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Full text: Demo (Rights reserved) Ausgabe 2020,1/2 (Rights reserved)

DEMO - ONLINE.DE DEMO 72. JG | A02125 EINZELPREIS 10,00 € 01/02 2020 VO R WÄ R T S - KO M M U N A L ■ DA S S OZ I A L D EM O K R AT I S C H E M AG A Z I N F Ü R KO M M U N A L P O L I T I K hsen rsac e d e i N K G S s e d n La xtra E He f t FOTO: STOCK.ADOBE.COM/OLIVER BOEHMER /BLUEDESIGN® ZUSAMMENHALT IN DEN KOMMUNEN Miteinander stark Wie Städte, Gemeinden und Landkreise Gemeinsinn aktiv fördern und begleiten mit t e Der Preis für herausragende kommunale Beispiele zu Migration und Entwicklung WETTBEWERB für Städte, Gemeinden oder Landkreise, die sich gemeinsam mit Migrantinnen und Migranten entwicklungspolitisch engagieren. 135.000 Euro Preisgeld insgesamt Lassen Sie Ihr gemeinsames Engagement auszeichnen! Bewerbungsschluss: 28. Juni 2020 WWW.KOMMUNE-BEWEGT-WELT.DE Die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) ist Teil von ENGAGEMENT GLOBAL und arbeitet im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. ENGAGEMENT GLOBAL gGmbH | Service für Entwicklungsinitiativen | Tulpenfeld 7 | 53113 Bonn www.engagement-global.de Servicestelle Kommunen in der Einen Welt: www.service-eine-welt.de | info@service-eine-welt.de Im Auftrag des © Christian Lademann KOM BEW MUNE EGT W ELT INHALT 3 01-02/2020 DEMO Titel Zusammenhalt in den Kommunen Liebe Leserin, lieber Leser, In dieser DEMO zeigen wir eine Reihe von Beispielen für guten Zusammenhalt in Kommunen. Die Texte sind alle vor dem Anschlag in Hanau entstanden, sonst wäre das Heft sicher etwas anders ausgefallen. Denn dieses brutale Massaker, bei dem mindestens zehn Menschen feige ermordet worden sind, zeigt, wie tief unsere Gesellschaft trotz aller ehrlichen Bemühungen von vielen Kommunalen um Zusammenhalt durch Rechtsradikale und Rechtsextreme gespalten wird. Vielleicht war der Hanauer Täter ein Psychopath, das lässt sich kaum noch eindeutig belegen. Dass er ein Rassist war, steht aber außer Frage. Rassisten und Rechtsextremisten wollen nicht zusammenführen. Für sie gibt es Menschen erster und zweiter Klasse. Im Netz schüren sie (noch) relativ ungestört Hass und Gewalt und bestätigen sich gegenseitig in ihrem Wahn. Bundesjustizministerin Lambrecht sorgt gerade dafür, dass das nicht so bleibt. FOTOS: DIRK BLEICKER; BDK J/JÖRG LOEFFKE; BERND HÄGERMANN; RAINER K AFFENBERGER /OREG; DIRK BLEICKER Die geistigen Väter und Mütter dieser Rechtsextremen aber sitzen heute mit der AfD im Bundestag, in allen Landesparlamenten und in vielen kommunalen Volksvertretungen. Mit ihnen darf es keine Form der politischen Zusammenarbeit geben, auch kein Verständnis für ihre Haltung. In den Städten, Gemeinden und Landkreisen spielt sich das reale Leben ab. Dort gilt es, ALLE einzubinden. Dort müssen aber auch alle demokratischen Kräfte zusammenstehen. Kommunale Vertreterinnen und Vertreter, Vereine und Zivilgesellschaft müssen gemeinsam aufstehen gegen all jene, die unsere freiheitliche und demokratische Ordnung und damit unser friedliches Zusammenleben zerstören wollen. Gegen die, die Menschen gegeneinander aufstacheln und jene, die ihnen nicht gefallen, als minderwertig abqualifizieren. Und wir Bürgerinnen und Bürger müssen die Politikerinnen und Politiker besonders unterstützen, die sich gegen die Rechtsextremen und Rechtsradikalen stellen und – immer öfter – von ihnen bedroht werden. Wir dürfen die Mutigen nicht alleinlassen. Das ist nicht nur eine solidarische menschliche Geste, das ist in diesen Zeiten auch staatsbürgerliche Pflicht, wenn wir nicht wollen, dass dumpfe und geschichtsvergessene Extremisten die Geschicke unseres Landes bestimmen können. Karin Nink, Chefredakteurin 4 6 8 9 10 12 13 14 15 16 „Für eine werteorientierte Demokratie eintreten” | Interview mit Lisi Maier, Deutscher Bundesjugendring Gegen den Strom | Der Preis „Soziale Stadt 2019” ist nach Bremerhaven gegangen Einfach dazugehören | Wie die Stadt Heilbronn Projekte für muslimische Jugendliche begleitet Jobchancen für Geflüchtete im Gesundheitswesen | Lokale Kooperationen in Essen „Wir müssen den Bürgern wieder mehr zutrauen” | Interview mit Dirk Neubauer, Bürgermeister von Augustusburg, der gegen Politikfrust kämpft Einstehen für die Menschen hinter den Zahlen | Der Bund plant eine Wohnungslosen-Berichterstattung Spielen ohne Hindernisse | Viele Hallen und Plätze sind noch nicht barrierefrei Der schleichenden Einsamkeit im Alter vorbeugen | Präventionsprojekte in Hamburg Brücken bauen zwischen Alt und Jung | Seniorenamt Regensburg steht für Miteinander der Generationen „Seenland aus Bergmannshand” | Großräschens Bürgermeister Thomas Zenker treibt den Strukturwandel in der Lausitz voran 4 13 Report Kommunalwirtschaft 20 22 25 26 28 Stadtwerke zahlen die Zeche | Für das Kohleausstiegsgesetz besteht Nachbesserungsbedarf Glasfaser bis zur Milchkanne | Um schnelle Leitungen bis in die Wohnung wirtschaftlicher zu machen, muss die Netzauslastung gesteigert werden Gemeinden stärker an Wertschöpfung von Windenergieprojekten beteiligen | Fragen an Andreas Pick, Projektentwicklung Windkraft bei der EnBW Odenwaldkreis trägt zu mehr Klimaschutz bei | Neue Photovoltaikanlage versorgt 600 Haushalte mit Strom d-Port21 – Dortmunds nächstes Leuchtturmprojekt | Stadtwerke schreiben Erfolgsgeschichten Cross-industrielle Netzwerke | Kommunale Industrieregionen stärken 25 19 24 18 19 29 30 News | Drei Fragen an Frank Baranowski Gemeinsam gegen rechts | Gespräch mit Patrick Dahlemann Bücher | Wahlen | Termine Das Letzte | Vorschau | Impressum 4 TITEL DEMO 01-02/2020 „Für eine werteorientierte Demokratie eintreten“ Warum Engagement in jungen Jahren besonders wichtig ist und wie die Kommunen Jugendverbandsarbeit unterstützen können, erklärt Lisi Maier vom Deutschen Bundesjugendring. Sie beklagt, dass Jugendverbände Angriffe von rechts erleben Interview Karin Billanitsch ZUR PERSON Lisi (Elisabeth) Maier, 1984 geboren, ist aufgewachsen im oberbayerischen Irschenberg. Bis zum Jahr 2003 hat sie eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin absolviert, 2005 machte sie Abitur und studierte bis zum Jahr 2010 Politikwissenschaften, Soziologie und Wirtschaftswissenschaften an der LMU München. Bis 2010 war Lisi Maier Mitarbeiterin der Frauenbeauftragten der LMU München und bis 2012 ehrenamtlich aktiv bei verschiedenen Verbänden, auf der Orts- bis zur Bundesebene, vor allem bei der Kolpingjugend, dem BDKJ und bei ver.di. In ihrer Heimatgemeinde Irschenberg wurde sie 2008 in den Gemeinderat gewählt und war dort bis 2011 Mitglied. Seit dem Jahr 2012 ist Maier hauptamliche Vorsitzende des BDKJ. Darüber hinaus ist sie im Vorstand des Deutschen Bundesjugendrings, des Bundesjugendkuratoriums, der Bundesarbeitsgemeinschaft katholische Jugendsozialarbeit und des deutschen Frauenrats aktiv. (KB) Unsere Gesellschaft braucht Zusammenhalt – doch Teile davon driften auseinander und die politische Polarisierung wächst. Woran liegt das? Wir nehmen natürlich wahr, dass Faktoren wie die klaffende Einkommens- und Vermögensverteilung, die zur Spaltung der Gesellschaft ein Stück weit beitragen, zunehmen. Deshalb ist es wichtiger denn je, sich Gedanken zu machen, wie man vereinende Elemente schafft und der Spaltung entgegenwirkt. Zum Beispiel mit dem gesetzlichen Mindestlohn als einem ersten Schritt, der die weitere Öffnung der Einkommensschere verhindert. Doch die Gruppe, die das höchste Einkommen und vor allem Vermögen hat, läuft voran, während sich die Mittelschicht weiter auflöst. Wir haben ein Zwei-Klassen-Gesundheitssystem, in Teilen ein Drei-Klassen-Schulsystem – und nach wie vor hängt der Zugang zu Infrastruktur, sozialen und kulturellen Angeboten, zu Arbeitsplätzen und zur Kinder- und Jugendhilfe vom Wohnort ab. Das trägt alles dazu bei, dass man immer weniger Zusammenhalt fühlt. Darüber hinaus gibt es immer mehr Akteure, die durch eine Politik der Ausgrenzung und das Schüren von Vorurteilen und Ängsten das Auseinanderdriften der Gesellschaft verstärken. In vielen ländlichen Regionen fühlen sich Menschen abgehängt, sind wütend oder frustriert, weil die letzte Bank zumacht oder der Bus seltener fährt. Es gibt eine verschärfte politische Polarisierung und einen Rechtsruck. Was tun? Es gibt solche und solche ländliche Regionen. Ich komme aus einer florierenden ländlichen Gegend in Oberbayern, wo viel auf Tourismus gesetzt worden ist. Aber es gibt auch eine Kehrseite: Grundstückspreise sind unglaublich gestiegen, sehr viele Menschen wollen dort hinziehen. Das ist eine ganz andere Situation als etwa in Brandenburg. Ich nehme auch wahr, dass es ländliche Regionen gibt, die bei weitem nicht so attraktiv sind und wo viele Menschen das Gefühl haben, abgehängt zu sein. Ungleichwertige Lebensverhältnisse sind nicht nur ein Stadt-LandProblem, sondern eine Frage der regionalen Unterschiedlichkeit und natürlich auch der Zukunftsperspektiven vor Ort. Zugleich: Dort wo es eine starke rechte Bewegung gibt, hat das nicht immer etwas mit einem Gefühl des AbgehängtSeins zu tun. Mich hat überrascht, dass es in meiner Heimat bei den letzten Landtagswahlen Sympathien mit der AfD gab, obwohl in meinem Dorf eine Arbeitslosigkeit von unter zwei Prozent herrscht. Da kann sich eigentlich niemand aufgrund der wirtschaftlichen Lage abgehängt fühlen. Und dennoch gibt es dort ein gewisses Potenzial an AfD-Wählerschaft. Das ist erschreckend. Es tragen mehr Dinge dazu bei, ob man die AfD wählt oder nicht. Lisi Maier: „Es ist wichtig, dass sich schon junge Menschen einbringen, um eine lebenswerte Gesellschaft zu gestalten.“ Ist die Jugendverbandsarbeit Druck von rechts ausgesetzt? Wir nehmen wahr, dass unsere Verbände aus rechten Milieus angegriffen werden. Das nimmt teilweise dramatische Züge an, etwa in Berlin-Neukölln. Hier sind die Falken, die sozialistische Jugend Deutschlands, immer wieder Angriffen oder Drohungen von rechtsextremistischer Seite ausgesetzt. Und dies betrifft eben nicht nur abstrakt den Verband als Organisation, sondern ganz konkret junge Menschen, die ehrenamtlich Verantwortung übernehmen und sich für andere engagieren. Wir erleben das aber auch im ländlichen Bereich. Der Deutsche Bundesjugendring hat schon 2016 eine Analyse dazu gemacht. Insbesondere Jugendverbände, die viel Geflüchtetenarbeit machen, berichten von Schmierereien an Fassaden offener Jugendtreffs oder von Drohungen. Bei meinem Verband, dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), gab es nach einer Plakataktion zum christlich-muslimischen Dialog im Südwesten Deutschlands – in einer mittelgroßen Stadt – Morddrohungen gegen Mitarbeitende. Man merkt sehr deutlich, dass sich die Angriffe nicht nur explizit gegen Verbände mit Migrationshintergrund richten, sondern gegen alle, die für eine pluralistische werteorientierte Demokratie eintreten, was für alle Verbände im Deutschen Bundesjugendring zutrifft. Das ist auf alle Fälle schon sehr erschreckend. Die AfD versucht, über parlamentarische Anfragen und Anträge die Arbeit von Verbänden und freien Trägern zu stören. Haben Sie damit Erfahrungen gemacht? Der Streit um Neutralität wird aktuell vor allem auf Landesebene geführt, aber auch in größeren Städten. Die Auseinan- FOTO: BDK J / CHRISTIAN SCHNAUBELT Zusammenhalt in den Kommunen TITEL 5 01-02/2020 DEMO bewegen können. Das ist ein großer Schatz. dersetzung ist immer die gleiche. Vorgetragen wird: Wenn man staatliches Geld bekommt, dann würde man auch der Neutralitätspflicht, die für die Staatsorgane gilt, unterliegen. Ich habe bisher nur juristische Gutachten gesehen, die genau das Gegenteil sagen. Die Zivilgesellschaft wird nicht zum Staatsorgan, nur weil sie staatliche Gelder bekommt. Sonst würde unsere Rolle, Interessenvertretung für Menschen in einem pluralen System zu sein, ad absurdum geführt. Nicht zuletzt beschreibt das Kinder- und Jugendhilfegesetz dass „durch Jugendverbände und ihre Zusammenschlüsse Anliegen und Interessen junger Menschen zum Ausdruck gebracht und vertreten“ werden. Das Problem ist zudem, dass die Anfragen viele Ressourcen in der Verwaltung binden. FOTO: BDK J/JAN / JAN HOEFER Fördert Engagement im Jugendbereich den Zusammenhalt, indem Kinder und Jugendliche Gemeinschaft erleben? Wenn man gemeinsame Erfahrungshorizonte hat und die Möglichkeit, Zusammenhalt zu erleben, wird der Vereinzelung und dem Auseinanderdriften der Milieus ein Stück weit entgegengewirkt. Das funktioniert auch, wenn man aus unterschiedlichen Wertekontexten kommt, vielfältige Erfahrungen und familiäre Hintergründe mitbringt. Kinder und Jugendliche lernen Gleichgesinnte unabhängig von der soziokulturellen Situation des oder der Einzelnen kennen. Sie lernen, die demokratische Auseinandersetzung mit anderen Positionen zu führen und Kompromisse zu finden. Unter dem Dach des Bundesjugendrings sind viele Jugendorganisationen mit unterschiedlichen Zielen. Kann man sagen, dass die Begegnung das Verständnis füreinander fördert? Ob es jetzt der Bundesjugendring auf Bundesebene, Landesjugendringe in den Bundesländern oder Kreis- und Stadtjugendringe vor Ort in den Kommunen sind: Es ist ein Begegnungsraum für junge Menschen, die sich gemeinsam im Sinne von Selbstorganisation für die Interessen anderer junger Menschen einsetzen. Es gibt ein breites Spektrum, das von der Landjugend mit Bezug zum Bauernverband, über die Gewerkschaftsjugenden, konfessionelle Verbände, Migrantenjugendselbstorganisationen, der Feuerwehrjugend bis hin zur Naturschutz- und der BUND-Jugend reicht. Dabei kommt es natürlich auch zu gewissen Konflikten. Auf Demonstratio- Warum ist es überhaupt wichtig, dass sich schon Junge einbringen? Um eine lebenswerte Gesellschaft für sich zu gestalten. Alle Studien sagen, wie relevant das Engagement in jungen Jahren ist. Die, die es nie getan haben, finden später viel schwerer Zugänge. Das hat viel mit Sozialisation zu tun. Deshalb müssen Kommunen ein so großes Interesse daran haben, Räume, Strukturen und finanzielle Ressourcen bereitzustellen, damit Engagement vor Ort stattfinden kann, weil sie dadurch auch Menschen an sich binden. Jemand, der in jungen Jahren den Ort mitgestaltet und nicht nur scheinbeteiligt wird, der wird auch später ein großes Interesse haben, sich einzusetzen und etwas zum Zusammenhalt beizutragen. Abschluss der Aktion „Zukunftszeit – Gemeinsam für ein buntes Land“ des Bundes der katholischen Jugend in Berlin, gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit nen im Januar auf der Grünen Woche in Berlin stehen sie sich auf verschiedenen Seiten gegenüber. Dennoch schafft man es innerhalb der Strukturen, Positionen z.B. umweltpolitischer Natur zu verabschieden, die so gestaltet sind, dass sie alle mitnehmen. Sind Jugendverbände eine Art Auslaufmodell, weil sich immer weniger Jugendliche engagieren? Es gibt Studien, die sich mit dem ehrenamtlichen Engagement von Jugendlichen befassen, zum Beispiel der Freiwilligensurvey, der zuletzt 2015 erschienen ist. Da wurde deutlich, dass junge Menschen ein großes Interesse haben, sich zu engagieren, die Zahl der Ehrenamtlichen sogar leicht ansteigt, aber weniger Zeit für dieses Engagement bleibt. Vor 20 Jahren waren es noch durchschnittlich acht Stunden ehrenamtliches Engagement pro Woche bei den unter 18-Jährigen, heute sind es nur noch zwei. Aber Jugendliche wollen mitmachen, wollen Teil einer Gruppe sein. Spannend ist auch, dass unterschiedliche Studien zeigen: Junge Menschen engagieren sich am liebsten in ihrem Nahraum, im kommunalen Bereich. Zwar haben viele eine globale Perspektive – wie „Fridays vor Future“ zeigt – die meisten interessieren sich aber mehr für ihre unmittelbare Umgebung, weil sie da eine hohe Wirksamkeit erfahren und etwas Die meisten jungen Menschen interessieren sich für ihre unmittelbare Umgebung, weil sie da eine hohe Wirksamkeit erfahren. Lisi Maier, Bundesvorsitzende des Bundes der katholischen Jugend und des Deutschen Bundesjugendrings Kommunen richten beispielsweise Jugendparlamente ein. Wie sind hier Ihre Erfahrungen? Wir haben leider die Erfahrung gemacht, dass mit der Bezeichnung „Jugendparlament“ eine sehr breite Palette an Organisationen beziehungsweise Angebote mit ganz unterschiedlichem Zugang gemeint sind. Dahinter stecken nicht immer die besten Beteiligungsformate. Vielfach darf dann ein bisschen beraten, aber nichts entschieden werden. Das ist nicht der Anspruch der Jugendverbände. Sie wollen kein „Probeparlament“ haben, sondern wirklich etwas verändern. Dafür müssten in den jeweiligen Landeskommunalverfassungen Beteiligungsrechte oder Anhörungsverfahren für die Jugend verankert werden. Beispiele für gute Beteiligungsrechte gibt es etwa in Schleswig-Holstein. Was können Kommunen ganz praktisch beitragen? Räume für Jugendclubs oder Gruppen zu organisieren, ist immer wieder ein Thema. Die Kommune sollte ein Interesse daran haben, dass es Orte gibt, wo Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenfinden können. Je mehr Zeit Schule im Alltag einnimmt und dort auch Aktivitäten am Nachmittag stattfinden, desto weniger Menschen mit unterschiedlichen Bildungshintergründen lernen sich kennen. Einsparungen in der offenen Kinder- und Jugendarbeit haben sich mit Blick auf das Erstarken rechter Parteien auch schon negativ ausgewirkt. Es gibt Beispiele, wo Nazis Bauwagen für Jugendliche geöffnet haben, nachdem der Jugendtreff weggespart wurde. 