eigenanteil der
Kommune belief sich auf 48.000 Euro.
Unterstützt hat den Prozess die Lokale
Aktionsgruppe (LAG) Spessart.
Heute ist der Laden ein großer Gewinn für das Dorfleben: Er sichert die
Nahversorgung und führt regionale
Produkte von Direktvermarktern im Sortiment. Er ist aber auch ein Treffpunkt
geworden. Das Ziel der Bürgerinnen und
Bürger, wieder einen dörflichen und sozialen Mittelpunkt im Ort zu haben, hat
sich verwirklicht und ein Zeichen gegen
drohende Verödung wurde gesetzt.
10 TITEL
DEMO 11-12/2021
Neues Leben
für alte Gotteshäuser
Immer mehr Kirchen werden entwidmet
oder profaniert. So bleiben die wertvollen
Gebäude der Gesellschaft erhalten
Autorin Hannah Rüdiger
St. Marienkirche: Herzstück des
Anneliese Brost Musikforums Ruhr
Eine einzige Glocke hängt noch, darüber spannt sich das strahlend weiße Gewölbe wie eine Wolkendecke: Wer das
Anneliese Brost Musikforum Ruhr betritt, findet sich zunächst in einer Kirche
wieder. Die frühere St. Marienkirche ist
zugleich Foyer und Herzstück des 2016
eingeweihten Gebäudekomplexes, der
das Bochumer Symphonieorchester und
die städtische Musikschule beheimatet.
Nach links geht es vom Kirchenschiff in
den Großen Saal, nach rechts in den Kleinen Saal sowie den Multifunktionsraum.
„Eine schönere Vorbereitung auf Musik
gibt es eigentlich nicht“, sagt Christiane
Peters, Leiterin für Marketing und Kommunikation der Symphoniker.
Beim Anblick des renovierten Kirchenschiffs fällt es schwer, zu glauben, dass
hier Anfang des Jahrtausends das Wasser von den Wänden lief und dem Gotteshaus der Abriss drohte. Bemühungen
eines Fördervereins, die im Jahr 2002 profanierte Kirche zu erhalten, schienen zunächst zu scheitern. Genauso vergeblich
verlief damals die Suche der Bochumer
Symphoniker nach einem eigenen Haus.
Pläne zum Neubau eines städtischen
Konzerthauses scheiterten immer wieder aus finanziellen Gründen. Dann kam
die Idee auf, das Kirchengebäude in ein
Musikzentrum zu integrieren. Damit war
sowohl die Zukunft der Kirche als auch
des Orchesters gesichert.
„Kirchen haben für viele Einwohnerinnen
und Einwohner einer Stadt eine starke
emotionale Bedeutung“, erklärt Bochums
Oberbürgermeister Thomas Eiskirch
(SPD). „Die Architektur ist oft stadtbildprägend und Abriss bedeutet immer
auch, dass ein Stück Heimat zerstört
würde.“ Umso wichtiger sei es der Stadt,
profanierte Kirchen zu erhalten.
Bis das Musikforum um die Marienkirche eröffnet werden konnte, vergingen
jedoch insgesamt fast 15 Jahre, in denen
das Projekt und seine Finanzierung immer
wieder auf der Kippe standen. „Phoenix
ist ein Witz gegen uns“, sagt Christiane
Peters in Anspielung auf den mythischen
Vogel Phoenix, der immer wieder totgeglaubt und schließlich doch wiedergeboren wird. „Zu verdanken sei der Erfolg neben zahlreichen Unterstützern, Förderern
und rund 20.000 Spendern am Ende vor
allem dem Engagement des früheren Intendanten Steven Sloane. „Er hat es sich
zur Aufgabe gemacht, dem Orchester
eine neue Heimat zu finden“, erzählt sie.
Die St. Marienkirche ist zugleich Foyer und Herzstück des 2016 eingeweihten
Gebäudekomplexes des Anneliese Brost Musikforums Ruhr in Bochum.
Kirchen haben
für viele
Einwohner
einer Stadt
eine starke
emotionale
Bedeutung.
Thomas Eiskirch (SPD),
OB in Bochum
Die Deusenkirche: ein Begegnungszentrum für Dortmund
Erst schloss die Post, dann die Sparkasse.
Der ländlich geprägte Stadtteil Deusen im
Dortmunder Nordwesten drohte zu zerbröckeln. Als im Jahr 2004 auch die evangelische Gustav-Adolf-Kirche aufgegeben
werden sollte, beschloss eine Gruppe
engagierter Bürgerinnen und Bürger, für
ihre Kirche zu kämpfen und sie zu einem
sozialen Mittelpunkt umzugestalten. Gemeinsam gründeten sie den „Förderverein
Begegnungszentrum Deusen – Wir lassen
die Kirche im Dorf e. V.“. „Diejenigen,
die hier aufgewachsen sind, wissen die
Kirche zu schätzen“, sagt Ulrich Küpper,
Gründungsmitglied und Vereinsvorsitzender. Gerade den älteren Deusenerinnen
und Deusenern sei es wichtig gewesen,
das Gebäude zu erhalten.
Für den symbolischen Preis von einem
Euro kaufte der Verein die Kirche dem
vereinigten Kirchenkreis Dortmund ab.
An der Renovierung der
Deusenkirche haben sich mehr
als 120 ehrenamtliche Helfer
und Helferinnen beteiligt.
Danach folgten Jahre der Planung, bürokratischer Hürden und vor allem harter
Arbeit. Geplant war der Umbau und die
Erweiterung der Kirche zu einem Begegnungszentrum mit Gastronomie. Bei
einem Architekturwettbewerb gewann
ein Entwurf, den die Deusener größtenteils selbst baulich umsetzen konnten.
„Die Menschen hier sind es gewohnt,
selbst anzupacken“, erzählt Ulrich
Küpper. Fast jeder im Bezirk habe sein
Haus zu großen Teilen selbst gebaut.
An den Bauarbeiten an der Deusenkirche beteiligten sich mehr als 120 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die
zusammengerechnet mehr als 12.000 Arbeitsstunden leisteten. Die Stadt unterstützte und begleitete den Umbau, etwa
bei der Koordination von Anträgen sowie der Weiterleitung der Fördermittel.
„Es ist großartig, wenn sich Menschen
für die Kirchengebäude in ihrem Umfeld
engagieren“, erklärt Planungsdezernent
Ludger Wilde. „Nachbarschaften in der
Großstadt wachsen durch solche Initiativen vor Ort zusammen.“
Im Jahr 2010 wurde am neuen Anbau
Richtfest gefeiert. Heute ist die Deusenkirche ein Ort des Zusammenkommens
und des Austauschs. Genutzt wird sie
für größere Veranstaltungen wie Hochzeiten oder Theateraufführungen, aber
auch Gymnastikkurse oder Tanzstunden. Gottesdienste finden ebenfalls
noch regelmäßig statt, da die Kirche auf
Wunsch des Vereins nicht entwidmet
wurde. Die Menschen in Deusen wissen
ihr Begegnungszentrum zu schätzen: Die
Kirche ist fast jeden Tag ausgebucht.
baukunst-nrw.de
deusenkirche.de/
FOTOS: MARK WOHLRAB; RAINER KNÄPPER /FREE ART LICENSE VIA WIKIMEDIA COMMONS; FÖRDERVEREIN BEGEGNUNGSZENTRUM DEUSEN
W
egen des anhaltenden
Mitgliederschwunds der
Kirchen haben in den vergangenen Jahren hunderte Gotteshäuser in Nordrhein-Westfalen schließen
müssen. Vielerorts haben sich jedoch
Kommunen, Bürgerinnen und Bürger
dafür stark gemacht, ihre Kirchengebäude nicht nur zu erhalten, sondern ihnen
einen neuen Sinn zu geben. Zwei besonders gelungene Beispiele aus dem Ruhrgebiet stellen wir hier vor:
TITEL 11
11-12/2021 DEMO
Philharmonie in der ehemaligen Barockkirche
Am 17. Dezember wird das neue Konzerthaus Liebfrauen in Wernigerode im Harzkreis eröffnet
F
ür Wernigerode ist es etwas
ganz Großes: Am 17. Dezember wird das Konzerthaus
Liebfrauen offiziell eröffnet. Aus der
ehemaligen barocken Liebfrauenkirche wird ein Kulturplatz im Herzen
der Stadt. So hat das bereits Anfang
Februar 2019 entwidmete Gotteshaus eine Perspektive bekommen.
Zudem bekommt das Philharmonische Kammerorchester Wernigerode (PKOW) eine feste Proben- und
Spielstätte. Dessen künstlerischer
Leiter und Geschäftsführer Christian
Fitzner hofft, dass sich das Konzerthaus mit seinen 480 Plätzen als regionale und überregionale Kulturstätte etablieren wird.
Fitzner ist nicht der Einzige, der
große Hoffnungen in den Barockbau
mit seiner überaus guten Akustik
setzt. Auch Tobias Kascha findet: „Es
ist gut, dass es so gelöst worden ist.“
Kascha ist Vorsitzender des Fördervereins Kammerorchester Wernige-
rode und SPD-Kandidat für die Wahl
des Oberbürgermeisters am 3. April
kommenden Jahres. Er hebt hervor,
dass es ohne Rainer Schulze, Mitglied der sozialdemokratischen Fraktion im Stadtrat, nicht zum neuen
Konzerthaus gekommen wäre. Dank
dessen Initiative sei es gelungen, das
nicht unumstrittene Projekt voranzubringen. Schulze, freut sich Kascha,
habe das Land Sachsen-Anhalt, vor
allem aber die Bevölkerung mit ins
Boot geholt. Die Menschen hätten
Steine kaufen oder eine Patenschaft
für einen Stuhl im neuen Konzerthaus übernehmen können. Immer
wieder habe es Aktionen gegeben,
die gezeigt hätten: Die Bevölkerung
steht hinter einem Kulturprojekt
mit durchaus sozialdemokratischer
Handschrift.
Kascha macht deutlich, dass es
keine Alternative zur Nutzung als
Konzerthaus gegeben habe. Ohne
diese Idee hätte es im Herzen Wer-
nigerodes ein „interessantes Gebäude gegeben, das gesichert werden
muss“, ist sich der OB-Kandidat sicher. Verantwortlich dafür wäre die
Kommune. Klar war indes frühzeitig,
dass sich die ehemaligen Kirchengemeinde St. Sylvestri und Liebfrauen
von ihrem Gotteshaus trennen muss.
Im Kirchenkreis Halberstadt, zu dem
Wernigerode gehört, sind nur noch
etwa 13 Prozent der Einwohner
evangelisch.
„In der Innenstadt in Wernigerode sind drei große wichtige Kirchen,
die auch für die Stadtgeschichte eine
wichtige Rolle spielen“, erklärt Kerstin Schenk. Sie ist stellvertretende
Superintendentin des Kirchenkreises Halberstadt und Pfarrerin der
Evangelischen Christusgemeinde
Wernigerode-Schierke. Schenk ergänzt: „Für die Kirchengemeinden
ist es oft nicht möglich, Kirchen auf
so engem Raum nebeneinander zu
erhalten und zu nutzen. Da bedarf
Kirchen werden zu Beratungsstätten
Die Zukunft vieler Gotteshäuser in und um Mannheim ist nicht gesichert. Kommunen
und Kirchen suchen nach Alternativen, zum Beispiel als Tanzhaus oder Arbeitslosentreff
Autor Harald Sawatzki
FOTO: FULBERT HAUK
D
ie Evangelische Kirche verliert seit
Jahren kontinuierlich Mitglieder.
Dieser bundesweite Trend trifft
Mannheim, eine der größten Gemeinden Nordbadens „besonders drastisch“,
wie Stadtdekan Ralph Hartmann unumwunden eingesteht. Die Bevölkerung der
größten Stadt im Dreiländereck BadenWürttemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen
„tickt stärker säkular“ als die Einwohnerschaft vergleichbarer Kommunen. Das
hat zum einen mit der demografischen
Entwicklung zu tun, zum andern mit dem
hohen Anteil einer Bewohnerschaft mit
Migrationshintergrund. „Die Mannheimer
sind sehr pragmatisch, dem Weltlichen
zugewandt.“
Zum Ende der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zählte die Evangelische Kirchengemeinde Mannheim rund
In der Mannheimer
Trinitatiskirche organisiert
der Verein „Eintanzhaus“
Aufführungen.
160.000 Mitglieder, bei einer etwa doppelt so hohen Gesamtbevölkerung. Inzwischen schrumpfte die fromme Schar
der gläubigen Mitglieder auf knapp
70.000 Personen. Hartmann: „Seit den
90er Jahren ging es fast stetig nach unten.“ Entsprechend schmalbrüstig entwickelte sich die Finanzlage, die in verschärfter Form den Trend im gesamten
Nordbaden wiedergibt.
Noch öffnen in Mannheim 30 evangelische Gotteshäuser die Pforten, doch
das Ende einiger Kirchen rückt näher.
Nur etwa ein Dutzend Häuser soll saniert
werden und in tadellosem Zustand erhalten bleiben. Bei einem weiteren Dutzend
ist künftig – die Zustimmung der Synodalen vorausgesetzt – nur noch das Allernötigste für den Fortbestand der Kirchen
eingeplant. Und etwa acht weitere Kir-
es neuer Konzepte und Ideen. Einem
solchen Prozess hat sich die damalige Kirchengemeinde St. Sylvestri
und Liebfrauen unterzogen. Bis zu
einem endgültigen Beschluss verging ein Jahrzehnt.“
Nach der Eröffnung am 17. Dezember sowie einem Tag der offenen Tür am 18. Dezember gibt es
erst einmal ein Programm für ein
halbes Jahr. Dieses besteht übrigens nicht nur aus Auftritten des
Kammerorchesters. Das Orchester
selbst werde sich gleichwohl in den
kommenden Monaten erst einmal
mit seiner neuen festen Stelle vertraut machen müssen, meint Fitzner.
Eines weiß er schon jetzt: „Wir müssen experimentieren und schauen,
wo es den meisten Zuspruch des
Publikums gibt.“
Ulf Buschmann
Weitere Informationen
pkow.de
facebook.com/konzerthausliebfrauen
chen müssen aufgegeben werden, unter
anderem auch wegen unerfüllbarer Auflagen durch den Denkmalschutz.
