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Full text: Spätlese (Rights reserved) Ausgabe 2020,11/12 (Rights reserved)

Ausgabe November-Dezember 2020 Spätlese Das Magazin für aufgeweckte Seniorinnen und Senioren 78. Ausgabe der Spätlese Liebe Seniorinnen und Senioren, liebe Leserinnen und Leser! Das Jahr 2020 – wahrlich ein Jahr der Unwägbarkeiten – neigt sich dem Ende zu. Es stand und steht ganz im Zeichen der Corona-Pandemie. Die damit verbundenen ständigen Änderungen in vorausgeplanten Abläufen machten auch die redaktionelle Arbeit nicht einfacher. Aber dem „Spätlese-Team“ ist es trotz dieser Misslichkeiten gelungen, wieder eine lesenswerte Ausgabe zu erstellen. Kempen Dettmann taucht wieder ein in die Geschichte der Dörfer Marzahn, Biesdorf, Kaulsdorf, Mahlsdorf und Hellersdorf, die heute den Bezirk Marzahn-Hellersdorf bilden. In den „Gärten der Welt“ macht er uns mit dem berühmten Gartenarchitekten und Gartenphilosoph Karl Foerster bekannt. Die Zentralstelle für Prävention beim Landeskriminalamt Berlin hat uns einige Beiträge zu aktuellen Problemen der Seniorensicherheit zugesandt, mit deren Veröffentlichung wir in dieser Ausgabe beginnen. Unser Reporter Günter Knackfuß stellt die Juwelen des Klosters Neuzelle vor und Ursula A. Kolbe besuchte den Museumspark der Industriekultur Rüdersdorf, die Ausstellung „Von Luther zu Twitter und 500 Jahre Medien“ im Deutschen Historischen Museum, und sie erinnert daran, dass Wilhelm Conrad Röntgen vor 125 Jahren die X-Strahlen entdeckte. Natürlich nimmt auch in dieser letzten Ausgabe des Jahres das Thema „Weihnachten“ seinen besonderen Platz ein. Prof. Dr. med. Carl Diehm stellt fest, dass Nüsse gesund sind, Redaktionsteam Spätlese aber auch Vorsicht geboten ist. Ich stelle ihnen die Geschichte des Pflaumentoffels vor. Der Pflaumentoffel ist ein aus Trockenpflaumen zusammengestecktes Männlein. Er ist ein typisches Symbol für die Dresdner Weihnacht und insbesondere für den Dresdner Striezelmarkt. Wer allerdings noch auf der Suche nach einem besonderen Weihnachtsgeschenk für seine Frau ist, der sollte den Beitrag von Ursula A. Kolbe „Dürfen`s Gold-Nuggets à la Wachau sein?“ über Ihren Besuch bei einem Vergolder in Krems an der Donau mit besonderer Aufmerksamkeit lesen. Schließlich berichte ich noch davon, wie der italienische Weihnachtskuchen Panettone in deutschen Haushalten dem Christstollen Konkurrenz macht. Ich jedenfalls bleibe dem Stollen treu! In diesem Sinne wünsche ich geruhsame und gesunde Weihnachtstage und einen ebensolchen Start ins Jahr 2021. Ihr Hans-Jürgen Kolbe Inhaltsverzeichnis Der Gartenprofessor ...................................................................3 Jahrestage 2020: November und Dezember.............................. 4 Sicher in und nach der Krise .......................................................5 Ist Panettone der neue Stollen? ..................................................7 Dürfen`s Gold-Nuggets à la Wachau sein? ................................ 9 Von Luther zu Twitter und 500 Jahre Medien ......................... 10 Röntgen und die Entdeckung der X-Strahlen..........................12 Wieder ein „Weihnachten im Tierpark“ ................................... 13 Museumspark-Flair mit Geschichte und Zukunft ....................14 Die Juwelen vom Kloster Neuzelle ............................................15 Nüsse – ein wertvolles Nahrungsmittel ....................................17 „Notausgang“ immer noch nur halb offen ...............................20 Was ist mein Leben? .................................................................22 Willkommen im Anthropozän ..................................................23 Die Geschichte vom Pflaumentoffel .........................................24 Wir wünschen Ihnen gesunde Weihnachtstage und einen ebensolchen Start ins Jahr 2021 www.magazin-spätlese.net ! von 25 2 ! Aus dem Bezirk Der Gartenprofessor von Kempen Dettmann Wer die „Gärten der Welt“ in Marzahn/ Hellersdorf besucht macht sich zu Recht auf eine Weltreise und sucht sicherlich in erster Linie die etwas exotischen Gärten auf: Foto: Kempen Dettmann Nach China, Japan, Korea, Bali, in den Orient, nach England und Italien führt diese Reise durch die Themengärten. Seit 2017 kamen die Der Karl-Foerster-Staudengarten internationalen Gartenkabinette hinzu, die den in den „Gärten der Welt“ Besucher von Australien, über den Libanon nach England, China, Thailand, Südafrika, Chile, Brasilien und Los Angeles führen. Mit dieser wahrlich weltumfassenden Darstellung sind die „Gärten der Welt“ so auch einmalig in der Welt. Mag sein, dass der eine oder andere Besucher versäumt, seine Reise auch nach Deutschland zu führen, denn in den „Gärten der Welt“gibt es auch einen deutschen Garten – den Karl-FoersterStaudengarten. Hinter dieser fachlich-technischen, etwas trockenen Bezeichnung steckt allerdings eine ganze Gartenphilosophie, die eben von Karl Foerster geprägt wurde. Die Spezialisten wissen das: bei einigen Führungen habe ich das deutlich gemerkt. Eine Gruppe finnischer Landschaftsarchitekten fragte gleich zu Beginn ihres Besuchs nach dem FoersterGarten und Gartenarchitekten aus der Schweiz wollten unbedingt den Garten zuerst sehen. Schon diese Beispiele belegen, welch internationale Größe mit Karl Foerster die „Gärten der Welt“ den Besuchern darbieten. Foerster war Professor, Gartenarchitekt, Züchter, Schriftsteller. Er lebte von 1874 bis 1970. In diesem Jahr jährt sich also sein 50. Todestag. Der Karl-Foerster-Staudengarten in den „Gärten der Welt“sticht durch seine türkisfarbige Pergola aus dem bewaldeten Umfeld hervor. Auf insgesamt 3.600 qm sind formale Gartenbereiche mit geometrischen Beeten, eingerahmt durch Buchsbaumhecken, zu sehen, die außerhalb der Pergola von landschaftlich geformten Gartenteilen kontrastiert werden. In den Beeten finden sich natürlich Stauden, die Foerster seinerzeit gezüchtet hatte. Sie sind auch ein Spiegelbild der Idee Foersters von den Farbdreiklängen. Grundlage für eine derartige Gestaltung war Foersters Buch „Einzug der Gräser und Farne in die Gärten“, das er 1957 geschrieben hatte und das jeder Landschaftsarchitekt