6 TITEL DEMO 01-02/2020 Gegen den Strom Der Preis „Soziale Stadt 2019” ist nach Bremerhaven gegangen. Dort wird seit mehr als 20 Jahren der Stadtteil Wulsdorf revitalisiert Autor Ulf Buschmann B itte recht freundlich: Es herrscht Feierlaune an diesem Tag im vorigen Herbst. Denn das Projekt „Gegen den Strom – Soziale Stadt Wulsdorf“ des kommunalen Wohnungsunternehmens STÄWOG aus Bremerhaven wird mit dem rennommierten Preis „Soziale Stadt 2019“ ausgezeichnet. Die kleinere der beiden Kommunen des Landes Bremen ist dafür prämiert worden, dass viele Menschen gemeinsam ein Quartier umgekrempelt und so die soziale Situation verbessert haben. Aus einstigen Schmuddelecken und heruntergekommenen Schlichtbauten sind schmucke Häuser geworden, umgeben von Begegnungs- und Spielmöglichkeiten für Erwachsene und Kinder. Bewohnerinnen und Bewohner, soziale Einrichtungen wie die Bremerhavener AWO, kommunale Unternehmen, Politik und Verwaltung haben das Projekt gemeinsam entwickelt und umgesetzt. Bei der Bremerhavener Wohnungsbaugesellschaft STÄWOG sind die Fäden dafür zusammengelaufen. Der Preis ist immerhin mit 10.000 Euro dotiert und wird von allen Beteiligten ordentlich gewürdigt. Verwahrlosung und Vandalismus Manfred Klenner (l.), pensionierter Sozialarbeiter, und Architekt Hans-Joachim Ewert vor dem Spiralhaus Rückblende: Ende der 1990er Jahre sieht es trist aus in Wulsdorf. Viele eilig in den 1950er Jahren errichtete schlichte Blocks zur Beseitigung der akuten Wohnungsnot verfallen mehr und mehr. Heute erinnern nur noch Fotos daran: ein ungepflegter Hauseingang mit abgewetzten Stühlen davor, trostlose Straßen, in denen auch Müll und Unrat liegt, mit Graffiti besprühte Wände. STÄWOG-Geschäftsführer Sieghard Lückehe erinnert sich an eine unheilvolle Mischung aus hohem Wohnungsleerstand, Verwahrlosung und Vandalismus. „Es war ein stark sozial benachteiligtes Quartier“, sagt er. Dort lebten Menschen mit unterschiedlichen Migrationshintergründen zu einem Großteil von Sozialhilfe. Bremerhavens Verantwortliche, allen voran die STÄWOG mit dem damaligen Kleiner Quartierspaziergang Zwei dieser Menschen, die für eine solche Aufgabe brennen, sind Hans-Joachim Ewert und Manfred Klenner. Ewert war damals als junger Architekt gerade frisch bei der STÄWOG in Bremerhaven. Heute leitet er die Planungsabteilung. Klenner arbeitete damals als Sozialarbeiter im Quartier, inzwischen ist er pensioniert. Aber Ruhe gönnt er sich trotzdem nicht. „Ich habe noch einen kleinen Job im Sozialmanagement der STÄWOG“, stellt er sich vor. Die beiden Männer nehmen sich Zeit für einen kleinen Spaziergang durch das Viertel. Dabei erinnert sich Ewert an die Anfänge seiner ihm vor 20 Jahren gestellten Aufgabe. Er schlägt immer noch die Hände über dem Kopf zusammen. Wie das hier wohl alles gehen solle, habe er sich damals immer wieder gefragt. Architektonisch muss Ewert so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau erschaffen: Das Quartier mit schmalem Budget auf links drehen. Immerhin hätten andere Fachleute ihn und seine Mitstreiter damals längst für ein bisschen verrückt erklärt. Die schlichten Bauten, und dann auch noch mit Klo im Treppenhaus, ließen sich nur abreißen, war die ziemlich einhellige Meinung. Aber Ewert brennt für das Ungewöhnliche. Die ersten Wohnblocks werden FOTOS: ULF BUSCHMANN Vom tristen Brennpunktviertel zu einer Gartenstadt mit vielen Spielplätzen und grünen Oasen: Bremerhavens Verantwortliche, allen voran die Wohnungsbaugesellschaft STÄWOG, haben Wulsdorf städtebaulich weiterentwickelt – mit Mitteln aus dem Programm „Soziale Stadt“. Geschäftsführer Christian Bruns, suchten nach einem Ausweg. Die Entscheidung: Statt die heruntergekommenen Wohnhäuser abzureißen und die Grundstücke zu verkaufen, sollen das Quartier neu gestaltet und die sozialen Probleme angegangen werden. Als es soweit ist, müssen sich Bruns und Co gegen große Widerstände durchsetzen. Doch es bleibt dabei: Neuanfang statt Abriss. Letzteren gibt es in den kommenden Jahren zwar auch – aber nur dort, wo es unbedingt notwendig ist. Den Plänen entsprechend gibt es bald einen Namen, der auch Programm ist: „Gegen den Strom – Soziale Stadt Wulsdorf“. Für das Vorhaben kommt sogar Geld vom Bund – aus dem 1999 gerade neu geschaffenen Programm „Soziale Stadt“. Das Wulsdorfer Quartier sei als erstes in ganz Deutschland gefördert worden, erinnert sich Lückehe. Er freut sich: „Nach 20 Jahren ist unsere Arbeit belohnt worden.“ Der STÄWOG-Chef macht die gleichen Erfahrungen wie sein Vorgänger: „Man braucht für solch ein Projekt starke Partner und die politischen Mehrheiten.“ Und noch eines hält Lückehe für unersetzlich: „An den entscheidenden Stellen die richtigen Personen.“ TITEL 7 01-02/2020 DEMO saniert. Er setzt dabei auf Schonung der Bausubstanz. Jetzt – Quartiers-Spaziergang – bleibt er stehen und erklärt, wie die Häuser etwa ein neues Dach bekommen haben. Ewert zeigt nach oben: „Das sind Dachkonstruktionen, wie man sie zum Beispiel für Scheunen in der Landwirtschaft benutzt. Wir haben sie einfach gedreht. Es sieht jetzt ein bisschen aus wie eine Landebahn.“ Weil die vorhandenen Häuser geschont wurden, blieben auch die sozialen Strukturen im Stadtteil erhalten. Das förderte den Zusammenhalt in der Siedlung – heute sind die Menschen stolz, hier zu leben. FOTOS: ULF BUSCHMANN; WOGE BREMERHAVEN Grüne Orte der Begegnung Dahinter steht so etwas wie eine städtebauliche Vision. „Wir wollen über die Architektur etwas in den Köpfen der Menschen ändern“, beschreibt es Ewert. Und nicht nur das, der Planer hat von Anfang an von einer „grünen Gartenstadt“ geträumt. Um dieses Ziel zu erreichen, sind in den vergangenen 20 Jahren schon rund sechs Kilometer Hecken und mehr als 100 Bäume gepflanzt worden. So sind kleine grüne Oasen vor den neu gestalteten Hauseingängen entstanden. Grün ist es nicht nur vor den Häusern an den Straßen. Auch hinter den Häusern entstanden grüne Orte der Begegnung. Darüber freut sich Klenner besonders: „Wir wollten auch aus diesem üblichen Abstandsgrün etwas entwickeln“, sagt er und weist auf das, was sich vor ihm und Ewert erhebt: Ein Spielplatz, der an die Filme über die Abenteuer von Sindbad, den Seefahrer, erinnert. „Dieser Spielplatz heißt ‚Tausend und eine Nacht‘“, sagt Klenner. Im Quartier leben Angehörige aus 20 Nationen – darunter 27 Prozent Türken. Rund 60 Prozent seien Deutsche, darunter 40 Prozent Sinti und Roma, so Klenner. Zu ihnen den Kontakt zu halten und sich immer wieder mit den Bewohnern über den richtigen Weg zu verständigen, sei bis heute eine große Aufgabe, berichtet er. Den Zusammenhalt im Quartier zu stärken, ist auch ein Ziel der „Bürgergemeinschaft Wulsdorf“. Sie vertritt die Interessen der Menschen, die dort arbeiten oder leben. Ein kulturelles Veranstaltungsprogramm mit Ausstellungen oder Vorträgen lockt die Leute an, die sich so besser kennenlernen. Auch altes Brauchtum wird gepflegt. Zusätzlich gibt es die Stadtteilkonferenz Wulsdorf (STK) mit diversen Projekten: den Arbeitskreis „Willkommen in Wulsdorf“ der ein „Familiencafé“ und den damit auch dort die Wohnzufriedenheit erhalten bleibt und die Integrationsarbeit erfolgreich fortgesetzt werden kann. EXPERTEN-TIPP „Treffpunkte zum Kennenlernen und Austausch“ Im Rahmen der Stadtteilkonferenz können sich Wulsdorfer treffen, austauschen und konkrete Projekte vorantreiben. Die DEMO hat Sprecher Carl Müller-Neumann befragt: Was ist das Besondere am Wulsdorfer Zusammenhalt? Die Wulsdorfer eint nicht nur die Hoffnung, dass die seit Jahren angestrebte und jetzt eingeleitete Wiederbelebung des Stadtteilzentrums schnell vorankommt. Sie haben auch, den Wunsch, dort schon bald angenehme Aufenthaltsqualitäten und attraktive Begegnungsmöglichkeiten vorzufinden. Letztere Wünsche sollen sich mit einem eigenen Stadtteilzentrum auch für den nördlichen Ortsteil von Wulsdorf – Dreibergen – erfüllen, Welche Bedeutung haben Angebote wie das „Familiencafé“, der Kulturladen oder Vorträge? Treffpunkte, wo sich Flüchtlinge, zugewanderte Neubürgerinnen und -bürger, Wulsdorferinnen und Wulsdorfer begegnen, sich gegenseitig kennenlernen und austauschen können, sind sehr wichtig, wenn eine intakte Nachbarschaft erhalten bleiben und Integration gelingen soll. Ein umgestaltetes Fichtehaus Heidacker könnte viel dazu beitragen. Welchen Rat geben Sie anderen aufgrund Ihrer Erfahrungen? Fördern Sie Veranstaltungen, die es möglich machen, dass Bewohner des Stadtteils zusammenkommen, um gemeinsam Spaß zu haben, etwas zu erfahren, zu lernen und vor allem auch, um zu besprechen und festzulegen, was ihrem Umfeld guttun kann und das Wohnrevier fördert und lebenswert erhält. Bemühen Sie sich, die Bürgerinnen und Bürger aktiv zu beteiligen und eine versprochene Bürgernähe von Verwaltung und Politik einzufordern. http://www.wir-wulsdorfer.de Die Gewinner des Preises „Soziale Stadt 2019“ im Bremerhaven. Ausruhen können sie aber nicht: „Die soziale Stadt ist nie fertig“, sagt STÄWOG-Chef Sieghard Lückehe (1. Reihe, 4.v.r.). „Kulturladen Wulsdorf“ betreibt oder gemeinsame Ausflüge und Feste, Flohmarkt oder Vorträge organisiert: Ziel ist es, das Miteinander positiv zu fördern und zu stärken und Wulsdorf lebenswerter und attraktiver zu gestalten (siehe auch Kasten Expertentipp). So soll etwa das Stadtteilzentrum wiederbelebt werden oder ein neuer, beleuchteter Radweg geschaffen werden. Dass Menschen unterschiedlicher Kulturen und Nationalitäten harmonisch nebeneinander leben können, betonen auch Ewert und Klenner, als sie am Gemeinschaftsgarten stehen. Hier haben die Bewohner des davorstehenden Hauses die Möglichkeit, gemeinsam zu gärtnern. „Das ist unsere Form von Urban Gardening“, lächelt Architekt Ewert. Das Spiralhaus Der Gemeinschaftsgarten befindet sich vor dem „Spiralhaus“, eingeweiht 2017 – ein Objekt, das nicht nur in Bremerhaven für Furore gesorgt hat. Ewert erklärt die Philosophie dahinter: Im Quartier werden die Menschen älter, die 50er-JahreSchlichtbauten aber lassen keinen barrierefreien Umbau in der Substanz zu. Also ist Ewert auf die Idee gekommen, die entsprechende bauliche Ergänzung einfach davorzusetzen. Entstanden ist eine Rampenkonstruktion aus Metall mit einer Verkleidung aus Holz – unter Einhaltung aller gesetzlichen Vorschriften wie einer maximalen Steigung von sechs Prozent. Diese ermöglicht auch Rollstuhlfahrern, problemlos in die oberen Geschosse zu gelangen. Ewert und Klenner könnten weitere Beispiele zeigen. Sie und die Bewohner sind an diesem Nachmittag stolz auf das, was sie gemeinsam geschaffen haben. Der Gedanke, über Architektur in den Köpfen etwas zu verändern und damit auch für Menschen etwas zum Positiven, scheint aufgegangen zu sein. „Wenn ich sehe, wie man mir heute im Quartier begegnet, wie einfach wir ins Gespräch kommen, dann denke ich, dass ich vielleicht auch einiges richtig gemacht habe“, wird Sozialarbeiter Klenner in der Broschüre zum Wulsdorfer Projekt zitiert. Doch ausruhen kommt für die Beteiligten nicht infrage. „Die soziale Stadt ist nie fertig“, sagt STÄWOGGeschäftsführer Sieghard Lückehe. Müll und Gewalt der Vergangenheit seien ja noch nicht gänzlich verschwunden. Aber, so betont er, der tägliche Umgang damit sei nach 20 Jahren ein anderer. staewog.de buergergemeinschaft-wulsdorf.de 8 TITEL DEMO 01-02/2020 Einfach dazugehören Wie die Stadt Heilbronn Projekte für muslimische Jugendliche begleitet – überregionaler Schulterschluss mit Berlin Autor Uwe Roth an überhaupt kein Problem gewesen, so die Integrationsbeauftragte. Im Gegenteil: „Ich hatte das Gefühl, dass die Jugendlichen geradezu darauf gewartet haben, mit ihren Ideen an die Öffentlichkeit zu gehen“, sagt Keicher. Viele seien es leid, auf den Islam reduziert und für alles verantwortlich gemacht zu werden, was im Namen ihrer Religion in der Welt an Gewalttaten passiert. Sie wollten einfach dazugehören. Nach Projektstart ging es Schlag auf Schlag: „Ich habe mir einen Vormittag Zeit genommen. Die Jugendlichen haben mir je eine halbe Stunde lang ihre Ideen präsentiert, und ich habe mein Adressverzeichnis gezückt und sie mit den richtigen Leuten zusammengebracht“, beschreibt die städtische Mitarbeiterin die Startphase. Sie ist eine Netzwerkerin mit vielen Kontakten im Landkreis Heilbronn und in der Landeshauptstadt Stuttgart. Darüber fand sie immer neue Unterstützer wie die Landeszentrale für politische Bildung. Ein eigenes Budget aus dem kommunalen Haushalt habe sie dafür nicht benötigt. Teil eines überregionalen Projekts zu sein, habe sicher als Türöffner geholfen. Junge Musliminnen aus Heilbronn haben das Demokratielernspiel „Quararo“ entwickelt. Im Vordergrund ganz rechts: Roswitha Keicher, Leiterin der Stabsstelle Partizipation und Integration. H eilbronn hat 126.000 Einwohnerinnen und Einwohner aus 150 Nationen. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. Bei den Kindern und Jugendlichen sind es sogar mehr als 70 Prozent. Die jungen Leute bleiben vielfach unter sich, auch wenn sie bereits in dritter Generation hier leben und einen deutschen Pass haben. In den Gruppen, in denen sie regelmäßig zusammenkommen, definieren sich die Teilnehmenden weniger über die Länderherkunft ihrer Eltern oder Großeltern, sondern vielmehr über ihre gemeinsame Religion, den Islam. Angesichts hoher Migrationsraten rückten die Aktivitäten der jungen Menschen auch in den Fokus der Kommunalpolitik. Anfrage aus Berlin Die Anfrage aus Berlin, ob sich die Stadt am Pilotprojekt „Extrem Demokratisch – Muslimische Jugendarbeit stärken“ beteiligen wolle, sei vor Jahren wie gerufen gekommen, erinnert sich Roswitha Keicher, Leiterin der Stabsstelle Partizipation und Integration. Schon vor mehr als sechs Jahren ist Tanja El Ghadouini vom Verein Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie, kurz RAA, auf sie zugekommen. Berlin, wo der Verein seinen Sitz hat, war für die Projektteilnahme gesetzt. Nun suchte El Ghadouini eine weitere Kommune und fand sie in Heilbronn. Zwischen 2015 und 2019 lief das Projekt, das im Rahmen des Programms „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert worden war. Auch Heilbronns Oberbürgermeister Harry Mergel (SPD) begrüßte die Herangehensweise: „Es ist nicht unser Anliegen, Religionspolitik zu machen. Wir wollen vielmehr die Religionsgemeinschaften als wichtige Partner der Stadtverwaltung sehen und diesen Prozess moderieren.“ Ihm sei es wichtig, „gemeinsam für ein respektvolles Miteinander einzutreten und zusammen Impulse zu setzen.“ Das Vorhaben war, Projekte mit Themen einer demokratischen Gesellschaft zu initiieren, die die muslimische Jugend beschäftigten. Mitstreiter in bestehenden Gruppen außerhalb islamischer Organisationen zu finden, sei von Beginn Wir wollen die Religionsgemeinschaften als wichtige Partner der Stadtverwaltung sehen und diesen Prozess moderieren. Harry Mergel (SPD), Oberbürgermeister in Heilbronn Die Workshops haben schnell eine Eigendynamik entwickelt. Die Motivation hat trotz der langen Laufzeit nicht nachgelassen. Am Ende standen Projektergebnisse, die aufhorchen lassen: Mädchen und Jungen vom Freitagskreis Heilbronn im Alter zwischen neun und 14 Jahren haben ein Theaterstück mit Namen „Déjàvu“ für ältere Menschen auf die Beine gestellt. Dazu recherchierten sie in Altenheimen und befragten Bewohner. Das baden-württembergischen Sozialministerium prämierte das Projekt mit dem ersten Jugendbildungspreis. Als gutes Beispiel nennt sie auch drei junge Musliminnen aus Heilbronn, die ein Demokratielernspiel entwickelt haben, das sie „Quararo“ nennen. Das Wort leitet sich vom türkischen Wort „karare“ oder dem arabischen Wort „qarar“ ab und bedeutet „Entscheidung“. Bis zu 15 Personen können mitspielen. Das Spiel hat gute Chancen, auf den Markt zu kommen. „Jedes Projekt hat inzwischen einen Preis erhalten“, sagt Keicher stolz. Besonders erfreut ist sie darüber, dass Gruppen nach Projektende weiter existieren. Die Jugendgruppe vom Freitagskreis investierte ihr Preisgeld in ein Buchprojekt zum Thema „Inklusion für muslimische Jugendliche mit und ohne Behinderung“. jugendarbeit-staerken.de/heilbronn FOTO: STADT HEILBRONN Theater „Déjavu“ TITEL 9 01-02/2020 DEMO Jobchancen für Geflüchtete im Gesundheitswesen In Essen ermöglichen lokale Kooperationen unterschiedlicher Akteure Jugendlichen, einen Ausbildungsplatz zu finden Teilnahme am Berufskolleg Autorin Maicke Mackerodt FOTO: STOCK.ADOBE.COM/GINA SANDERS D as Gesundheitswesen ist die am stärksten wachsende Branche in Essen. Die Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft stuft die Stadt als „den führenden Gesundheitsstandort im Ruhrgebiet“ ein. Aktuell sind gut 5.600 Menschen als medizinische Fachangestellte in Essener Arztpraxen und Krankenhäusern sozialversicherungspflichtig beschäftigt, teilt das Jobcenter Essen mit. Entsprechend hoch ist der Fachkräftebedarf. Derzeit werden in der Ruhrgebietsstadt allein 200 medizinische Fachangestellte (früher Arzthelferinnen) für Kliniken und Praxen gesucht. Auch deshalb werben Jobcenter und Ärztekammer Essen mit dem Projekt „Eine Chance für Geflüchtete“ seit 2017 gemeinsam für den Lehrberuf. „Eine vergleichbare Ausbildung zum medizinischen Fachangestellten gibt es in den Herkunftsländern nicht“, weiß Dr. Patricia Aden. Die stellvertretende Kreisstellenvorsitzende der Ärztekammer Essen hat das Projekt mitinitiiert und ist stolz, dass „zum einen junge Menschen integriert, aber auch Fachkräfte gewonnen werden“. Ziel des Projekts: Geflüchtete Menschen während einer einjährigen Einstiegsqualifizierung (EQJ) ausbildungsreif machen, wie Patricia Aden es nennt. Der Wert des Projekts liegt für die Medizinerin in der Vorbildfunktion. Wenn Essener Ärzte jungen Geflüchteten im sensiblen Medizinbereich vertrauen, könnten das andere Kommunen übernehmen. Patricia Adens Botschaft lautet: „Einfach machen, es ist gar nicht so schwer.“ „Eine Chance für Geflüchtete“ geht dieses Jahr im Mai in die vierte Runde. Begründet wurde das Pilotprojekt von der KAUSA Servicestelle Essen (KSE), die zunächst eine kluge Vorauswahl getroffen hat. Dazu gehörte auch, die jungen Leute darüber aufzuklären, dass die Ausbildung drei Jahre dauert und so ein Abschluss wertvoll ist. Mittlerweile wurde die KAUSA geschlossen und die Vorauswahl treffen nun die Ärztekammer Nordrhein und ihre Kreisstelle Essen, das Jobcenter zusammengebracht werden. Und das offensichtlich sehr erfolgreich.“ In seiner Rede in Düsseldorf sagte Frank-Walter Steinmeier zum Abschluss seines Besuchs: „Alle profitieren, wenn wir das Potential aller Menschen in diesem Land nutzen. Das beste Mittel zur Integration ist und bleibt die Integration durch Arbeit. Und Arbeit setzt Ausbildung voraus!“ HOHE NACHFRAGE 46.000 Beschäftigte arbeiten in Essen im Gesundheitswesen. 5.600 Menschen sind als medizinische Fachangestellte in Essener Arztpraxen und Krankenhäusern sozialversicherungspflichtig beschäftigt. QUELLE: WIRTSCHAFTSFÖRDERUNG ESSEN, JOBCENTER ESSEN Es werden zum einen junge Menschen integriert, aber auch Fachkräfte gewonnen. und die Agentur für Arbeit. Einmal im Jahr können Migranten beim Speed-Dating für „Medizinische Fachangestellte“ potenzielle „Traum“-Arbeitgeber kennenlernen. Zuletzt stellten sich Mitte vorigen Jahres 22 Geflüchtete u.a. aus Syrien und Afghanistan beim „Speed-Dating“ bei zwölf Essener Praxen und dem Alfred-Krupp-Krankenhaus als mögliche Arbeitgeber vor. Für Geflüchtete ist dieser Ausbildungsweg besonders attraktiv, weil im Vorfeld keine Zeugnisse notwendig sind. Sie können im Laufe des EQJ ihre Sprachkenntnisse verbessern oder erhalten Fachunterricht in Medizin und Verwaltung. „Einige müssen sich an die formalistische Arbeitsweise in deutschen Kliniken gewöhnen. Vor allem der sehr getaktete Umgang mit Zeit ist eine Umstellung“, erzäht Aden. Diese Vorstufe zur späteren Ausbildung wird mit 260 Euro im Monat vergütet, die das Job-Center zahlt. Während der „Woche der beruflichen Bildung“ besuchten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender das als vorbildlich geltende Pilotprojekt. Jeder vierte Betrieb bilde in Deutschland inzwischen geflüchtete Menschen aus, sagte der Bundespräsident: „Wir haben hier in Essen ein wunderbares Beispiel gesehen, wo mögliche Arbeitgeber mit Auszubildenden Dank des EQ-Probejahrs lernen die Betriebe die Jugendlichen über einen längeren Zeitraum kennen. Im eigenen Klassenverband nehmen die Geflüchteten zudem am Berufskolleg teil. Die Chance, danach in einen Ausbildungsbetrieb übernommen zu werden, steigt damit enorm. Ein Ausbildungsverhältnis wird aber meist erst nach dem EQJ vermittelt. „Junge Geflüchtete sind in der Regel hoch motiviert“, so Patricia Aden, die die Migranten auch am Essener Berufskolleg unterrichtet. „Außerdem sprechen sie die Sprachen, die andere geflüchtete Menschen sprechen, die irgendwann als Patienten in die Praxen kommen.