Beispiel Trinitatiskirche: Das Prunkstück des Wiederaufbaus nach 1945
konnte bereits von 1995 an nur noch
eingeschränkt genutzt werden. Der
„Eintanzverein“ aus der freien TanzSzene übernahm das Gebäude und nutzt
es als sogenanntes „Eintanzhaus“ gegen
geringe Gebühr. Für den Erhalt ist die
Kirchengemeinde weiterhin zuständig.
Eine zweite große Kirche, deren Fortbestand ebenfalls nicht gesichert scheint,
wird schon jetzt mit städtischer Unterstützung teilweise als Arbeitslosentreff,
Beratungs- und Begegnungsstätte der
Diakonie genutzt.
Die Einschnitte auf allen Ebenen
resultieren aus der Erkenntnis der
Badischen Landeskirche, dass bis zum
Jahr 2030 mit weiterhin deutlich weniger Einnahmen aus der Kirchensteuer
zu rechnen sein wird. Für das Personal
und den Unterhalt fehlen dann etwa 30
Prozent der Mittel. So bleibt laut Hartmann zum Beispiel diese Alternative:
„Die Kirchen der Zukunft wandeln sich
in Begegnungsräume.“
12 TITEL
Stadtbildprägend: Dom und Severikirche verleihen auch dem Erfurter Weihnachtsmarkt eine stimmungsvolle Kulisse (Archivbild).
Religiöse Wahrzeichen
Kirchen prägen vielerorts das Stadtbild. Tourismus
und Kulturleben profitieren
Autor Carl-Friedrich Höck
W
eniger als 30 Prozent der
Thüringer Bevölkerung gehören der evangelischen
oder katholischen Kirche an. Und doch
sind Kirchen aus der Landeshauptstadt
nicht wegzudenken. Allein in der Innenstadt von Erfurt gibt es 20 Kirchen,
viele stammen noch aus dem Mittelalter. Schon damals nannte man die Stadt
„Erfordia turrita“, türmereiches Erfurt.
Von ihrem Ruf profitiert die Kommune
noch heute. „Kirchen und religiöse Gebäude spielen im touristischen Marketing
der Stadt Erfurt eine große Rolle“, bestätigt Kristin Luther von der „Erfurt Tourismus und Marketing GmbH“ (ETMG). Der
Dom und die benachbarte St. Severikirche
sind ein weithin sichtbares Wahrzeichen.
Viele Bauten sind historisch bedeutend
oder mit Persönlichkeiten der Stadtgeschichte verknüpft. Martin Luther war
Mönch im Augustinerkloster, wurde in
Erfurt zum Priester geweiht und predigte hier. Die Kaufmannskirche war Hauskirche der Familie von Johann Sebastian
Bach. In der Lorenzkirche finden seit 1978
wöchentliche Friedensgebete statt – für
die Friedliche Revolution in Erfurt spielten
sie eine wichtige Rolle.
Das Stadtmarketing greift die Geschichten auf und arbeitet mit den einzelnen Kirchen zusammen. Teilweise
tritt man gemeinsam als Aussteller auf
Messen auf. Gotteshäuser werden in das
Besuchsprogramm von Presse- und Studienreisen eingebunden. Zusammen mit
dem Augustinerkloster engagiert sich die
ETMG in der Werbegemeinschaft „Wege
zu Luther“. Auch das jüdische Erbe der
Stadt wird stolz präsentiert. Mit seiner alten Synagoge, einer Mikwe und weiteren
Zeugnissen aus der Zeit zwischen dem 11.
und 14. Jahrhundert bemüht sich Erfurt
derzeit um einen UNESCO-Welterbe-Titel.
Kölner Dom ist ein „USP”
Auch in anderen Kommunen sind Sakralbauten wichtige Eckpfeiler der eigenen
Identität. Wer etwa an Köln denkt, denkt
an den Dom. Mit sechs Millionen Besucherinnen und Besuchern pro Jahr ist
er die meistbesuchte Sehenswürdigkeit
Deutschlands und ein „Unique Selling
Point“ (USP), wie Claudia Neumann von
der KölnTourismus GmbH erklärt. Weitere Bauten wie der Ring der 12 Romanischen Kirchen ergänzen das Stadtbild.
Die Kommune profitiert von den Attraktionen auch finanziell. In Köln wurden
durch den Tourismus vor Corona jährlich
fünf Milliarden Euro Bruttoumsatz erwirtschaftet, so Neumann. In Erfurt verweist
die ETMG auf eine im Jahr 2017 vorgestellte Studie. Demnach besuchen jährlich
zwölf Millionen Gäste die Stadt. Daraus
ergebe sich ein Gesamtbruttoumsatz von
596 Millionen Euro. 13.400 Menschen
könnten durch den Tourismus ihren Le-
ATTRAKTIONEN
13.400
Menschen können in Erfurt
vom Tourismus leben.
20
Kirchen gibt es allein
in der Erfurter Innenstadt.
6
Millionen Besucherinnen
und Besucher jährlich zählt
der Kölner Dom.
QUELLE: ETMG/KÖLNTOURISMUS GMBH
bensunterhalt bestreiten, teilt die ETMG
mit. „Der Tourismus leistet zudem erhebliche Beiträge für die Stadtentwicklung
und die Lebensqualität in Erfurt.“
Hinzu kommt, dass die Kirchen und
ihre Gemeinden das Kulturleben mitprägen. Bleiben wir beim Beispiel Erfurt:
Auf dem Domplatz gibt es ein jährliches
Martinsfest, zu dem Menschen aus dem
ganzen Bundesland anreisen. Veranstaltet wird es von der Abteilung „Märkte
und Stadtfeste“ der Stadtverwaltung. Im
Sommer stellt das Bistum dem Theater Erfurt die Domtreppe für opulente Opernaufführungen zur Verfügung.
Für den Erhalt der religiösen Wahrzeichen sorgen in der Regel die jeweiligen
Kirchengemeinden. Deren Mitgliederzahlen sinken jedoch, was die Frage aufwirft:
Was passiert, wenn sie die notwendigen
Sanierungen nicht mehr stemmen können? Auch die Kommunen haben nur begrenzte Mittel. „Die Stadt Erfurt besitzt
rund 450 eigene Gebäude, da ist die Pflege von Kirchen beziehungsweise Bezuschussung von Sanierungsarbeiten nicht
auch noch zu leisten“, stellt der Sprecher
von Erfurts Oberbürgermeister Andreas
Bausewein klar.
Eine Möglichkeit besteht darin, Gebäude umzunutzen. „Es gibt eine ganze
Reihe an Kirchen, die als Museen verwendet werden“, sagt Annette Sawade.
Sie ist Mitglied der Landessynode Württemberg, stellvertretende Vorsitzende der
Bundes-SGK und Mitglied im Kreis- und
Gemeinderat von Schwäbisch Hall. In der
Stadt gibt es zum Beispiel die Johanniterkirche, die von der Würth-Gruppe gekauft wurde. Dort ist nun eine Sammlung
von Bildern aus dem Mittelalter und der
Renaissance ausgestellt.
Als Ortszentren bleiben Kirchen bedeutend, ist Sawade überzeugt – selbst
kleine Dorfkirchen seien oft ein wichtiger
Mittelpunkt für die Menschen. Kirchen
öffneten sich auch zunehmend für Veranstaltungen von weltlichen Gruppen – etwa als Proberaum für den Gesangsverein.
Dass Kirchensteuern im Osten weniger üppig fließen, hat übrigens historische Gründe, wie die gebürtige
Thüringerin Sawade erklärt. „Die DDR hat
es in der Zeit ihres Existierens wirklich sehr
gut verstanden, die Leute aus der Kirche
rauszutreiben.“ Andererseits habe auch
die SED Kirchen als Marketingobjekte genutzt. So wie die Marienkirche in Mühlhausen, wo einst Thomas Müntzer predigte, der Revolutionsführer im Bauernkrieg.
Seit 1975 ist sie keine Pfarrkirche mehr.
Zwar finden hier noch Gottesdienste statt,
hauptsächlich ist die Marienkirche aber
heute Gedenkstätte und Konzertsaal.
FOTO: KULTURDIREKTION ERFURT, HANS P. SZYSZK A (CC-BY-NC-ND)
DEMO 11-12/2021
TITEL 13
11-12/2021 DEMO
Was Krefeld glaubt
Christen, Muslime, Juden und viele mehr leben in der Stadt.
Die „Krefelder Erklärung“ zeugt von religiöser Toleranz
Autorin Maicke Mackerodt
M
ehr als 250 Glaubensrichtungen und Weltanschauungen
sind der Forschung allein im
Ruhrgebiet bekannt. Christen, Muslime,
Juden und viele mehr sind auch in Krefeld
vertreten. Der Islam wird in der niederrheinischen Großstadt mit einem stillen
Minarett von 38 Metern Höhe sichtbarer werden, das Stadtbild enorm verändern: Für fünf Millionen Euro baut die
Fatih-Camii-Gemeinde Krefelds größte
Moschee.
„Unsere Stadtgeschichte zeigt, dass
Krefeld von seiner religiösen Toleranz
häufig profitiert hat“, sagt Oberbürgermeister Frank Meyer (SPD). „Vielfalt ist
eine Stärke, aber auch eine tägliche Herausforderung.“ Im Juni 2018 hatte das
Stadtoberhaupt gemeinsam mit allen
örtlichen Religionsgemeinschaften die
sogenannte „Krefelder Erklärung“ unterschrieben. „Sie besagt ausdrücklich,
dass für die Stadtgesellschaft alle Religionen gleichwertig sind“. Zu den Zielen der Selbstverpflichtung gehört auch,
den Respekt gegenüber allen Menschen
zu fördern, verschiedene religiöse Praktiken kennenzulernen oder Gemeinden
zu besuchen.
FOTO: DITIB KREFELD
Interreligiöser Austausch
Kurz vor dem Lockdown fand 2019
auf der Burg Linn die erste Präsenzveranstaltung „Was glaubt Krefeld“ statt,
ein Gesprächsformat, das auf Initiative
des SPD-Oberbürgermeisters eingeführt
wurde und einen direkten Austausch
der 28 verschiedenen Religionsvertreter
ermöglichte. Dazu zählen auch Abspaltungen wie Mennoniten, Zeugen Jehovas oder die Brüdergemeinde. In Diskussionsrunden tauschten sich Menschen
christlicher, muslimischer, jüdischer oder
freikirchlicher Glaubensrichtungen aus.
Für den gebürtigen Krefelder Frank
Meyer wurden mit dem „Dialog der Religionen“ und der „Krefelder Erklärung”
ein Forum geschaffen, „sich besser kennenzulernen. „Wer miteinander redet,
legt Vorurteile ab und lernt, differenziert
hinzusehen. Im Rathaus feiern wir das jüdische Chanukka, aber auch muslimisches
Fastenbrechen und laden Vertreterinnen
Wer
miteinander
redet, legt
Vorurteile
ab und lernt,
differenziert
hinzusehen.
Frank Meyer (SPD),
Oberbürgermeister
von Krefeld
und Vertreter aller Religionen dazu ein.“
„Was glaubt Krefeld?” heißt nun auch
ein Magazin, das aus dem „Dialog der
Religionen“ entstanden ist. Anstatt die
Unterschiede zu betonen, wurde mit der
Broschüre – erste Auflage 1.000 Exemplare – versucht, auf 64 Seiten die zumeist
viel größeren Gemeinsamkeiten hervorzuheben. Beantwortet werden Fragen
wie: Wofür stehen Mennoniten? Was ist
die Alt-Katholische Kirche? „Dabei entstand ein Bild, das sich als so reich und
vielschichtig wie das Zusammenleben in
unserer Stadt entpuppte“, so Meyer. „In
einer weltoffenen Gesellschaft können
wir voneinander lernen, dürfen aber auch
miteinander streiten. Toleranz heißt nicht,
alles hinzunehmen, sondern die Haltung
des anderen zu respektieren und ernst zu
nehmen.“ Das will die Stadt Krefeld auch
mit der Broschüre unterstützen.
Die Krefelder Integrationsbeauftragte
Dr. Tagrid Yousef, eine gebürtige Palästinenserin, ist froh, dass das muslimische
Leben in der früheren Samt- und Seidenstadt so gut gedeiht. Krefeld gehörte 2019
zu den ersten Städten in Nordrhein-Westfalen (NRW), die einen Teil des Friedhofs
Muslimen zur Verfügung stellen. Jetzt
wird auch die Trauerhalle in Elfrath interreligiös genutzt. Aber Tagrid Yousef weiß
auch um den provozierenden Charakter
Krefelds größte Moschee soll 2024 fertig sein.
der neuen Moschee: „Von Beginn an war
der Vorstand der alten Moschee sehr am
Dialog interessiert, da die Skepsis anfangs
hoch war, wenn so eine große, gut sichtbare Moschee gebaut wird.“ Vorgesehen sind ein durch Spenden finanziertes
Gebetshaus für mehr als 500 Personen
mit Kuppel, Läden, eine Bibliothek, ein
Café mit viergeschossigem Begegnungszentrum, das für alle Krefelderinnen
und Krefelder offen sein soll. Dazu eine
Tiefgarage und Anbindung an die neue
„Krefelder Promenade“, die zwischen den
Bahngleisen und dem Moscheegelände
entstehen soll. Seit 30 Jahren residieren
die Krefelder Muslime in einer klassischen
Hinterhof-Moschee, einem Industriegebäude gleich hinter dem Hauptbahnhof.
Seit Jahren viel zu klein geworden, erfolgte 2019 der Spatenstich für die neue
Moschee. Fertig soll das Zukunftsprojekt
2024 sein.
Yousef, seit 2014 Leiterin der Fachstelle Migration und Integration, vertrat die
Stadt nicht nur beim ersten Spatenstich.
Der Nationen-Netzwerkerin, wie die ehemalige Lehrerin liebevoll genannt wird, ist
es wichtig, vorurteilsfrei und auf Augenhöhe auf die verschiedenen Glaubensgruppen zuzugehen. Dazu gehört, „gemeinsam zu überlegen, wie die Moschee
auch als Ort der gesamten Nachbarschaft
genutzt werden kann.“ Die studierte Neurowissenschaftlerin kämpft dafür, „die
neue Moschee in das Quartier und die
ganze Stadt einzubinden“.