kennen muss. „Es wird durchgeblüht“, schrieb er einstmals zur Gestaltung eines Gartens. Besonders stolz auf Karl Foerster sind die Potsdamer. In Potsdam-Bornim verwandelte Foerster ein 5.000 qm großes Ackergelände 1910 zu einem Gartenreich mit dem berühmten Senkgarten. Von dem von ihm entworfenen Wohnhaus hatte er immer einen freien Blick auf diesen Garten. Er ist übrigens der meist besuchte Privatgarten Deutschlands. Auch viele internationale Besucher kommen nach Bornim. Hier züchtete Foerster viele neue Sorten von Stauden und anderen Vielblühern. Schon bald nach Eröffnung dieses Gartenwunderlandes galt es als etwas Besonderes, bei der Gärtnerei Foerster zu arbeiten. Foerster selbst wurde von seinen Angestellten liebevoll „Karlchen“ genannt. Schon bald erhält Foerster auch große Aufträge, darunter z.B. die Bepflanzung der Anlagen um Schloss Cecilienhof (heute Gedenkstätte des Potsdamer Abkommens von 1945). Oder auch die Restaurierung des www.magazin-spätlese.net ! von 25 3 ! Goethe-Gartens in Weimar, in dem noch heute viele Pflanzen vorzufinden sind, die aus seiner Gärtnerei stammen. Besondere internationale Wertschätzung erwarb sich Foerster allerdings mit seinen unzähligen Neuzüchtungen. Die Phlox, die Feuerblume, hatte es ihm dabei besonders angetan. Mit etwas Schmunzeln hat er einmal gesagt und dann auch aufgeschrieben: „Ein Garten ohne Phlox ist ein Irrtum!“ Während der Kriegsjahre lagen Züchtung und Verkauf natürlich brach. Es musste Gemüse angebaut werden und Foerster schimpfte ständig über das viele Unkraut, das an seine kostbarsten, wichtigsten Neuzüchtungen heranwuchs. 1945 nimmt die sowjetische Militäradministration „die Gärtnerei als Züchtungs- und Forschungsbetrieb winterharter Blütenstauden“ unter Schutz. Erzählt werden auch seine spezifischen Züchtungsmethoden: Er sperrte 2 Pflanzen, die er kreuzen wollte, in einem Raum ein und ließ dazu Bienen rein, die dann die Arbeit – Bestäubung – verrichteten. In unzähligen Büchern und Schriften hat Foerster sein Wissen und seine Erfahrung hinterlassen. Er war auf diese Weise auch Philosoph. „Ich glaube, dass der Gärtnerberuf ebenbürtig den vornehmsten und auch geistesspannendsten Betätigungen des Menschen ist.“ Über sich selbst hat er einmal gesagt: „Ich bin kein Träumer, wie manche meinen, sondern ein Traumverwirklicher.“ Die „Gärten der Welt“ haben ihm mit dem Staudengarten ein würdiges Denkmal gesetzt. Aus dem Bezirk Jahrestage 2020: November und Dezember von Kempen Dettmann Foto: SCHILKIN GmbH & Co. KG Das Firmengelände der SCHILKIN GmbH & Co KG. in Kaulsdorf Die Geschichte der Dörfer Marzahn, Biesdorf, Kaulsdorf, Mahlsdorf und Hellersdorf, die heute den Stadtbezirk Marzahn-Hellersdorf bilden, erweckt immer wieder das Interesse unserer Leser. Alle fünf Ortsteile gehörten einst zum Landkreis Niederbarnim und wurden 1920 durch das GroßBerlin-Gesetz nach Berlin eingemeindet. So ist es auch seit mehreren Jahren zu einer guten Tradition geworden, dass der Heimatverein Marzahn-Hellersdorf e.V. alljährlich ausgewählte Daten von Jahrestagen herausgibt. Es handelt sich um eine Übersicht von wichtigen Jahres- und Gedenktagen, die den Bezirk betreffen. Denn Marzahn und „seine Dörfer“ sind ja schon viel, viel älter als der jetzige Bezirk. Bedeutsame Ereignisse, die Entstehung historischer Bauten, Geburts- und Todestage bekannter Persönlichkeiten des Bezirks sind in dieser Zusammenstellung zu finden. Wir schauen in die Monate November und Dezember: www.magazin-spätlese.net ! von 25 4 ! 425 Jahre Am 11. Dezember 1595 wird Konrad von Burgsdorf geboren. Der brandenburgische Staatsmann ist von 1643 bis zu seinem Tod 1652 Besitzer des Halben Dorfes Marzahn. 400 Jahre Henning Ryke (Reiche) verstirbt im Jahre 1620. Der Berliner Bürger, Besitzer des halben Dorfes Marzahn von 1590 bis 1601, ist der letzte männliche Nachkomme der Familie, nach der die Rykestraße in Prenzlauer Berg benannt ist. 150 Jahre Am 6. November 1870 wird Karl Janisch geboren. Von 1907 bis 1909 war er der Konstrukteur der Biesdorfer Luftschiffhalle und Architekt des denkmalgeschützten Kuhstalles auf dem Gutshof Biesdorf. 100 Jahre Elise Voigt, Tochter von Karl Adolf Landré, Gutsbesitzer Alt-Kaulsdorf 1-11, dessen Besitz nach seinem Tod an sie übergegangen ist, verstirbt am 17. November 1920. Auf dem Hof befindet sich heute die Firma Schilkin. In Kaulsdorf gründet sich eine Gemeinde der Neuapostolischen Kirche, der etwa 50 Personen, die u.a. in Hellersdorf, Biesdorf, Mahlsdorf und Marzahn wohnen, angehören. 85 Jahre Am 8. Dezember 1935 findet im Lokal „Carl Erbes Lindengarten“ in der Prinzenstraße 45 (heute: Prignitzstraße 100) erstmals ein katholischer Gottesdienst in Biesdorf-Nord statt. Ab 1936 besteht eine Kuratie (Seelsorgebezirk). 75 Jahre Am 9. November 1945 verstirbt Otto Rechnitz, Gründer der Märkischen Wachsschmelze Kaulsdorf. Er war am 20. April gesundheitlich geschwächt aus dem jüdischen Sammellager Iranische Straße entlassen worden. Am 1. April 1933 war ihm der Zugang zu seiner Firma verweigert worden. Sie wurde später zwangsversteigert. 40 Jahre Am 15. Dezember 1980 fährt der erste S-Bahn-Zug zwischen Lichtenberg und Otto-Winzer-Straße (heute: Mehrower Allee) Gleichzeitig wird der S-Bahnhof Bruno-Leuschner-Straße (heute: RaoulWallenberg-Straße) in Betrieb genommen. 