“ Den Erfolg des Projekts belegen Zahlen aus den Jahren 2017 und 2018: Mehr als 30 Jugendliche schlossen Ausbildungsverträge in Arztpraxen oder Krankenhäusern ab. Manche wurden sogar direkt übernommen. „Manchmal ist es ganz einfach“, so der Essener Bundestagsabgeordnete Arno Klare (SPD). „Das Projekt sollte Schule machen. So kann wirtschaftliche und gesellschaftliche Integration gelingen. Mehr davon – auch in anderen Branchen.“ Seit 2019 sind beim SpeedDating nicht nur Geflüchtete eingeladen, sondern auch Migranten und Deutsche, die Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben. Für die Medizinerin Patricia Aden „eine gute Lösung, weil nicht eine Bevölkerungsgruppe hervorgehoben wird Und das wiederum stärkt die Kommune. Dr. Patricia Aden, stellvertretende Kreisstellenvorsitzende der Ärztekammer Essen Die Ausbildung zum medizinischen Fachangestellten bietet viele Chancen – Nachwuchs wird gesucht. 10 TITEL DEMO 01-02/2020 „Wir müssen den Bürgern wieder mehr zutrauen“ Wie Dirk Neubauer, Bürgermeister von Augustusburg, gegen den Politikfrust und die Zukunftsangst kämpft, indem er Mitspracherechte und Beteiligungsmöglichkeiten schafft Erzählen Sie bitte mehr über die Bürgerprojekte. Die Stadt hat dafür 2018 und 2019 je 50.000 Euro zur Verfügung gestellt. Wie lief das ab? Ich habe mir überlegt, wie wir es so einfach wie möglich machen können. Wir haben Umgeben von Wald: die 4.500-Einwohner-Stadt Augustusburg bei Chemnitz die Plattform www.meinaugustusburg.de eingerichtet, wo sich jeder Bürger der Stadt registrieren lassen und sagen kann: „Ich habe eine Idee.“ Es braucht Menschen, die bereit sind, selbst etwas dafür zu leisten – nach dem Motto: „Sag uns, was du tun willst, und sag uns, was du von uns als Hilfe brauchst.“ Es ist keine 100-Prozent-Förderung. 2018 hatten wir 23 Bewerber, 2019 waren es 19 Projekte. Jeweils acht konnten wir tatsächlich berücksichtigen. Wichtig ist, dass wir keine Partikularinteressen unterstützen wollen, deshalb müssen sich jeweils mindestens 40 Augustusburger hinter ein Projekt stellen. Sind es mehr, fließt das in das Ranking der Projekte mit ein. Auch mit dieser Aktion spricht die Stadt Menschen über das Internet an. Wie viele erreichen Sie so? Bei den Bürgerprojekten läuft der Aufruf immer noch parallel im Amtsblatt. Wir haben 416 aktiv registrierte Nutzerinnen und Nutzer der Plattform, rund zehn Prozent der Einwohner. Das ist eine ganze Menge, wenn man unsere Demografie sieht. Wir veröffentlichen auch eine Kurzbeschreibung aller Projekte im Amtsblatt und Die Selbstwirksamkeit halte ich für ganz entscheidend für die Wertschätzung der Demokratie. Sonst ist Demokratie nicht mehr als ein Wort. Dirk Neubauer, Bürgermeister in Augustusburg Welche Formate der Bürgerbeteiligung nutzen Sie noch in der Stadt? Wir haben verschiedene Formate, jetzt kommen noch welche dazu. Das klassische, das wir sehr intensiv gemacht haben und in diesem Jahr ein Stück ausbauen werden, ist das Format der Bürgerkonferenz. Bei größeren Vorhaben oder wenn wir etwas Neues beginnen, laden wir regelmäßig Bürger ein. Ein Beispiel ist die Umgestaltung des Marktplatzes: Als wir uns dafür entschieden haben, da etwas zu unternehmen, haben wir ganz unverbindlich einen ersten Planungs-Entwurf mit unseren Ideen bestellt: mehr Grün, ein Brunnen zum Beispiel. Dann haben wir Bürgerinnen und Bürger eingeladen. Deren Anmerkungen sammeln wir ein und übergeben sie dem Planer. Er arbeitet es ein oder auch nicht – das gibt es ja auch, dass etwas nicht geht – und dann laden wir wieder ein. Manchmal gibt es Bürgerbeteiligungsformate, bei denen die Leute angehört werden, aber dann passiert nichts mehr. So haben sie nicht das Gefühl, dass sie wirklich beteiligt werden. Das machen wir eben anders. Deshalb laden wir ein zweites Mal ein und erklären: Hier, das war dein Vorschlag, der ist jetzt drin. Und wir erklären auch den Leuten, die sich einbringen und nicht ans Ziel kommen, warum das so ist. Dann sagensie: „OK, ich habe verstanden, warum das nicht so geht, wie ich mir das vorstelle.“ Das halte ich für sehr wichtig, denn ich denke, wir erklären in der Politik zu wenig. Sie stellen in Ihrem Buch „Das Problem sind wir“ eine Entfremdung zwi- FOTO: ADOBE.STOCK.COM/ EDLER VON RABENSTEIN Auf der Webseite von Augustusburg steht prominent: „Wir retten unseren Wald! Macht mit!“. Was hat es damit auf sich? Das ist eine Aktion, um etwas für unseren Wald zu tun. Wir sind in Mittelsachsen die vom Borkenkäfer am stärksten betroffene Kommune. Durch extreme Trockenheit sind die Bäume sehr angeschlagen und können sich gegen den Borkenkäfer nicht wehren. Wir haben große Schäden und müssen den Wald umbauen. Die klassische Fichte wird verschwinden, und wir werden auf Sorten umstellen, die mit diesen Gegebenheiten besser klarkommen, etwa auf die Eiche. Einsatz für den Wald: Das ist ein konkretes Projekt. Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass man den Menschen die Möglichkeit geben muss, etwas zu bewegen? Definitiv. Das ist genau mein Text. Dafür sprechen ja auch unsere Bürgerprojekte. Ich glaube, dass wir generell gut beraten wären, wenn wir unseren Bürgern wieder ein bisschen mehr zutrauen würden. Das setzt natürlich voraus, dass Kommunen solche Möglichkeiten schaffen können. Wie kommt das in der Stadt an? Gut. Das erreicht sogar Leute, die mit mir persönlich nicht viel anfangen können (lacht). Ich glaube, das war die beste Entscheidung in den sieben Jahren, seit ich Bürgermeister bin. Würden Sie sagen, dass diese Aktion den Zusammenhalt gestärkt hat? Ja. Die Menschen lernen sich auf diesem Weg auch anders kennen, und es kommen immer mehr Leute dazu, die helfen. Darunter auch solche, die nicht zu den „üblichen Verdächtigen“ gehören, die immer aktiv sind. Man trifft sich zwangsweise, und daraus entwickelt sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Interview Karin Billanitsch Wer kann bei dem Internet-Aufruf mitmachen? Wir haben ursprünglich nur unsere Bürgerinnen und Bürger im Blick gehabt. Der Gedanke war: Ihr mögt euren Wald, jetzt könnt ihr auch etwas dafür tun. Die Resonanz ist grandios. Insgesamt haben wir 11.000 Euro eingesammelt, um neue Bäume zu pflanzen. Aber es sind nicht nur Augustusburger, die sich angesprochen gefühlt haben, sondern auch ganz viele Leute von weiter weg. weisen darauf hin, dass man aktiv werden, etwas unterstützen kann oder nicht. Auch unsere Offline-Community findet Berücksichtigung. TITEL 11 01-02/2020 DEMO FOTO: DIRK NEUBAUER schen Bürgern und Politikern fest. Eine tiefe Spaltung zwischen „denen da oben“ und „wir da unten“. Der Bürgermeister steht quasi dazwischen, wird je nachdem unterschiedlich wahrgenommen. Ihr Weg ist es, selbst mitzumachen, indem Sie Verantwortung übernehmen, aber auch andere motivieren. Was bringt das? Es gibt eine Wahrnehmung der Leute, dass die Politiker immer nur kommen, wenn Wahl ist. Sie machen sich Gedanken, haben Ideen, aber haben gelernt, dass niemanden das so richtig interessiert. Dem muss man begegnen. Ich halte es für ganz wichtig, dass Leute erleben, dass sie wirksam sind. Die Selbstwirksamkeit halte ich für ganz entscheidend für die Wertschätzung der Demokratie. Sonst ist Demokratie nicht mehr als ein Wort. Sie kritisieren, dass die Kommunen am finanziellen Tropf von vielen Förderprogrammen hängen. Wie kann man das aus Ihrer Sicht ändern? Ich bin überzeugt davon, dass Geld in unserem Land nicht das Limit ist. Ein Beispiel: Wir haben im sächsischen Doppelhaushalt rund fünf Milliarden Euro für Förderung ausgewiesen. Um meinen Ansatz zu erklären, vereinfache ich: Aus den fünf machen wir vier Milliarden, mit denen das Land lenken, fördern und steuern kann. Und eine Milliarde nehmen wir und teilen sie durch vier Millionen Sachsen. Das sind 250 Euro pro Kopf. Auf meine Stadt heruntergerechnet – rund 4.500 Einwohner – sind das 1,125 Millionen Euro. Diese Summe hätte ich gern pauschal vom Land zugesagt. Im Gegenzug würden Förderprogramme gestrichen. Alle Projekte, die wir gemacht haben, hätte ich ebenso über dieses Modell umsetzen können, und sie werden wirklich umgesetzt. Weil die Laufzeiten und Fristen wegfallen – auch das Gefühl, sich beweisen zu müssen. Wir werden ja ohnehin von der Kommunalaufsicht und vom Rechnungshof überprüft. Ich bräuchte dann nicht noch jeden Euro gegenüber der sächsischen Aufbaubank zu rechtfertigen, die das im Auftrag des sächsischen Freistaates macht. Und es hätte einen zweiten Effekt: Meine Stadträte wüssten, dass wir wirklich etwas beschließen. Wir beschließen einen Sportplatz, und morgen stürzt sich der Bürgermeister in die Umsetzung. Jetzt ist es so: Wir beschließen, einen Sportplatz zu bauen, aber wir wissen noch nicht, ob wir das Geld kriegen und stellen einen Antrag auf Förderung bei der Sächsischen Aufbaubank. Der wurde in unserem Fall abgelehnt, weil dort irgendjemand der Meinung war, dass die Stadt Augustusburg aufgrund der Demografie keinen Sportplatz mehr braucht. Ich habe protestiert und das Projekt erkämpft. Hätte ich das nicht gemacht, wäre es „gestorben“. Da hätte jemand entschieden, der in der Stadt gar nicht legitimiert ist! Wie wichtig ist es für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, früh bei der politischen Bildung der Kinder anzusetzen? Sehr wichtig. Politische Bildung haben wir, glaube ich, in diesem Land völlig vernachlässigt. Ich kann es mir nur so zusammenreimen, dass sich viele in der Lehrerschaft – gerade mit Osthintergrund und dem Wechsel in das neue System – bei dem Thema raushalten. Früher war das Thema Politik im Stundenplan vorgeschrieben, danach war man unsicher, wie damit umzugehen ist. Das hat dazu geführt, dass wir den Kindern so gut wie überhaupt keine demokratische Bildung geben. Die Möglichkeiten der Kommune sind hier begrenzt. Inhaltlich habe ich nicht viel mitzureden. Das wird auch sehr bitter sichtbar beim Thema Digitalisierung in der Schule, dem ich mich ein bisschen verschrieben habe. Das wird auch ein schwieriges Feld, genau wie die politische Bildung ein schwieriges Feld ist. ZUR PERSON Dirk Neubauer ist 1971 in Halle geboren. Seit Oktober 2013 ist er Bürgermeister von Augustusburg, einer Stadt im Einzugsbereich von Chemnitz. Neubauer trat zunächst als Parteiloser an, und wurde 2017 Mitglied der SPD. 1993 begann Neubauer, als Journalist zu arbeiten und war rund zehn Jahre Reporter. Später war er als Geschäftsführer eines lokalen Radiosenders tätig sowie bei MDR JUMP und SPUTNIK. Schließlich wechselte er in die Selbstständigkeit und entwickelte Konzepte für Portallösungen von Zeitungshäusern. Für die SPD in Sachsen arbeitet er an einem Konzept für mehr Bürgerbeteiligung auf Landesebene und setzt sich für ein Digitalkonzept im ganzen Land ein. 2019 erschien sein Buch: „Das Problem sind wir. Ein Bürgermeister in Sachsen kämpft für die Demokratie“ bei der Deutschen Verlags-Anstalt. (KB) Was läuft bei der Digitalisierung an den Schulen schief? Es ist doch so: Nicht jede Schule, nicht jedes Lehrerkollegium will das. Dann wird das einfach vorgeschrieben. Dabei kommt aber nichts heraus, was funktioniert und die Kinder mitnimmt. Beispiel digitale Tafel: Wenn ich Lehrer frage, warum sie eine digitale Tafel wollen, dann bekomme ich als Antwort „weil das dazugehört“. Das ist keine richtige Antwort. Es müsste ausgehend vom Bildungsziel ein medienpolitisches Konzept erarbeitet werden. Auch die Lehrer müssen geschult werden. Digitalisierung heißt nicht nur, Menschen für die künftige Arbeitswelt zu rüsten, sondern ihnen zugleich Medienkompetenzen zu vermitteln. Das ist auch eine Demokratie rettende Maßnahme. Das ausführliche Interview: demo-online.de Anzeige KOSMOS, Karl-Marx-Allee 131a, Berlin Schirmherren 2020 Digitaler Staat 2020 – agil, legitim und elegant Dorothee Bär Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt Zukunftsfähige Antworten auf die Herausforderungen apart der Digitalisierung der öffentlichen vital Verwaltung müssen agil, legitim und elegant sein. Diese drei Begriffe setzt der Kongress Digitaler Staat 2020, zu dem erneut Innovatoren, Modernisierer und Trendsetter zu intensiven Diskussionen zusammenkommen. Die Schirmherrschaft des Kongresses haben erneut Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt, und Bremens Finanzstaatsrat Hans-Henning Lühr Übernommen. responsive design Die begleitende Fachausstellung und verschiedene Side-Events bieten zudem die Möglichkeit, gamification sich umfassend über Angebote für die digitale Verwaltung zu informieren sowie Netzwerke zu knüpfen und zu pflegen. ideal usable elegant agil disruptive user-oriented www.facebook.com/digitalerstaat www.instagram.com/digitaler_staat sustainable twitter #digistaat iterative Hans-Henning Lühr Staatsrat bei der Senatorin für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen collaborative flexibel digital mind set moveable www.digitaler-staat.org souverän legitim identifiable Eine Veranstaltung des 12 TITEL DEMO 01-02/2020 Der Bund plant eine Wohnungslosen-Berichterstattung, Berlin zählt Obdachlose. Was bringt das? Eine Spurensuche Autor Carl-Friedrich Höck D ie Zahl der Menschen ohne eigene Wohnung steigt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) schätzt deren Zahl zum Stichtag 30. Juni 2018 auf 542.000. Ein Großteil davon sind anerkannte Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften oder in dezentraler Unterbringung. Klammert man diese aus der Rechnung aus, verbleiben laut BAG W etwa 140.000 Wohnungslose im kommunalen und freigemeinnützigen Hilfesystem – ein Anstieg um elf Prozent binnen eines Jahres. „Wir brauchen mehr Informationen” Das ist aber eben nur eine Schätzung. „Wir wissen viel zu wenig, wo die Wohnungslosigkeit auftritt“, sagt Ulrich Ropertz, Sprecher des Deutschen Mieterbundes. „Wir wissen auch nicht mal hundertprozentig, in welchem Ausmaß die Wohnungslosigkeit auftritt.“ Man brauche viel mehr Informationen. Von einem neuen Gesetz erhofft er sich zumindest erste Hinweise auf die „Hotspots“, um die man sich primär kümmern müsse. Der schwarz-rote Koalition plant nämlich, eine bundeseinheitliche Wohnungslosen-Berichterstattung einzuführen. Stadträtin Birgit Monteiro (Foto oben), Aktivist Steffen Doebert Zimmer in einem Übergangshaus für wohnungslose Menschen in Berlin-Pankow. Wie groß der Bedarf für Angebote wie dieses ist, soll nun genau ermittelt werden. Von dem Jahr 2022 an soll das Statistische Bundesamt eine zentrale Erhebung durchführen. Darin soll etwa die Zahl der Menschen erfasst werden, denen von Kommunen und anderen Sozialleistungsträgern Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt worden sind. Die Bundesregierung erhofft sich von dem Vorhaben belastbare Informationen, um „sozialpolitisch fundierte Entscheidungen“ treffen zu können, wie es im Gesetzentwurf heißt. In einer Bundestagsanhörung begrüßten Vertreter von Sozialverbänden das Gesetz als wichtigen Schritt. Auch der Deutsche Landkreistag befürwortet das Gesetz grundsätzlich, wenngleich eine Statistik alleine noch niemandem helfe. „Wohnungslosigkeit ist auch in den Landkreisen und in den ländlichen Räumen ein drängendes und vor allem zunehmendes Problem“, heißt es in einer Stellungnahme. Ein wesentlicher Kritikpunkt konnte jedoch in der Anhörung nicht ausgeräumt werden: Die geplante Statistik wird nur einen kleinen Teil der Wohnungslosen erfassen, da sie lediglich die Personen aufführt, die bei Kommunen oder anderen Trägern untergebracht sind. Statistisch unsichtbar bleiben Menschen, die auf der Straße leben, und Wohnungslose, die vorübergehend bei Familie oder Freunden auf der Couch übernachten. Der Berliner Senat hat gerade versucht, dieses Dilemma mit einer Zählaktion zu lösen. Während einer „Nacht der Solidarität“ Ende Januar zogen 2.600 freiwillige Helferinnen und Helfer durch die Straßen der Hauptstadt, um die Zahl der Obdachlosen zu erfassen. Die Aktion stieß bei manchen auf Skepsis. Vor dem Roten Rathaus versammelte sich am Tag der Zählung eine Handvoll linker Aktivisten, die sich für Wohnungslose einsetzen und ein Wohnungslosenparlament gründen wollen. Unter ihnen Steffen Doebert, ein erwerbsunfähiger Rentner Anfang 50. „Die Zählung ist gut gemeint, aber wir haben die Befürchtung, dass sich nicht viel ändert“, sagt er. Den Wohnungslo- Uni für Obdachlose Und es gibt kleine, kreative Projekte. Im Bezirk Lichtenberg etwa die „Obdachlosen-Uni“. Dies ist eine mobile Bildungseinrichtung für wohnungslose und arme Menschen sowie deren Sympathisanten. Die Grundidee fasst Maik Eimertenbrink vom Träger „Outreach“ so zusammen: „Jede/r kann was, was andere gern lernen möchten.“ Obdachlose können hier Kurse besuchen oder selbst welche geben – ob in Philosophie, Kochen oder Trommeln. Dafür nutzt die „Uni“ Räume der Berliner Wohnungsloseneinrichtungen. „Der Teilnehmer findet so einen, zunächst mentalen, Ausstieg aus seinen üblichen Gedankenspiralen, bestehend aus Sucht, Wohnungs- und Arbeitssuche“, heißt es auf der Internetseite des Projektes. Finanziert wird das Projekt mit Spenden und einem Zuschuss des Bezirksamtes Lichtenberg. „Wohnungslose Menschen kommen aus allen sozialen Schichten”, sagt Stadträtin Monteiro. Es sei wichtig, aus der Defizitperspektive herauszukommen und die Vielfalt dieser Menschen zu sehen. Doch auch einer nackten Statistik kann sie etwas abgewinnen, zumindest auf lange Sicht. „Die Zahlen sind wertvoll, wenn ich sie vergleichen und Entwicklungen sehen kann”, sagt sie. FOTOS: CARL-FRIEDRICH HÖCK; THOMAS TRUTSCHEL /PHOTOTHEK.NET Einstehen für die Menschen hinter den Zahlen sen helfen würde vor allem eines: mehr günstige Wohnungen. Doebert hat selbst erlebt, wie schnell man seine Wohnung verlieren kann: Nach einer Ehescheidung musste er ausziehen, das Paar hatte sich zerstritten. Eine Bekannte half ihm: Für einige Wochen durfte er bei ihr unterkommen. Das war im Jahr 2003, als der Berliner Mietenmarkt noch entspannt war. Ob er heute noch in so kurzer Zeit eine neue Wohnung finden würde? Doebert hält das für undenkbar. Dass mehr bezahlbare Wohnungen die beste Hilfe sind, meint auch Birgit Monteiro. Die SPD-Politikerin ist Sozialstadträtin im Berliner Bezirk Lichtenberg. „Wir können ehrenamtlich an Schulen Kaffee an Obdachlose ausgeben. Aber wenn wir nicht genug Wohnungen haben für diese Zielgruppe, wird es schwierig.“ Oft geht Wohnungslosigkeit mit weiteren Problemen einher: Einer Sucht oder einer psychischen Erkrankung beispielsweise. Die Antwort der Bundeshauptstadt ist ein Modellprojekt „Housing First“ – das allerdings auf wenige Plätze begrenzt ist. Das Konzept: Auf der Straße lebende Menschen erhalten ohne Vorbedingungen eine Wohnung. Im zweiten Schritt können sie sich der Jobsuche oder einer Therapie widmen und werden dabei beraten und unterstützt. TITEL 13 01-02/2020 DEMO N ico Röger beobachtet das Geschehen zunächst vom Platzrand aus: „Und abgeben!