Stadtplan der Religionen
Außerdem war es auch die Idee von
Tagrid Yousef, einen speziellen Stadtplan
der Religionen zu entwickeln. Im Internet unter krefeld.de/geoportal führt ein
QR-Code z. B. direkt zu Gebetshäusern,
verlinkt mit städtischen Geo-Portalen. So
sind die Fatih-Camii-Gemeinde und auch
andere Moscheen längst Teil der Krefelder
Gesellschaft geworden – im Einklang mit
den anderen Religionen.
In Krefeld ist man zudem stolz, am
FIT-Programm des Bundesinnenministeriums und der Otto-Benecke-Stiftung
teilzunehmen. FIT steht für Förderung
islamischer Teilhabe. Das Pilotvorhaben
„Moscheen für Integration” ist Bestandteil des integrationspolitischen Schwerpunkts der aktuell vierten Phase der
Deutschen Islam Konferenz, an der auch
die Integrationsbeauftragte Tagrid Yousef
teilnimmt. Es sollen etwa ehrenamtliche
Mitarbeiter der Gemeinde geschult werden, damit sie Deutschunterricht geben
können. Und auch die digitalen Fähigkeiten will man ausbauen – wichtig gerade
in Corona-Zeiten.
14 TITEL
DEMO 11-12/2021
Deutsche Friedhofskultur
weltweit einzigartig
Kommunale und konfessionelle Friedhofsträger kooperieren
enger, um neuen Bestattungstrends etwas entgegenzusetzen
Autor Harald Lachmann
D
ie Zahl der Friedhöfe in Deutschland kennt niemand genau.
Experten sprechen von „über
3.000“. Von denen befinden sich rund
1.000 in kirchlicher Trägerschaft, teils katholisch, teils evangelisch, die anderen in
kommunaler Hand. Für Hinterbliebene,
die Angehörige zu Grabe tragen, ist das
oft zweitrangig: Sie wählen den Friedhof,
der für sie am günstigsten liegt.
Entstanden sind Friedhöfe, wie wir
sie heute in den Kommunen nutzen,
aus „umfriedeten“ Kirchhöfen oder
Gottesackern. Daher der Name, der im
ursprünglichen Sinn nichts mit „Friede“
zu tun hat. Doch schon Ende des 30-jährigen Krieges, um 1648, wurden wegen
der vielen Toten Verwaltung und Betrieb
von Friedhöfen gesetzlich geregelt. Seither sind Friedhöfe zumeist öffentlichrechtlich organisiert.
Die Kirchen übernehmen im Grunde
Dienstleistungen für die Kommune. Indes
zeigen sich hier noch immer Unterschiede: Kommunale Friedhöfe werden meist
als städtische Regiebetriebe geführt, sie
haben keine eigene Rechtspersönlichkeit
und keinen eigenen Haushalt, jedoch hoheitliche Befugnisse. Kirchliche Friedhö-
Ein Körper
eines
Verstorbenen
ist kein
Gegenstand,
über den
Angehörige
beliebig
verfügen
dürfen.
Rüdiger Fikentscher,
Leiter des Vereins für
Friedhofskultur in Halle und
langjähriger SPD-Landeschef
in Sachsen-Anhalt
fe besitzen einen eigenen Haushalt und
sollen sich möglichst selbst tragen.
Beiden Trägern ist eins gemeinsam: Sie
benötigen Einnahmen aus Friedhofsgebühren. Und hier beginnt das Dilemma.
Denn der überkommene Friedhof hat ein
Imageproblem. Es gilt als altmodisch, gar
uncool, sich hier zu Grabe tragen zu lassen. Attraktiver wirken anonyme Aschestreuwiesen, Friedwälder, See- oder
Luftbestattungen oder noch Schrägeres:
Man verpresst die Asche Verstorbener
zu Diamanten, die man am Hals trägt.
Auch virtuelle Erinnerungsplätze im Netz
gewinnen an Zuspruch. Hinzu kommt
ein wachsender öffentlicher Druck, den
„Friedhofszwang“, wie er nur noch in wenigen Staaten gilt, aufzuheben. Man will
die Urne lieber im eigenen Garten vergraben oder daheim auf die Anrichte stellen.
Gegen diesen Trend rücken derzeit
konfessionelle wie kommunale Friedhofsträger zunehmend enger zusammen. Zunächst aus Pietätsgründen: „Ein Körper
eines Verstorbenen ist kein Gegenstand,
über den Angehörige beliebig verfügen
dürfen“, sagt Rüdiger Fikentscher. Der
langjährige SPD-Landeschef in SachsenAnhalt und SPD-Bundesparteiratsvorsit-
„Heilsame Traditionen bewahren“
Auch für den EKD-Kulturbeauftragten Dr.
Johann Hinrich Claussen bilden Friedhöfe
„unverzichtbare Orte des menschlichen
Lebens“. Es seien auch „bedeutende Kulturorte“. Denn mit ihren „Kapellen, Grabsteinen, Inschriften und Bildwerken aus
unterschiedlichen Zeiten führen sie uns
vor Augen, aus welchen Traditionen wir
leben und welche neuen rituellen oder
künstlerischen Ausdrucksformen unsere
Gegenwart hervorbringt“. Manchmal sei
es einem Christen „schon gar nicht mehr
richtig bewusst, was es bedeutet, dass ein
Name am Grabmal steht“.
Deshalb werde die evangelische Kirche
„das ihre tun, um gute, heilsame und schöne Traditionen zu bewahren und zugleich
neue Wege der Trauer- und Gedenkkultur
zu eröffnen, damit das Kult- und Kulturgut
Friedhof eine gute Zukunft hat“, betonte
Claussen. Gemeinsam mit den Kommunen
und örtlichen Vereinen wollen die Kirchen
verstärkt dazu beitragen, den Friedhöfen
neue Felder und Funktionen auch für Lebende zu öffnen – etwa in ökologischer,
musikalischer, künstlerischer, touristischer
und denkmalhistorischer Sicht.
FOTO: HARALD LACHMANN
Vertreter der EKD und der katholischen Bischofskonferenz trafen sich unlängst auf dem evangelischen Südwestkirchhof in Stahnsdorf.
Hier wurde auch eine Wanderausstellung für zeitgemäße Friedhofskultur vorgestellt, die künftig bundesweit zu sehen sein wird.
zende leitet heute den Verein für Friedhofskultur in Halle. Unmissverständlich
plädiert er für einen „öffentlichen Raum
für Trauer und Erinnerung“. Verstorbene seien nicht das Eigentum der Hinterbliebenen. Zu Hilfe kommen den Traditionalisten hierbei geschichtsbewusste
Zeitgenossen. Sie fanden heraus, dass
die deutsche Friedhofskultur in ihrer gewachsenen Form weltweit einzigartig
ist. Deshalb nahm sie die Kultusministerkonferenz der Länder 2020 bereits in das
„Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes“ auf. Inzwischen läuft bei
der UNESCO sogar ein Antrag, sie in das
immaterielle Welterbe aufzunehmen.
Immanenter Bestandteil des Kampfes
gegen eine liberale Aufweichung deutscher Friedhofskultur ist die damit einhergehende Anonymisierung Verstorbener.
Um hiergegen ein sichtbares Zeichen zu
setzen, trafen sich im Herbst Experten der
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof bei Berlin. „Am Grab ist der
Name verzeichnet und damit verbindet
sich die Biografie, wertvoll und individuell“, zitierte etwa Sebastian Schwertfeger
vom Erzbischöflichen Ordinariat Berlin
den Vorsitzenden der Bischofskonferenz
Dr. Georg Bätzing. Ziel der katholischen
Kirche sei es auch, einer aktuellen „Todesvergessenheit in der Gesellschaft“ entgegenzuwirken.
TITEL 15
11-12/2021 DEMO
Leipzigs jüdisches Leben
blüht wieder auf
Mit gut 1.200 Mitgliedern ist die Israelitische
Religionsgemeinde zu Leipzig die größte im Osten
Autor Harald Lachmann
FOTOS: HARALD LACHMANN
M
an schrieb das Jahr 321, als
sich erstmals deutsche Kommunen offiziell mit ihren Einwohnern jüdischen Glaubens beschäftigten. Denn durch ein kaiserliches Dekret
durften diese fortan in die Stadträte berufen werden. Dies war eine wichtige Zäsur,
die bis heute nachwirkt. Leipzig gab es
da noch nicht, die Gemarkung wurde erst
600 Jahre später besiedelt. Doch als die
sächsische Metropole im Juli 2021 zum
bereits 14. Mal zu „Schalom – Jüdische
Woche in Leipzig“ einlud, standen diese
Kultur-, Begegnungs- und Erinnerungstage bewusst unter diesem Motto: „1.700
Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“.
Wie nur wenige andere deutsche
Städte lebt Leipzig wieder sehr aktiv und
bekennend seine jüdischen Traditionen.
Die jüdische Gemeinde, die sich heute
maßgeblich aus post-sowjetischen Spätaussiedlern und deren Nachkommen
rekrutiert, zählt wieder gut 1.200 Mitglieder. Und ihr Rabbiner Zsolt Balla ist
inzwischen eine schillernde Figur in der
deutschen Diaspora. Der 42-Jährige ist
auch Landesrabbiner in Sachsen, er gehört dem dreiköpfigen Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz in Deutschland an, er leitet in Leipzig das Institut für
Traditionelle Jüdische Liturgie – und seit
Juni ist er auch der erste Militärrabbiner
in einer deutschen Armee seit rund 100
Jahren.
Die Leipziger Juden treffen sich zu Gebet und Kommunikation in der sehenswerten innerstädtischen Brodyer Synagoge. Und dass sie zu den agilsten unter
den 105 lokalen Gemeinden – mit etwa
94.000 Mitgliedern – unterm Dach des
Zentralrats der Juden zählen, rührt aus
ihrer Geschichte. Seit dem Mittelalter sind
Spuren jüdischen Lebens in Leipzig nachweisbar. Als sich Juden wieder dauerhaft
niederlassen durften, gründeten sie 1847
die Israelitische Religionsgemeinde zu
Leipzig. 1925 zählte sie rund 13.000 Mitglieder und gehörte damit zu den sechs
größten im Reich. Literaturnobelpreisträger Samuel Agnon setzte mit seinem
Roman „Herrn Lublins Laden“ den Juden
in Leipzig in jener Zeit ein literarisches
Denkmal. Noch 1945 war nach Krieg
und Völkermord die Synagoge wieder
geweiht worden. Sie zählte bis 1990 nur
einige Dutzend Mitglieder. Bereits 1962
gründete Oberkantor Werner Sander den
weithin renommierten Leipziger Synagogalchor.
Kulturzentrum im Ariowitsch-Haus
Einen spürbaren Aufschwung für das jüdische Leben in Leipzig ab 1990 brachte
2009 die Wiedereröffnung des rekonstruierten Ariowitsch-Hauses als Zentrum
Jüdischer Kultur. Obwohl die Stadt Leipzig sich stark dafür engagierte und letztlich auch durchsetzte, verzögerte sich
die Eröffnung jahrelang, weil Anrainer
im umliegenden Nobelstadtteil – vor
allem zugezogene Neubürger – lange
dagegen klagten: Sie meinten, ein jüdisches Zentrum locke antisemitische Gewalt in das Quartier.
Heute ist das Ariowitsch-Haus Herzstück der alle zwei Jahre fröhlich gefeierten „Schalom-Woche”. Es gibt Konzerte, Lesungen, Filme, Stadtrundgänge,
Vorträge, Theater, Tanz. Und einen auch
emotionalen Höhepunkt bilden seit 1995
Treffen mit früheren Leipziger Juden, die
heute in Israel oder den USA leben und
nun von ihren Kindern und Enkeln begleitet werden. OB Burkhard Jung (SPD) lädt
sie dazu stets persönlich ein.
2021 fanden zwar viele dieser Zeitzeugengespräche mit Holocaust-Überlebenden pandemiebedingt in einem
virtuellen Rahmen statt, dennoch stand
die Innenstadt rund um das originelle
Synagogen-Denkmal in dieser Woche
wieder sichtlich im Zeichen deutsch-jüdischer Begegnungen. Rund 10.000 Gäste kamen etwa zum Jüdischen Straßenmusikfestival „Le Chaim. Auf das Leben“
in der Grimmaischen Straße. Mehr als 60
Leipziger Institutionen und Vereine beteiligten sich an den Programmen.
Städtepartnerschaft mit Herzliya
Der Rabbiner der jüdischen
Gemeinde in Leipzig Zsolt Balla
ist eine schillernde Figur in der
deutschen Diaspora. Er ist auch
Landesrabbiner in Sachsen
und gehört unter anderem
dem dreiköpfigen Vorstand der
Orthodoxen Rabbinerkonferenz
in Deutschland an.
Auch Bürger aus der israelischen
97.000-Einwohner-Stadt Herzliya, mit der
Leipzig eine sehr lebendige Städtepartnerschaft zelebriert, waren wieder angereist. Der Verein Leipzig-Herzliya e. V.
organisiert seit 2010 vielfältige Bürgerreisen, Kinder- und Jugendaustausch,
Schulbegegnungen, gemeinsame Sportfeste, Musik- und Tanzveranstaltungen.
Das Leipziger Rathaus unterstützt
auch die Ephraim Carlebach Stiftung finanziell, die die Rolle jüdischer Bürger an
der stadt- und lokalgeschichtlichen Entwicklung in Vergangenheit und Gegenwart aufbereitet. Hierzu arbeitet diese
eng mit der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, der Stadtverwaltung
und der Leipziger Universität zusammen.
Ein Großteil der dafür erforderlichen
Mittel kommt aus Spenden und Sponsorengeldern der Leipziger Einwohnerund Unternehmerschaft.
Holocaust-Überlebende Channa Gildoni (94) und Enkel Jonathan in Leipzig während der „Schalom-Woche”
16 NEWS
DEMO 11-12/2021
Die Mitgliederversammlung der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) hat am 12. November
einen neuen Vorstand gewählt. Einstimmig sprach sie sich für Karin Welge
als Präsidentin aus. Die Oberbürgermeisterin der Stadt Gelsenkirchen wird
das Ehrenamt am 1. Januar 2022 antreten. Sie folgt auf den bisherigen VKAPräsidenten Ulrich Mädge. Somit wird
Welge künftig auch die Verhandlungsführung in den Tarifverhandlungen
Karin Welge (l.) und Ulrich Mädge
für den kommunalen öffentlichen
Dienst übernehmen. Die Wahlperiode
endet satzungsgemäß Ende 2024.