25 Jahre Der Arche – Christliches Kinder- und Jugendwerk e.V. wird am 25. November 1995 von Bernd Siggelkow von der Evangelischen Freikirche Hellersdorf gegründet. Politik, Wirtschaft, Soziales Sicher in und nach der Krise Von Monika Weiß, Landeskriminalamt, Zentralstelle für Prävention Auch wenn seit langem die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf den Auswirkungen der Covid 19 – Pandemie liegt, sind andere Probleme nicht verschwunden. Betrüger und Diebe gehen weiterhin ihrem „Geschäft“ nach und passen sich dabei auch neuen Gegebenheiten an. www.magazin-spätlese.net ! von !25 5 Ihre Ziele - Geld und Wertsachen – bleiben dagegen immer dieselben und auch wenn man nicht alle Varianten aufzählen kann, die Grundmuster der Tricks bleiben gleich. Deswegen gelten immer wieder dieselben einfachen Verhaltensregeln, die vor Schaden schützen. Es klingelt an der Tür: Vergewissern Sie sich erst, wer zu Ihnen will (Türspion, Gegensprechanlage). Sollte Foto: Polizei Berlin eine fremde Person dort stehen, sichern Sie die Tür beim Öffnen mit einer Kette o. ä. Bleiben Sie auch bei Ärmelabzeichen der Polizei Berlin anscheinend plausiblen Anliegen misstrauisch. Werden Sie um eine Gefälligkeit gebeten, lehnen Sie alles ab, was Einlass in Ihre Wohnung erfordern würde! Bei angeblichen Handwerkern oder Amtspersonen rufen Sie bei den zuständigen Stellen an, z.B. der Hausverwaltung oder Polizei, und fragen nach, ob alles seine Richtigkeit hat. Während Sie das tun, bleiben die Fremden draußen vor der geschlossenen Tür. Sollten Sie keine Gewissheit bekommen, dass die Person „echt“ ist, lassen Sie sie nicht ein. Weil Sie in Ihrer Wohnung Zeit und Ruhe haben zu prüfen, wer zu Ihnen will, gehen Täter verstärkt dazu über, Sie schon beim Nach-Hause-kommen vor der Tür anzusprechen. Denn in dieser Situation fällt das Prüfen schwerer. Wenn Sie ein Handy haben, könnten Sie dort wichtige Nummern speichern (z. B. Hausmeister, Gesundheitsamt, Nachbarn, Polizeiabschnitt). Alternativ könnten Sie überlegen, bei welchen Nachbarn oder umliegenden Geschäften Sie um Unterstützung bitten können. Oder Sie denken sich „Ausreden“ aus, z. B. dass Sie ein Familienmitglied herbeirufen wollen. Wichtig ist, dass Sie sich vorab gedanklich für eine solche Situation wappnen, damit man Sie nicht leicht überrumpeln kann. Egal, was man Ihnen erzählt: Nehmen Sie niemand Fremdes mit in Ihre Wohnung. Auch am Telefon gibt es neben „Altbewährten“ (z. B. Enkeltrick) immer wieder neue Maschen, um Sie zur Übergabe von Geld und Wertsachen zu überreden und auch hier gilt wie immer: ‣ Raten Sie nie den Namen eines Anrufenden. Wenn sich der Gesprächspartner nicht selbst vorstellt, legen Sie auf. ‣ Geben Sie am Telefon niemals Auskunft über Ihre Vermögensverhältnisse und Ihre persönlichen Daten. ‣ Übergeben Sie nie Geld an Fremde bzw. Ihnen unbekannte Mittelspersonen Das ist nichts Neues? Das stimmt und trotzdem klappt es immer wieder! Tauschen Sie sich immer wieder einmal im Verwandten- und Bekanntenkreis aus, so verhindern Sie, doch einmal „auf dem falschen Fuß“ erwischt zu werden. Erstatten Sie auf Ihrem Polizeiabschnitt oder per Internet Anzeige (auch, wenn die Täter bei Ihnen nicht erfolgreich waren). Im Notfall rufen Sie natürlich die 110 an. Wenn Sie Fragen zur Vorbeugung haben: Wir beraten Sie gerne. Ansprechpersonen für Seniorensicherheit des LKA Berlin, Tel.: 4664-979222. www.magazin-spätlese.net ! von 25 6 ! Kultur, Kunst, Wissenschaft Ist Panettone der neue Stollen? von Sonja Helms, Hans-Jürgen Kolbe Erstmals urkundlich erwähnt wird der Dresdner Christstollen 1474 auf einer Rechnung des Foto: Imago christlichen Bartolomai-Hospitals. Seither hat er einen unvergleichlichen Siegeszug in die weihnachtlichen Rituale in allen deutschen Landen Weihnachtlicher Panettone angetreten. Als gebürtiger Dresdner ist für mich ein Weihnachtsfest ohne Stollen schlichtweg nicht vorstellbar. Selbst in den schweren Nachkriegsjahren im zerbombten Dresden stand an jedem Weihnachtsfest in meiner Kindheit ein Stollen auf dem Tisch. Mir ist bis heute schleierhaft, wie meine Eltern das bewerkstelligt haben. Fest steht jedenfalls: Der Stollen gehört heutzutage zu den weihnachtlichen Lieblingsdesserts der Deutschen. Doch seit Jahren macht sich Konkurrenz breit – ein Weihnachtskuchen aus Italien: Der Panettone ist die italienische Antwort auf den Stollen und darf auch hierzulande zum Fest gerne aufgetischt werden – er schmeckt nämlich köstlich! Der Panettone sah nicht immer so aus wie heute. Früher war der lockere Weihnachtskuchen eher flach, wie ein Brot. Mit der Zeit wurde er höher, was unter anderem daran liegt, dass er in einer Papiermanschette gebacken wird. Er stammt aus dem Norden Italiens, so viel ist sicher. Aber wurde der Panettone von einem Küchenjungen erfunden? Oder von einem verliebten Gesellen? Suchen wir nach einer Antwort! Uns interessiert vielmehr: Wie ist er eigentlich entstanden? Wer hat ihn erfunden und wann? Das ist leider nicht so genau überliefert. Und wie bei jeder Spezialität, deren Herkunft unklar ist, rankt sich so manche Legende um ihre Entstehung. Weil Weihnachten die Zeit der herzerwärmenden Geschichten ist, erzähle ich Ihnen zwei der bekanntesten. So entstand Tonis Brot Es war einmal… ein Küchenjunge. Er hieß Toni und diente in Mailand am Hofe des italienischen Herzogs Ludovico Sforza. Viel ist nicht von Toni überliefert. Bescheiden soll er gewesen sein, sicher auch klug, fleißig und talentiert. Immerhin so talentiert, dass er eines Tages seinen Küchenchef zu retten wusste. Das Unglück geschah ausgerechnet an Weihnachten. Der Chef patzte, und zwar gewaltig! Er hatte ein fürstliches Bankett zu organisieren, alle Adligen der Gegend waren geladen, in der Küche herrschte große Aufregung. Überall wurde geschnippelt und gerührt, gekocht und gebraten, und alles ging gut - bis der Küchenchef feststellte, dass er die Süßspeise im Ofen vergessen hatte. Der Höhepunkt des prunkvollen Mahls: verbrannt! Es war eine Katastrophe, Toni hatte seinen Chef nie so verzweifelt gesehen. Also nahm der Küchenjunge all seinen Mut zusammen und sagte, er habe aus übrig gebliebenen Zutaten wie Mehl, Butter, Zucker und Eiern, kandierten Früchten und Rosinen einen Kuchen gebacken. Der Chef könne ihn nehmen, wenn er nichts anderes habe. Da dieser keine Wahl hatte, servierte er ihn der adligen Gesellschaft und stand zitternd hinter dem Vorhang, um die Reaktion der Gäste zu beobachten. Die aber waren - entzückt. Als der Herzog nach dem Namen des Gebäcks fragte, www.magazin-spätlese.net 7! von 25 ! verriet ihm der Küchenchef sein Geheimnis und sagte, es sei das „Brot des Toni“, "pan del Toni". Daraus wurde mit der Zeit der "Panettone". So erzählt man sich es. Das Ganze soll sich vor etwa 500 Jahren abgespielt haben. Wahr daran ist - so gut wie nichts. Die Geschichte erinnert ein wenig an die Geschichte der Sachertorte, die ebenfalls ein Küchenjunge erfunden haben soll. Schöner und romantischer ist folgende Legende. Verliebter Falkner Ugo, einer der