“, ruft er. Der Trainer fixiert jeden Einzelnen. Nach wenigen Minuten ist er selbst auf dem Feld und spielt mit. Schnelle Ball- und Richtungswechsel, Blocken, Sperren – alles das findet da gerade auf dem Basketballfeld einer Halle in der niedersächsischen Stadt Achim statt. Es ist ein typischer Trainingsabend beim TSV Achim: Die Spielerinnen und Spieler sind engagiert, treiben sich an. Wenn etwas nicht klappt, darf es auch mal ein kleiner Wutausbruch sein. Und doch ist es anders als gewöhnlich. Die Spielerinnen und Spieler des TSV Achim, die „Achim Lions“, laufen nicht zwischen den Körben, sie rollen. Rollstuhlbasketball heißt die Sportart. Menschen mit und ohne Handicap sind gemeinsam auf der Jagd nach Punkten. Für die Mitglieder und Vorstände des Vereins kurz hinter der südlichen Stadtgrenze Bremens ist es die beste Form von Inklusion – und das nicht nur in einer Sportart. Auf seiner Internetseite bietet der TSV Achim gleich mehrere Sportarten an: Neben Basketball sind es Fußball und Rollstuhlrugby. Wie Rollstuhlbasketball, ist auch Rollstuhlrugby eine sehr dynamische Sportart. Sie wird in Achim ebenfalls von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung betrieben. Einer, der schon in den oberen Ligen gespielt hat, ist Achims Trainer Nacer Menezla. „Rollstuhlrugby ist ein sehr taktischer Sport. Behinderte sind gegenüber Nicht-Behinderten im Vorteil“, sagt er. Denn wer auf einen Rollstuhl angewiesen sei, habe mehr Kraft im Oberkörper. Rollstuhlrugby können zudem Jugendliche und Erwachsene gemeinsam spielen – wie der 13-jährige Henry Fischer aus Bremen. Er sei der der jüngste Spieler Deutschlands, so Trainer Menezla. FOTOS: BERND HÄGERMANN Gehende passen sich an Inklusion, da sind sich viele Kenner einig, klappt beim Rollstuhlbasketball am besten. „Die Gehenden passen sich den Rollstuhlsportlern an“, sagt Cem Seker, Spieler der „Achim Lions“. Roland Christian, Pressesprecher des Teams und Spieler ohne Beeinträchtigung, ergänzt: „Rollstuhlbasketball ist der inklusivste Sport überhaupt.“ Unterstützung bekommt er von Friedhelm Julius Beucher. Der ist Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS). Ihm zufolge gehören auch Sitzvolleyball, Sportschießen und Bogensport zu den bekanntesten inklusivsten Sportarten. „Der Sport ist der Inklusionsmotor schlechthin“, sagt der DBS-Präsident. Doch leider sei dies „noch nicht in allen „eine ganz wichtige Rolle“ spiele, damit Teilhabe realisiert werde – Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen kämen auf niedrigschwelliger Ebene zusammen. Doch bis es soweit ist, dass Inklusion im Sport und überall Teil des Alltags ist, dürfte es noch ein langer Weg sein – gerade im Bereich der Kommunen. So findet DBS-Präsident Beucher, dass die Kommunen nicht genügend unternehmen. Die wenigsten Sportanlagen, nämlich nur rund zehn Prozent, seien barrierefrei, sagt er. Es fehlten zum Beispiel abgesenkte Bordsteine, behindertengerechte Toiletten und entsprechende Türen. Und Sinnesgeschädigte finden ohne Assistenten so gut wie keine Möglichkeit, Sport zu betreiben. „Das alles umzusetzen, ist eine Riesenaufgabe“, sagt Beucher. Und: „Es ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.“ Die „Achim Lions“ in Aktion: Rollstuhl-Basketball in einer der Hallen des TSV Achim (Foto oben). Auch eine Rollstuhlrugby-Mannschaft gibt es beim niedersächsischen Verein in der Stadt Achim bei Bremen. In der Mitte spielt der 13-jährige Henry (Foto unten). Spielen ohne Hindernisse Sport spielt bei der Inklusion eine wichtige Rolle: Viele Hallen und Plätze sind noch nicht barrierefrei Autor Ulf Buschmann Köpfen angekommen“. Beucher macht keinen Hehl daraus, dass es um die Inklusion schlecht bestellt wäre, wenn nicht neben den DBS-Vereinen auch noch viele sogenannte Regelsportvereine Angebote für Menschen mit und ohne Behinderung machen würden. Der gleichen Meinung ist Dagmar Freitag. Die SPD-Abgeordnete ist Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages: „Bedauerlicherweise wird der Inklusionsgedanke noch längst nicht überall miteinbezogen, so dass es häufig genug eben doch noch Barrieren gibt, die Menschen ausschließen.“ Klaus Hebborn vom Deutschen Städtetag bezeichnet das Thema Inklusion als „sehr komplexe Aufgabe“. Es gehe um die Teilhabe von Menschen mit Handicap in allen Lebensbereichen. Um diese umzusetzen, sei „Barrierefreiheit in jeder Form“ notwendig. Hebborn erinnert daran, dass Inklusion ein Menschenrecht ist: Bei der Umsetzung „ist auf jeden Fall noch Luft nach oben“. Er ist überzeugt, dass Sport Der Sport spielt bei der Umsetzung der Teilhabe eine ganz wichtige Rolle. Klaus Hebborn, Beigeordneter des Deutschen Städtetags, Leiter des Dezernats Bildung, Kultur, Sport und Gleichstellung Kritik: Zu wenig Angebote Fehlende Barrierefreiheit ist aus Sicht des DBS die Hauptursache dafür, dass nur jeder zweite Mensch mit Behinderung überhaupt Sport macht und es noch viel zu wenige Angebote gibt. Vor diesem Hintergrund hat der Verband im Dezember 2019 einen „Goldenen Plan barrierefreie Sportstätten“ gefordert. Die Zugänglichkeit dürfe nicht ausschließlich unter baulichen Aspekten betrachtet werden, heißt es. Dies betreffe zumeist nur Menschen mit körperlichen Behinderungen. „Vielmehr müssten auch akustische, taktile und visuelle Informationsquellen sowie Informationen in leichter Sprache berücksichtigt werden“, schreibt der DBS in einer Mitteilung. Doch das ist nur eine Seite. So könnten die Kommunen zwar die Rahmenbedingungen zugunsten der Vereine verschieben. Hierzu zählt Hebborn unter anderem, den Aktiven zusätzliche Zeiten in den kommunalen Sportstätten zuzugestehen. Die Inklusion mit Leben zu füllen, sei aber Aufgabe der Vereine – etwa durch die Ausbildung von Übungsleitern über die Bildungswerke der Landes- und Kreissportbünde. Obwohl noch viel zu tun ist, wird die Inklusion im Sport „weiter voranschreiten“, ist SPD-Frau Freitag überzeugt – „auch wenn ich natürlich nicht absehen kann, wie viel Gemeinsamkeit am Ende im sportlichen Alltag für jede Einzelne und jeden Einzelnen Realität werden wird“. Das wünschen sich auch die Sportlerinnen und Sportler des TSV Achim, insbesondere in Sachen Nachwuchs. Rollstuhlrugby-Trainer Menezla: „Die Jugend weiß nicht, dass es diesen Sport gibt. Dabei bekommt man den Kopf frei.“ 14 TITEL Der schleichenden Einsamkeit im Alter vorbeugen Wie die Projekte „Hamburger Hausbesuch“ und „Lebendige Nachbarschaft“ beitragen, frühzeitig Hilfebedarf zu erkennen Autorin Susanne Dohrn Vorbereitungen für das Hoffest: die Mieterinnen Heidi Kramp-Rusch, Leni Paap, Ursula Bankmann-Paul, Ingrid Jahnke, Silvia Vorhaben mit selbstgebackenem Kuchen (v.l.) I n Hamburg erhalten in diesem Jahr alle 15.000 Seniorinnen und Senioren, die 80 Jahre alt werden, einen Geburtstagsbrief der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz. Der Brief ist verbunden mit einem Terminangebot für einen Hausbesuch samt Namen und Foto der Besuchsperson. „Mit dem Hamburger Hausbesuch wollen wir Einsamkeit im Alter vorbeugen und Hilfebedarf rechtzeitig erkennen“, sagte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks im Dezember 2019 bei einer Pressekonferenz. Dem stadtweiten Angebot war eine erfolgreiche Testphase in zwei Hamburger Stadtteilen vorausgegangen. Vorbild sind ähnliche Modelle, z.B. in Neuweiler, Rheinfelden, Ulm oder München. Wer jünger oder älter als 80 Jahre ist, kann sich direkt an die Fachstelle Hamburger Hausbesuch wenden, um einen Termin zu vereinbaren. Ziel des Hamburger Hausbesuchs ist es, frühzeitig Hilfebedarf zu erkennen, damit die Besuchten so lange wie möglich in ihren eigenen Wohnungen bleiben können. Dazu vermittelt das Projekt Besuchspersonen z.B. an andere Beratungsstellen oder Pflegestützpunkte. „Der ‚Hamburger Hausbesuch‘ ist ein wichtiger Baustein, um ein aktives und selbstbestimmtes Altern im Quartier zu ermöglichen“, so Ralf Zastrau, Geschäftsführer im Albertinen Haus – Zentrum für Geriatrie und Gerontologie. Das Zentrum hat das Besuchskonzept und den Gesprächsleitfaden entwickelt und schult die Besuchspersonen. Lebendige Nachbarschaft In der vertrauten Umgebung selbstbestimmt alt werden, unabhängig bleiben und gleichzeitig aufgehoben sein in einer Gemeinschaft, Rat und Hilfe erhalten, wann immer nötig, rund um die Uhr – das ist das Ziel von „LeNa“. Das Kürzel steht für „Lebendige Nachbarschaft“ im Hamburger Stadtteil Barmbek-Nord. Hier gehören viele Wohnungen der SAGA Unternehmensgruppe, dem kommunalen Gemütliche Sitzecken laden zum Verweilen ein: Petra Fischer (l.) und Ilse Westermann im Foyer des Rungetreffs. Wohnungsunternehmen Hamburgs, auch die 73 barrierefreien Neubauwohnungen im Rungehaus in der Rungestraße. Sie sind 49 und 65 Quadratmeter groß und können über die SAGA angemietet werden. Die meisten Mieter sind über 60, viele noch fit und selbstständig, andere sind mit zunehmendem Alter hilfebedürftiger geworden. In zehn Wohnungen wohnen Menschen mit einem Pflege- und Assistenzbedarf, die der Kooperationspartner Alsterdorf Assistenz Ost, ein Dienstleistungsunternehmen der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, vorgeschlagen hat. Zentrale Anlaufstelle von „LeNa“ ist der Rungetreff im Rungehaus. Das Foyer ist großzügig und rollstuhlgerecht. Durch bodentiefe Fenster blickt man in einen grünen Innenhof mit Spielplätzen. Sitzecken im Foyer laden zum Verweilen ein, im Nachbarschaftsbüro steht von Montag- bis Freitagvormittag jemand ehrenamtlich für Fragen oder einen Plausch zur Verfügung. In der großen Gemeinschaftsküche klappern die Töpfe. An diesem Tag gibt es Sauerkraut mit Kasseler, gekocht von Freiwilligen im Projekt „Nachbarn kochen für Nachbarn“. Ilse Westermann vom Quartiersbüro führt herum. Sie ist die „Kümmererin“ vor Ort und bei der Alsterdorf Assistenz Ost angestellt. Die Stiftung Alsterdorf garantiert, dass das Quartiersbüro sieben Tage rund um die Uhr besetzt ist, sodass immer jemand da ist, falls es Fragen gibt oder Hilfebedarf besteht. Im Krankheits- oder Pflegefall muss niemand ausziehen, denn das Quartiersbüro vermittelt die notwendige Unterstützung. Das Herzstück von „LeNa“ ist jedoch die Hilfe zur Selbsthilfe, die täglich gelebte Nachbarschaft. Hier zieht man nicht ein mit dem Wunsch nach einer Rundumversorgung, sondern weil man so lange wie möglich aktiv bleiben will, erklärt Petra Fischer, die bei ProQuartier Hamburg, einem Tochterunternehmen der SAGA, für die Projektentwicklung „LeNa“ zuständig ist. Ilse Westermann, die alle Bewohner beim Namen kennt vermittelt – falls notwendig – Kontakte untereinander oder zu Freiwilligen. Man versammelt sich im Rungetreff zum Singen, Kartenspielen und Basteln für den Basar, zu Yoga und Gymnastik oder verabredet sich zum Walken. Einmal im Monat tagt der „LeNa-Rat“, ein Gremium aus Nachbarn und Freiwilligen, um gemeinsam den jährlich stattfindenden Flohmarkt, das große Sommerfest und neue Projekte zu planen. Das zukunftsweisende Wohn- und Versorgungskonzept ist so erfolgreich, dass die SAGA es auch in den Stadtteilen Steilshoop und Horn umgesetzt hat. Weitere „LeNa-Projekte“ sind in Vorbereitung. FOTOS: SAGA UNTERNEHMENSGRUPPE DEMO 01-02/2020 TITEL 15 01-02/2020 DEMO Brücken bauen zwischen Alt und Jung Das Seniorenamt Regensburg steht für ein Miteinander der Generationen Autor Michael Kniess FOTOS: STOCK.ADOBE.COM/ WIROJSID; STADT REGENSBURG, PETER FERSTL K inder, Jugendliche, Erwachsene und Senioren sollen sich im Alltag selbstverständlich begegnen, sich ergänzen und voneinander lernen. Soviel zur Theorie. Wie dieser Satz erfolgreich mit Leben gefüllt werden kann, zeigt die Stadt Regensburg. Mit einer Vielzahl an generationsübergreifenden Projekten macht die bayerische Donaumetropole deutlich: Alt und Jung ergänzen sich hervorragend. „Das Miteinander der Generationen hat einen großen Stellenwert für eine funktionierende Stadtgesellschaft“, betont Petra Frauenstein, Leiterin des Regensburger Seniorenamtes. Konkret bedeutet das: Junge Menschen helfen den älteren im Alltag – und umgekehrt. Ein Beispiel ist das Projekt der „Lesepaten“. Rund 40 ehrenamtlich engagierte Regensburger haben es sich zur Aufgabe gemacht, in Kindergärten, Schulen, Nachmittagsbetreuungen und Horten vorzulesen und damit die Lesekompetenz der Jüngsten zu fördern. „Die Kinder erfahren dadurch, dass Lesen Spaß macht. Zusätzlich bekommen leseschwache Kinder eine sanfte Lernunterstützung“, sagt Petra Frauenstein. Nicht nur deshalb ist es auch für Ursula Templin eine Herzensangelegenheit, bei den Kindern die Freude am Lesen zu wecken. „Es ist es ein schönes Miteinander“, unterstreicht die Teamverantwortliche der „Lesepaten“. „Die Kinder freuen sich, wenn wir zu ihnen kommen und uns tut es auch gut, wenn wir von Lehrern die Rückmeldung bekommen, dass sich die Noten durch das Lesen verbessert haben.“ Für jeden, der Gutes tun möchte, finden wir auch etwas. Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD), Bürgermeisterin in Regensburg Gesundheit.“ Egal ob bei den „Lesepaten“ oder bei der „Hausaufgabenhilfe“, wo Senioren Kindern in Horten bei den Hausaufgaben helfen und gemeinsam mit ihnen üben und lernen – wichtig ist Petra Frauenstein vor allem eines: „Wenn Kinder die Erfahrung machen, dass ältere Menschen für sie da sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich später einmal selbst für die Gesellschaft engagieren, wesentlich größer, als bei Kindern, die das nie erlebt haben.“ Außerdem liegt der Brückenbauerin zwischen den Generationen noch etwas anderes am Herzen: Mit Projekten, wie der „Kinderbetreuung“, will das Regensburger Seniorenamt die Synergie der Großfamilie wieder nutzen und pflegen. Um Eltern zu entlasten, gehen ehrenamtliche Betreuer mit deren Kindern spazieren, spielen gemeinsam oder erzählen Geschichten. „Damit stellen wir uns einem Kernproblem moderner Gesellschaft: Immer weniger Kinder erleben im Aufwachsen ihre Großeltern und vielen Seniorinnen und Senioren fehlt der Kontakt zu den Enkeln, weil es den generationenübergreifenden Familienverband im gleichen Haus oder zumindest in Wohnortnähe kaum noch gibt“, sagt Petra Frauenstein. „Das führt dazu, dass es ganz praktisch an alltäglicher Unterstützung fehlt.“ Außerdem erinnern sich viele Eltern an die eigenen Erfahrungen mit ihren Großeltern und erkennen, wie wichtig diese Begegnung zwischen den Generationen für ihre Kinder wäre. Die „Seniorenwerkstatt“ ist ein solches Beispiel. Sie ist ein Treffpunkt der Generationen, wo gemeinsam gebaut, gebastelt und repariert wird. Dadurch lernt man voneinander, hat gemeinsam Spaß und hält nach getaner Arbeit sein Ergebnis stolz in den Händen. Beim Projekt „Mit Nadel und Zwirn“ gibt eine gelernte Schneiderin Fertigkeiten, die sonst in Vergessenheit geraten, an die nächste Generation weiter. „Bei all unseren Projekten wird die Generationenbarriere spielerisch überwunden. Das Altersbild der Kinder bekommt eine positive Prägung“, so Petra Frauenstein. Etabliert seit 30 Jahren Regensburgs Bürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (SPD) sieht im Austausch der Generationen eine klare Winwin-Situation: „Wer Gutes tut, bekommt Dank zurück. Deshalb haben wir viele junge wie alte Menschen, reiche wie bedürftige, Menschen jeglicher Glaubensrichtung und Hautfarbe, die sich engagieren. Für jeden, der Gutes tun möchte, finden wir auch etwas. Unser Treffpunkt „Seniorenbüro“ zum Beispiel entwickelte sich seit seiner Etablierung vor fast 30 Jahren zu einem Markt der Möglichkeiten: Es gibt über 50 verschiedene Projekte.“ Das Miteinander von Alt und Jung in Regensburg ist es mehr als bloße Theorie. Wichtige Erfolgserlebnisse Erfolgserlebnisse wie diese sind wichtig für die engagierten Seniorinnen und Senioren. Davon ist Petra Frauenstein überzeugt: „Das Gefühl, auch nach dem Eintritt ins Rentenalter noch gebraucht zu werden und einer sinnstiftenden Tätigkeit nachgehen zu können, ist für viele auch ein Beitrag zur seelischen „Das Miteinander der Generationen hat einen großen Stellenwert für eine funktionierende Stadtgesellschaft“, sagt Regensburgs Seniorenamtsleiterin Petra Frauenstein. Lesekompetenz der Jüngsten fördern, ist die Aufgabe von Lesepaten, die sich ehrenamtlich engagieren, zum Beispiel in Regensburg. regensburg.de/leben/senioren/alt-jung 16 TITEL DEMO 01-02/2020 hinab. Das Ledigenheim ist ein mondänes Seehotel. Vis-à-vis öffnet sich ein Hafen – gerahmt von Schulturnhalle, Spielplatz, Kleingewerbe, weißen Traumhäusern. Gerade rüstet sich der inzwischen 58-Jährige für Verhandlungen, um in Großräschen ein „Innovatives Bildungszentrum Lausitz“ zu etablieren. Auch das Projekt „Campus IBA-Terrassen“ hat der SPD-Mann auf der Agenda, will damit seine Stadt „in einer Mischung aus Tourismus und digitalen Arbeitsangeboten für neue Arbeitswelten und sich wandelnde Lebensentwürfe“ fit machen. Teile der letzten Förderanlage im Tagebau Meuro in Großräschen sind bis heute stehen geblieben – als Seebrücke. „Seenland aus Bergmannshand“ Wie Bürgermeister Thomas Zenker (SPD) aus Großräschen im Lausitzer Braunkohlerevier den Strukturwandel vorantreibt Autor Harald Lachmann B ereits seit 1994 leitet der frühere Bergbauingenieur Thomas Zenker (SPD) ununterbrochen die Geschicke von Großräschen, einer traditionsreichen Industriestadt im Lausitzer Braunkohlerevier. Heute ist es eine lebenswerte Seestadt mit vielfältigem Gewerbe, einem touristischem Hafen, wachsendem Zuzug und ganz neuen Perspektiven. Doch noch immer prägen auch Risse die umbrechende Region. Das Arbeitszimmer von Thomas Zenker erinnert eher an das Büro eines Landschaftsarchitekten als an das eines Kleinstadtchefs. Alle Wände sind von Karten bedeckt, die Seengebiete, Hafenanlagen, Bergbaufolgereviere zeigen. „Ja, wir bewirken hier wahrscheinlich mehr, als man bei einer 8.500-Einwohner-Stadt vermutet“, sagt er mit erkennbarem Stolz. Immerhin ist der Bürgermeister ein waschechtes Kind von Großräschen. Im Jahr 1994 war er gerade 32, kommunalpolitisch ein Seiteneinsteiger. Dennoch gewann er das Rathaus auf Anhieb, holte 65 Prozent – bei vier Kandidaten. Seither wurde er stets wiedergewählt, nun ohne Gegenkandidaten. „Die Zeiten waren eben so, dass man nur noch dachte, wer macht als Letzter das Licht aus“, erinnert er sich an die 1990er Jahre. In der Lausitz brachen mehr als 100.000 Jobs in Bergbau und Energie weg. Die Arbeitslosigkeit lag „real bei 50 Prozent, leicht gemildert durch ABM“. Das Land blutete aus. „Das schweißte uns quer durch die Parteien zusammen. Jeder wusste, hier geht es nur noch ums nackte Überleben der Stadt…“ Auch Zenker war früher im Bergbau tätig. Doch statt Verlockungen der Headhunter zu erliegen, die überall gut ausgebildete Ingenieure wie ihn gen Westen ködern wollten, blieb er. Ja, er begann sogar zu träumen: Teile der letzten Förderanlage im Tagebau Meuro, der direkt an den Stadtrand reichte, ließ er stehen: als Seebrücke. Viele griffen sich an den Kopf. Denn es gab keinen See, nur eine Kohlegrube, die verfüllt werden sollte. Gemeinsam mit einem Stadtplaner ersann Zenker abenteuerliche Ideen für eine Internationale Bauausstellung (IBA) inmitten der Mondlandschaft. Daneben kreierten sie das touristische Entwicklungsprojekt „Seestadt Großräschen“. Tourismus im tristen Braunkohlerevier. Doch so trieben sie, als noch keine Politik über die Zeit nach der Kohle nachdachte, den Strukturwandel voran. Heute führen die IBA-Terrassen durch einen Weinhang bis zum gefluteten See Die Zeiten waren eben so, dass man nur noch dachte, wer macht als Letzter das Licht aus. Thomas Zenker (SPD) Bürgermeister in Großräschen Was so einfach klingt, war natürlich nie einfach. Denn jene, die hier 150 Jahre gefeiert wurden, weil sie mit ihrer Arbeit für Wohlstand und