Die VKA vertritt 10.000 kommunale
Arbeitgeber. CFH
vka.de
Neue Steuerschätzung
Als geschäftsführender Bundesfinanzminister hat Olaf Scholz am
12. November die Ergebnisse der neuen
Steuerschätzung vorgestellt. Die Steuereinnahmen bis einschließlich 2025
liegen durchschnittlich pro Jahr um gut
35 Milliarden Euro und damit insgesamt
um knapp 180 Milliarden Euro höher,
als noch bei der letzten Schätzung
im Mai 2021 angenommen worden
war. Dennoch warnt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städteund Gemeindebundes (DStGB) Gerd
Landsberg: „Auch wenn die Lage der
öffentlichen Finanzen eine positive Tendenz aufzeigt, kann vor allem für die
Kommunalfinanzen keine Entwarnung
gegeben werden.“ Nach den Zahlen der
November-Steuerschätzung müssten die
Kommunen bis 2024 mit 19,6 Milliarden
Euro weniger im Vergleich zu den Planungen vor Corona auskommen. KB/CFH
demo-online.de/aktuelles
Kliniken fordern Reform
Drei Fragen an …
Frank Baranowski, Vorsitzender der Bundes-SGK
Die Koalitionsverhandlungen der Ampelparteien sind ohne
große Aufregungen in der Öffentlichkeit abgelaufen. Wie
beurteilst Du den Start der neuen Bundesregierung?
Es ist gut, dass die jetzt abgeschlossenen Koalitionsverhandlungen so zügig und ruhig über die Bühne gegangen sind. Das war
nicht selbstverständlich, liegen zwischen den Programmen und
Positionen der drei verhandelnden Parteien doch große Unterschiede. Bereits mit dem Sondierungspapier konnten wir sehen,
dass es den Verhandelnden gelungen ist, die Gräben zu überwinden und ein Signal des Aufbruchs zu senden. Diese ruhige
und doch beherzte Art, die Dinge anzupacken, das kennen wir
von Olaf Scholz, jetzt haben die künftigen Koalitionspartner den
neuen Bundeskanzler kennengelernt. Diese Bundesregierung
wird mit viel Ambitionen und einer guten Führung starten.
Bei einer ersten Durchsicht des Koalitionsvertrages kommt
die Kommunalpolitik an vielen Stellen vor. Wie bewertest
Du den Vertrag aus der Sicht der Kommunen?
Es werden wichtige politische Akzente gesetzt, und es wird ein
Klima für Innovationen geschaffen. Das ist gut. Wir bekommen
mehr soziale Gerechtigkeit, und der Geist der sozialdemokratischen Formel „Aufstieg durch Bildung“ durchzieht die sozialpolitischen Kapitel des Vertrages. Die SPD wird das neue Bauministerium führen. Der Bau neuer geförderter Wohnungen und
eine ausgeweitete Städtebauförderung sind für unsere Städte
und Gemeinden sehr wichtig. Die Förderungen des Bundes für
die Kommunen sollen stärker daran orientiert werden, dort zu
helfen, wo es am meisten gebraucht wird. So gibt es auch ein
klares Bekenntnis, überschuldeten Kommunen zu helfen und ihre
Investitionskraft zu erhalten.
Aus Sicht der Kommunen wäre ein eindeutigeres Bekenntnis zum
Konnexitätsprinzip, also wer bestellt muss auch bezahlen, gut
gewesen. Unsere Sorge ist ja nicht unberechtigt, dass schlussendlich öffentliche Leistungen, die Bund und Länder ankündigen, auf kommunaler Ebene umgesetzt werden müssen und wir
mit den Kosten allein dastehen oder nur unzureichend finanziert
werden. Die Vergangenheit macht vorsichtig.
Was sind Deine Erwartungen über den Koalitionsvertrag
hinaus an die neue Bundesregierung?
Ich wünsche mir, dass der mit dem Koalitionsvertrag angekündigte neue politische Stil der Kooperation – gerade auch zwischen
den Ebenen, Europa, Bund, Länder und Kommunen – tatsächlich
Einzug hält. Wir Kommunalen nehmen das Angebot der Bundesregierung zur konstruktiven Zusammenarbeit an und bringen uns
gerne ein. Wir jedenfalls kennen die Stärken der kommunalen
Selbstverwaltung und wissen um unsere Systemrelevanz.
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG)
Gerald Gaß will die Krankenhauslandschaft einem Reformprozess unterziehen. Er schlägt eine „Bund-LänderZukunftskommission Krankenhaus“
vor, um ein abgestimmtes Handeln
zwischen Bundesregierung und Ländern
für eine künftige Krankenhausstruktur
auf den Weg zu bringen. „Die Menschen erwarten Antworten: Wie viel
Krankenhaus will die Politik in Zukunft
noch, wie viel Zentralisierung, wie viel
Wohnortnähe?” Den Fragen müsse die
Politik sich stellen, sagte Gaß anlässlich
des Deutschen Krankenhaustages. CFH
deutscher-krankenhaustag.de
Vorkaufsrecht gekippt
Das Bundesverwaltungsgericht hat den
Einsatz des Vorkaufsrechtes in einem Berliner Milieuschutzgebiet für rechtswidrig
erklärt. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wollte verhindern, dass Bewohner
aus dem Gebiet gedrängt werden, wenn
der neue Besitzer Wohnungen aufwertet, Mieten erhöht oder Mietwohnungen
in Eigentumswohnungen umwandelt.
Das Gericht entschied: Die Annahme,
dass der Käufer in Zukunft erhaltungswidrige Nutzungsabsichten verfolgen
werde, rechtfertige die Ausübung des
Vorkaufsrechtes nicht. Die AmpelKoalition will nun laut Koalitionsvertrag
prüfen, ob sich aus dem Urteil gesetzgeberischer Handlungsbedarf ergibt. CFH
demo-online.de/aktuelles
Neue Spitze gewählt
Die Hauptversammlung des Deutschen
Städtetags hat Oberbürgermeister
Markus Lewe zum neuen Präsidenten
gewählt. Zum Vizepräsidenten gewählt
wurde der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung, der seit Juni 2019
das Präsidentenamt innehatte und
turnusmäßig abgibt. Zum ersten Stellvertreter des Präsidenten wählten die
Delegierten Oberbürgermeister Eckart
Würzner, Heidelberg. Als weitere Stellvertreterinnen und Stellvertreter wurden unter anderem gewählt:
Oberbürgermeisterin Katja Dörner,
Bonn, Oberbürgermeister Dr. Ulf
Kämpfer, Kiel, und Oberbürgermeister
Pit Clausen, Bielefeld. (KB)
demo-online.de
FOTOS: VK A /HOLGER MARTENS FOTOGRAFIE & BILDKUNSTT; DIRK BLEICKER
Karin Welge –
neue VKA-Präsidentin
BLICKPUNKT KOALITIONSVERTRAG 17
11-12/2021 DEMO
Sie sind sich einig: Die Parteispitzen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP und der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz.
Fahrplan für den Fortschritt
Der Koalitionsvertrag liegt vor. Was SPD, Grüne und FDP
für die Städte und Gemeinden ausgehandelt haben
Autoren Carl-Friedrich Höck, Karin Billanitsch
D
ie Ampel steht!“ Das war die
wichtigste Botschaft des designierten Bundeskanzlers Olaf
Scholz, als er am 24. November gemeinsam mit den Spitzen von SPD, Bündnis
90/Die Grünen und FDP vor die Presse
trat. Gemeinsam haben sie einen Koalitionsvertrag mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen“ ausgehandelt. Scholz betont: „Es geht uns nicht um eine Politik
des kleinsten gemeinsamen Nenners,
sondern um eine Politik der großen Wirkung.“ Viele Punkte des Vertrages betreffen auch die Zukunft der Kommunen.
FOTO: XANDER HEINL /PHOTOTHEK.DE
Altschulden
Enthalten ist zum Beispiel eine Altschuldenhilfe. „Es gibt viele Kommunen mit
hohen Altschulden, die sich nicht mehr
aus eigener Kraft aus dieser Situation
befreien können. Ihnen fehlt die Finanzkraft für dringend notwendige Investitionen. Wir wollen daher diese Kommunen
von Altschulden entlasten“, heißt es im
Vertrag. Damit diese Entlastung möglich
wird, ist eine Grundgesetzänderung not-
wendig. Angestrebt wird ein übergreifender Konsens, der die nötige Mehrheit
im Bundestag und Bundesrat sichert.
Die Unterstützung der betroffenen
Kommunen wird im Koalitionsvertrag
an Bedingungen geknüpft: Es soll dafür
Sorge getragen werden, dass eigene Beiträge zur Entschuldung geleistet werden
und eine erneute derartige Überschuldung künftig rechtssicher verhindert
wird, die Innovationskraft gestärkt und
ein enges Monitoring etabliert werden.
Den ostdeutschen Kommunen ist ein
eigener Passus gewidmet, die „ebenfalls
durch unverschuldete Altlasten“ herausgefordert sind. „Dabei wollen wir auch
Themen wie die Situation der alten kommunalen Wohnungsgesellschaften und
das Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) adressieren.“
Bauen und Wohnen
Nach 23 Jahren wird es wieder ein
eigenständiges Bauministerium geben.
Es soll „ein echtes Transformationsministerium“ werden, sagt SPD-Vizechef
Es wird eines
der wichtigsten
Ministerien
in den nächsten
Jahren sein.
Kevin Kühnert,
SPD-Parteivize,
über das geplante
Bauministerium
Kevin Kühnert, der den Vertrag mit ausgehandelt hat. Beim Bauen wolle die Koalition ein großes Rad drehen. „Wir wollen bei den Neubauzahlen auf 400.000
Wohnungen im Jahr hochgehen, noch
mal viel mehr Geld in die Städtebauförderung reinstecken und sie endlich
rechtlich absichern, die soziale Wohnraumförderung massiv aufstocken, den
Klimaschutz-Turbo im Gebäudesektor
mit neuen Standards und zielgenauer
Förderung starten und vieles mehr.“
Um pro Jahr 400.000 neu gebaute
Wohnungen zu ermöglichen, wollen
SPD und die beiden anderen Ampel-Parteien ein „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ mit allen wichtigen Akteuren
schließen. Die Koalition will die finanzielle Unterstützung des Bundes für den
sozialen Wohnungsbau fortführen und
die Mittel erhöhen, heißt es im Vertrag.
Zielmarke sind 100.000 neue, öffentlich
geförderte Wohnungen jährlich. Außerdem soll eine neue Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und
Investitionszulagen eingeführt werden.
Die Koalition plant, zusätzliche Bauflächen zu mobilisieren sowie Planungs- und Genehmigungsverfahren
zu beschleunigen. Dafür sollen die entsprechenden Regelungen im Baulandmobilisierungsgesetz entfristet und die
rechtlichen Grundlagen für eine vollständige Digitalisierung der Bauleitplanverfahren geschaffen werden. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben soll
mehr Freiheiten erhalten, um selbst zu
investieren und zu bauen – aber auch
weiterhin kommunale Bauvorhaben
unterstützen.
Bereits geltende Mieterschutzregelungen werden verlängert. Die Mietpreisbremse soll bis zum Jahr 2029
fortgeführt werden. Für angespannte
Wohnungsmärkte wird zudem die Kappungsgrenze auf elf Prozent in drei Jahren abgesenkt – bisher durfte die Miete um 15 Prozent erhöht werden. Für
Gemeinden mit mehr als 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner werden
qualifizierte Mietspiegel verpflichtend.
Zur Berechnung sollen die Mietverträge
der vergangenen sieben Jahre herangezogen werden – und in ausgewählten
Kommunen Angaben aus Steuererklärungen; dazu ist ein Pilotprojekt geplant.
Bei der Grunderwerbssteuer soll den
Ländern erlaubt werden, Freibeträge für
Wohnungskäufer zu beschließen, die
ihre Wohnung selbst nutzen wollen. Das
könnte auch auf kommunaler Seite zu
niedrigeren Einnahmen führen. Im Gegenzug will die Ampel-Koalition Steuerschlupflöcher beim Immobilienerwerb
von Konzernen schließen – gemeint sind
sogenannte Share Deals.
Das Programm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ soll mit der
Städtebauförderung kompatibel gemacht werden. Geplant ist außerdem ein
neues Smart-City-Kompetenzzentrum.
Überarbeiten will die Ampel-Koalition
die geltende Lärmschutz-Vorschrift (TA
Lärm). Ziel ist es, in Innenstädten „Zielkonflikte zwischen Lärmschutz und
heranrückender Wohnbebauung aufzulösen“. Clubs und Konzertbühnen sollen
aufgrund ihrer kulturellen Bedeutung
besser vor Lärmklagen geschützt werden. Der von Naturschützern als „Flächenfraß-Paragraf“ geschmähte § 13b
im Baugesetzbuch wird nicht verlängert
und läuft somit Ende 2022 aus. Dieser
erlaubt vereinfachte Genehmigungsverfahren für kleinere Wohnungsbauprojekte am Ortsrand.
Stadt und Land
Die Ampel-Parteien haben dem Querschnittsthema „Gute Lebensverhältnisse
in Stadt und Land“ ein eigenes Kapitel
gewidmet. Sie legen ein Bündel an ehrgeizigen Vorhaben vor, um einen Ausgleich zwischen den wirtschaftlich prosperierenden und den strukturschwachen
Regionen zu finden. Das gesamtdeutsche Fördersystem kommt auf den Prüfstand. „Wir werden Förderprogramme
zusammenfassen, vereinfachen, flexibilisieren, harmonisieren und die Mittel
prioritär dorthin fließen lassen, wo der
Nachholbedarf am größten ist“, heißt es
im Koalitionsvertrag.