Falkner am Hofe des oben genannten Herzogs Ludovico Sforza, soll sich jede Nacht in die Mailänder Altstadt geschlichen haben. Sein Ziel war eine Bäckerei. Vordergründig half er bei einem Bäcker namens Toni aus, der in Not geraten war. Aber eigentlich wollte er das Herz von Tonis schöner Tochter Adalgisa erobern. Trotz aller Bemühungen blieb der Erfolg aus. Der Bäcker und sein Gehilfe waren verzweifelt. Eines Tages entwendete Ugo seinem Herrn zwei Falken und verkaufte sie. Von dem Geld besorgte er Butter, die er mit in den Teig schummelte, ohne dass Toni es mitbekam. Schnell sprach sich herum, dass das Brot von Toni einen sensationellen Geschmack hatte - daraufhin wurde es sein Verkaufsschlager. Es lief so gut, dass er irgendwann auf die Idee kam, den Teig an Weihnachten noch mit Eiern, Rosinen und kandierten Früchten anzureichern, was ebenfalls gut ankam. Toni wurde seine Geldsorgen los, und Ugo und Adalgisa konnten endlich heiraten. Beide Legenden gibt es in zahllosen Varianten, die wir hier nicht weiter ausführen können, das würde den Rahmen sprengen. Die Wahrheit ist, wie so oft, sicher weitaus weniger romantisch. Eine Scheibe für den Heiligen Blasius Und wer weiß? Vielleicht stimmt das ja. Noch heute ist es in Italien Brauch, eine Scheibe Panettone erst am 3. Februar zu essen. Laut katholischem Kalender ist das der Tag des Heiligen Blasius, der im Winter vor Halserkrankungen schützen soll. Medizinisch ist das sicher anfechtbar, aber die Wissenschaft zieht gegen den Glauben und eine uralte Tradition sicher den Kürzeren. Dabei fällt mir ein, dass meine Oma auch immer einen Stollen bis Ostern aufgehoben hat. Aber gegen Halsschmerzen hat der Stollen nicht geholfen! Neben dem Original Panettone mit kandierten Früchten und Rosinen gibt es übrigens noch zahlreiche andere Varianten: mit Schokolade, mit einer Cremefüllung, mit Marsala oder mit Pinienkernen verfeinert - und auch ganz ohne Früchte. In dem Fall handelt es sich um einen Pandoro aus Verona. In welcher Form auch immer: In Italien gehört der Weihnachtskuchen auf jede Tafel. Wer ihn mag, zupft ihn und trinkt ein Glas süßen Wein dazu. Wohl bekommt's! Die Welt im Panettone-Rausch Es gibt wirklich einen Boom, nicht nur in Deutschland. In Großbritannien wurde schon mehr Panettone als traditioneller Christmas Pudding verkauft. „Handwerksbäckereien könnten den weltweiten Hunger nach abertausenden Panettone nicht stillen“, sagt Amerigo Martucciello, Präsident des italienischen Panettone-Konsortiums . Eine Statistik, wie viele der Italien-Klassiker nach Deutschland exportiert werden, gibt es zwar nicht. Aber in Italien vermelden Hersteller große Zuwächse: Von Spanien bis in die USA und nach Asien. Italien verfällt schon Wochen vor Weihnachten in einen regelrechten Panettone-Rausch. Es gibt Panettone-Messen, Panettone-Werbefilme, Panettone-Zeitungsartikel, Panettone-Kreationen mit Alkohol, Schokolade oder Trockenfrüchten. Es gibt sogar ein großes Panettone-Wettbacken. Dazu reisen auch Bäcker aus Tokio, New York und Sydney an. Die Berliner haben es nicht so weit. Wer zu Weihnachten einen Panettone auf den Tisch bringen möchte braucht sich nur in eines der drei „Centro Italia“ der Stadt begeben. www.magazin-spätlese.net ! von 25 8 ! Kultur, Kunst, Wissenschaft Dürfen`s Gold-Nuggets à la Wachau sein? von Ursula A. Kolbe Wenn Abfall zu Gold wird! Die Legenden und Märchen werden nicht alt, wenn gerade jetzt in der bevorstehenden Weihnachtszeit zu Büchern wie den Bild: Markus Bauer Märchen der Gebrüder Grimm gegriffen wird, um den Jüngsten daraus vorzulesen. Wir aber wollen Vergoldermeister Markus Bauer bei der Arbeit nicht in diese Wunderwelt abtauchen, sondern in seinem Atelier aufgreifen, wie im wahrsten Sinne des Wortes aus Abfall Gold wird, nämlich die Vergoldung von Marillenkernen; einer Frucht, die gerade der Wachau ihr Gepräge gibt. Wir besuchten den Vergolder- & Staffierermeister und Restaurator Markus Bauer aus Krems in eben der Wachau vor den Toren Wiens. Sein Hauptbetätigungsfeld sind echte Blatt-bzw. Silbervergoldungen wie auch Schlagmetallvergoldungen aus Messing, Aluminium und Kupfer. Aber die Gold-Nuggets à la Wachau bestätigen in der Tat: Was Markus Bauer anfasst, wird zu Gold: Seine mit einer 23karätigen Dukaten-Doppel-Gold-Blattauflage zu Schmuckstücken veredelten Kerne der Wachauer Marille haben längst Kultstatus. Auf diese Idee hatte ihn übrigens ein Winzer gebracht, der vor 30 Jahren mit der Bitte zu ihm gekommen war, ob er ihm nicht für den Opernball in Wien einen Marillenkern zu einer Brosche veredeln könne. Damit hatte er Bauers Ehrgeiz und seine sprichwörtlichen Handwerksfähigkeiten herausgefordert, in deren langen Prozess heute diese einmaligen Schmuckstücke tolle Blickfänge sind – Marillenkerne als Anhänger, Broschen oder Ohrgehänge. Sie sind originelle Mitbringsel oder Geschenke wie jetzt z. B. zu den bevorstehenden Weihnachtstagen. Auch unsere Pensionswirtin Annemarie Heller in Weißenkirchen, wo wir in diesem Jahr zwar verregnete, aber wie immer schöne Ferientage verbringen konnten, ist stolze Besitzerin solch ungewöhnlicher Accessoires. Sie trägt vergoldete Marillenkerne als Ohrschmuck und wenn sie ein Dirndl trägt, legt sie sich ein entsprechendes Samtband um den Hals. Was also einmal ein Abfallprodukt war, entsteht heute durch Bauers Berufsethos als Lehrling in Seefeld (Tirol) zum Vergolder und Kirchenmaler, dann als Geselle im väterlichen Handwerksbetrieb und seit 30 Jahren als dessen Inhaber geprägt. „Unsere Arbeit ist reine Handarbeit. Ein Beruf, in den man hineinwachsen muss, mit Liebe, Geschick und Feinfühligkeit“, sagt Markus Bauer. Das alles sind Voraussetzungen für die breite Palette an Arbeiten, die den Handwerksmeister prädestinieren. Und das sind: Marmorierungen auf Holz, Farbfassungen an Figuren und Statuen, Lüsterfassungen und Polierweißfassungen, Ergänzung und Restaurierung antiker Ornamentstuckrahmen und Profilrahmen. Ebenso Ergänzungen fehlender Ornamentikteile, fehlende Finger an Figuren, Schnitzteile und Entwurf neuer Ornamentikschnitzereien mit Vergoldungen und Fassung. Zur weiteren Auflistung gehören die fachgerechte Restaurierung und