Reichtum sorgten, fühlen sich plötzlich als Prügelknaben der Nation. Es nagt am Selbstbewusstsein der Kumpel, „von irgendwelchen Besserwissern aus entfernten Großstädten, die ihren Strom eben aus der Steckdose ziehen, arrogant herabgewürdigt zu werden“, weiß Zenker. So ist er auch genau der Richtige, um diese und jene Großräschener zusammenzubringen: die Bergleute, die teils Arbeit fanden in vier neuen Industriegewerbegebieten, wo sich die Zahl der Jobs wieder auf 3.000 summiert, und die Zuzügler in den ebenfalls neuen Wohngebieten und Seegrundstücken, die längst alle verkauft sind. Doch manche Neubürger wünschten sich am liebsten einen „Luftkurort ohne alle Schornsteine“. Aber ohne diesen Branchenmix, ist Zenker überzeugt, nähme man heute nicht wieder 3,5 Millionen Euro Gewerbesteuern ein. Eindringlich warnt der SPD-Mann vor Kritikern von außen, die das mühsam ausgehandelte Kohleausstiegsjahr 2038 attackieren: „Wie so vieles in den letzten Jahrzehnten Großräschen von außen aufgedrückt wurde“, sagt er mißbilligend. Und ganz offen bekennt er sich zur Bergbautradition. „Seenland aus Bergmannshand“ benennt ein Stoffwimpel in seinem Büro jenen Brückenschlag, dem Großräschen und die ganze Region ihre neue Zukunft verdanken. Strukturwandel, sagt er, sei eben nicht nur eine ökonomische Aufgabe, sondern auch ein emotionales Thema. Heute sieht er die größte Leistung der zehn IBA-Jahre nicht in tollen Bauwerken sondern den damit einhergegangenen neuen Partizipations- und Diskussionsangeboten: Erstmals durften die Menschen beim Strukturwandel mitreden, erstmals „zeichneten wir mit ihnen positive Zukunftsbilder“, so Thomas Zenker. Eben dies brauche es auch heute wieder. FOTOS: HARALD LACHMANN Notwendiger Branchenmix 01-02/2020 Anzeigen-Sonderveröffentlichung Kampf gegen Hass und Hetze Der Bundestag beschäftigte sich in einer Aktuellen Stunde mit Gewalt und Drohungen gegen Amts- und Mandatsträger Autor Bernhard Daldrup Justizministerin Christine Lambrecht wird dem Nährboden für Hetze und Rechtsextremismus im Netz mit einem Aktionsplan entgegenwirken. FOTO: THOMAS TRUTSCHEL /PHOTOTHEK.DE G ewalt und Drohungen gegenüber Mandatsträgern, Politikern, Polizisten und Rettungskräften nehmen in erschreckender Weise zu, auch der politische Mord an Walter Lübcke zählt zur Bilanz des abgelaufenen Jahres. Deshalb gehört der Kampf gegen Hetze, Rechtsextremismus und Hasskriminalität auf die Tagesordnung. Was die Aktuelle Stunde am 16. Januar im Deutschen Bundestag offenbarte, war erschreckend: Tags zuvor war ein Anschlag auf das Büro des SPD-MdB Karamba Diaby in Halle verübt worden. Auch andere Abgeordnete werden bedroht. Dem Bundeskriminalamt sind für das Jahr 2019 bislang 1.241 politisch motivierte Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger gemeldet worden, wobei 440 Übergriffe Rechtsextremisten zugeordnet werden konnten und 246 Taten Linksextremisten. Auch Polizeibeamte sowie andere Einsatz- und Rettungskräfte waren immer wieder Ziel gewalttätiger Angriffe. Fünf Punkte sollten wir als dauerhafte Aufgabe verstehen: 1. Der Rechtsstaat muss beweisen, dass das Gewaltmonopol ausschließlich beim Staat liegt. Er muss zeigen, dass er die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger wirksam schützt und Verfahren zu Ende führt. Justizministerin Christine Lambrecht wird dem Nährboden für Het- ze und Rechtsextremismus im Netz mit einem Aktionsplan entgegenwirken, der u.a. folgende Regelungen enthält: a. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) wird verschärft, Morddrohungen und Volksverhetzungen sollen besser verfolgt werden, b. der Paragraf 188 Strafgesetzbuch wird so angepasst, dass auch auf kommunaler Ebene üble Nachrede und Verleumdungen gegen Personen des öffentlichen Lebens verfolgt werden können, c. und der strafrechtliche Schutz des Paragrafen 113 StGB wird auf Notärzte und Sanitäter ausgeweitet. d. Auch das Waffen- und Sprengstoffrecht ist verschärft worden, denn die Bewaffnung von Bürgermeistern ist keine Alternative! 2. So sehr strafrechtliches Handeln notwendig ist, kann es nicht darüber hinwegtäuschen, dass die zunehmende Gewalt und der Hass Ursachen haben – soziale, aber auch solche, die unsere politische Kultur bedrohen. Demokratie muss immer wieder neu gelernt, neu erkämpft, neu gelebt werden. Deshalb ist Prävention so wichtig, wie sie beispielsweise mit dem Programm „Demokratie leben“ gefördert wird, für das immerhin 115 Millionen Euro bereitgestellt werden. 3. Carlo Schmid hat einmal das Merkmal des bundesdeutschen Rechtsstaats damit Jeder muss wissen, dass hetzerische Sprache die Vorhut der Gewalt ist. Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident begründet, dass er nicht nur formalen staatsrechtlichen Anforderungen genügt, sondern an der sittlichen Idee der Gerechtigkeit orientiert ist. Daran dürfen die Menschen ebenso wenig zweifeln, wie am Ringen um politische Ziele mit der Bereitschaft zum Kompromiss im demokratischen Staat. Der „faule Kompromiss“ war auch die diffamierende Formel der Nazis gegenüber dem Ringen um die Demokratie in der Weimarer Republik. „Diese Haltung verspottet die Diskussion als Gerede und das Parlament als Schwatzbude. Wo sich die Unfähigkeit zum Kompromiss mit Macht verbindet und auf Minderheiten zielt, entsteht Brutalität, das hat uns die Geschichte gelehrt. Jeder muss wissen, dass hetzerische Sprache die Vorhut der Gewalt ist“, so Bundespräsident FrankWalter Steinmeier. „Die Demokratie verlässt sich nicht auf Zwang und Kontrolle, und sie beruft sich nicht auf göttliche Gnaden. Sondern Demokratie ist und bleibt ein Wagnis, weil sie sich völlig ihren Bürgern anvertraut! Jeder, der sich abwendet, fehlt der Demokratie. Und deshalb dürfen wir niemanden achselzuckend ziehen lassen“, so der Bundespräsident. Niemanden ziehen zu lassen, heißt, das öffentliche Bewusstsein für unsere Demokratie und ihre Geschichte zu stärken. 4. Ich bin bisweilen erschrocken, wenn ich etwa bei Besuchergruppen feststelle, dass die politische Bildung in unseren Schulen, aber auch in der Gesellschaft offenbar stark vernachlässigt wird – auch wenn viele Schulen und die Zivilgesellschaft in großer Zahl aus Solidarität und mit Leidenschaft unsere Demokratie, Rechtsund Sozialstaatlichkeit verteidigen. 5. Wenn wir wirksam gegen Hass und Hetze, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt vorgehen wollen, ist die Stärkung einer der Säulen unserer Demokratie, nämlich der Städte und Gemeinden geboten. Wer Kommunen stärkt, macht die Gesellschaft stark. Es ist deshalb zu begrüßen, dass es mittlerweile zahlreiche Initiativen und Aktionen auf kommunaler Ebene gibt. Alle Ebenen sind gefordert: Bund, Länder, aber eben auch die Kommunen müssen alle Anstrengungen zur Stärkung der Zivilgesellschaft und Förderung der demokratischen politischen Kultur unternehmen. Die Resolution des Deutschen Städte- und Gemeindebundes „Kommunale Amts- und Mandatsträger/innen wirksam schützen“ findet sich unter www.dstgb.de V.i.S.d.P.: Carsten Schneider, 1. Parlamentarischer Geschäftsführer, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, Tel.: (030) 227-744 20, carsten.schneider@spdfraktion.de 18 NEWS DEMO 01-02/2020 Wie soziale Klimapolitik vor Ort gelingen kann Die SPD-Bundestagsfraktion lud Ende Januar zu einer Kommunalkonferenz ein Frank Baranowski, Vorsitzender der Bundes-SGK Es werden immer neue Fälle von Drohungen und Gewaltattacken gegen Mandatsträger und -trägerinnen bekannt, insbesondere auch gegen Kommunalpolitikerinnen und -politiker. Wie bewerten Sie diese Entwicklung? Die Zuspitzung der Situation halte ich für unerträglich. Traurige Höhepunkte der letzten Wochen waren nicht zuletzt die Schüsse auf das Wahlkreisbüro des Bundestagsabgeordneten Dr. Karamba Diaby (SPD) in Halle und des nordrhein-westfälischen Landtagsabgeordneten Michael Hübner (SPD) in Dorsten. Wenn ich sehe, dass ein gestandener SPD-Kommunalpolitiker wie Arnd Focke aus Niedersachsen, nach Wochen der rechten Hetze im Internet, Hackenkreuzschmierereien und nächtlichen Drohanrufen von seinem Amt als Bürgermeister zurückgetreten ist, sorge ich mich ernsthaft um die demokratische Grundordnung unserer Gesellschaft. Auch aus eigener Erfahrung finde ich es schwer verständlich, dass Anzeigen immer wieder von der Staatsanwaltschaft niedergeschlagen werden. Wie sehen Sie den öffentlichen Diskurs zu diesem Thema? Es ist die Aufgabe von Politik, Polizei und Justiz, gerade diejenigen zu schützen, die sich in öffentlichen Ämtern für unser Gemeinwesen engagieren. Aber auch die breite Masse der Gesellschaft, eine jede und ein jeder von uns, muss Stellung beziehen. Wir müssen unsere Stimme erheben und uns solidarisch mit den Betroffenen zeigen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat klare Worte dazu gefunden: „Wenn Angehörige von Polizei, Rettungsdiensten, wenn sogar Bedienstete im öffentlichen Nahverkehr, wenn Bürgermeisterinnen, Bürgermeister oder Gemeinderäte heute angefeindet, bedroht oder sogar körperlich angegriffen werden, dann geht das uns alle an, alle Demokratinnen und Demokraten. Was muss aus Ihrer Sicht für mehr Schutz von Kommunalpolitikerinnen und -politikern getan werden? Der Staat muss Kommunalpolitikerinnen und -politiker, die aufgrund politischer oder sonstiger gesellschaftlicher Aktivitäten in der Öffentlichkeit stehen, besser schützen und die Justiz konsequent durchgreifen. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hat hierzu erste Vorschläge zur Veränderung des Strafgesetzbuches vorgelegt, diese begrüße ich ausdrücklich. In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wurden z.B. Schwerpunktstaatsanwaltschaften ins Leben gerufen die mit zusätzlichem Personal besonders im IT Bereich ausgestattet wurden. Jedoch sollte nicht nur die Verschärfung der Gesetze im Fokus der Bemühungen stehen. Auch präventive Maßnahmen müssen in den Blick genommen werden. Denkbar und wünschenswert wäre es, bereits in der Schule das Verständnis für die Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung zu wecken. Schon bei Jugendlichen muss ein Verständnis für demokratischen Diskurs und die Akzeptanz kontroverser Meinungen geschärft werden. Nicht zuletzt müssen die Hilfeangebote für Betroffene und deren Familien ausgebaut werden, sei es durch aktive Schutzmaßnahmen oder auch durch psychologische Betreuung. Ü ber „Kommunen und Klimaschutz“ wurde kürzlich auf einer Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion diskutiert. Dazu waren Gäste aus ganz Deutschland in den Berliner Reichstag gekommen. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie der Klimaschutz vorangetrieben werden kann, ohne den sozialen Frieden zu gefährden. Fraktionschef Rolf Mützenich forderte: Man müsse in der Gesellschaft einen Konsens herstellen über die nötigen Schritte. Der Weg dahin führt nach Ansicht von Bundesumweltministerin Svenja Schulze über die Kommunen. Man dürfe in der Klimapolitik keine dunkle Zukunft malen, sondern müsse Hoffnung vermitteln. Das gelinge nur, wenn man es konkret mache. Also darüber rede, wie sich die Verkehrsplanung verändern wird, welche Auswirkungen Klimapolitik auf die kommunale Daseinsvorsorge oder auch die lokale Wirtschaft hat. Umfangreiche Förderprogramme Der Bund unterstütze die Städte und Gemeinden zum einen mit der Nationalen Klimaschutzinitiative. Seit 2008 würden über Förderprogramme zahlreiche Maßnahmen mitfinanziert, etwa der Bau von Radwegen, das Austauschen der Beleuchtung in der Sporthalle oder intelligente Verkehrssteuerung. Neu geschaffen habe man nun Förderlotsen, die den Kommunen helfen sollen, das für sie passende Förderprogramm zu finden. Zweitens verwies Schulze auf die Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Damit will der Bund zum Beispiel Maßnahmen gegen Überschwemmung oder für mehr Schattenplätze unterstützen. Und drittens spielten die Kommunen auch im „Klimaschutzprogramm 2030“ der Bundesregierung eine wichtige Rolle, betonte Schulze. Wie die Klimawende im Quartier konkret aussehen kann, war Thema einer Debattenrunde. Bernd Tischler, Oberbürgermeister von Bottrop, stellte das 2010 gestartete Projekt „Innovation City“ vor, mit dem die Stadt ihre CO2-Emmissionen binnen zehn Jahren halbieren will. Das werde auch gelingen, berichtete der Oberbürgermeister. Melanie WeberMoritz vom Deutschen Mieterbund betonte die große Bedeutung des Gebäudebereiches für den Klimaschutz, plädierte aber dafür, die Möglichkeiten für eine Mieterhöhung nach Modernisierung Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) weiter zu beschränken. Kommunen hätten dabei durchaus Spielräume. So könnten sie ihren Wohnungsbaugesellschaften eine Selbstverpflichtung auferlegen. Eine zweite Debattenrunde stellte die „klimagerechte Mobilität“ in den Mittelpunkt. Zuvor hatte der Bundestag beschlossen, die Förderung für den ÖPNV in den Kommunen deutlich zu erhöhen. Man müsse mehr Qualität in das System kriegen, das Angebot ausbauen und sich auch den Preis anschauen, sagte SPDFraktionsvize Sören Bartol. Deshalb sei zu überlegen, wie man gegebenenfalls neben dem Fahrpreis noch andere Einnahmen für den Nahverkehr generieren könne. Marion Jungbluth von der „Verbraucherzentrale Bundesverband“ nannte Hamburg als Beispiel, wie der ÖPNV attraktiver gemacht werden könne. Die Hansestadt wolle „Fünf-Minuten-Stadt“ sein. Was bedeute: Von jedem Wohnhaus aus soll man in fünf Minuten den nächsten ÖPNV-Anschluss erreichen. demo-online.de/aktuelles FOTOS: DIRK BLEICKER, ANDREAS AMANN/SPD-BUNDESTAGSFRAKTION Drei Fragen an … Autor Carl-Friedrich Höck GEMEINSAM GEGEN RECHTS 19 01-02/2020 DEMO „Wir müssen uns unterhaken“ Nach Bedrohungen von rechts nicht zurückweichen, sagt Patrick Dahlemann Autorin Karin Billanitsch FOTO: RALF ROLETSCHEK / WWW.ROLETSCHEK.AT/CC BY-SA 3.0 DE VIA WIKIMEDIA COMMONS Sie sind bekannt geworden, als Sie bei einer NPD-Veranstaltung das Mikro genommen und eine Gegenrede gehalten haben. Was können Kommunale aus Ihrer Erfahrung heraus tun, um sich gegen rechts zu positionieren? Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus ist seitdem eine andere geworden. Früher waren es die Rechtsextremen mit dem Parteibuch der NPD, die durch die Region gezogen sind und ihre Parolen herausgedröhnt haben. Heute ist es durch die Rechtspopulisten salonfähig geworden, etwas unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zu sagen. Das macht die Auseinandersetzung viel schwerer. Gerade deshalb ist es umso wichtiger, den rechten Tendenzen zu widersprechen. Es ist sorgfältig darauf zu achten, sich mit guter Sacharbeit abzugrenzen und sich nicht instrumentalisieren oder aufs Glatteis führen zu lassen, wie das jetzt gerade in Thüringen passiert ist. Das darf auf kommunaler Ebene nicht wiederholt werden. Es darf keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Sie kommen aus MecklenburgVorpommern. Sehen Sie regionale Unterschiede, was die Bedrohung von rechts angeht? Es wird häufig der Fehler gemacht, Rechtspopulismus in ein Ost-West-Denken einzuordnen. Ich bin Jahrgang 1988 – für mich gibt es diese Ost-West-Denke gar nicht. Aber wenn wir uns ansehen, wo die Zustimmung zu den Rechten besonders groß ist, dann kommt man zu dem Ergebnis: überall da, wo der Staat sich zurückgezogen hat. Gerade im ländlichen Raum, wo Fragen der Mobilität, der nächsten Schule die Menschen umtreiben, wo die Präsenz von Behörden oder Polizei nachgelassen hat, können Rechte in eine DEMO-SERIE Immer häufiger sind Amts- und Mandatsträger Drohungen und Beleidigungen ausgesetzt. Zuletzt gaben ehrenamtliche Kommunalpolitikerinnen und -politiker sogar auf. Wie mit den Anfeindungen umgehen? Welche Netzwerke für Betroffene existieren, was leisten staatliche Förderprogramme? Welche guten Aktionen gegen Hass und Hetze gibt es in den Kommunen? „Gemeinsam gegen rechts“ heißt die neue Artikelserie, die diese Themen beleuchtet. Patrick Dahlemann ist seit 2014 Abgeordneter des Landtages Mecklenburg-Vorpommern und seit November 2016 parlamentarischer Staatssekretär für Vorpommern. Kerbe schlagen. Daraus lässt sich ableiten: Der Staat, die Kommunen müssen für den Bürger mit ihren verschiedenen Angeboten präsent und sichtbar sein. Jüngst gab es Rücktritte von ehrenamtlichen Politikern, die die Angriffe nicht mehr ertragen konnten. Sie berichten nicht selten, dass sie von Strafverfolgungsbehörden nicht ernst genommen wurden oder Anzeigen im Sand verlaufen. Was sind hier Ihre Erfahrungen? Zunächst kann ich gut mitfühlen, wenn jemand durch gewisse Bedrohungslagen verunsichert ist. Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder erleben müssen, wie durch Sachbeschädigung oder Drohungen der Versuch der Einschüchterung gemacht wird. Etwa durch Steinschläge oder einen Buttersäureanschlag auf mein Bürgerbüro, Einbrüche, Schäden am Dienstwagen, einen Farbanschlag zu Hause bis hin zu Morddrohungen. Das sind Dinge, die einen nicht kaltlassen. Aber als Konsequenz zu weichen, wäre falsch. Man muss sich Hilfe suchen, sich unterhaken. Gerade in der sozialdemokratischen Familie sind wir viele, und gemeinsam sind wir stark. Deshalb ist der Aufruf von Lars Klingbeil der richtige Weg. Wir dürfen den Rechten nicht die Präsenz in der Fläche überlassen. Deshalb mein Appell an jeden Einzelnen: Wer sich bedroht fühlt, muss sich Hilfe suchen. Staatliche Behörden müssen das ernst nehmen: Die Politik muss geschützt werden. Das hat man bei dem traurigen Mordfall Walter Lübcke gesehen. Davon müssen die richtigen Konsequenzen abgeleitet werden. Das erwarte ich von Behörden und Polizei. Lars Klingbeil hat einen Runden Tisch zum Schutz von Politikerinnen und Politikern vor Bedrohungen initiiert. Ein Vorschlag ist, dass es eine Anlaufstelle geben soll. Wie finden Sie das? Ich finde den Ansatz von Lars Klingbeil, einen Ansprechpartner zu haben, ganz wichtig. In der tatsächlichen Bedrohungssituation ist man verunsichert. Bei dem Einbruch auf mein Bürgerbüro am Tag der Deutschen Einheit zum Beispiel habe ich mich gefragt: Wie gehe ich vor? Worauf muss ich achten? Eine Anlaufstelle für ganz Deutschland, die aufklärt und auch über rechtliche Fragen berät, wäre sehr gut. Wo sollte sie angesiedelt sein? Sie sollte unbedingt bei einer staatlichen Behörde angesiedelt sein, nicht bei den Parteien. Der Schutz der Demokratie ist eine Aufgabe des Staates und deshalb wäre es gut, einen bundeseinheitlichen Ansprechpartner zu haben, wohin sich jeder wenden kann. Manchen Betroffenen fehlt der Rückhalt in der Kommune, wenn sie offenlegen, dass sie von rechts bedroht werden. Die Kommune würde in ein schlechtes Licht gerückt, heißt es. Wie lässt sich das auflösen? Die Kommune kann sich doch dann in ein rechtes Licht rücken, wenn sie sagt: „Damit wollen wir nichts zu tun haben. Das ist nicht unsere Stadt!