Das Förderwesen für Kommunen umfasst zahlreiche verschiedene Programme von Bund und Ländern. Gerade kleinere und finanzschwache Kommunen
finden sich in diesem Förderdschungel
schwer zurecht. Deshalb will die künftige Koalition Hürden abbauen: unter
anderem mit einer besseren Beratung
für Kommunen, indem kommunale
Eigenanteile reduziert oder durch andere
Maßnahmen ersetzt werden und indem
Fördermittel nicht mehr zum Jahresende verfallen, sondern länger abgerufen werden können. Die Mittel aus den
Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung
der regionalen Wirtschaftsstruktur“ und
„Agrarstruktur und Küstenschutz“ werden jährlich dynamisch erhöht. Auch
der Sonderrahmenplan „Ländliche Entwicklung“ soll aufgestockt werden. Für
den Sport soll es insbesondere in strukturschwachen Regionen ebenfalls mehr
Geld geben: „Zur Stärkung des Zusammenhalts werden die Investitions- und
Sanierungsprogramme im Bereich des
Gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land sind ein wichtiges Ziel.
Sports und der Kultur (z. B. Sportstätten,
Schwimmbäder, Bibliotheken) vereinfacht und aufgestockt.”
Aus dem SPD-Wahlprogramm übernommen findet sich im Koalitionsvertrag
folgender Vorschlag wieder: Initiativen
zur Schaffung von Orten im ländlichen
Raum, die Angebote der Nahversorgung, der Kultur, Bildung und Gesundheitsdienstleistungen bündeln, sollen
unterstützt werden. Beispielhaft sind
das Dienstleistungszentren, Gemeinschaftshäuser oder Dorfbüros.
Bauen, bauen, bauen:
Pro Jahr sollen 400.000 neue
Wohnungen entstehen.
Mobilität
Das Wort „Mobilitätswende“ taucht im
Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und
FDP nicht auf. Inhaltlich beschreibt der
Vertrag aber genau das: Der Verkehr soll
klimafreundlicher werden. Einen „Aufbruch in der Mobilitätspolitik“ hat die
Ampel-Koalition sich vorgenommen.
Man wolle „eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative
und für alle bezahlbare Mobilität ermöglichen“, ist im Vertrag zu lesen.
Bisher investiert der Bund mehr Geld
in Straßen als in Schienen. In Zukunft
soll es genau andersherum sein. Der
Schienen-Güterverkehr soll bis 2030 um
25 Prozent gesteigert werden. Die Ampel-Koalition will die Verkehrsleistung im
Personenverkehr verdoppeln. Dazu gehört auch: Es werden mehr Oberzentren
an den Fernverkehr angebunden.
Der Koalitionsvertrag enthält ein klares Bekenntnis zum öffentlichen Nahverkehr: „Wir wollen Länder und Kommunen in die Lage versetzen, Attraktivität
und Kapazitäten des ÖPNV zu verbessern.“ Für 2022 werden den Verkehrsunternehmen die pandemiebedingten
Einnahme-Ausfälle ersetzt. Geplant ist
darüber hinaus ein „Ausbau- und Modernisierungspakt“ von Bund, Ländern
und Kommunen. Damit soll festgelegt
werden, wer bis 2030 welche Finanzierungsanteile übernimmt. Auch Tarifstrukturen sollen diskutiert werden.
Wir wollen
Länder
und Kommunen
in die Lage
versetzen,
Attraktivität
und Kapazitäten
des ÖPNV
zu verbessern.
Zitat aus dem
Koalitionsvertrag
DEMO 11-12/2021
Die Regionalisierungsmittel, mit denen
der Bund sich an den Kosten für den
ÖPNV und den Personennahverkehr auf
Schienen beteiligt, werden von 2022 an
erhöht.
Die Förderung für umweltfreundliche
Busse wird verlängert und „mittelstandsfreundlicher“ ausgestaltet. Um die Tariftreue im ÖPNV zu stärken, will die Koalition eine gesetzliche Grundlage schaffen
und Tarifverträge bei Ausschreibungen
zur Bedingung zu machen.
Die Ampel-Koalition will digitale
Mobilitätsdienste, „innovative Mobilitätslösungen“ und Carsharing unterstützen. Gefördert werden soll auch
„emissionsfreie Stadtlogistik wie Ladezonen und Logistik-Hubs“.
Ein politischer Schwerpunkt wird
die E-Mobilität. Die Koalition hat sich
das Ziel gesetzt, bis 2030 mindestens
15 Millionen Elektro-Pkw auf die Straßen
zu bringen. Im gleichen Zeitraum sollen
eine Million „öffentlich und diskriminierungsfrei zugängliche Ladepunkte“
geschaffen werden. Mit einem Mobilitätsdatengesetz sollen Verkehrsdaten
frei zugänglich werden. Verkehrsunternehmen und andere Anbieter werden
verpflichtet, ihre Echtzeitdaten „unter
fairen Bedingungen bereitzustellen“. Es
soll eine „anbieterübergreifende digitale Buchung und Bezahlung“ ermöglicht
werden.
Das Straßenverkehrsgesetz und die
Straßenverkehrsordnung sollen geändert werden, sodass Klimaziele und Gesundheitsschutz stärker berücksichtigt
werden. Hier bleibt der Vertrag noch
vage. Als ein Ziel wird die digitale Parkraumkontrolle genannt.
Die Koalition will den Ausbau und
die Modernisierung des Radwegenetzes vorantreiben, ebenso wie die
Förderung kommunaler Radverkehrsinfrastruktur. „Zur Stärkung des Radverkehrs werden wir die Mittel bis 2030
absichern und die Kombination von Rad
und öffentlichem Verkehr fördern“, versprechen die Ampel-Parteien. Geplant
ist zudem eine nationale Strategie für
den Fußverkehr.
Digitalisierung von Schulen
Die Ampel-Koalition will den
Ausbau des Radwegenetzes
vorantreiben.
Viel vorgenommen haben sich die Ampel-Parteien auch in der Bildung. Den
Digitalpakt Schule wollen sie beschleunigen und entbürokratisieren, und es
soll ein Digitalpakt 2.0 auf den Weg
gebracht werden. Der Deutsche Städtetag hat dieses Vorhaben ausdrücklich
begrüßt.
Mehr zum Vertrag: demo-online.de
FOTOS: STOCK.ADOBE.COM/JULIA HERMANN; UTE GRABOWSKY/PHOTOTHEK.NET; THOMAS TRUTSCHEL /PHOTOTHEK.NET
18 BLICKPUNKT KOALITIONSVERTRAG
11-12/2021 Anzeigen-Sonderveröffentlichung
Bezahlbar wohnen,
klimagerecht gestalten,
Lebensqualität sichern
Die Kommunen – zentrale Akteure vor Ort – werden
in zahlreichen Kapiteln des Koalitionsvertrages mitgedacht
Autor Bernhard Daldrup, MdB, bau- und kommunalpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion
zialwohnungen. Zielgruppen wie Auszubildende, Studierende, kurzum das junge
Wohnen werden wir mit einem BundLänderprogramm in den Blick nehmen.
Um all dies umzusetzen, reichen die
Bundesmittel allein nicht aus, wir brauchen zusätzliche Investitionen von Ländern, Kommunen und der Immobilienwirtschaft. Und: Wir brauchen ein Bündnis für bezahlbares Wohnen, das sich alle
zur Aufgabe machen.
Wir schaffen für die Bau- und Immobilienwirtschaft einen verbindlichen und
transparenten Rahmen aus gesetzlichen
Vorgaben, differenzierter Förderung und
steuerlichen Anreizen. Damit wollen wir
ein verlässliches Angebot machen, damit
Kapazitäten aufgebaut, Fachkräfte ausgebildet und eingestellt werden und die
Modernisierung der Bauwirtschaft durch
Digitalisierung, Verfahrensbeschleunigung und Baukostensenkung unterstützt
wird.
Begrenzung der Mietsteigerungen
Alle Instrumente zur Begrenzung der Mietsteigerungen müssen weiterhin eingesetzt und präzisiert werden.
FOTO: JANINE SCHMITZ /PHOTOTHEK.NET
I. Wohnungspolitik der Zukunft
Die Bau- und Wohnungspolitik der kommenden Legislaturperiode steht vor gewaltigen Aufgaben:
•ökologisch – um die Klimaziele bis
2045 zu erreichen,
•ökonomisch – um die riesige Angebotslücke verfügbarer Wohnungen auf
dem Markt zu schließen und
•sozial – um Wohnen zu ermöglichen,
das sich die Menschen leisten können.
Die Antworten sind alles andere als einfach: Die Treibhausgasemissionen (THG)
im Gebäudesektor müssen bis 2030 von
derzeit 120 auf dann 67 Millionen Tonnen
CO2-Äquivalente gesenkt werden.
Mit 400.000 neuen Wohnungen als
jährliche Zielmarke – darunter 100.000
mit Sozialbindung – für gleichwertige
Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu
sorgen und damit auch den sozialen Zusammenhalt zu erhalten, ist ein gesamtgesellschaftlicher Kraftakt. Wir wollen
mit einem Bündel von Maßnahmen, wie
etwa der sozialen Wohnraumförderung,
der Förderung von Genossenschaften
und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, der Begründung einer neuen
Gemeinnützigkeit, der Stärkung der
Bundesanstalt für Immobilienaufgaben
(BIMA), einem verbesserten Mietrecht
und novelliertem Bauplanungsrecht ausreichenden und bezahlbaren Wohnraum
schaffen.
Die Herausforderungen sind unbestritten. In vielen deutschen Großstädten treibt die Wohnungsknappheit die
Mietpreise immer weiter nach oben.
Politische Versäumnisse der Vergangenheit kumulieren mit einer renditegetriebenen Immobilienwirtschaft zu sozialem
Sprengstoff. Zeitgleich müssen deshalb
mehrere Ziele verfolgt werden.
Beginnen wir mit der Quantität: Wir
haben im Koalitionsvertrag die richtigen
Weichen gestellt. Auf Bundesebene ist
das Ziel auf 400.000 Wohnungen pro
Jahr hochgesetzt, darunter 100.000 So-
Wir brauchen
ein Bündnis
für bezahlbares
Wohnen,
das sich alle
zur Aufgabe
machen.
Bernhard Daldrup,
MdB, bau- und kommunalpolitischer Sprecher der SPDFraktion
Gleichzeitig müssen alle Instrumente
zur Begrenzung der Mietsteigerungen
weiterhin eingesetzt und möglichst präzisiert werden. Wir werden die Mietpreisbremse verlängern, Mietsteigerungen mit einer Verschärfung der Kappungsgrenze begrenzen, die Qualität
des Mietspiegels verbessern und mehr
Transparenz bei Nebenkostenabrechnungen sicherstellen. Schließlich wollen
wir auch die Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 beenden. Besonders
spannend dürfte der Wechsel von der
klassischen Kalt- zur Teilwarmmiete werden, in die die Modernisierungsumlage
aufgehen soll.
Dies ist im Übrigen ein Schritt, der
Eigentümer und Mieter gleichermaßen
zu klimagerechtem Verhalten führen
soll. Sollte dies nicht bis zum 1. Juni
2022 erreichbar sein, wird der CO2-Preis
zwischen Mietern und Vermietern gerecht geteilt. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Einschränkung des
kommunalen Vorkaufsrechts in Gebieten
mit sozialen Erhaltungsgebieten fordert
den Gesetzgeber und ist aktuell als
Aufgabe formuliert.
Auch die Eigentumsförderung ist Gegenstand des Koalitionsvertrages: Das
selbstgenutzte Eigentum ist vor allem
außerhalb der Ballungsgebiete das Ziel
vieler Menschen. Angefangen von Zinszuschüssen über Veränderungen bei der
Grunderwerbssteuer und dem Kauf von
Genossenschaftsanteilen werden Perspektiven aufgezeigt.
Apropos Steuern: Die langersehnte
Erhöhung der linearen Abschreibung für
11-12/2021 Anzeigen-Sonderveröffentlichung
II. Kommunen
Unsere Gebäude sind immer Teil unserer
Kommunen, weitgehend in den bebauten Ortslagen. Deshalb ist fortschrittliche Wohnungspolitik immer auch
Stadtentwicklungspolitik. Die Kommunen als unmittelbare Erfahrungsebene
sind gleichsam querschnittsorientiert im
Koalitionsvertrag angesprochen.
Es ist ein wichtiges Signal für die hoch
verschuldeten Kommunen in Deutschland, einen Altschulden-Schnitt zu
schaffen. Mit der Union war das nicht
zu machen, obwohl die NRW-Kommunen besonders betroffen sind. Wer allerdings gleichwertige Lebensverhältnisse als Auftrag ernst nimmt, muss Hilfe
nach Bedürftigkeit leisten, der Altschuldenfonds gehört dazu. Der Schaffung
gleichwertiger Lebensverhältnisse ist
mit dem Abschnitt über „Gute Lebensverhältnisse in Stadt und Land“ gar ein
eigenes Kapitel gewidmet.
Von großer Bedeutung bleibt die Städtebauförderung mit heute 790 Euro Millionen jährlich. Wir werden sie dauerhaft
sichern und deutlich erhöhen. Sie trägt
zu einer klimagerechten Stadt bei, stützt
klein- und mittelständische Betriebe und
leistet einen beachtlichen kommunalwirtschaftlichen Beitrag. Wir werden sie
flexibilisieren und entbürokratisieren und
die Einrichtungen der Baukultur stärken.
Wir orientieren uns an der Neuen Leipzig-Charta. Die durchmischte Stadt der
kurzen Wege mit hoher Lebensqualität in
den Quartieren ist ein wichtiges Prinzip.
Neben der finanziellen Handlungsfähigkeit unserer Städte und Gemeinden
sind unsere Kommunen und die Kommunalwirtschaft zentrale Akteure beim
Klimaschutz, die bei dem angekündigten
Sofortprogramm eine wichtige Rolle spielen. Die rechtlichen Anforderungen zur
Förderung der Windenergie, die zusätzliche Installation von Solaranlagen auf
Dächern und Freianlagen werden maßgeblich von Kommunen umgesetzt.
Wir orientieren
uns an der
Leipzig-Charta.
Die durchmischte
Stadt der kurzen
Wege mit hoher
Lebensqualität in
den Quartieren
ist ein wichtiges
Prinzip.
Bernhard Daldrup,
MdB, bau- und kommunalpolitischer Sprecher der SPDFraktion
Die zusätzliche Installation von Solaranlagen auf Dächern und Freianlagen wird maßgeblich von den Kommunen umgesetzt.