Konservierung sämtlicher kirchlicher (Altäre, Orgelprospekte, Kanzeln, Rahmen, Figuren, Statuen usw.) Und profaner (Rahmen, Luster, Antiquitäten, Kleinkunst usw.) Kunstgegenstände in Zusammenarbeit der Diözeseanbauämter, dem Bundesdenkmalamt und Landesbehörden. Fachliche Beratung nach www.magazin-spätlese.net ! von 25 9 ! Terminvereinbarung. Ergänzung und Schnitzarbeiten fehlender ornamentalen Zierrat, Anfertigung neuer Volksaltäre und Lesepulte. Vergolderkurse mit praktischer Einführung in der Technik Polimentvergoldung (Brannteinvergoldung) in der Akademie Geras. Kurzum, so kann man wohl sagen, eine Lebenserfüllung. Markus Bauer ist selbst in der Landesinnung Niederösterreichs und der Bundesinnung, Berufsgruppensprecher für den Beruf Vergolder und Staffierer, aktiv, um mit dazu beizutragen, seinen Beruf zu erhalten und weiterzugeben. Es existieren ja nur noch 11 Betriebe dieser Gilde, vor 15 Jahren seien es noch 22 gewesen. Und sicher ist es mit sein Verdienst, dass dieses Handwerk in die Liste des immateriellen Erbes der UNESCO eingetragen ist. PS: Weiteres erfahren Sie unter www.vergolder.cc Kultur, Kunst, Wissenschaft Von Luther zu Twitter und 500 Jahre Medien von Ursula A. Kolbe Bild: David von Becker Der Ausstellungsbereich „Buchdruck“ mit Luther-Porträts Einer der weltbekanntesten Politiker ist ohne Zweifel Donald Trump, der 45. Präsident der USA. Und er gehört zu den Menschen, deren Twitter-Account kaum zur Ruhe kommt. So wie auch Smartphones und Social Media das öffentliche Leben wie das des Einzelnen veränderte – und das nicht immer im positiven Sinne. Angesichts der aktuellen Debatte gerade jetzt in der Corona-Pandemie und in Wahlzeiten gewinnt die gegenwärtige Ausstellung „Von Luther zu Twitter. Medien und Politische Öffentlichkeit“ im Berliner Deutschen Historischen Museum an besonderer Bedeutung, beschäftigt sie sich doch mit den Wechselwirkungen von Medien, Politik und Gesellschaft. Stiftungspräsident Prof. Dr. Raphael Gross betonte dabei die Bedeutung der Medien, die nicht nur „Überbleibsel“ historischer Ereignisse seien, sondern diese vielmehr politisch-gesellschaftliche Umwälzungen angestoßen oder sogar erst ermöglicht hätten. „Gerade mit Blick auf die Digitalisierung zeigt sich diese Verflochtenheit von materiellen Voraussetzungen und immateriellen Prozessen sehr deutlich. Deshalb war es mir besonders wichtig, keine technikgeschichtliche Ausstellung zu präsentieren, sondern gezielt auf das Verhältnis von medialer Entwicklung und Veränderung der politischen Öffentlichkeit zu schauen.“ Anschaulich zeigt die Ausstellung, wie es zum aufklärerischen Ideal demokratischer Öffentlichkeit und freier Meinungsäußerung gekommen ist. Die Kuratoren Prof. Dr. Harald Welzer, Soziologe, und die Historikerin Melanie Lyon beleuchten vom Buchdruck und seiner Bedeutung für die Reformation die Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit im Zuge der Pluralisierung der Presselandschaft im 19. Jahrhundert über die Erfindung des Rundfunks und seine Bedeutung für das totalitäre NS-System bis hin zu den Bilderwelten des Fernsehens der Nachkriegszeit. Dabei werden die Kontinuitäten und Brüche eines auch immer medial bewegten Strukturwandels der Öffentlichkeit bis in die Gegenwart verfolgt. Nötig sind dabei aber auch immer medial besonders intuitive Personen und Gruppen, die das politische Potential eines neuen Mediums erkennen und www.magazin-spätlese.net ! von 25 10 ! für den eigenen politischen Erfolg einsetzen. Rund 200 kulturhistorische und zeitgenössische Objekte aus Deutschland, Österreich, Spanien, Großbritannien und China veranschaulichen, wie sich neue mediale Räume im Spannungsverhältnis von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit, Zensur und Protest, Überwachung und Emanzipation entwickelten. Am Beispiel zentraler Momente der deutschen, aber auch der internationalen Medienevolution wird sichtbar, wie sich das, was wir heute als demokratische Öffentlichkeit kennen, formiert hat und auch, was wir heute als demokratische Öffentlichkeit kennen, formierte und auch, wie es vielleicht in Auflösung begriffen ist. Auf 1.000 Quadratmetern entfalten sich dabei anhand von Originalobjekten wie den Flugschriften Martin Luthers, einer preußischen Zensurakte, einem Großlautsprecher aus der NS-Zeit oder der zerstörten Hauptplatine der von Edward Snowden geleakten Dokumente die Besonderheiten und Ambivalenzen der jeweiligen Medieninnovation. Fünf Epochen der Mediengeschichte Die Ausstellungsarchitektur inszeniert die Epochen der Mediengeschichte auf eine Weise, die die Umgestaltung der medialen Umwelten auch sinnlich erfassbar macht. Die Reformation wird so auch als Mediengeschehen erlebbar, wie z. B. ein Erstdruck von Luthers Übersetzung des Alten Testaments. Darin hat der ehemalige Besitzer nicht nur eine Luther-Radierung von Cranach, sondern auch Autographen von Luther und Melanchthon eingeklebt. Ebenso die anschließende Epoche der Flugschriften, Zeitungen und Manifeste als eine Phase umkämpfter Öffentlichkeit zwischen Aufbruch und Zensur. Schon damals wurde deutlich, dass sie auch zur Lenkung öffentlicher Meinung im Sinne des Obrigkeitsstaats genutzt werden konnte. Rundfunk und Fernsehen sind dagegen Echtzeitmedien und erlauben völlig neue Möglichkeiten der politischen Kommunikation, die sich in Spannungsverhältnissen von Unterhaltung und Propaganda, Aufklärung und Formierung entfalten. Ereignisse der Radiogeschichte, besonders die von Joseph Goebbels erkannte formative Kraft des Rundfunks werden genauso dargestellt wie der politische Schlüsselmoment des ersten Fernsehwahlkampfs der Geschichte, aus dem John F. Kennedy als Sieger hervorging, weil er das neue Medium weit besser beherrschte als sein Konkurrent Richard Nixon. Wir aber leben heute mit Blick in die Zukunft einer digitalen, sich nochmals pluralisierenden, aber auch polarisierenden Öffentlichkeit. Vor dem Hintergrund des Aufstiegs autoritärer und populistischer Strömungen und der Sorge um das Überwachungs- und Manipulationspotenzial digitaler Medien steht die Frage, was aus dem Versprechen einer demokratischen, vernetzten Weltgemeinschaft wurde. In der Ausstellung