“ Immer dann, wenn ein solcher Anschlag passiert, hänge ich ein Plakat in die Fenster meines Bürgerbüros: „Eure Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe“ – nach einem Lied der Band „Die Ärzte“. Ich gehe damit sehr offensiv, sehr entschlossen um. Wir lassen uns nicht einschüchtern, keinen Fußbreit den Faschisten. Dann sagen auch ganz viele Menschen: Damit wollen wir nichts zu tun haben, das geht zu weit. Das muss die vorbildliche Reaktion sein. Anzeige „Überlassen Sie die Besetzung “ von Führungspositionen nicht dem Zufall … – Edmund Mastiaux, Inhaber zfm • Seit 25 Jahren Personalberatung für Verwaltungen und kommunale Unternehmen www.zfm-bonn.de 20 REPORT Anzeigen-Sonderveröffentlichung 01-02/2020 Für das Kohleausstiegsgesetz besteht Nachbesserungsbedarf – Perspektiven für KWK und Erneuerbare Energien fehlen Autor Michael Wübbels, VKU D as Energiesystem ist ein komplexes Gefüge, bei dem alles miteinander zusammenhängt. Die Herausforderungen der Energiewende können daher nur mit einem ganzheitlichen Ansatz gelöst werden. Das ist eigentlich eine Binsenweisheit. Und dennoch überrascht, dass diese Erkenntnis noch nicht überall verinnerlicht ist. So muss der Ausbau des Stromnetzes mit der Entwicklung des Erzeugungsparks und des Stromverbrauchs zusammengedacht werden, der Ausbau des Gasnetzes zunehmend mit dem der Strom- und Wärmenetze, die Stromerzeugung mit der Wärmeversorgung, die Erneuerbaren Energien mit der flexiblen Kraft-Wärme-Kopplung (KWK). Diese Liste ließe sich beliebig verlängern. Energiepolitik, die überwiegend fragmentarische Lösungen entwickelt, ohne die Zusammenhänge zu anderen Segmenten des Energiesystems zu berücksichtigen, läuft Gefahr, in einen permanenten Reparaturmodus zu geraten. Report Kommunalwirtschaft Ein Beispiel dafür ist der Entwurf des sogenannten Kohleausstiegsgesetzes, den die Bundesregierung gerade in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht hat. Hier spielte bei der Ausgestaltung der Regelungen zur Reduzierung der Steinkohlekraftwerkskapazitäten die kommunale Wärmeversorgung offenbar eine nachrangige Rolle. Als eine Auswirkung entsteht nun das Risiko, dass die Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit der Wärmeversorgung in einigen Kommunen infrage gestellt wird. Strom- und Wärmeversorgung müssen allerdings – und zukünftig verstärkt – systemisch betrachtet werden. Beitrag zur Wärmewende essenziell KWK-Anlagen produzieren in einem gekoppelten Prozess Strom und zugleich Wärme, die in Wärmenetze eingespeist wird. Mehr als 40 Prozent der Stromerzeugungskapazitäten, das heißt rund 12 GW kommunaler Unternehmen sind Anreize für Um- und Ausbau der KWK zu gering Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Flexibilität kann es nicht zum Nulltarif geben. Dringend notwendige Investitionen, die in eine unbestimmte Zukunft verschoben oder überhaupt nicht ausgelöst werden können, gefährden das Erreichen der Klimaziele und gehen zulasten des Portemonnaies künftiger Generationen. Um ein Beispiel zu nennen: Das Kohleausstiegsgesetz sieht eine Verlängerung des KWK-Gesetzes (KWKG) bis Ende 2029 vor, ohne jedoch wirtschaftliche Anreize des Wechsels von Kohle- auf Gas-KWK zu setzen. Gleichzeitig ist das noch geltende KWKG von der EU-Kommission lediglich bis 2022 genehmigt. Die beihilferechtliche Kategorisierung des KWKG hat die Bundesregierung mit der EU-Kommission bisher noch nicht ausreichend geklärt. Damit stehen Stadtwerke, die heute ihre Kommunen mit Wärme aus Steinkohle-KWK vorsorgen, vor enormen Herausforderungen bei der Transformation der Wärmeversorgung. Zu wenig Planungssicherheit und eine ungeklärte Refinanzierung halten sie davon ab, in den Umbau zu investieren. Außerdem wird der im Kohleausstiegsgesetz angesetzte Fuel-SwitchBonus in Höhe von 180 Euro je Kilowatt elektrische KWK-Leistung nicht annähernd reichen, um Investitionen im größeren Maßstab für den Bau einer Gas-KWK-Anlage auszulösen. Die Unternehmen brauchen einen Bonus in Höhe von mindestens 450 Euro je Kilowatt. Wenn das Stadtwerk von heute den Umbau nicht anstoßen kann, besteht die Gefahr, dass das Unternehmen kurzfristig in ineffiziente ungekoppelte GRAFIK: VKU Stadtwerke zahlen die Zeche KWK-Anlagen. Stadtwerke betreiben zudem Wärmenetze mit einer Länge von 21.000 Kilometern – der Hälfte des Erdumfangs. Besonders in hochverdichteten Ballungsräumen sind die Potenziale für erneuerbare Wärmeerzeugung im Gebäude begrenzt. Dort bieten Wärmenetze die einzige Möglichkeit, Erneuerbare Energien und Abwärme im großen Stil in die Wärmeversorgung zu integrieren. Fortschritte bei der Dekarbonisierung der Wärmeversorgung mit Hilfe von Wärmenetzen sind kurz- und mittelfristig nur mit wirtschaftlich erzeugter KWK-Wärme erzielbar. Dazu kommt: KWK-Anlagen können mit biogenen Brennstoffen und perspektivisch mit Wasserstoff und synthetischem Gas betrieben werden. Damit wird die KWK auch langfristig eine zentrale Rolle in einer weitgehend treibhausgasneutralen Energieversorgung innehaben. REPORT 21 01-02/2020 Anzeigen-Sonderveröffentlichung Wärmeerzeugung investieren muss. Das ist weder gut für das Klima noch für den Geldbeutel der Wärmekunden. Aber nicht nur der Fuel-Switch, auch die Modernisierung bestehender und der Neubau von KWK-Anlagen werden im Gesetzentwurf nicht ausreichend flankiert. Mit der aktuellen Grundförderung – das hat der Evaluierungsbericht des Bundeswirtschaftsministeriums deutlich gezeigt – kann der überwiegende Teil der potenziellen Neuanlagen nicht wirtschaftlich kalkuliert werden. FOTO UND GRAFIK: VKU Keine Stilllegung ohne Entschädigung Ein weiteres massives Problem beim Kohleausstiegsgesetz: Steinkohlekraftwerke insgesamt werden erheblich benachteiligt. Anders als die Kohlekommission empfohlen hat, wird die Reduzierung der Braunkohle nach hinten verschoben, die Reduzierung der Steinkohle vorgezogen. Moderne Steinkohle- gehen danach deutlich vor alten Braunkohlekraftwerken vom Netz. Dabei sieht der Gesetzentwurf vor, dass ab 2027 Steinkohlekraftwerke per Ordnungsrecht nach Altersreihung entschädigungslos stillgelegt werden sollen. Das verursacht insbesondere bei den Stadtwerken erheblichen wirtschaftlichen Schaden, die an modernen Kraftwerken beteiligt sind, die seit 2013 oder später ans Netz gegangen sind. Dieser Vorgang hat auch weit über die Grenzen der Energiewirtschaft hinaus Bedeutung, weil hier die Investitionssicherheit am Wirtschaftsstandort Deutschland – vor allem auch für Kommunen und kommunale Unternehmen – infrage gestellt wird. Der VKU wird daher im parlamentarischen Verfahren dafür werben, dringend notwendige Korrekturen im Gesetzentwurf vorzunehmen. Gleichzeitig ist hervorzuheben: Wir kommen um eine zusätzliche, grundlegende Reform des KWKG nicht herum, wenn wir unsere Stromund Wärmeversorgung zukunftssicher machen wollen. Zudem müssen wir zügig den gesetzlichen Rahmen anpassen, um zum einen aus der Ausbaukrise bei der Windenergie herauszukommen und zum anderen nicht in eine neue Ausbaukrise bei Photovoltaik hineinzugeraten. Kritik am Entwurf des Kohleausstiegsgesetzes: Michael Wübbels, stellvertretender VKU-Hauptgeschäftsführer vku.de Anzeige 22 REPORT Anzeigen-Sonderveröffentlichung 01-02/2020 Baumaßnahmen für andere Versorgungsnetze wie Wasser oder Strom dar. Dabei werden auch künftig Fördermittel eine wesentliche Rolle spielen, um die Wirtschaftlichkeitslücke für den Breitbandausbau – möglichst effizient – zu schließen. Diese Konstellation macht die Kommune selbst zum idealen Träger für den Aufbau der passiven Glasfaser-Infrastruktur – sei es über ein Betreibermodell oder über eine eigene kommunale Gesellschaft, welche die Rolle des Infrastrukturpartners übernimmt. Breitband für Städte und Gemeinden: Der aufwendige Infrastrukturausbau lässt sich am besten in Kooperation von Kommunen und Netzbetreibern realisieren. Glasfaser bis zur Milchkanne Um schnelle Leitungen bis in die Wohnung wirtschaftlicher zu machen, muss die Netzauslastung gesteigert werden Autor Hans-Jürgen Merz, M-net Telekommunikations-GmbH D urch die Breitband-Förderprogramme und die damit verbundene Erschließung der Kabelverzweiger mit Glasfaser (FTTC) ist in Deutschland eine solide InternetGrundversorgung erreicht. Die weitere Erschließung mit Glasfaser bis in die Wohnung (FTTH) für die Bereitstellung von Gigabit-fähigen Anschlüssen wird im ländlichen Raum durch einzelne Anbieter in vielen Fällen jedoch nicht wirtschaftlich zu stemmen sein. Neben einer gezielten Förderung durch die öffentliche Hand und einer möglichst effizienten Verlegung der Infrastruktur ist dafür auch die Steigerung der Netzauslastung durch Kooperationen mehrerer Netzbetreiber entscheidend. Für die Kommunen sind hier regionale Partner auf Augenhöhe gefragt. Die Infrastruktur der Zukunft heißt „FTTH“, also Glasfaser bis in die Wohnung oder das Büro. Darin sind sich alle Experten einig – von der Politik über die Wissenschaft bis hin zu den meisten Anbietern und Netzbetreibern. Keine andere Übertragungstechnologie wird in der Lage sein, den Bandbreitenbedarf der Nutzer langfristig zukunftssicher abzudecken. Die Herausforderung für die ausbauenden Betriebe, aber auch für unsere Gesellschaft als Ganzes besteht darin, den Ausbau gerade in dünner besiedelten Regionen und in Zeiten der dramatischen Baukostenentwicklung wirtschaftlich darstellbar zu gestalten. Passiver Glasfaserausbau durch die Kommune Hans-Jürgen Merz, Bereichsleiter Strategie und Unternehmensentwicklung bei M-net Für die Wirtschaftlichkeit eines Ausbauprojekts sind drei wesentliche Faktoren ausschlaggebend: Der erzielte Umsatz pro Kunde, die Baukosten und die Netzauslastung – also die Marktdurchdringung im Bestand der angeschlossenen Haushalte mit aktiven Kunden. Kaum Spielraum für eine wesentliche Steigerung des Deckungsbeitrags bietet der Umsatz pro Kunde. Hier kennt der Markt seit vielen Jahren eigentlich nur eine Entwicklung: Während die angebotenen Bandbreiten kontinuierlich steigen, bleiben die entsprechenden Preispunkte für Einsteiger, Standardnutzer und Heavy User im Wesentlichen immer gleich. Die Baukosten für die Erstellung des Netzes lassen sich durch die Einführung neuer, günstigerer Verlegetechniken auch nur geringfügig senken. Einen größeren Hebel stellt hier die Mitverlegung der Glasfasern mit geplanten Der entscheidende Faktor für die Steigerung der Wirtschaftlichkeit ist schließlich die Netzauslastung. Indem das Netz für die Vermarktung durch mehrere Anbieter geöffnet wird, lassen sich in Summe deutlich höhere Marktanteile erzielen – und deutlich mehr Nutzer tragen dazu bei, den Netzausbau zu refinanzieren. Als Anbieter aus der Region für die Region bekennt sich M-net klar zu einem Open Access im Interesse der kommunalen Partner: Nach diesem Modell besorgt M-net den Aufbau der aktiven Netzinfrastruktur und betreibt das kommunale Netz mit Telekommunikationsdiensten. Gleichzeitig steht die Infrastruktur durch Wholesale-Kooperationen auch für die Versorgung von Kunden anderer Anbieter zur Verfügung. Auf diese Weise entstehen am Ende eine größere Anbieter- und Produktvielfalt für die Kunden, größere Vermarktungschancen für die einzelnen Anbieter und höhere Pachterträge für die kommunale Gesellschaft – ein Win-Win-Win für alle Beteiligten. Über M-net Als Tochtergesellschaft der Stadtwerke in den bayerischen Ballungsräumen München, Augsburg, Nürnberg, Fürth, Erlangen und Kempten sowie Partner zahlreicher Städte und Gemeinden im ländlichen Raum versorgt M-net große Teile des Freistaats Bayern, den Großraum Ulm und weite Teile des hessischen Main-Kinzig-Kreises mit zukunftssicherer Kommunikationstechnologie. M-net setzt als Anbieter aus der Region für die Region auf eine starke Kunden- und Serviceorientierung und wurde beim Connect-Festnetztest viermal in Folge als bester lokaler Anbieter Deutschlands ausgezeichnet. m-net.de FOTOS: M-NET TELEKOMMUNIK ATIONS GMBH Win-Win-Win für alle Beteiligten 23 01-02/2020 Anzeigen-Sonderveröffentlichung Das neue Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) Ein Meilenstein für die Zukunft des öffentlichen Personennahverkehrs Autor Detlef Müller Förderhürde abgesenkt Mit der Novelle des GVFG wird der Grundstein für die Zukunft eines leistungsfähigen schienengebundenen öffentlichen Nahverkehrs gelegt. FOTOS: THOMAS TRUTSCHEL /PHOTOTHEK.NET; MICHAEL ALLMAIER /MA-PHOTOGRAPHY M it dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) unterstützt der Bund die Länder und Kommunen bei der Verbesserung ihrer lokalen Verkehrsverhältnisse. Die Mittel aus dem GVFG sind dabei eine der zentralen Finanzierungsquellen der Länder und Kommunen für den Ausbau ihrer kommunalen Schienenverkehrsinfrastruktur. Mit der Novelle des GVFG werden nun der Grundstein für die Zukunft eines leistungsfähigen schienengebundenen öffentlichen Nahverkehrs gelegt und die Voraussetzungen für die Mobilität von morgen in Ländern und Kommunen geschaffen. Im Koalitionsvertrag 2018 haben sich SPD und Union auf eine Novelle des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes geeinigt. Ziel war eine Verdreifachung der seit langem festgelegten Programmsumme von knapp 333 Millionen Euro pro Jahr auf eine Milliarde Euro ab 2021. Mit der vom Deutschen Bundestag beschlossenen Änderung des GVFG werden diese Zielsetzungen nochmals deutlich übertroffen. bau von Bahnhöfen, Haltestellen, Umsteigeanlagen aber auch Planungskosten – eingeführt. Durch die Absenkung der zuwendungsfähigen Kosten auf 30 (u. a. Bau und Ausbau) bzw. 10 Millionen Euro (u. a. Grunderneuerung oder Reaktivierung) pro Projekt und die Aufhebung der Beschränkung auf Verdichtungsräume ist sichergestellt, dass diese Mittel auch flächendeckend im Bundesgebiet genutzt werden können. Der Bundestag hat das GVFG entfristet und bereits im laufenden Kalenderjahr die zur Verfügung stehenden Mittel auf über 665 Millionen Euro verdoppelt. In den Jahren 2021 bis 2024 werden dann jeweils eine Milliarde Euro zur Verfügung stehen. Im Jahr 2025 wird der Etat sogar auf zwei Milliarden Euro anwachsen. 2026 beginnt dann eine Dynamisierung der Mittel um 1,8 Prozent pro Jahr. Damit stellt der Bund den Ländern und Kommunen in den kommenden sechs Jahren 4,6 Milliarden Euro zusätzlich für die Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung und löst die sogenannte Versteinerung des GVFG auf. Neben der Erhöhung der Mittel wurde das GVFG aber auch inhaltlich neu aufgestellt. Wir haben das GVFG bis zum Jahr 2030 für Grunderneuerungen von Verkehrswegen der Straßenbahnen, Hochund Untergrundbahnen geöffnet und Förderhürden abgesenkt. Zudem wurde der Förderanteil des Bundes auf bis zu 90 Prozent erhöht und es wurden neue Fördertatbestände – wie die Reaktivierung von Schienenstrecken, der Bau und Aus- Detlef Müller ist Mitglied des Deutschen Bundestages, Mitglied im Ausschuss für Stadtentwicklung und Mobilität, Vorsitzender der SPD-Fraktion Chemnitz Im parlamentarischen Verfahren konnte der Gesetzesentwurf zudem verbessert werden. So ist die Nutzen-KostenBewertung bei Grunderneuerungen entbehrlich, da beim ursprünglichen Bau von Strecken der gesamtgesellschaftliche Nutzen bereits nachgewiesen wurde. Diese Änderung allein kann die Umsetzungsdauer von Maßnahmen um bis zu zwei Jahre verkürzen. Vielfach wurde darauf hingewiesen, dass die Förderung von Straßenbahnprojekten in Innenstadtlagen durch das GVFG häufig nicht möglich wäre, da eine gesonderte Verkehrsführung von Straßenbahnen aus städtebaulichen Gründen nicht zu realisieren sei. Daher wurde eine Absenkung der Förderhürde „besonderer Bahnkörper“ umgesetzt: Während der ursprüngliche Gesetzesentwurf vorsah, dass nur Maßnahmen gefördert werden können, die sich weit überwiegend und damit mindestens zu 80 Prozent auf „besonderem Bahnkörper“ befinden, konnte diese Anforderung auf 50 Prozent pro Projekt begrenzt werden. Darüber hinaus können auch andere technische und bauliche Bevorzugungen der Bahn (z.B. Ampelvorrangschaltungen) auf dieses Kriterium angerechnet werden. Damit werden auch Investitionen innerhalb gewachsener städtischer Strukturen möglich, bei denen eine bauliche Abtrennung von Straßenbahnen ansonsten nicht umsetzbar ist. Mit dem neuen Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz unterstützt der Bund die Länder und Kommunen maßgeblich bei der Umsetzung der Verkehrswende. Wir schaffen mit zusätzlichen Investitionsmöglichkeiten in die Verkehrsinfrastruktur die Voraussetzung für ein nachhaltiges und vor allem attraktives Verkehrsangebot für die Menschen in unserem Land. Und all das nicht in kleinen Schritten, sondern in einem großen Satz. V.i.S.d.P.: Carsten Schneider, 1. Parlamentarischer Geschäftsführer, Platz der Republik 1, 11011 Berlin, Tel.: (030) 227-744 20, carsten.schneider@spdfraktion.de 24 REPORT Anzeigen-Sonderveröffentlichung 01-02/2020 Gemeinden stärker an Wertschöpfung von Windenergieprojekten beteiligen Vier Fragen an Andreas Pick, Leiter Projektentwicklung Windkraft bei der EnBW Die Fragen stellte Till Rasch Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die im Klimaschutzprogramm der Bundesregierung angekündigten Mindestabstände für Windenergieanlagen? Die Diskussion über Abstandsregelungen als Akzeptanzmaßnahme ist schon an sich paradox, da pauschale Abstände keine positiven Auswirkungen auf die Akzeptanz haben. Umweltpsychologische Studien bestätigen das. Durch Mindestabstände wird der Eindruck erweckt, dass Windenergieanlagen etwas Bedrohliches sind, vor dem der Gesetzgeber die Bevölkerung schützen muss. Dabei gibt es bereits klare Regelungen, zum Beispiel für zulässige Geräuschpegel oder Schattenwurfdauer, aus denen sich dann auch der einzuhaltende Abstand ergibt. Pauschale Mindestabstände führen lediglich dazu, dass der weitere Zubau durch Einschränkung der potenziellen Flächen verhindert wird. Eine tatsächliche Steigerung der Akzeptanz erfolgt dagegen durch eine frühzeitige Einbeziehung der Bürger vor Ort in die Planung und könnte noch weiter gesteigert werden, wenn Standortkommunen über das bereits heute bestehende Maß hinaus finanziell beteiligt würden. Maßnahmen, die vor Ort einen erlebbaren Nutzen schaffen, finden in den öffentlichen Diskursen auch Akzeptanz. Und das gilt dann auch für die Windenergie! Wie soll so eine finanzielle Beteiligung der Gemeinden aussehen? Wir plädieren für eine Abgabe, die Windparkbetreiber regelmäßig an die Standortkommunen abführen müssen. Die Gemeinden sollen frei darüber befinden können, wie sie die Mittel verwenden. Entscheidend ist für uns, dass eine bundeseinheitliche Regelung geschaffen wird und die Kriterien für die Abgabe so definiert werden, dass Wettbewerbsverzerrungen bei den EEG-Ausschreibungen vermieden werden. Eine solche Verzerrung wäre bei einer Abgabe in Abhängigkeit der Anlagenhöhe der Fall, da sonst Projekte in Süddeutschland, wo aufgrund des Maßnahmen, die vor Ort einen erlebbaren Nutzen schaffen, finden in den öffentlichen Diskursen auch Akzeptanz. Andreas Pick Die Energiewende muss auf allen politischen Ebenen vom Bund, den Ländern und auch den Gemeinden verteidigt werden, meint Andreas Pick. schwächeren Windaufkommens größere Nabenhöhen notwendig sind, noch mehr benachteiligt würden. Die Politik muss sicherstellen, dass die Einnahmen den Gemeinden auch tatsächlich erhalten bleiben und nicht im kommunalen Finanzausgleich oder in der Haushaltssicherung untergehen. Darüber hinaus wäre auch eine Transparenz über die erzielten Einnahmen und die Verwendung der Mittel wünschenswert. Wenn der Bürger nachvollziehen kann, welche zusätzlichen Maßnahme seine Gemeinde durch diese zusätzlichen Gelder finanzieren kann, wird auch die