Hinzu kommt die Wärmeplanung als
ein maßgebliches Instrument zur Zielerreichung im Gebäudesektor, die die
Kommunen ohne finanzielle Förderung
des Bundes nicht werden umsetzen können. Wir brauchen Vereinfachung und
Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, die rechtssichere
Anwendung eines modernisierten Artenschutzrechts, die Einführung eines
Flächenziels bei Windenergieanlagen
und eine verpflichtende Beteiligung
der Kommunen an der Wertschöpfung
sowie den verstärkten Ausbau von
Photovoltaikanlagen. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Kommunen auch
bei der Verkehrswende eine zentrale
Rolle spielen, beim Ausbau der Ganztagsangebote an den Grundschulen, bei
der Stärkung der öffentlichen Gesundheitsdienste (ÖGD) und der Sicherung
des sozialen Arbeitsmarktes.
Erst recht gilt dies für den Bereich der
Bildung. Vom Digitalpakt bis zum Ausbildungsmarkt sind die Kommunen im
Koalitionsvertrag als Akteure angesprochen, die Unterstützung erwarten können. Neben der Unterstützung von Kitas
und Schulen werden wir den Ausbau der
Smart-City fördern und ein Smart-CityKompetenzzentrum einrichten.
Zentren langfristig sichern
Die Pandemie bedroht unsere Städte,
sie gefährdet unser soziales Zusammenleben und wird noch viele Jahre ihre
Spuren hinterlassen. Sichtbar geworden ist dies in unseren Zentren – nicht
nur für Einzelhandel, Gastgewerbe und
Kultur. Um unsere Stadt- und Ortsteilzentren langfristig zu sichern und sie
als Orte von Lebensqualität für alle erlebbar zu halten, bedarf es erheblicher
funktionaler, städtebaulicher und immobilienwirtschaftlicher Anpassungen.
Das Bundesprogramm „Zukunftsfähige
Innenstädte und Zentren“ fördert Städte und Gemeinden modellhaft bei der
Erarbeitung von innovativen Konzepten
und Handlungsstrategien mit insgesamt
250 Millionen Euro. Auch diesen Weg
wollen wir mit der Städtebauförderung
verbinden und weiterentwickeln.
Mit dem Koalitionsvertrag werden
zentrale Herausforderungen in der Zeitenwende angenommen und Wege der
Transformation beschrieben. Die SPDFraktion bleibt im Koalitionsvertrag ihrer
Grundhaltung als Anwältin der Kommunen verpflichtet. Gut so!
V.i.S.d.P.:
Josephine Ortleb MdB, Parlamentarische Geschäftsführerin,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin, Tel.: (030) 227-744 20,
josephine.ortleb@spdfraktion.de
FOTO: SCHAU.MEDIA /PIXELIO.DE
den Neubau dürfte ebenso einen Impuls
geben. Gleichfalls ist der Kampf gegen
Geldwäsche und illegale Finanzierung im
Koalitionsvertrag nicht ausgeblendet, im
Gegenteil.
Zu einer gewaltigen Herausforderung im Wohnungsbau werden sich die
Klimaziele entwickeln. Neue Standards
für den Wohnungsneubau zu setzen
und mehr Gewicht auf die Quartierssanierung zu legen, das sind die beiden Stränge des Konzepts. Flankiert
werden sie von Sanierungsfahrplänen,
Innovationspartnerschaften und einer
Förderoffensive zur technischen Optimierung bei gleichzeitiger Beachtung
von Lebenszyklen und der vorhandenen
grauen Energie. Gebäudeeffizienz und
Quartierssanierung müssen in Einklang
gebracht werden mit den quantitativen
Ausbauzielen und der sozialen Herausforderung bezahlbarer Miete und kostengünstigen Bauens. Für die Klimaziele
im Gebäudesektor gilt, dass notwendige Modernisierungen vorangetrieben
werden müssen, die Kreislaufwirtschaft
zu stärken, der Flächenverbrauch zu reduzieren und die Gebäudeeffizienz zu
fördern sind.
BUNDES-SGK 21
11-12/2021 DEMO
Delegiertenversammlung
der Bundes-SGK
Michael Ebling kandidiert für das Amt des Vorsitzenden
Autor Peter Hamon
FOTO: LANDESHAUPTSTADT MAINZ
I
m Januar 2022 findet die 18. Ordentliche Delegiertenversammlung der
Bundes-SGK statt. Die Veranstaltung
steht unter dem Motto „Wir gestalten
die Zukunft in unserem Land – Gesellschaftlicher Fortschritt findet in Städten,
Gemeinden und Kreisen statt“.
Zentrale Themen der Bundesdelegiertenversammlung 2022, zu denen Anträge beraten werden, sind:
•Klimaschutz und nachhaltige Mobilität
in den Kommunen;
•Innenstädte und Ortskerne als neue
Lebensräume;
•Digitale Souveränität in einer digitalisierten Welt;
•Inklusion und der Weg zu einer
barrierefreien Welt;
•Stärkung der Rolle der Kommunen in
einer zukunftsfähigen Pflege;
•Kindergrundsicherung – ein Meilenstein im Kampf gegen Kinderarmut;
•ÖPNV-Offensive als integraler Bestandteil der Mobilitätswende;
•Übernahme von mehr Verantwortung
des Bundes im Katastrophenschutz;
•Feuerwehrrente für Freiwillige Feuerwehren.
Darüber hinaus wird die Delegiertenversammlung 2022 einen neuen
Vorstand wählen. Der Vorsitzende der
Bundes-SGK Frank Baranowski, ehemaliger Oberbürgermeister von Gelsenkirchen, wird nach fünf Jahren Amtszeit
nicht wieder zur Wahl antreten. Er hat
die Bundes-SGK in schwierigen Zeiten
geführt, die gekennzeichnet waren von
Krisen wie dem hohen Zustrom von
Flüchtlingen 2015/2016 und der seit Anfang 2020 anhaltenden Covid-19-Pandemie. Schwerpunktthemen der BundesSGK in seiner Amtszeit waren:
•Auswirkungen der Digitalisierung auf
die Kommunen und die Kommunalpolitik,
•Wege zu einer nachhaltigen Mobilität
in der Energiewende für mehr Klimaschutz
•Stärkung der Innenstädte nach
dem Lock-Down in der Corona-Pandemie.
Frank Baranowski hat sich immer
wieder auf Bundesebene erfolgreich
für eine Verbesserung der Kommunalfinanzen eingesetzt. Für das Amt
des Vorsitzenden kandidiert Michael
Ebling, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Mainz, der einstimmig vom
Vorstand der Bundes-SGK am 12. November 2021 nominiert wurde.
Dieser Artikel spiegelt den Stand vom
29. November 2021 wider.
Michael Ebling, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt
Mainz, stellt sich im Januar
zur Wahl für das Amt des SGKVorsitzenden.
bundes-sgk.de
Anzeige
18. ordentliche Delegiertenversammlung der Bundes-SGK
„Wir gestalten die Zukunft in unserem Land –
Gesellschaftlicher Fortschritt findet in Städten, Gemeinden und Kreisen statt“
am 21./22. Januar 2022 in Leipzig
(Stand: 29. November 2021)
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18. ordentliche Delegiertenversammlung der Bundes-SGK
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rund 600 Mitgliedsunternehmen.
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Tech-Firmen für Erdgas, Biogas und Wasserstoff.
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Zu seinen Aufgaben gehören die Beratung der Unternehmen, die Erarbeitung einheitlicher Standards sowie die Vertretung der Interessen
gegenüber der Politik, Verwaltung, Industrie und anderen Institutionen.
REPORT 23
11-12/2021 Anzeigen-Sonderveröffentlichung
Die Stadt der Zukunft
aus Sicht der Bürger
Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung gibt Aufschluss
über die Visionen für eine nachhaltige Entwicklung
Autor Oliver Haubner, Nachhaltigkeitsexperte im Programm „LebensWerte Kommune” der Bertelsmann Stiftung
W
GRAFIKEN: MONITOR NACHHALTIGE KOMMUNE – BERICHT 2021
ie soll sie aussehen, die
lebenswerte Stadt 2030
und darüber hinaus? Wie
bewerten die Bürgerinnen und Bürger
unterschiedliche Visionen einer nachhaltigen urbanen Zukunft für ihre eigene
Stadt? Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung gibt Aufschluss.
Die Kommunen in unserem Land
leisten einen maßgeblichen Beitrag, die
Agenda 2030 der Vereinten Nationen
mit ihren 17 Zielen für eine nachhaltige
Entwicklung (Sustainable Development
Goals, SDGs) vor Ort greifbar zu machen und umzusetzen. Während mehr
als ein Drittel der Zeit, die uns bei der
Verabschiedung der Agenda 2030 im
Jahr 2015 für ihre Umsetzung zur Verfügung stand, vergangen ist, werden die
Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, nicht kleiner. Deshalb ist
es von unschätzbarem Wert, dass sich
immer mehr Kommunen auf den Weg
machen, sich nachhaltig aufzustellen.
Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung im Auftrag der Bertelsmann
Stiftung im September 2021 ging insbesondere der Frage nach, wie die
Menschen verschiedene, aus den SDGs
abgeleitete Visionen einer nachhaltigen
Zukunft für ihre eigene Stadt bewerten
und wie sie den aktuellen Umsetzungsstand an ihrem Wohnort einschätzen.
Befragt wurden insgesamt 1.019 Personen ab 14 Jahren in Städten mit mindestens 50.000 Einwohnern und Einwohnerinnen.
Energie (13 Prozent). Oftmals genannt
wurden auch Aspekte der nachhaltigen
Mobilität und des sicheren Rad- und
Fußverkehrs.
Kommunale
Dienstleistungen
Zukunftsvisionen
Insgesamt wurden für die Befragung
neun Zukunftsvisionen aus den SDGs abgeleitet, so zum Beispiel die „Selbstversorgende Stadt“, die „Abfallfreie Stadt“,
die „Schwammstadt“ oder die „Smart
City“.
Im Ergebnis hat sich die „Urbane
Wildnis“ – als Umschreibung einer Stadt,
die in besonderem Maße dem Verlust
der Artenvielfalt entgegensteuert, in-
Handlungsbedarf ist sichtbar
Der Ergebnisbericht des Deutschen
Instituts für Urbanistik (difu) fördert zudem einen nicht unerheblichen allgemeinen Handlungsbedarf zutage. Denn
der Umsetzungsstand aller neun abgefragten Visionen liegt jeweils deutlich
hinter der Erwünschtheit.
Auch wenn beispielsweise die „Urbane Wildnis“ das Konzept ist, das in deutschen Städten aus Sicht der Befragten
schon heute am besten umgesetzt ist,
zeigt sich doch eine deutliche Lücke hinsichtlich der subjektiven Erwünschtheit
der Vision. Die größte Diskrepanz zwischen der Erwünschtheit in der Zukunft
und dem aktuellen Umsetzungsgrad findet sich bei der Vision „Wohnraum für
alle“, die zu den derzeit drängendsten
kommunalen Herausforderungen überhaupt gehört.
Sichtweise der jungen Generation
Fast ein Drittel der Befragten legt Wert auf viele Grünflächen und Natur, gefolgt von
den Themen guter ÖPNV (21 Prozent) und bezahlbarer Wohnraum (14 Prozent).
Individuelle Wünsche
an die nachhaltige Stadt
Auf die offene Frage „Wie stellen Sie sich
die Stadt der Zukunft vor, in der Sie gerne leben würden – welche Aspekte sind
Ihnen wichtig, damit Städte für Sie auch
zukünftig lebenswert sind?“ antworteten
29 Prozent mit dem Schwerpunkt urbane Begrünung und Natur. Weitere häufig
genannte Themen lagen bei gutem oder
günstigem ÖPNV (21 Prozent), Wohnraum (14 Prozent) und Klima, Umwelt und
dem sie u. a. vielfältige Lebensräume für
Flora und Fauna bietet – als bevorzugte
Vision der deutschen Stadtbevölkerung
erwiesen. In geringem Abstand folgten
die „Abfallfreie Stadt“ und die Vision
„Wohnraum für Alle“. Den geringsten
Anklang fand die Vision der „Sharing
City“, in der vielfältige Leihmöglichkeiten den Besitz vieler Gebrauchsgegenstände überflüssig machen können.
Die „Urbane Wildnis“ hat sich im Ergebnis als bevorzugte Vision der deutschen Stadtbevölkerung erwiesen, vor „Abfallfreie Stadt“ und „Wohnraum für alle“.
Die Einschätzungen der nächsten Generation unterscheiden sich in einigen
Aspekten deutlich von denen der befragten Gesamtbevölkerung. Jungen
Menschen ist beispielsweise das Thema
Klima wichtiger als anderen Altersgruppen. Auch die Vision der „Selbstversorgenden Stadt“ findet bei ihnen mehr
Zuspruch. Besonders wichtig ist ihnen
die „Autofreie Stadt“. Junge Menschen
finden direktdemokratische Angebote
wünschenswerter als andere Altersgruppen – dies zeigt einen starken Wunsch
nach Partizipation, den es stärker zu nutzen gilt. Darüber hinaus thematisierte
die junge Altersgruppe deutlich häufiger
soziale Themen im Zusammenhang mit
ihren Wünschen an die nachhaltigere
Stadt, in der sie leben möchten.
Diese Ergebnisse zeigen: Es könnte
für die Kommunen lohnenswert sein,
ähnliche repräsentative Befragungen
individuell vor Ort durchzuführen, um
auf diese Weise eine fundierte Einschätzung zu den Vorstellungen und Handlungsbedarfen der eigenen Bevölkerung
zu erlangen.
Detaillierter Monitorbericht 2021:
www.agenda2030vorort.de
24 REPORT
Anzeigen-Sonderveröffentlichung 11-12/2021
Luftreinigung für Schulen
ist wichtige Corona-Maßnahme
In Erfurt fand eine Fachmesse mit begleitender Konferenz
zum Infektionsschutz in öffentlichen Einrichtungen statt
Autor Till Rasch
die wesentlich weniger wirksamen
Mundschutzmasken und natürlich die
Abstandsregeln. Auch die Raumgröße
sei entscheidend. „Je größer und höher
ein Raum, umso geringer die Ansteckungsgefahr“, so Scheuch.