stehen dazu drei Szenarien nebeneinander: Per Zufallsprinzip betreten die Besucherinnen und Besucher einen von drei Ausstellungsgängen zur hochdynamischen Jetztzeit, zu den utopischen Hoffnungen, die in das Internet gesetzt wurden, oder den Gefahren, die mit einem digital gestützten politischen Totalitarismus einhergehen. Künstlerische Positionen wie Florian Mehnerts Fotoprojekt „Smartphone Stacks“ machen die Kehrseite digitaler Partizipation sichtbar: Der Mensch wird hier zum berechenbaren Datenmaterial. Fest steht: Im digitalen Zeitalter liegt die Zukunft - Transparenz und Bürgerbeteiligung eingeschlossen. Die Ausstellung ist inklusiv und barrierefrei. Inklusive Kommunikationsstationen, die jeweils mindestens zwei Sinne ansprechen, sind neben einem taktilen Bodenleitsystem, Gebärdensprachvideos, Ausstellungstexten in Braille, kontrastreicher Großschrift und Leichter Sprache Teil der Ausstellungsgestaltung. Ein Begleitbuch in deutscher Sprache ist im S. Fischer Verlag (320 Seiten, 18 Abbildungen, 18 Euro) erschienen. www.magazin-spätlese.net ! von 25 11 ! Kultur, Kunst, Wissenschaft Röntgen und die Entdeckung der X-Strahlen von Ursula A. Kolbe Foto: Arria Belli Am 8. November 1895 machte Wilhelm Conrad Röntgen in seinem Labor an der Universität Verschiedene medizinische Röntgenbilder Würzburg eine wichtige Entdeckung, eine wohl (Computertomografie) entscheidende in seinem Leben: Einige Meter von der mit Edelgasen gefüllte Entladungsröhre befand sich ein speziell beschichtetes Papier. Bei eingeschalteten Kathodenstrahlen begann es zu leuchten. Das Rätselhafte: Das Papier schimmerte auch dann noch, als die Entladungsröhre mit dicker schwarzer Pappe umschlossen war. Also wurde es von einer bislang unbekannten Art von Strahlung zum Leuchten gebracht. Röntgen nannte sie X-Strahlen und erzählte zunächst fast keiner Menschenseele von seiner Entdeckung. Lediglich seiner Frau teilte er mit, dass er etwas mache, „wovon die Leute, wenn sie es erfahren, sagen werden: „Der Röntgen ist wohl verrückt geworden.“ Er verbrachte die folgenden Wochen fast rund um die Uhr in seinem Labor, um die Eigenschaften der Strahlen zu erforschen. Dabei ging Röntgen mit jener Sorgfalt und Präzision vor, für die er unter Physikern ein so hohes Ansehen genoss. Bis zum Januar 1896 schrieb er drei wissenschaftliche Forschungsberichte zu den X-Strahlen. Das während dieser frühen Forschung entstandene Foto von den Handknochen seiner Frau Bertha mitsamt Ring sollte zu einer Ikone der Wissenschaft werden. Breite Resonanz unter den Wissenschaftlern Weil Kathodenröhren damals in vielen Labors stehen, werden die spektakulären Ergebnisse international rasch bestätigt. „Es ging wie ein Leuchtfeuer um die Welt“, sagte der Präsident der Universität Würzburg, Alfred Forchel. Auch der deutsche Kaiser Wilhelm II. ließ den StarPhysiker zu sich nach Berlin kommen, um sich von den geheimnisvollen, alles durchdringenden X-Strahlen berichten zu lassen. Viele Ehrungen wurden Röntgen zuteil, 1901 sogar der erste Nobelpreis in Physik. Die ursprüngliche Skepsis weicht schnell einem „Röntgenfieber“ – zu faszinierend ist die neue Möglichkeit, in den Körper und verschiedene Gegenstände zu blicken. Auf einem Röntgenbild sind Knochen gut zu erkennen, Weichteile dagegen nicht. In der Technik lassen sich mit ihnen Werkstoffe prüfen, im Labor die Struktur von Kristallen analysieren. Röntgenteleskope im Weltraum enthüllen energiereiche kosmische Prozesse, etwa bei schwarzen Löchern. Neuer Zweig der Medizin entstand Die Entdeckung vor 125 Jahren führte zu einem gänzlich neuen Zweig der Medizin - der Radiologie. Ungezählten Menschen hat das Verfahren bisher geholfen. Schon 1905 hieß es beim Kongress der Röntgen-Vereinigung zu Berlin: „In dieser vervollkommneten Weise sind die Röntgenstrahlen, (…) in allen Spezialfächern der Menschenheilkunde, (…) ein unersetzliches und unentbehrliches Hilfsmittel geworden.“ www.magazin-spätlese.net ! von 25 12 ! Daran hat sich bis heute nichts geändert. Röntgenstrahlen sind aus der Diagnostik nicht mehr wegzudenken. Und sie revolutionierten auch viele andere Bereiche der Forschung. „Die Doppelhelix-Struktur der DNA ist mit Röntgen-Beugung aufgelöst worden“, sagt Ralph Claessen, Leiter des Lehrstuhls für Experimentelle Physik IV an der Uni Würzburg. „Das ist für mich ein Meilenstein der Wissenschaft.“ Doch immer bescheiden geblieben Der am 27. März 1845 geborene Röntgen war der einzige Sohn eines angesehenen Tuchfabrikanten aus Lennep bei Remscheid. Als er drei Jahre alt war, wanderten die Röntgens in die Niederlande aus, lebten bis 1862 in Appeldorn, danach in Utrecht. Nach dem Studium des Maschinenbaus mit Diplom in Zürich promovierte er in Physik, lernte in der Schweiz auch seine spätere Frau Anna Bertha kennen. Nach neunjähriger Professur in Gießen kehrte Röntgen an die Universität in Würzburg zurück, wo er eben auch mit den X-Strahlen die Wissenschaft revolutionierte. Und allem Rummel um seine Person und Entdeckung zum Trotz blieb der Star-Physiker ein bescheidener, zurücklebender Mensch. Die Sommerzeit verbrachte er gern in seinem Haus in Weilheim in den Bayerischen Alpen. Er liebte die Natur, war begeisterter Bergsteiger und Jäger. 1900 nahm er eine Professur in München an. Dort verbrachte er den Rest seines Lebens und starb am 10. Februar 1923, vier Jahre nach seiner Frau. Seine wissenschaftlichen Erfindungen prägen unser aller Leben, heute und in weiterer Zukunft. Berliner Orte Wieder ein „Weihnachten im Tierpark“ von Ursula A. Kolbe Bild: Weihnachten im Tierpark/Michael Clemens Das wird die Berliner und Touristen, die die Hauptstadt besuchen, freuen: „Weihnachten im Tierpark“ lockt auch in diesem Winter vom 18. Schloss Friedrichsfelde in weihnachtlicher November bis zum 20. Januar nächsten Jahres mit Lichtinstallation neuen fulminanten Illuminationen in die größte Tierpark-Anlage Europas sowie das historische Schloss Friedrichsfelde. Bei einem Spaziergang durch den stimmungsvoll beleuchteten Tierpark sind viele neue Highlights zu entdecken, so z. B. das anmutige Glockenspiel, durch das man hindurch laufen kann, um das Zusammenspiel von Licht und Klang zu