Akzeptanz für das Windenergieprojekt entsprechend größer. Wird das ausreichen, um den drastisch zurückgegangenen Ausbau der Windenergie wieder in Schwung zu bringen? Nein. Auch eine Kommunalabgabe wird voraussichtlich nicht zu schnelleren Genehmigungsverfahren und mehr Flächenausweisungen führen. Hier ist die Politik gefordert, die ihr selbst auferlegten Hausaufgaben schnellstmöglich zu erledigen. Besonders hilfreich wäre aus Sicht der EnBW, wenn Planungsverbände die Regional- und Flächennutzungspläne konsequent voranbringen würden. Notwendig wäre ein zeitlich gestraffter Prozess mit klaren Kriterien für Windkraftflächen. Damit ließen sich Unsicherheiten darüber, wo Windparks entstehen werden und wo nicht, schnell auflösen. Derzeit gibt es jahrelange Hängepartien, während derer Projektgegner und -befürworter die Behörden mit gegenläufigen Anträgen und Stellungnahmen lähmen. Unabhängig von diesen Überlegungen muss die Energiewende auf allen politischen Ebenen vom Bund, den Ländern, aber auch den Gemeinden verteidigt werden. Nur mit politischer Standhaftigkeit, vernünftiger Kommunikation und Beteiligung der Menschen an den Projektplanungen bringt eine Abgabe von Windparkbetreibern einen positiven Nutzen. FOTOS: ENBW In der Politik wird seit vielen Monaten um Maßnahmen für mehr Akzeptanz bei der Energiewende vor Ort gerungen. Hat die Windkraft wirklich ein Akzeptanzproblem? Alle uns bekannten Umfragen zeigen immer wieder, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung für den weiteren ambitionierten Ausbau der Windenergie plädiert. Allerdings, und das ist nicht wegzudiskutieren, formiert sich oft Widerstand vor Ort. Nach unseren konkreten Erfahrungen handelt es sich dabei in den allermeisten Fällen um eine kleine, aber gut organisierte, laute Minderheit, die gegen Windenergieprojekte agitiert. In einer aktuellen Forsa-Umfrage wurde explizit die Haltung der „schweigenden Mehrheit“ abgefragt, also bei denjenigen, die sich nicht öffentlich in Debatten zur Windenergie vor Ort einbringen. In dieser Gruppe ist die Zustimmung sogar noch größer als beim Gesamtdurchschnitt der Befragten. REPORT 25 01-02/2020 Anzeigen-Sonderveröffentlichung Die Odenwald-RegionalGesellschaft mbH (OREG) Die Odenwald-Regional-Gesellschaft mbH (OREG) mit Sitz in Erbach im Odenwaldkreis wurde im Jahr 1994 gegründet. Mehrheitsgesellschafter ist der Landkreis Odenwald (88,18 Prozent), der auch den Aufsichtsratsvorsitzenden stellt. Aufgabe der OREG ist es, mit den Geschäftsbereichen Nahverkehr, Wirtschafts-Service, Breitbandversorgung und regenerative Energien die Wirtschafts- und Sozialstruktur im Odenwaldkreis zu entwickeln und zu stärken. Photovoltaik-Anlagen auf den Bunkerreihen des ehemaligen US-Munitionsdepots Hainhaus Odenwaldkreis trägt zu mehr Klimaschutz bei Neue Photovoltaikanlage bietet Solarstrom für immer mehr Haushalte Autor Rainer Kaffenberger, OREG D er südhessische Odenwaldkreis bringt über seine Odenwald-Regional- Gesellschaf t (OREG) den Klimaschutz voran. Auf dem Hainhaus-Areal in der Gemeinde Lützelbach, einem ehemaligen USMunitionsdepot, geht demnächst eine weitere Photovoltaik-Anlage in Betrieb. Am 15. Januar nahmen Landrat Frank Matiaske, OREG-Geschäftsführer Marius Schwabe und sein Stellvertreter Detlef Kuhn sowie der Lützelbacher Bürgermeister Uwe Olt und Gerd Schöller, Geschäftsführer des Unternehmens Schoenergie, den symbolischen ersten Spatenstich vor. PHOTOVOLTAIK 2.610 Module sind im ersten von drei Bauabschnitten verbaut. Damit wird Strom für 200 Haushalte erzeugt. QUELLE:OREG samt wurden im vergangenen Jahr fast 700 Haushalte mit Solarstrom beliefert, in diesem Jahr werden es mehr als 900 sein und im nächsten Jahr fast 1.100. „Die Entwicklung zeigt, dass der Odenwaldkreis das Anliegen ernst nimmt, Erneuerbare Energien auszubauen. Auf dem Hainhaus-Gelände ist noch Platz für weitere Anlagen“, sagte Landrat Matiaske. Klimaschutzmanager Dazu hat der Kreis eine direkt beim Landrat angesiedelte Stelle eines Klima- FOTOS: RAINER K AFFENBERGER /OREG Strom für 600 Haushalte Die neue Freiflächenanlage wird 750.000 Kilowattstunden Strom produzieren. Es ist bereits die zweite Anlage, die Schoenergie auf dem Gelände baut. Eine dritte ist für das nächste Jahr in Planung. Insgesamt werden künftig allein mit Hilfe dieser drei Anlagen rechnerisch 600 Haushalte mit Strom beliefert werden. Das Investitionsvolumen liegt alles in allem bei 1,8 Millionen Euro. Bereits auf dem Gelände stehen zwei Anlagen der Hainhaus GbR und zwei kleinere Anlagen der OREG. Insge- Vorzeige-Projekt: Gerd Schöller, Geschäftsführer von Schoenergie, OREG-Geschäftsführer Marius Schwabe, sein Stellvertreter Detlef Kuhn, Bürgermeister Uwe Olt und Landrat Frank Matiaske (v. l.) beim Spatenstich für eine Photovoltaik-Anlage auf dem Hainhaus-Areal schutzmanagers geschaffen. Der neue Klimaschutzmanager hat seine Position Mitte Februar angetreten. „Ich werde ein Auge darauf haben, dass der Klimaschutz eine noch größere Rolle im Odenwaldkreis spielen wird“, so Matiaske. Überdies sieht er eine zentrale Aufgabe des Klimaschutzmanagers des Kreises für 2020 darin, „Informationsarbeit für mehr private PV-Anlagen und die Möglichkeiten der Warmwassergewinnung durch die Sonne zu leisten“. Sinnvolles Investment Wie er, so ist auch OREG-Geschäftsführer Schwabe erfreut darüber, dass der Ausbau der Photovoltaik auf dem Hainhaus-Areal fortgesetzt wird. „Das ist ein sinnvolles Investment für die OREG und die Umwelt. Die Anlage ist einzigartig in Hessen und hat Vorbildcharakter.“ Schwabe lobte die gute Zusammenarbeit mit Schoenergie, einem Familienunternehmen aus Föhren bei Trier. Überdies seien zahlreiche Unternehmen aus der Region an dem Aufbau der Anlage beteiligt. Der Landrat unterstrich: „Gemeinsam mit unseren anderen Aktivitäten, etwa modernen Heizungsanlagen in den Schulen, der Gebäudedämmung und der Umstellung des Fuhrparks der Kreisverwaltung auf Elektrofahrzeuge, kann sich der Odenwaldkreis in Sachen Klimaschutz sehen lassen.“ Die Anlage wird von einem ortsansässigen Schäfer mit seinen Schafen extensiv beweidet, für die der OREGGeschäftsführer Marius Schwab bereits eine „Schafpatenschaft“ übernommen hat. oreg.de schoenergie.de 26 REPORT Teile einer ehemaligen Stahl-Produktionshalle (r.) sollen erhalten werden und den industriellen Charakter betonen. d-Port21 – Dortmunds nächstes Leuchtturmprojekt Nach Stadtkrone-Ost, PHOENIX-See, Hohenbuschei und Westfalenhütte wollen die Stadtwerke jetzt im Hafen die nächste Erfolgsgeschichte schreiben Autor Henning Witzel S chimanski lässt grüßen – oder wie man im Ruhrgebiet sagt: Schön is‘ anders! Die Speicherstraße im Dortmunder Hafen, dem größten Kanalhafen Europas immerhin, sieht exakt so aus, wie man sich die Speicherstraße in einem Hafen vorstellt, wenn man in den 1980er Jahren regelmäßig „Tatort“ geguckt hat. Ein städtebauliches Kleinod ist das Quartier entlang der Spundwände und Kaimauern von Stadthafen und Schmiedinghafen wahrlich nicht. Noch nicht! Denn das Erscheinungsbild wird sich in den kommenden Jahren dramatisch verbessern: Während an der südlichen Speicherstraße unter städtischer Regie ein Digital-Quartier entsteht, soll sich auch die nördliche Speicherstraße vom grauen Entlein zum schönen Schwan mausern. Als Treiber für diesen Transformationsprozess wurde die d-Port21 Entwicklungsgesellschaft gegründet – eine Tochter der Dortmunder Stadtwerke AG, kurz DSW21 (51 Prozent), und die Dortmunder Hafen AG (49 Prozent), die ihrerseits zur DSW21-Gruppe gehört. Das Modell ist bewährt. Lässt man den gewaltigen Strukturwandel der zurückliegenden drei Jahrzehnte im Zeitraffer an sich vorbeiziehen, wird man feststellen: Bei nahezu allen relevanten Stadtentwicklungsprojekten hatte DSW21 die Federführung. Und schrieb stets eine Erfolgsgeschichte. Nach dem Abzug der britischen Rheinarmee erwarb die Stadtkrone-Ost-Entwicklungsgesellschaft, eine Stadtwerke-Tochter, 1997 eine 55 Hektar große Konversionsfläche in feinster Lage. Heute ist das Areal direkt an der B1 einer der Top-Business- und Wohnstandorte in der Region. Führende Dienstleister und IT-Unternehmen haben sich angesiedelt, 5.000 Arbeitsplätze sind entstanden. Demnächst nimmt die Deutsche Bundesbank ihre neue Filiale in Betrieb. Rund 300 Millionen Euro hat sie investiert. Und die ContinentaleVersicherungsgruppe poliert schon die Schüppe für den ersten Spatenstich zum Bau ihrer neuen Konzernzentrale. Noch spektakulärer: der PHOENIX-See im Stadtteil Hörde. Wo bis 2001 ein gigantisches Stahlwerk stand, zieht heute So könnte es in einigen Jahren im Schmiedinghafen aussehen. Rechts das historische Silogebäude, in der Bildmitte die Drehbrücke VIEL GRÜN 13,5 Hektar beträgt die Gesamtfläche, die im neuen Hafenquartier zu entwickeln ist. Das Gros entfällt mit rund 10 Hektar auf die Nördliche Speicherstraße. 30.700 Quadratmeter Grün- und Freifläche (rund 30 Prozent) sieht der Siegerentwurf vor. QUELLE: DSW21 ein 24 Hektar großer See die Menschen magnetisch an. Freizeit- und Naherholung verbinden sich mit rund 2.000 hochwertigen Wohneinheiten, Gastronomie und Gewerbeimmobilien zu einer innerstädtischen Landschaft, die Dortmund 2018 den Deutschen Städtebaupreis einbrachte. Verantwortlich für die Entwicklung und Vermarktung zeichnete die PHOENIX See Entwicklungsgesellschaft – eine Tochter der Stadtwerke. Die Liste lässt sich fortsetzen. Im Stadtteil Brackel entwickelte eine andere DSW21-Tochter ein verlassenes Militärgelände zum Wohnquartier Hohenbuschei und baut(e) nebenbei in mehreren Stufen das Trainingszentrum des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund. Auf der Westfalenhütte, einer riesigen Stahlbrache in der Nähe des Borsigplatzes, entwickelt eine DSW21-Tochter derzeit ein Logistikzentrum. Und nun also das Hafenquartier Nördliche Speicherstraße. Den Wettbewerb zur städtebaulichen Rahmenplanung entschied im Januar das renommierte Kopenhagener Büro COBE Architects für sich. Die Jury geriet über die Ideen der Dänen regelrecht ins Schwärmen. Eine Promenade entlang der Kaimauer. Großzügige Grün- und Freiflächen. Moderne Bürogebäude. Ein Berufskolleg mit Sporthalle. Eine schwenkbare Brücke über das Hafenbecken. Ein attraktiver Liegeplatz für das beliebte Partyschiff „Herr Walter“. Kunst und Kultur im alten Silogebäude. Dazu soll die dem Abriss geweihte Produktionshalle eines früheren Stahlwerks nun doch in Teilen erhalten werden und die Kulisse für ein modernes Quartier mit altem Industriecharme bilden. „Der Entwurf bedeutet eine hervorragende urbane Aufwertung am Rande des Hafens und respektiert die Interessen des Industrie- und Gewerbegebietes mit seinen 160 Unternehmen und mehr als 5.000 Beschäftigten“, sagt Uwe Büscher. Der Hafen-Vorstand ist zugleich einer von drei Geschäftsführern von d-Port21 – die beiden anderen: DSW21-Finanzvorstand Jörg Jacoby und Ludger Schürholz, der schon den PHOENIX-See und die StadtkroneOst federführend mitentwickelt hat. Auf diese Leuchtturm-Projekte verweist auch Guntram Pehlke: „Wir übernehmen solche Herausforderungen gerne, um für die Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger das bestmögliche Ergebnis zu erzielen“, sagt der Vorstandsvorsitzende von DSW21. „Dass wir große und prominente Flächen einer neuen städtebaulichen Nutzung zuführen können, haben wir jetzt mehrfach eindrucksvoll bewiesen. Ich bin daher sicher, dass auch d-Port21 eine Erfolgsstory wird.“ FOTOS: DSW21 Anzeigen-Sonderveröffentlichung 01-02/2020 WIR MACHEN’S EINFACH. einundzwanzig.de YouTube: einundzwanzig Instagram: einundzwanzig.de TikTok: 21.de 28 REPORT Cross-industrielle Netzwerke Wissenschaft und Unternehmen zukunftsfähige Schnittstellenprojekte für die Energie- und Grundstoffwirtschaft. Kommunale Industrieregionen stärken Dynamische Betriebsführung Autor Sebastian Hagedorn, Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT D ie Energiewende ist eine tragende Säule des Strukturwandels und erfordert ein Umdenken in vielen Bereichen. Energie- und Grundstoffindustrie wachsen im Rahmen der Sektorenkopplung zusammen. Damit in einem zunehmend dynamischen und volatilen Umfeld erfolgreiche Wirtschafts-Ökosysteme wachsen können, sind aufeinander abgestimmte, anpassungsfähige Lösungen notwendig. Das Leistungszentrum DYNAFLEX® entwickelt unter Federführung des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT aus Oberhausen zukunftsfähige Lösungen für diese Fragen. In Thüringen in Bad Langensalza entsteht zurzeit ein Pilotstandort, der als Vorreiter für cross-industrielle Netzwerke dienen soll und neue Wertschöpfungsketten erschließt. Im Mittelpunkt aktueller Geschäftstätigkeiten und Unternehmensstrategien stehen zunehmend Technologien zur Effizienzsteigerung und zur Vermeidung von CO2-Emissionen. Eine nachhaltige und umweltschonende Wertschöpfung bedeutet zwar zunächst eine Umstellung für die Beteiligten, dient aber auch als klarer Wettbewerbsvorteil. Um den deutschen Mittelstand im Wettbewerb gut zu positionieren und die Herausforderungen für einzelne Unternehmen zu senken, sehen Experten die Zukunft in einem gemeinsamen Vorgehen der Akteure in regionalen cross-industriellen Netzwerken. „Wertschöpfungsketten müssen künftig über die bisherigen Sektor- und Branchengrenzen hinausgehen. Warum nicht gemeinsam lokale Stoff- und Energieströme bestmöglich vor Ort verwerten? So können entscheidende Vorteile durch regionale Synergien entstehen”, erklärt Dr. Georg Janicki vom Fraunhofer UMSICHT in seiner Funktion als Manager des Leistungszentrums. Das Zentrum plant in enger Zusammenarbeit von Bei der Energie- und Rohstoffwende wird es zukünftig darauf ankommen, industrielle Symbiosen zu generieren. Dr. Georg Janicki, Fraunhofer UMSICHT Dr. Georg Janicki vom Fraunhofer UMSICHT, Manager des DYNAFLEX®-Leistungszentrums Um die lokalen Energie- und Stoffströme nachhaltig zu gestalten, muss bereits die Energieversorgung entsprechend ausgelegt sein. Die Einbindung von Strom aus Erneuerbaren Energien in z. B. Produktionsanlagen unterliegt jedoch zeitlichen und standortspezifischen Schwankungen – bedingt durch Tages-/Nachtzeit und Windaufkommen. Hinzu kommen Aspekte wie eine kundenspezifische Fertigung und damit variierende Anforderungen an Produkte, die zudem Just-in-Time gefertigt und geliefert werden müssen. Und auch variierende Rohstoffe aufgrund von sich verändernden Rahmenbedingungen (markt- und kundenseitig) und die Umstellung auf umweltfreundlichere Rohstoffe müssen berücksichtigt werden. In einem Gewerbegebiet in Bad Langensalza wird ein Pilotprojekt umgesetzt, in dem ein Netzwerk mit unterschiedlichen Akteuren auf Basis von regenerativen Energien und nachhaltigen Rohstoffen implementiert wird. Das Projekt nimmt eine nationale und internationale Vorreiterrolle bei der Umsetzung klimaschonender und sektorübergreifender Technologien ein. Verschiedene Partner aus der Wirtschaft wollen mit Unterstützung des Fraunhofer UMSICHT in einem gemeinsamen Vorhaben eine FreiflächenPhotovoltaikanlage errichten. Der produzierte Strom soll durch innovative und nachhaltige Konzepte direkt in bereits bestehende und neue Wertschöpfungsketten der benachbarten Wirtschaftsunternehmen eingebunden werden. Die Konzepte tragen zur Netzstabilität bei und ermöglichen den Aufbau eines neuen Technologieclusters auf Basis nachhaltiger Rohstoffe und Energieträger. Dadurch wiederum sollen sich neue Unternehmen in der Region ansiedeln. Unabhängig von fossilen Rohstoffen Die Fraunhofer-Forscher arbeiten des Weiteren an einem Power-to-GasKonzept. Mit PV-Strom betriebene Elektrolyseanlagen sollen Wasserstoff erzeugen, der direkt ins Erdgasnetz eingespeist und für Produktionsprozesse verwendet werden kann. Auch kann der Wasserstoff mit CO2 zu Methan veredelt beziehungsweise zu Basisprodukten der chemischen Industrie, Kunststoffindustrie, Düngemittelindustrie oder Treibstoffindustrie weiterverarbeitet werden. dynaflex.de FOTOS: FRAUNHOFER UMSICHT; FRAUNHOFER UMSICHT/PR FOTOGRAFIE KOEHRING Anzeigen-Sonderveröffentlichung 01-02/2020 BÜCHER / WAHLEN / TERMINE 29 01-02/2020 DEMO Boden gehört zur Daseinsvorsorge Wahlen Hans-Jochen Vogel fordert Reformen In Baden-Württemberg sind zwei parteilose Oberbürgermeister für eine weitere Amtszeit gewählt worden: In Sinsheim gelang dies Jörg Albrecht mit einem Wahlergebnis von 98,7 Prozent (2. Februar). Auf fast das gleiche Ergebnis kam in Eppingen, wo am 26. Januar gewählt wurde, der amtierende Oberbürgermeister Klaus Holaschke. Er erhielt 98,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. Weiter spannend bleibt es in Sachsens Metropole Leipzig. Seit 2006 amtiert der Sozialdemokrat Burkhard Jung als Oberbürgermeister. (Er ist außerdem Präsident des Deutschen Städtetages.) Im ersten Wahlgang am 2. Februar erreichte Jung mit 29,8 Prozent Stimmenanteil das zweitbeste Ergebnis nach CDU-Herausforderer Sebastian Gemkow (31,6 Prozent). Die Entscheidung fällt am 1. März. Dann genügt im zweiten Wahlgang eine einfache Mehrheit zum Sieg. „Grund und Boden ist keine beliebige Ware, sondern eine Grundvoraussetzung menschlicher Existenz”, schreibt Hans-Jochen Vogel. Boden sei unvermehrbar und unverzichtbar. Er dürfe daher nicht dem unübersehbaren Spiel der Marktkräfte und dem Belieben des Einzelnen überlassen werden. Der Autor plädiert dafür, mehr wohnbaurelevante Grundstücke in Gemeindeeigentum zu überführen. Vogel war nicht nur Partei- und Fraktionsvorsitzender der SPD im Bund, sondern von 1960 bis 1972 auch Oberbürgermeister von München. Schon damals drängte die Stadt gegenüber dem Bund angesichts rasant steigender Bodenpreise auf eine Reform des Bodenrechts. In seinem Buch „Mehr Gerechtigkeit” schildert Vogel, wie einige der damaligen Ideen umgesetzt wurden und andere in Vergessenheit gerieten. Nun greift er damalige Vorschläge wieder auf. Darunter den, einen Planungswertausgleich einzuführen, um leistungslose Bodengewinne zu bremsen und den Kommunen neue finanzielle Spielräume zu eröffnen. Für wohnungsrelevante Grundstücke möchte Vogel den Gemeinden ein „erweitertes und preislimitiertes Vorkaufsrecht” verschaffen. Diese und weitere Ansätze stellt er im unlängst erschienenen Büchlein vor. Seine Ideen haben auch den jüngsten SPDParteitagsbeschluss zur Wohnungspolitik wesentlich beeinflusst. CFH Hans-Jochen Vogel: Mehr Gerechtigkeit. Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar Herder-Verlag, 2019, 80 Seiten, 12 Euro, ISBN 978-3-451-07216-1 Mehr Kunst im öffentlichen Raum Plädoyer: Kleine Gemeinden brauchen mehr Kunst Mit seinem kürzlich erschienenen Buch hält Anton Knapp ein leidenschaftliches Plädoyer für mehr Kunst im öffentlichen Raum. Sein Appell richtet sich vor allem an Kommunalpolitiker, wie er selbst einer ist. Von 1988 bis 2016 war der Sozialdemokrat Bürgermeister der Stadt Hüfingen. Sein Resümee aus insgesamt vier Jahrzehnten kommunalpolitischem Engagement: Die Bedeutung von Kunst und Kultur werden insbesondere in kleineren Kommunen unterschätzt, wenn nicht sogar völlig übersehen. Knapps gut 150 Seiten starkes Büchlein bietet zunächst eine kurze theoretische Einführung in das Thema und geht auf die Geschichte von Kunst im öffentlichen Raum ein. Im zweiten Block des Buches gibt der ehemalige Bürgermeister handfeste praktische Tipps für Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker. Etwa, wie ein Wettbewerbsverfahren erfahrungsgemäß am besten gestaltet werden kann, welche Termine Der ländliche Raum neu gedacht 05.03.2020 – 06.03.2020, Schwerte kircheundgesellschaft.de/veranstaltungen Seminar Entwicklungspolitische Handlungsoptionen in Ihrem Landkreis 09.03.2020, Ludwigslust skew.engagement-global.de DStGB-Konferenz Kommunen aktiv für den Klimaschutz 10.03.2010, Bonn dstgb.de Finanzierungsmöglichkeiten es gibt und was bei der Pflege und Erhaltung von Kunstwerken zu beachten ist. Im dritten Abschnitt geht er der Frage nach, was Kunst eigentlich leisten soll: Als „Provokation und Störung“ beispielsweise oder als Standort- und Entwicklungsfaktor für die Kommune. Sein Fazit: Kommunale Kulturpolitik müsse, auch im Hinblick auf den Einsatz kommunaler Finanzmittel, höhere Priorität erhalten als bisher. CFH Anton Knapp: Ist das Kunst oder „muss” das weg? Impulse für die Debatte um Kunst im öffentlichen Raum Dold-Verlag, 2019, 156 Seiten, 19,80 Euro, ISBN 978-3-948461-00-3 Tagung Integrierte Sozialplanung für Städte und Landkreise 16.03.2020 – 18.03.2020, Göttingen vsop.de BMVI-Fachkonferenz Elektromobilität vor Ort 17.03.2020 – 18.03.2020, Hannover now-gmbh.de Zukunftswerkstatt Mobilität 17.03.2020, Bonn dstgb.de Konferenz Tourismus des Deutschen Städtetages 17.03.2020 – 19.03.2020, Heilbronn städtetag.de Jugendpolitik auf Kurs!? 18.03.2020 – 19.03.2020, Berlin jugendgerecht.de Fachkongress für die Öffentliche Hand – Infrastrukturplanung 18.03.2020 – 19.03.2020, Weimar partner-regio.de/39.html Bereits am 1. Dezember wurden die Bürgerinnen und Bürger im Landkreis Stendal an die Wahlurne gebeten. Dem Sozialdemokraten Patrick Puhlmann gelang, unterstützt von den Grünen und Linken, ein beeindruckender Sieg. Mit 68,9 Prozent setzte er sich in der Stichwahl gegen Amtsinhaber Carsten Wulfänger (CDU) durch. Dagegen unterlag die sozialdemokratische Amtsinhaberin Angelika Matt-Heidecker bei der Oberbürgermeister-Wahl in der Stadt Kirchheim unter Teck dem parteilosen Kandidaten Pascal Bader. Auf MattHeidecker entfielen 28,9 und auf Bader 70,9 Prozent der Stimmen. Einen neuen Oberbürgermeister gibt es auch in Eisleben. Dort gewann Carsten Straub (parteilos, unterstützt von der CDU) mit 67,6 Prozent die Stichwahl gegen Kathrin Gantz (Die Linke). Die bisherige sozialdemokratische Amtsinhaberin Jutta Fischer war nicht wieder zur Wahl angetreten. Intensivcoaching für Amtsinhaberinnen 20.03.2020 – 22.03.2020, Berlin bundes-sgk.de/veranstaltungen Kommunalwahlcamp der Bundes-SGK 28.03.2020 – 29.03.2020, Hofgeismar bundes-sgk.de/veranstaltungen-bundessgk 25. Deutscher Fachkongress für kommunales Energiemanagement 27.04.2020 – 28.04.2020, Eisenach difu.de Messe IFAT 04.05.2020 – 08.05.2020, München ifat.de Polis Convention 06.05.2020 – 07.05.2020, Düsseldorf polis-convention.com Seminar der Bundes-SGK Mein Weg zur Bürgermeisterin – Frauen ins Rathaus 15.05.2020 – 16.05.2020, Springe bundes-sgk.de/veranstaltungen-bundessgk Tag der Städtebauförderung 2020 16.05.2020, bundesweit tag-der-staedtebaufoerderung.de Fachkonferenz Kommunen innovativ 19.05.2020 – 20.05.2020, Wuppertal kommunen-innovativ.de Seminar der Bundes-SGK Geschäftsführung von Rats- und Kreistagsfraktionen 03.06.– 04.06.2020, Springe bei Hannover bundes-sgk.de/veranstaltungen-bundessgk 15. DEMO-Kommunalkongress 29.10.2020 – 30.10.2020, Berlin www.demo-kommunalkongress.de 30 DAS LETZTE DEMO 01-02/2020 Klare Botschaft ans Regime Dem Atomprogramm Nordkoreas will das Bezirksamt Berlin-Mitte nicht tatenlos zusehen – und schickt Ordnungshüter Autor Carl-Friedrich Höck Impressum Demokratische Gemeinde, Fachorgan der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik (Bundes-SGK) Stresemannstraße 30, 10963 Berlin Postfach 61 03 22, 10925 Berlin Telefon: (030) 255 94- 200 Telefax: (030) 255 94- 290 E-Mail: redaktion@demo-online.de Internet: www.demo-online.de Herausgeber: Frank Baranowski, Vorsitzender der Bundes-SGK N ordkorea gilt als weitgehend abgeschottetes Land. Journalisten wird die Einreise des Öfteren verweigert. Urlaub machen ist in der „Demokratischen Volksrepublik“ zwar möglich, doch frei bewegen darf man sich nicht. Wesentlich einfacher ist es, seinen Urlaub auf dem Gelände der nordkoreanischen Botschaft in Berlin zu verbringen. Dazu muss man nur Übernachtungen im „City Hostel“ buchen. Eine Schlafmöglichkeit im Achtbettzimmer kostet zwölf Euro pro Nacht. Fotos auf der Internetseite zeigen junge Menschen, die Billard spielen und sich fröhlich mit Bier zuprosten. Die Sehenswürdigkeiten der deut- schen Hauptstadt liegen ganz in der Nähe: 1,2 Kilometer sind es bis zum Brandenburger Tor, 1,5 Kilometer bis zum Bundestag und 1,6 Kilometer zur DEMO-Redaktion. Jetzt aber macht das Bezirksamt Mitte dem fröhlichen Treiben den Garaus. Es hat den Hostel-Betrieb verboten. Die Gründe sind hochpolitisch. Das Hostel wird seit 2007 von einer GmbH betrieben, die hierfür viele Jahre lang Miete an Nordkorea gezahlt hat. Für das international geächtete Land ist das eine nette DevisenEinnahmequelle. Doch wegen seines Atomprogramms haben die Vereinten Nationen Sanktionen gegen Nordkorea verhängt. Umgesetzt werden DEMO 03-04/2020 erscheint am 8. Mai 2020 mit folgenden Themen: In der kommenden Ausgabe der DEMO dreht sich alles um unsere Lebensräume. Gute Stadtentwicklung und Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum, die neue Verteilung des Platzes für Verkehrsteilnehmer sind ebenso Themen wie der Umgang mit Innenräumen in öffentlichen Gebäuden. Klimaund Umweltschutz sind Schwerpunkte im Report. Redaktion: Karin Nink (Chefredakteurin), Karin Billanitsch (Leitende Redakteurin), Carl-Friedrich Höck (Redakteur) Telefon: (030) 255 94- 355 Produktionsleitung: Dagmar Günther Layout/Sekretariat: Heidemarie Lehmann Telefon: (030) 255 94- 200 Verlag: Berliner vorwärts Verlagsgesellschaft mbH, Stresemannstraße 30, 10963 Berlin, Postfach 61 03 22, 10925 Berlin Telefon: (030) 255 94- 100 Telefax: (030) 255 94- 192 Geschäftsführung: Karin Nink, Kerstin Thomberg Anzeigen/Vertrieb: ASK. Agentur für Sales und Kommunikation GmbH, Gewerbehof Bülowbogen,Hof D, Eingang D1, Bülowstraße 66, 10783 Berlin Telefon: (030) 740 73 16- 00 Telefax: (030) 740 73 16- 20 Anzeigen: Henning Witzel (Verkauf/Projektleitung) Telefon: (030) 740 73 16- 36 Gültige Anzeigen-Preisliste: Nr. 37 vom 1. Januar 2020 Vertrieb: Stefanie Martin Telefon: (030) 740 73 16- 61 Die DEMO erscheint mit sechs Ausgaben im Jahr Abonnementverwaltung: IPS Datenservice GmbH, Carl-Zeiss-Str. 5, 53340 Meckenheim Telefon: (02225) 70 85 -366 Telefax: (02225) 70 85 -399 E-Mail: abo-vorwaerts@ips-d.de Einzelverkaufspreis: 10 € Jahres-Abonnement: 60 € (inkl. Versand und 7 % MwSt.); für Schüler und Studenten (Nachweis erforderlich) 40 € Jahres-Abonnement (Ausland): 60 € zzgl. Versandkosten Die Abonnements verlängern sich jeweils um ein Jahr, sofern nicht spätestens drei Monate vor Ablauf schriftlich gekündigt wird. Bei Nichterscheinen der Zeitung oder Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages und im Falle höherer Gewalt besteht kein Anspruch auf Leistung, Schadenersatz oder auf Minderung des Bezugspreises. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Haftung übernommen. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Quellenangabe. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Litho: Satzstudio Neue Westfälische Gmbh & Co KG Druck: J.D. Küster Nachf. + Pressedruck GmbH & Co. KG, Industriestraße 20, 33689 Bielefeld, Telefon: (05205) 14 700 Telefax: (05205) 14 704 E-Mail: kontakt@kuester-pressedruck.de Zugleich Versandanschrift für Beilagen und Beihefter mit Zusatz „Warenannahme“. Mitteilung nach § 7a Berliner Pressegesetz: Alleinige Gesellschafterin der Berliner vorwärts Verlagsgesellschaft mbH ist die Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH, Berlin, deren Gesellschafter sind Dietmar Nietan, Berlin, als Treuhänder für den Treugeber Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) mit 94,67 Prozent und die Solidarität Verwaltungsund Treuhandgesellschaft mbH, Berlin, als Treuhänderin für den Treugeber Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) mit 5,33 Prozent. Sponsoring/Anzeigen: Der Berliner vorwärtsVerlag (BvVG) hat sich entschieden, Transparenz zu zeigen und veröffentlicht seit 2017 freiwillig auf demo-online.de Sponsoren und Anzeigenkunden. Der Verlag folgt damit auch einem Beschluss des SPD-Parteivorstandes von Dezember 2016. FOTOS: CARL-FRIEDRICH HÖCK; STOCK.ADOBE.COM/HAMSTER4711 Das „City Hostel” auf dem Gelände der nordkoreanischen Botschaft diese in der EU mit einer 2017 erlassenen Verordnung. Sie untersagt es unter anderem, Gebäude von Nordkorea zu mieten oder zu nutzen. Was in der Theorie eindeutig klingt, erweist sich im konkreten Fall als kompliziert. Dabei hat die nordkoreanische Botschaft laut Medienberichten sogar selbst den Mietvertrag gekündigt und Räumungsklage eingereicht, offenbar auf Druck des Auswärtigen Amtes. Nur wird die Klage nicht verhandelt, weil die Botschaft dafür einen Gerichtskostenzuschuss zahlen müsste – was nicht geschehen ist. Wo das Bundesaußenministerium scheitert, muss es die Kommune richten. Deshalb macht das Bezirksamt Mitte jetzt ernst und das Hostel dicht. Es stützt sich auf eine Rechtsklausel, wonach die Ordnungsbehörden „die notwendigen Maßnahmen treffen können, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren“. Und was bitte könnte die öffentliche Ordnung mehr gefährden, als dass EU-Verordnungen einfach nicht umgesetzt werden? Das Berliner Verwaltungsgericht gab dem Bezirksamt recht. So können wir offiziell festhalten: Kommunen sind nicht nur dafür zuständig, Schulen zu bauen und Verwaltungen am Laufen zu halten. Manchmal müssen sie sich auch noch um den Weltfrieden kümmern. LIEBER DIGITAL LESEN Melde Dich jetzt für das E-Paper an: spd.de/vorwaerts-epaper Sobald eine neue Ausgabe veröffentlicht ist, wirst Du ganz bequem per E-Mail informiert. Viel Spaß beim Entdecken! ALTE, H N I R ME H E HR M ION E N T K N U F BER ALL UND Ü BEI! DA 8 TIT EL vorwärts 1/2020 GA LG EN M ÄN NCHE N UN D EI NS CH USSL ÖC HE R RECHTSEXTREM ISMUS Die Bedro nimm hung gen. „Ich will Angriffen gegen mich und meine Familie nicht schutzlo s ausgeliefert sein“, begründete er den Schritt. Auslöser für die Anfeind ungen von Rechtsextremis ten war eine Aktion des Bürgermeisters im Europa-Wahlka im Mai vergang mpf enen Jahres. scheidt ließ Landvolksve abhängen. „Seither rhetzende Plakate werde ich aus rechten Szene der bedroht.“ Inzwisc hen erhält der Bürgerm eister Persone nschutz. Auf den Waffen schein verzich tet er. Dass aus Worten Taten werden nen, musste könKaramba Diaby erfahren. Seit Jahren wird der 1961 im Senegal geborene SPD-Bu ndestagsabgeor im Internet dnete angefeindet, erhält Drohbriefe und -Anrufe . Am 15. Januar mehrere Schüsse fielen . Sie schluge n in die Scheibe von Diabys Bürgerb üro in der Innenstadt von Halle ein. Verletzt de glücklicherweis wure niemand. Persone schutz also auch nfür ihn? „Man nicht flächen kann deckend alle Menschen, die sich politisc h engagieren, schützen. Wir Politiker haben einen direkten Kontakt zu den Bürgern und wollen den auch weiterh in pflegen“, sagt Diaby. Immerh in: Dem Bundes tagsabgeordneten schlug eine Welle der Solidarität bis hin zur Bundes kanzler in entgege „Ich bin mit n. meinen Gedank en bei Dir und Deinem Team, Karamb a – wir weichen nicht von deiner Seite“, schrieb die SPD-Vorsitzende Saskia Esken kurz nach dem Anschla g auf Twitter . Von Kai Doering SPD sorgt sich Wenn aus Worten Taten werden: t zu. Der Staat vor wärts VORWÄRTS.D E: DIE DEBAT TENSE Aboprei s 2.20 € – A 07665 EN SOZIA LDE M O K R AT I E ■ GEGRÜND nte auf das Bürgerbü ro von Karamba Diaby in Halle. von Politikerin nen und Politi verschärft Gese kern tze. Auch die SPD handelt um Ehrenamtlich Jonas Jordan In der SPD haben e die gangenen Wochen Ereignisse der verSpuren hinterla ie Zeichnu ng, „Wenn sich Mensch ssen. die Katharina en überlegen, Zacharias Ende Engagierte zum ihr Engagement ob sie Januar aus dem Alltag. Anfang für ihre Stadt, des JahBriefkasten res sorgten einige ihre Gemeinde oder nahm, zeigte ihren Kreis nicht Fälle für besonde Strichmännche ein öffentliches Aufsehe lieber sein res n mit langen lassen, weil sie Angst haben n: In Niedersachsen Haaren. Es baumelte erklärte Arnd an einem Galgen. müssen vor Bedrohu ng, Focke (SPD) nach Das Bild dann läuft etwas steckte in keinem Hakenkreuzsc tig schief in richhmierereien Briefumschlag. unserem Land“, auf seinem auch immer es Wer und Hetze im Auto sagt Lars gezeich net hatte, Klingbeil. Der Internet seinen SPD-Ge musste es persönlich Rücktritt als Bürgermeister in Zacharias‘ auch selbst regelmä neralsekretär, der Briefkasten von Estorf. „Ich gesteck t haben. ßig Ziel von Anfeinme angesic hts nehdungen wird, massivster persönl hat deshalb Bundespolitikerin Die 29-Jähr ige rechter Anfeind ein Treffen icher nen und mit seinen Kollegin wohnt in Halden ungen, Bedrohu -politiker stehen leben, sitzt dort nen und Kollege szurzeit und Diffam ierunge ngen der anderen Parteien für die SPD im n unter Polizeisc n meinen Hut, Stadtrat. Seit wenigen hutz. im Bundestag mich und mein um Wochen ist Ausnah me der mit ganz privates sie stellverAfD tretende Vorsitze angereg Umfeld QUELLE: BUNDESINNE zu schützen“, t, das Ende Januar stattfan nde NMINISTERIU schrieb er auf M d. „Bei allen Anhalt. Die Morddr der SPD SachsenFacebook. Er habe länger politisc hen Differenzen haben ohung bekam über seinen vermutet Kathari sie, so wir schnell gemerk Rücktritt nachgedacht, dass wir in dieser na Zacharias, t, angesic hts der weil sie zuvor eine rassistis Frage alle im massiven Anfeindungen selben Boot sitzen“, che Büttenrede jedoch keine unterst Karneval kritisier im Alternative gesehen, erklärte Ein zweites Treffen reicht Klingbeil. t hatte. Zachari der 48-Jähr ige. stattete Anzeige as ergeben, bei dem um konkrete und es Möglich keiten öffentlich. „Galgen machte die Sache Einschüsse im gehen soll, Ehrenamtliche ist schon heftig“, Bürofenster besser zu schütze kommentierte Weil er keinen daraufh in ein geplant. n, ist anderen Ausweg AfD-Stadtrat auf Faceboo griff Christo sah, k. „Steinigungen Die Bundesregieru ph Landscheidt, wären für das Volk besser.“ ng hat bereits Bürgermeister von vergangenen im Kamp-L intfort Jahr Vorschläge Bedrohu ngen in Nordrhein-Westfalen gemacht, die nun nach wie , zu einem drastisc und nach umgese Zacharias gehören die von Katharina Mittel. Nachde hen tzt werden. „Wer im inzwisc hen für m ihm trotz Netz Kommu nalpolit hetzt viele und droht, wird massiver Bedrohu ng von in Zukunf t härter ikerinnen und rechts Persone Kommunalpolitiker sowie und effektiv nschutz versagt worden er verfolgt“, kündig andere ehrenam war, wollte t Bundesjustizm tlich der SPDPolitiker einen inisterin Christine Lambre Einschussloch Waffenschein cht an. Sie will im Bürobeantrasoziale Netzwerke wie fenster von Karamba Facebook und Diaby Twitter dazu verpflic hten, Drohun gen, Straf Straf- D ITE! DER DEUT SCH schossen Unbekan 1/2020 ET 1876 36 FOTOS: STEFFEN SCHELLHORN /MAGO IMAGES (2) DIE ZEITU NG und Am 15. Januar 1/2020 vorwärts TIT EL 9 1 28 gegnet werden kann. „Viele sind hilflos, wenn sie bedroht werden und wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen“, sagte Klingbe il bei dem Treffen. „Das wollen wir ändern, auch in der SPD.“ Hilfe aus dem Opfer von Einschüc hterungen: Stadträti kasten, Bürgerm n Katharina Zacharia eister Arnd Focke s hatte eine trat nach Hakenkr euzschmierereien Morddrohung im Briefals Bürgermeister taten und Hetze zurück. im AUFSTEHEN! DIE DEMOKRA TIE IST IN GEFAHR Netz nicht nur löschen, sondern zu von Bedrohungen auch an die leichter wird, Strafverfolgungsbehörd ihre Anschrift sperren en zu melden zu lassen. „Wir . Künftig sollen zudem müssen dafür sorgen, nicht nur eine dass der Rechtss Morddrohung, sondern taat stark ist, um die Mensch auch die Drohun en Körperverletzun g mit mokratie zu schütze und damit die Deg als Straftat n“, so Lambre geahndet werden. cht. Mitte Februar Wer anderen im Internet nahm die Bundes öffentlich mit tizministerin jusKörperverletzun auch an einem g droht, muss dann mit Runden Tisch Teil, zu bis zu zwei Jahren dem SPD-Gen rechnen, bei Haft eralsekretär Klingbeil eingelad Morddrohunge n en hatte. Betroffe mit bis zu drei Jahren. Vertreter aus Auch das Meldere ne, der Bundespolitik cht soll reformiert werden der sowie Zivilges , sodass es für ellschaf t berieten Opfer im WillyBrandt-Haus, wie den Anfeind ungen be- Demonstration in Berlin nach der Wahl von zum thüringis Thomas Kemmeri chen Ministerp ch räsidenten Willy- .de/klingbeil EIN VE RE IN GEGE N RA SSI SM US EINTR ACHT FRANK Fußball-Bundesligis FURT Der Haltung im Kamp t zeigt f gegen rechts Von Jonas Jordan T TITELFOTO: F. BOILLOT/SNA PSHOT-PHOT OGRAPHY NACH DEM THÜ RINGER TABUBRUCH Brandt-Haus Der Genera lsekretä r schlägt deshalb eine Anlaufs telle oder eine Hotline im Willy-Brandt-H aus vor. Auch die Parteischule soll BEDROH UNG Kommu nalpolit VON ikerinnen und Kommu RECHTS nalpolitiker besser darauf vorbereiten, was sie bei So hat SPD-Frak Bedrohu ngen tionschef tun können Matthias Hey . Zudem will die Wahl von das WillyBrandt-Haus Thomas Kemmeri einen Leitfade ch n für die Glieder ungen vorwärts.de/hey erlebt. erstelle ler Eingreif truppe n. Eine Art schnelRadikale Kräfte im Internet wie die AfD könnte Menschen, lassen sich nicht die angefeindet „zähmen“, werden, in sozialen Netzwe meint der FES-Vorsi rken zu Hilfe tzende Weitere Ideen eilen. Kurt Beck. sollen folgen. „Ich möchvorwärts.de/beck te, dass jeder in der SPD weiß, wo ihm geholfen wird, Nach den Ereignisse wenn er bedroht n in wird“, gab Klingbeil Thüringen wird die Richtung die SPD vor. mehr denn je „Die SPD sollte gebraucht, dafür sorgen, betont Hans-Joc dass wir uns als Betroffe hen ne miteinander vorwärts.de/voge Vogel. vernetzen können“, l sagte Kathari na Zacharias nach dem Treffen Wie die SPD bedrohte . Eine zentrale PoliAnlaufstelle findet sie tiker schützen gut: „Damit der will, erklärt BundesGeneralsekretär verband Beschei Lars d weiß und Klingbeil im Interview Hilfestellung leisten kann.“ . ■ vorwärts ehret den Anfäng en von D drucken lassen. Mit der Aufschr ift „Eine Stadt. Ein Verein. Gegen Rassism Faschismus, Homop us, hobie.“ Er verteilt im Stadion und sie im Freundeskreis. Für Vielfalt, gegen Faschismus „Ich wollte aktiver gegen die Entwick lung eintrete n, dass Faschis mus und Rassismus wieder salonfä higer geworden sind“, sagt Braun. Er ist überrascht über die positive Resonanz. Inz 8 28 SIE WOLLEN WISSEN, WIE DIE ENERGIEWENDE IN DEUTSCHLAND UMGESETZT WIRD? Imme werkt r um 6. ags 00 Uh r › Sie sind an der Mobilität der Zukun interessie? › Sie wollen wissen, welche Auswirkung der Klimaschutz auf die Städte hat? › Sie wollen die Entscheider für kommunale Infrastruktur kennenlernen? Dann sollten Sie das kostenlose ZfK-Morning Briefing kennen und sich direkt anmelden! ZfK. 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