„Durch die Pandemie ist generell
das Thema Luftqualität in den Fokus
der Debatte gerückt“, betonte Robert
Hild, Geschäftsführer des Fachverbandes Allgemeine Lufttechnik im Verband
Deutscher Maschinen- und Anlagenbau
(VDMA), mit 290 Mitgliedern der führende deutsche Verband für Klima- und
Lüftungstechnik sowie Luftreinhaltung.
Derzeit gehe es darum, öffentliche Gebäude mit geeigneter Technik auszustatten. Hild denkt aber noch weiter: Das
müsse auch nach der Pandemie weitergehen. Denn saubere Luft in der Schule
und am Arbeitsplatz senke drastisch die
Krankenstände und sorge so für mehr
Gesundheit.
Damit Schule ein sicheres Lernumfeld bietet, empfehlen Experten, mehrere Maßnahmen zu kombinieren: etwa Lüften, den Einsatz von Luftfilteranlagen, das Einhalten von Abstandsregeln und das Tragen von Atemschutzmasken.
G
erade Schulen sind derzeit
wieder ein Treiber des CoronaInfektionsgeschehens: Entsprechend aktuell war daher das Thema
Infektionsschutz in öffentlichen Einrichtungen auf der Pro.vention Special, der
ersten bundesweiten Fachmesse mit begleitender Konferenz zu Corona-Infektionsschutzmaßnahmen. Vor allem ging
es bei der Veranstaltung in Erfurt am
11. November 2021 um die Senkung der
Virenlast in Bildungs- und öffentlichen
Einrichtungen.
Dazu bot die Konferenz den 65 Teilnehmerinnen und Teilnehmern Fachvorträge, Best-Practice-Beispiele, eine
Podiumsdiskussion und eine begleitende
Ausstellung. Schirmherr der Veranstaltung war Thüringens Ministerpräsident
Bodo Ramelow. In seinem Grußwort
wies er darauf hin, dass es jetzt darum
gehen müsse, notwendige Kapazitäten
für existenzielle Produkte des Infektions-
Die wichtigsten
Maßnahmen
zur Infektionsvermeidung
sind die, die
die Virenlast
in der Luft
verringern.
Gerhard Scheuch,
Aerosolforscher
schutzes in Deutschland anzusiedeln.
Der Freistaat habe dazu schon viele erfreuliche Anfragen.
Einer der Höhepunkte der Konferenz
war die Rede von Gerhard Scheuch,
dem wohl bekanntesten Aerosolforscher
Deutschlands und Europas, der seit 2020
auch das Robert-Koch-Institut berät.
„Maßnahmen kombinieren“
Scheuch stellte klar, dass die wichtigsten
Maßnahmen zur Infektionsvermeidung
die sind, die die Virenlast in der Luft verringern. Dazu zählen eben das Lüften
der Räume, aber auch technische Einrichtungen wie stationäre Filter in raumlufttechnischen Anlagen oder mobile
Lüftungsgeräte. Würde dies eingehalten, könne man die Infektionsgefahr laut
Scheuch um bis zu 90 Prozent senken.
Er plädierte aber auch dafür, dass alle
Maßnahmen in Gebäuden miteinander
kombiniert werden sollten – also auch
In zwei parallelen Panels wurden darüber
hinaus folgende Themen vertieft: zum
einen die Erforschung besserer Geräte
zur Luftreinhaltung, etwa mit UV-Licht
oder elektrostatischen statt den gängigen HEPA-Filtern, zum anderen ging es
um Praxislösungen und deren Fördermöglichkeiten, die es sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene gibt.
Auf dem Podium führten schließlich Helmut Holter, Thüringer Minister für Bildung, Jugend und Sport, Tim
Reukauf vom Thüringer Lehrerverband,
und Claudia Koch von der Landeselternvertretung mit dem Lüftungsspezialisten
Robert Hild und Gerhard Scheuch eine
teils kontroverse Diskussion. Minister Holter nahm die vorgebrachten Argumente
ernst und sagte zu, sich für die Aufnahme
der nachweislich wirksamen technischen
Anti-Corona-Maßnahmen in die Schulbauordnung des Freistaates einzusetzen.
Die nächste Pro.vention Special –
Fachmesse und Konferenz – findet
nach einer Mitteilung der Messe Erfurt
voraussichtlich im 3. Quartal 2022 statt.
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Redaktion: Carl-Friedrich Höck
Layout: Heidemarie Lehmann
Litho: DDV Technik GmbH
Druck: DDV Druck GmbH,
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FOTO: UTE GRABOWSKY/PHOTOTHEK.NET
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26 REPORT
Anzeigen-Sonderveröffentlichung 11-12/2021
H
H
C
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ERDGAS
H
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WASSERSTOFF
Die vorhandene Gasinfrastruktur lässt sich für die Einspeisung von klimaneutralem Wasserstoff umrüsten.
Auf dem Weg
zur Klimaneutralität 2045
Warum die Energiewende auch eine Wärmewende
werden muss
Autor Dr. Constantin H. Alsheimer, Vorstandsvorsitzender der Mainova AG
U
m bis 2045 klimaneutral zu
werden, muss Deutschland aus
der Nutzung fossiler Energieträger aussteigen. Eine markt- und sozialverträgliche Energiewende benötigt
das kluge Miteinander von verschiedenen Technologien und die Nutzung vorhandener Ressourcen. Das gilt auch im
Besonderen für die Wärmeversorgung.
Andernfalls setzen wir die gesellschaftliche Akzeptanz und damit das Gelingen
der Energiewende aufs Spiel.
Die Energielandschaft Deutschlands
verändert sich: Durchschnittlich 45,4
Prozent des Stroms wurden im Jahr 2020
bereits regenerativ erzeugt, im Wärmesektor jedoch nur 15 Prozent. Dabei
spielt die Wärme bei der Umsetzung der
Energiewende die entscheidende Rolle, denn diese macht über 50 Prozent
des gesamten Endenergiebedarfs in
Deutschland aus. Für eine erfolgreiche
Energiewende benötigen wir daher die
Wärmewende.
Ein Blick nach Frankfurt
Möchten wir den Wärmemarkt durch
die vollständige Elektrifizierung dekarbonisieren, dann hat das Auswirkungen
auf unsere Stromnetze. Um diese besser
abschätzen zu können, hat Mainova den
Energiebedarf über alle drei Sektoren –
Elektrizität, Verkehr und Wärme – für die
Stadt Frankfurt am Main untersucht.
Wir haben ein Szenario betrachtet,
welches in der Wärmeversorgung die
Energieträger Erdgas (ca. 58 Prozent Anteil) und Öl (ca. 15 Prozent Anteil) vollständig durch Strom ersetzt. Der Strombedarf Frankfurts ist durch Großkunden
wie Deutschlands größten Flughafen,
die Messe und die zahlreichen Rechenzentren bereits sehr hoch. Hinzu kommt
die voranschreitende Elektromobilität.
Daher investieren wir bereits, gemeinsam mit den vorgelagerten Netzbetreibern, 750 Millionen Euro, um die Kapazitäten um rund 50 Prozent zu erhöhen.
Das entspricht dem Bedarf einer Großstadt wie Hannover.
Bei einer vollständigen Elektrifizierung der Wärmeversorgung müsste die
Kapazität noch um ein Vielfaches ausgebaut werden. Wir rechnen mit Zusatzinvestitionen von deutlich über zwei
Milliarden Euro. Die Kapazität der Mittel- und Niederspannungsverteilnetze
müsste jeweils mehr als verdreifacht und
Der
Wärmesektor
spielt bei der
Umsetzung
der Energiewende die
entscheidende
Rolle.
Dr. Constantin H. Alsheimer
H
Zum Energiemix der Zukunft
gehören Elektronen und Moleküle
Wir verfügen deutschlandweit über funktionstüchtige, äußerst leistungsfähige
Gasnetze. Mit moderatem Modernisierungsaufwand lassen sie sich für die Einspeisung klimaneutraler Gase wie Wasserstoff zügig umrüsten. Dies ist nicht nur
volkswirtschaftlich sinnvoll und sozialverträglich, sondern auch für die Erreichung
der Klimaziele höchst effektiv. Ein zügiger Hochlauf über Erdgas mit Wasserstoffanteilen ist möglich und zeigt schnell
Wirkung. Bereits 6,5 Millionen Tonnen
CO2 können jährlich vermieden werden,
wenn 10 Prozent des Erdgasverbrauchs
in Deutschland durch Wasserstoff ersetzt
würden. Auf diese Weise kann der mengenmäßig große Wärmesektor die Klimaziele zügig erreichen. Der nächste Schritt
ist dann ein Netz, das zu 100 Prozent
Wasserstoff aufnehmen kann.
Der Vorteil für die Verbraucherinnen
und Verbraucher liegt auf der Hand: Die
Anschaffungskosten für eine neue Heizung, die auf Gas basiert und perspektivisch mit Wasserstoff heizen kann, fallen
kostengünstiger aus als die Umstellung
auf Wärmepumpen, die einhergehen
mit umfassenden Sanierungen.
Als Energieversorger stehen wir zum
Ziel der Klimaneutralität. Wenn Politik
und Wirtschaft die Energiewende gemeinsam zum Erfolg führen wollen,
dann benötigen wir von der Politik verlässliche Rahmenbedingungen. Und sie
sollte es zudem den Marktteilnehmern
überlassen, die jeweils günstigste Technologie zur Erreichung der energiepolitischen Ziele zu ergreifen. Dies führt zu
größtmöglicher Effizienz, Akzeptanz
und vor allem Geschwindigkeit beim
Klimaschutz.
FOTOS: MAINOVA AG
Ein Netz für zwei Energieträger
die jeweils vorgelagerten Netzebenen
müssten mehr als verdoppelt werden.
Die Elektrifizierung der Wärmeversorgung mittels Wärmepumpen verlangt zudem zusätzlich einen immensen
Sanierungsaufwand für Bestandsgebäude. Die Stadt Frankfurt ermittelt für
die Sanierungskosten der stadteigenen
Immobilien in den nächsten 30 Jahren
einen Finanzbedarf in Höhe von 3,125
Milliarden Euro – also 105 Millionen Euro
jährlich. Hinzu kommen noch Milliardenkosten für private Bestandsgebäude, die
sich auch auf die Mieten auswirken.
Eine rein elektrische Wärmeversorgung ließe sich also nur mit einem massiven und kostenintensiven Stromnetzausbau realisieren sowie durch ein umfassendes Sanierungs- und Modernisierungsprogramm von Bestandsgebäuden.
WASSERSTOFF
ZUR ENERGIE DER
ZUKUNFT MACHEN?
MIT
GAS
GEHT’S.
Denn deutsche Energieversorger investieren in hunderte Projekte im ganzen Land, damit
Wasserstoff als Energieträger keine Zukunftsvision bleibt, sondern schon bald Realität wird.
Wie die Gaswirtschaft sonst noch dafür sorgt, dass wir unseren CO2-Fußabdruck reduzieren
und die Klimaziele zuverlässig und bezahlbar erreichen können? www.mitgasgehts.de
Die Preisträger aus dem Landkreis Marburg-Biedenkopf im Wettbewerb „Klimaaktive Kommune 2021”
Vorreiter im Klimaschutz
Dortmund, Essen und der Landkreis Marburg-Biedenkopf
wurden als „Klimaaktive Kommune 2021“ ausgezeichnet
Autorin Karin Billanitsch
K
ürzlich haben sich mehr als 100
Staats- und Regierungschefs in
Glasgow getroffen, um auf der
COP 26 den Umgang mit den großen
Herausforderungen Klimaschutz und
-wandel zu beraten. Im Zentrum stand dabei die Frage, wie das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, noch zu
erreichen ist. Insbesondere ging es um das
Treibhausgas Kohlendioxid (CO2), denn
durch die Emissionen wird das Klima erwärmt. Dass der Klimaschutz das zentrale
Thema der kommenden Jahre sein wird,
ist in der Politik angekommen: Das Ziel
ist es, in Deutschland bis 2045 komplett
klimaneutral zu sein. Zurzeit ist das Land
weltweit auf Platz sechs der Emissionen.
Unter diesen Zeichen fand Anfang November die Kommunale Klimakonferenz
2021 statt, eine hybride Veranstaltung
des Deutschen Instituts für Urbanistik und
der Bundesumweltministeriums. Denn auf
der kommunalen Ebene haben sich viele
Städte, Landkreise und Gemeinden aufgemacht, zum Klimaschutz ihren Beitrag zu
leisten. Dabei gehen die Kommunen teils
recht ehrgeizig vor: Etliche haben sich auf
die Fahnen geschrieben, auch als Kommune 2045 oder sogar früher klimaneutral
zu werden.
Zum Beispiel Dortmund: Die Verwaltung hat dem Rat ein Klimapaket vorgelegt: Bis 2045 will die Stadt Klimaneutralität erreichen. Nun gab es sogar die
Auszeichnung als „Klimaaktive Kommune 2021“, und zwar für die UmsteiGERNKampagne. „Du steigst um. Dortmund
kommt weiter” lautet der Slogan der
Mitmachaktion. Dabei teilen Dortmunder „Botschafterinnen und Botschafter”
öffentlich ihre persönlichen Geschichten und Erfahrungen mit, wie sie klimafreundlich unterwegs sind – auf Plakaten,
Postkarten, im Radio, auf Twitter, Facebook, YouTube sowie auf der Projektseite. Das soll andere Menschen animieren,
DEMO-SERIE
Klimaschutz, Klimaanpassung und mehr
Nachhaltigkeit sind eine
gesamtgesellschaftliche
Aufgabe. Um den Klimawandel rechtzeitig zu
stoppen, spielen auch die
Kommunen eine wichtige
Rolle – während zugleich
eine zweite Krise, die
Corona-Pandemie, sie in
Atem hält.
In unserer Jahresserie
beleuchten wir Strategien
und Maßnahmen, die
den CO2-Ausstoß verringern und die spürbaren
Folgen des Klimawandels
bekämpfen. KB
DEMO 11-12/2021
ihr Verhalten hin zu klimafreundlicher
Mobilität zu ändern. In einem zweiten
Schritt schafft die Stadt konkrete Anreize,
etwa in Schulen und Betrieben.