genießen, oder den Laser-Dschungel, wo die Besucher durch Licht und Nebel schreiten und dabei selbst spektakulär in Szene gesetzt werden. Ich bin davon überzeugt, dass so manches Erinnerungsfoto an unvergessliche Eindrücke noch lange daran erinnern wird. Gerade jetzt in Corona-Zeiten ist dieses Highlight eine angenehme Alternative zum herkömmlichen Weihnachtsmarkt ohne jeden hektischen Trubel und Gedränge. Ja, der Christmas Garden bekommt mit diesem winterlichen Lichterfest auch in diesem Jahr ein gebührendes Pendant im Osten. Mit romantischem Lichtzauber, einem zwei Kilometer langen Spaziergang www.magazin-spätlese.net ! von !25 13 durch eine stimmungsvoll beleuchtete Pflanzenwelt, beleuchteten Seerosen im Teich… Erstmalig in Berlin finden die Besucher im Tierpark einen poetischen Feuergarten. Abwechslung auf der Eisbahn: Dort, wo im Sommer Wasserfontänen lustig sprudeln, wird für das winterliche Lichtfest eine romantische Eisbahn eingerichtet. Kinder und Erwachsene können hier vor der erleuchteten historischen Kulisse des Schlosses Schlittschuh laufen. Und damit Appetit und Durst gestillt werden können, laden an den festlich geschmückten Hütten saisonale Köstlichkeiten wie Glühwein und andere weihnachtliche Leckereien ein. Bei einem anregenden Plausch am knisternden Feuer kann man sich sogar wieder aufwärmen. Tickets: Um für Jeden einen angenehmen Spaziergang zu ermöglichen, wird der Einlass auf eine bestimmte Personenzahl je Stunde begrenzt. Der Aufenthalt ist zeitlich nicht begrenzt. Um sich mögliche Wartezeiten an der Abendkasse zu ersparen, wird der Ticketerwerb im Vorverkauf empfohlen. Natur, Tourismus Museumspark-Flair mit Geschichte und Zukunft von Ursula A. Kolbe Kalksandstein – auch weißes Gold genannt. Rüdersdorf bei Berlin verdankt ihm seine Bekanntheit. Und der erste Tourismus – Dialog Blick auf die Schachtofenbatterie Berlin in diesem Jahr führte seine Teilnehmer hierher ins Freie, in den größten Museumspark für Industriegeschichte. Der Gastgeber Prof. Dr. Frank Schaal, Geschäftsführer der Museums- und Kultur GmbH Rüdersdorf, richtete dabei den Blick auf die Geschichte, Gewinnung und Verarbeitung von Kalksandstein an diesem Ort. Der Rüdersdorfer Kalkberg ist das größte Kalksandsteinvorkommen in Norddeutschland. Als Werkstein und als Branntkalk oder zu Zement verarbeitet, war er neben den Ziegeln aus der Mark Brandenburg der wichtigste Baustoff für die Metropole Berlin. Das Brandenburger Tor, Schloss Sanssouci in Potsdam, Berliner Olympiastadion und viele weitere bedeutende Bauwerke in Berlin und Brandenburg stehen für Kalkstein aus Rüdersdorf. Und das seit über 750 Jahren. Zu der Zeit fing man an, den Kalkstein zu brechen und zu brennen; spätestens seit dem 17. Jahrhundert galt Rüdersdorf als der Baustofflieferant für Berlin. Bis heute ist der Tagebau aktiv, und das Zementwerk exportiert den Zement europaweit. Bild: Museumspark Rüdersdorf/Lothar Barthel Einblicke in technische Bauwerke Der Rundgang mit Prof. Dr. Schaal durch den 17 ha großen Museumspark bei runden 30 Grad Celsius zu ehemaligen Transport- und Produktionsanlagen forderte einige Schweißtropfen, die aber viele interessante historische Einblicke in diese Kalksteinwelt schmelzen ließen, ist er doch das einzige in dieser Vielfalt erhaltene historische Kalk- und Bergwerk. Alle technischen Bauwerke, die nach Entwürfen berühmter Baumeister wie Schinkel errichtet wurden, bilden ein einzigartiges architektonisches Ensemble. Es gehört zu den bedeutendsten www.magazin-spätlese.net ! von !25 14 Industrie-Denkmälern Deutschlands. So informiert eine Ausstellungshalle umfassend über Kalksteinvorkommen und –nutzung, die Geologie, Mineralogie und Fossilienkunde von Rüdersdorf. Die Kalkscheune z. B., ein ehemaliges Lager für den gebrannten Kalk mit Grundmauern aus dem Jahre 1665, ist zur Museumsgastronomie umgestaltet worden. Das Dachgeschoss, einstmals Wohnung des Kalkbrennmeisters, wird über das Rüdersdorfer Standesamt als romantischer Eheschließungsraum genutzt. Als wir vor dem Portal des Bülowkanals standen, ahnten wir, dass die Steinbrüche über mehrere Kanalbauten mit dem Wasserstraßennetz Spree-Havel verbunden sind. Dieser Tunnel ist ein an die Revolutionsarchitektur von Johann Gottlieb Schlaetzer angelehntes geschaffenes Portal. So existiert noch der Heinitzkanal als Vorgänger des Bülowkanals. Er beherbergt heute die Vereinsräume des Rüdersdorfer Bergbauvereins. Als wir am restaurierten Seilscheibenpfeiler vorbeikamen, erfuhren wir, dass 1872 der Heinitzbruch mit den Gleisen der Ostbahn verbunden wurde und im Steinbruch ein Schrägaufzug angelegt, über den normalspurige Eisenbahnwagen und spezielle Werkswagen in den Bruch gebracht und beladen wieder hinauf gezogen wurden. Der Antrieb der Seilwinden erfolgte durch eine Dampfmaschine von 130 PS Leistung. Mit Flutung des Heinitzbruches 1914 endete der Betrieb dieser Anlage. In der „Kathedrale des Kalks“ dann, eine imponierende Schachtofenanlage, die von 1874 bis 1967 für die Branntkalkherstellung genutzt wurde, fühlte ich mich dann in eine andere Welt versetzt. Kein Wunder, dass dieser Museumsteil auch als Filmkulisse beliebt ist. Er ist zudem Ausstellungsobjekt und Veranstaltungsraum. Ursprünglich bestand die Anlage aus 18 Brennöfen des Rumfordschen Bautyps, von denen sechs in einer Reihe und zwölf in Doppelreihe angeordnet sind. Es gibt ebenso den Kranpark und einen Museumszoo samt kleinem Streichelzoo. Auf Fossiliensuche Wollen Sie 240 Millionen Jahre alte Kalksteine anfassen und nach Fossilien suchen? Dann auf zur geologischen Führung. Nach ein wenig Theorie im „Haus der Steine“ geht es mit dem Land Rover zur Sammelstelle im Tagebau, wo man spannende Funde machen kann. Übrigens wurde hier der Nothosaurus gefunden, besser gesagt – ein Skelett, heute im Berliner Naturkundemuseum zu bewundern. Die Gebäude, Anlagen und Freiflächen sind für jeden Besucher frei zugänglich und geben viel Raum für Kunst & Kultur, für Exkursionen, Seminare & Workshops, für Feiern und Geselligkeit. Darüber hinaus auch attraktive Ferienprogramme für Groß und Klein. Infos & Buchungen über Angebote: Tel.: 033638 / 799797; kasse@museumspark.de