Dortmund ist eine von neun Kommunen, die unter 81 Bewerbungen als
Preisträger ausgewählt worden sind.
Oberbürgermeister Thomas Westphal
(SPD) freute sich bei der Preisverleihung
über die Auszeichnung und kündigte an,
dass die Stadt das Preisgeld von 25.000
Euro im Rahmen der Kampagne weitergibt – an ein anderes Projekt: „Mit dem
Preisgeld können wir einigen Haushalten
einen Zuschuss zum Kauf eines Lastenrades geben, die im Rahmen unserer
Aktion ‚Lappenlos’ eine Woche auf das
Auto verzichten, um autofreie Mobilität
auszuprobieren.”
In der Kategorie „Klimaaktivitäten
zum Mitmachen“ gewann auch der Landkreis Marburg-Biedenkopf den Preis für
seine Baumpflanzaktion „Keine Pflanzung ohne Bildung“. Neben dem Wissen,
welchen wichtigen Beitrag Bäume zur
Treibhausgasreduzierung und damit zum
Klimaschutz leisten, lernen Kinder und
Jugendliche, wie Bäume gepflanzt und
aufgezogen werden. „Wir verbinden mit
diesem Projekt zwei Themen, die uns als
Landkreis wichtig sind: den Klimaschutz
und die Umweltbildung“, sagte Landrätin
Kirsten Pfründt.
Auch die Stadt Essen gehörte zu den Gewinnern: Die Auszeichnung wurde für die
Beratung und Begleitung lokaler Unternehmen auf dem Weg zum Siegel „Fahrradfreundlicher Arbeitgeber” vergeben.
„Mit der Beratung und Begleitung lokaler
Unternehmen auf dem Weg zum Siegel
leistet die Stadt Essen einen wichtigen
Beitrag zur Verkehrswende im Sinne des
Klimas. Möglichkeiten der Integration des
Radfahrens in die betriebliche Mobilität
werden aufgezeigt, finanziell gefördert
und in die Breite getragen“, begründete
die Jury ihre Entscheidung. Die zuständige Umweltdezernentin Simone Raskob
hob hervor, dass Essen sich sehr ambitionierte Ziele vorgenommen habe: bis
2040 klimaneutral zu sein.
Weitere Informationen demo-online.de
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„Überlassen Sie die Besetzung
“
von Führungspositionen nicht dem Zufall …
– Edmund Mastiaux, Inhaber
zfm • Seit 25 Jahren Personalberatung für Verwaltungen und kommunale Unternehmen
www.zfm-bonn.de
FOTO: HEARTS&MINDS/DIFU
28 KLIMASCHUTZ UND NACHHALTIGKEIT
BÜCHER | WAHLEN | TERMINE 29
11-12/2021 DEMO
Sicherheit für Kinder und Jugendliche
Wahlen
Das Difu sammelt Instrumente für den öffentlichen Raum
Zur neuen Landrätin des Landkreises Werra-Meißner wurde am
7. November Nicole Rathgeber
(Freie Wähler) gewählt. In der Stichwahl setzte sie sich mit 59,7 Prozent
der Stimmen gegen SPD-Kandidat
Friedel Lenze durch.
In der Stadt Gießen gewann am
24. Oktober der Sozialdemokrat
Frank-Tilo Becher die Oberbürgermeisterwahl – mit einem Ergebnis
von 55,7 Prozent in der Stichwahl
gegen den Grünen Alexander
Wright. Zeitgleich wurde die Sozialdemokratin Anita Schneider
als Landrätin des Kreises Gießen
wiedergewählt. Mit 66,4 Prozent
Das Deutsche Institut für Urbanistik
(Difu) hat gemeinsam mit Partnern
Instrumente entwickelt, um das
Sicherheitsgefühl von Kindern und
Jugendlichen in der Stadt zu erfassen. Diese haben einen eigenen
Blick auf ihr Lebensumfeld: „Komische Leute“ an der Unterführung,
vermüllte und dunkle Ecken oder
der menschenleere Park auf dem
Heimweg: So berichten Kinder von
ihren Erlebnissen. Wer ihnen genau
zuhört, stößt immer wieder auf
Schilderungen über verunsichernde
Erfahrungen im öffentlichen Raum.
Ein kostenloses Handbuch richtet
sich an Akteure, die sich für kinderfreundliche und sichere Städte
engagieren. Die Sicht von jungen
Menschen auf Sicherheit im Quartier
sei bislang wenig erforscht, heißt
es. Kriminologische Konzepte seien
meist auf Erwachsene ausgerichtet
oder räumlich zu ungenau, so das
Difu. Und lokale Beteiligungsinstrumente für Kinder und Jugendliche
nähmen die Frage nach Sicherheit
Kinder und Jugendliche
im Quartier
Handbuch und Beteiligungsmethoden
zu Aspekten der urbanen Sicherheit
www.inersiki.de
und Unsicherheit oft eher zufällig, als
gezielt in den Blick. In dem Handbuch „Kinder und Jugendliche im
Quartier“ werden zehn Methoden
ausführlich dargestellt, mit denen
Kinder und Jugendliche besser eingebunden werden können. Der
neue Instrumentenkoffer ist für alle
interessant, die für sichere Stadträume und für Kinder und Jugendliche
Verantwortung tragen. KB
Deutsches Institut für Urbanistik:
Kinder und Jugendliche im Quartier.
Handbuch und Beteiligungsmethoden
zu Aspekten der Urbanen Sicherheit
Difu 2021, 64 Seiten, kostenloser
Download: difu.de/publikationen/2021/
kinder-und-jugendliche-im-quartier,
ISBN 978-3-88118-679-7
Andere Länder, andere Sitten?
Katja Schneidt warnt vor Parallelgesellschaften
Katja Schneidt passt in keine Schublade. Sie ist Sozialdemokratin,
Flüchtlingshelferin und konvertierte
Muslimin. Zugleich kritisiert sie
einen aus ihrer Sicht mangelnden
Integrationswillen bei einem Teil der
Menschen insbesondere aus islamisch geprägten Ländern und eine
„falsche Toleranz“ ihnen gegenüber.
Ihr neues Buch hat seine Stärken
dort, wo Schneidt eindrücklich von
ihren praktischen Alltagserfahrungen aus der Arbeit mit Geflüchteten
berichtet. Die Probleme, die sie
anspricht, sind allerdings nicht unbekannt. Sie berichtet von Gewalt
gegen Frauen, Antisemitismus, Paralleljustiz mit Friedensrichtern und
geringer Bildung bei einem Teil der
Zugewanderten. Schneidt betont:
Während Religion in Deutschland
als Privatsache angesehen werde,
sei der streng ausgelegte Islam ein
vorgefertigtes Lebenskonzept auch
für gesellschaftliche und berufliche
Fragen. Von zugewanderten Muslimen fordert Schneidt Anpassung:
„Andere Länder, andere Sitten – so
geht Integration!“ Zugleich weckt
sie aber auch Verständnis für die
Menschen, die nach Deutschland
kommen, schildert ihre Schicksale
und erklärt ihre Beweggründe.
Schlüssige Lösungsansätze für die
beschriebenen Integrationsprobleme kann die Autorin leider kaum
bieten. Dafür bedient sie die Erzählung vom vermeintlichen Tabu, dass
man über Integrationsprobleme
kaum offen sprechen dürfe, ohne
sanktioniert zu werden. CFH
Katja Schneidt:
Tiefer Riss. Was uns spaltet und was
uns verbindet
Goldegg-Verlag 2021, 220 Seiten,
22,00 Euro, ISBN 987-3-99060-203-4
Termine
8. Zukunftskongress Staat & Verwaltung
– Deutschland im digitalen Aufbruch
13.12.2021 – 15.12.2021, Berlin
zukunftskongress.info
verwies sie in der Stichwahl Peter
Neidel von der CDU auf Platz zwei.
In der Großen Kreisstadt Löbau kam
es am 17. Oktober zum Urnengang.
Im zweiten Wahlgang genügten
Einzelbewerber Albrecht Gubsch
40,3 Prozent der Stimmen zum
Sieg. Bei der OB-Wahl in Radolfzell
am Bodensee gewann mit Simon
Gröger ebenfalls ein Einzelbewerber. Für ihn stimmten 83,3 Prozent
der Wählenden. Abgestimmt wurde
auch im Landkreis Märkisch-Oderland. Landrat Gernot Schmidt
(SPD) kann sein Amt weiter ausüben. In der Stichwahl kam Schmidt
auf 53,8 Prozent, sein Kontrahent
Rico Obenauf (BVB/Freie Wähler –
die Parteilosen) auf 46,2 Prozent.
18. ordentliche Delegiertenversammlung
der Bundes-SGK
21.01.2022 – 22.01.2022, Leipzig
bundes-sgk.de
Mehr Termine: demo-online.de
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SPD Oftersheim
Zum 01. November 2022 ist bei der
Gemeinde Oftersheim,
Rhein-Neckar-Kreis, Baden-Württemberg,
die Stelle des Bürgermeisters (m/w/d) neu zu besetzen.
Der jetzige Bürgermeister kandidiert wieder.
Es wird aber weitere KandidatInnen geben.
Oftersheim ist wirtschaftlich gut aufgestellt,
hat rund 12.300 Einwohner und verfügt über eine
gute Infrastruktur mit einer aktiven Vereinslandschaft.
Wir sind eine Wohngemeinde inmitten der Metropolregion
zwischen den Städten Mannheim, Heidelberg und Speyer.
Der Gemeinderat zählt 22 Mitglieder,
davon gehören vier der SPD-Fraktion an.
Weitere Infos unter:
www.oftersheim.de oder www.spd-oftersheim.de
Bewerbungen können ab sofort
eingereicht werden bei:
Ortsvereins- und Fraktionsvorsitzenden
Jens Rüttinger
Jens.Ruettinger@Concordia.de
Telefon 0172/623 68 83
30 DAS LETZTE
DEMO 11-12/2021
Roter Rauch
Impressum
Autorin Karin Billanitsch
Rot, Gelb, Grün – diese Farben sind derzeit hoch im Kurs.
A
mpeln sind zur Zeit hoch im
Kurs. Rot, Gelb, Grün, das
sind die Phasen, die sich
abwechseln. Wobei nach der klassischen Farbenlehre der Straße Rot ja
bekanntlich für Stillstand, Gelb für
Bereitschaft und Grün für das Gasgeben steht. Und nicht nur der Straßenverkehr, auch die politische Welt
erschließt sich über Farben. Das wissen wir nicht erst, seit sich in Berlin
die möglichen Ampel-Koalitionäre an
einen Tisch gesetzt haben. Seit 1863
war Rot die Farbe des Allgemeinen
Deutschen Arbeitervereins und später die Traditionsfarbe der SPD. Gelb
oder Gold hat sich für den Liberalismus etabliert. Jemand wird aber auch
„gelb vor Neid“ sagt der Volksmund.
Und Grün ist die Farbe der Hoffnung
und des Umweltglück verheißenden
Chlorophylls.
Die erste elektrische Lichtsignalanlage der Welt, die 1914 in Cleveland aufgestellt wurde, hatte nur
zwei Farben – Rot und Grün. Der
Gelb-Puffer fehlte komplett, was
wahrscheinlich zu unfallträchtigen
Vollbremsungen, gepaart mit geräuschvollen Kavalierstarts führte.
Auf jeden Fall kam schon wenige
Jahre später die dreifarbige Ampelanlage auf. Vorreiter in Deutschland
war Berlin 1924 mit dem Verkehrsturm am Potsdamer Platz, der zunächst in Rot – Weiß – Grün leuchte-
te. Heute hat Berlin rund 2.100 Ampeln. Das Land will die zuletzt privat
gemanagten Anlagen künftig wieder
selbst betreiben. Rot – Grün – Rot
leuchten werden sie aber nicht, wie
man hört.
Rot steht auf der ganzen Welt für
das Verbot im Straßenverkehr, die
Kreuzung zu überqueren. Das war
in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts der Roten Garde in Peking
ein Dorn im Auge. Rot, die Farbe der
Revolution, der Arbeiterbewegung:
Das kann nicht für Stillstand stehen.
Deshalb befahlen die Parteifunktionäre der KP, den Verkehr bei Grün
anzuhalten. Die folgenden Monate
zeigten, dass das zu Unfällen und
Verkehrschaos führte, lautet die Legende, obwohl es damals viel mehr
Fahrradfahrer als Autos gegeben haben dürfte. Danach galt Stopp bei Rot
nicht mehr als antikommunistisch.
Nicht weit vom Potsdamer Platz,
im Berliner Regierungsviertel, leuchteten zuletzt bis tief in die Nacht die
Lampen in den Verhandlungsräumen
in klassischem Warm-Weiß, darunter
rauchten in den Delegationen der
Ampel-Parteien die Köpfe. Und als
eines Morgens über den Dächern der
Hauptstadt roter, gelber und grüner
Rauch aufstieg, dürften sicherlich
einige Sektkorken geknallt haben.
Ach ja, Ampel kommt übrigens aus
dem Lateinischen: von „ampulla“
(kleine Flasche).
Demokratische Gemeinde,
Fachorgan der Sozialdemokratischen
Gemeinschaft für Kommunalpolitik
(Bundes-SGK)
Stresemannstraße 30, 10963 Berlin
Postfach 61 03 22, 10925 Berlin
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Dieses Heft enthält eine Beilage vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).
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Warum China die Ampelfarben ändern wollte und was das
mit der Regierungsbildung in Berlin zu tun hat
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1,0–0,6 l/100 km; Stromverbrauch gewichtet kombiniert: 25,6–21,3 kWh/100 km, CO₂-Emissionen
gewichtet kombiniert: 22,0–14,0 g/km; elektrische Reichweite (EAER) 94–113 km.1
1Die angegebenen Werte sind die ermittelten „WLTP-CO₂-Werte“ i. S. v. Art. 2 Nr. 3 Durchführungsverordnung (EU) 2017/1153. Die Kraftstoffverbrauchswerte wurden auf Basis dieser Werte errechnet. Der Stromverbrauch wurde auf Grundlage der VO 2017/1151/EU
ermittelt. *Die Reichweite wurde auf Grundlage der VO 2017/1151/EU ermittelt und ist zudem abhängig von der Fahrzeugkonfiguration.