Natur, Tourismus Die Juwelen vom Kloster Neuzelle Günter Knackfuß Die wahren Schätze im Besitz der Stiftung Stift Neuzelle verbergen sich im Inneren der vollständig erhaltenen Klosteranlage aus dem 13. Jahrhundert. Tilmann Schladebach, Kultur- und Marketingchef der Stiftung, erläutert uns die Highlights des kulturellen Erbes: „Viele sprechen ja von einem Barockwunder. Doch wurde die ursprünglich gotische Anlage erst im 17. Jhrh. barockisiert. Glanzpunkte sind heute die prächtige Ausstattung der Stiftskirche St. Marien, der spätgotische Kreuzgang im Klausurgebäude mit Schätzen aus der Klosterausstattung und die Fresken in der Evangelischen Pfarrkirche zum Heiligen Kreuz. Mein absoluter Favorit aber sind im neuen Museum „Himmlisches Theater“ die Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab“. Bei Besuch und Rundgang ergibt sich für uns der große Vorteil, dass alle Klosterbauwerke als www.magazin-spätlese.net ! von 25 15 ! Ensemble dicht zusammen stehen und somit optimal erreichbar sind. Stiftskirche Weithin sichtbar der 70m hohe Glockenturm. In dem Gotteshaus haben italienische und böhmische Künstler ihre barocke Handschrift hinterlassen. Ein einmaliges Gesamtkunstwerk, ziemlich überladen, so dass etwas Orientierungshilfe benötigt wird. Zum Bild:Günter Knackfuß Beispiel für die Darstellungen von Engeln, Heiligen, Marienfiguren – Szenen aus dem Alten und dem Kloster Neuzelle mit Stiftskirche Neuen Testament. Oder die beeindruckenden Wandund Kuppelmalereien, dazu allein 12 Altäre und die Kanzel sowie die große Orgel. Eine beispiellose Pracht. St. Marien ist heute die Wallfahrtskirche für das Bistum Görlitz. Seit 2018 wirken wieder 6 Zisterziensermönche im neugegründeten Priorat Neuzelle, die ihr Leben nach den Regeln des Hl. Benedikt gestalten. Gegenwärtig laufen Verhandlungen mit der Stiftung für einen Klosterneubau in der Nähe des Ortes Treppeln. Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab Zu den bedeutendsten Kunstwerken aus der Ausstattung des Klosters gehören die Neuzeller Passionsdarstellungen. Europaweit gelten sie nach Umfang, Größe und künstlerischer Qualität als einzigartig. Das Heilige Grab besteht aus bis zu sechs Meter hohen bemalten Leinwänden und Holztafeln. Die fast lebensgroßen Figuren und Figurengruppen sind mit Leimfarbe auf Holz gemalt. Von den rund 240 großformatigen Tafeln und Leinwänden haben sich 220 erhalten. Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus... Die alles museal modern gestaltet in der Dunkelzone. Nachdem die Szenen Judaskuss, Kreuztragung und Weltgericht von Mathias Steier und Hans-Georg Wagner aufgestellt worden waren, wird jetzt eine weitere Passion gezeigt: die dritte Szene mit dem Titel „Jesus vor Kaiphas“. Abt Gabriel beauftragte 1751 den böhmischen Künstler Joseph Seifrit mit der durchdachten Gesamtkonzeption eines monumentalen Barocktheaters. 15 Szenen in fünf Bühnenbildern illustrieren mitreißend die biblischen Ereignisse von Leiden, Sterben und Aufstehen Jesu Christi. Der Neuzeller Passionszyklus nutzt theatralisch alle Mittel und ist auch technisch eine Meisterleistung – ein künstlerischer und geistlicher Schatz: eben das „Himmlisches Theater“. Klostergarten und Weinberg Um 1760 wurde östlich der beiden Klosterkirchen ein Garten im barocken Stil errichtet, der sich auf einer Fläche von ca. 4 ha in einen Abts- und in einen Konventgarten Die barocken Wege- und Wasseranlagen, die steil abfallenden Terrassen, die Orangerie sowie Teile des historischen Pflanzenbestandes sind original erhalten. Der Neuzeller Klostergarten gilt deshalb heute als einziger Barockgarten im Land Brandenburg. Er wurde in die Liste der 53 bedeutendsten Gartenanlagen Deutschlands aufgenommen. Der seit 2002 neu erwachte und bepflanzte Weinberg mit 1.500 m² ist Betätigungsfeld der Neuzeller Klosterwinzer. Sie pflegen und ernten 6 verschiedene Weinsorten an rd. 400 Rebstöcken. In ihrem Winzerhaus finden auch Verkostungen statt. Besuchenswertes ausserhalb der Klostermauern Klosterbrauerei Neuzelle Bereits seit 1589 besitzt das Kloster Neuzelle Braurechte. Das ursprüngliche Brauereigebäude der Mönche wurde 1892 bei einem Brand leider vollständig zerstört. Die um 1902 wieder aufgebaute Brauerei befindet sich direkt vor dem Kloster. In regelmäßigen Führungen kann man den Brauprozess live erleben und die Produkte verkosten. Dazu gehören u.a. Schwarzer Abt, Kirsch www.magazin-spätlese.net ! von !25 16 Bier, Ginger Bier. Braumeister P. Schauermann schwört auf die Traditionsbiere, die sich dauerhaft großer Beliebtheit erfreuen. Aber auch Sonderabfüllungen in 1 l-Flaschen sind begehrt. Im Klosterladen im Angebot: alle 40 Bier- und Brausespezialitäten, Bier-Brände, Gelees aus Schwarzund Kirschbier, Bier-Schokolade, Bier-Käse und passende Gläser. Strohhaus Neuzelle Das Fachwerkwohnhaus und die Fachwerkstallgebäude wurden 1780 erbaut und zählen zu den ältesten Bauwerken im Erholungsort Neuzelle. Heute als Museum für Ländliche Alltagskultur genutzt, erzählt das Anwesen u.a. vom Leben des Tuchmachermeisters Franz Flickschuh (Flickschuhs Bude). Er erbaute das Lehmfachwerkhaus mit Rohrdeckung und Roggenstrohfirst. Noch heute künden vom Wandel der Zeiten die drei Stuben, ein großer Werkstattraum, die Schwarze Küche und vier Bodenkammern. Der Wert dieser Häuser liegt in der originalen Substanz und der Anordnung der Räume aus der Erbauerzeit. Eiszeitfindling in Kobbeln 256 Tonnen wiegt der steinerne Koloß, den die Eismassen von der Insel Bornholm bis in die Lausitz transportierten. Der Syenitgranit hat etwa eine Länge von 7,30 m, eine Breite von 5,25 m, eine Höhe von 4,52 m sowie einen Umfang von 25 m. Entdeckt wurde das Ungetüm bereits im 17. Jhrh. aber erst 1925 freigelegt. Der „Kobbelner Stein“ ist Brandenburgs zweitgrößter Findling. Der größte unzerteilte Findling Brandenburgs ist übrigens der Kleine Markgrafenstein in den Rauener Bergen. Fahrt nach Forst In Forst/Lausitz können Blumenliebhaber den Ostdeutschen Rosengarten besichtigen. Eine Empfehlung natürlich vor allem im Sommer. Gegründet 1913 präsentieren sich heute auf einer Gesamtfläche von 17 Hektar zehntausende Rosenstöcke in fast 900 Sorten. Im Rosenpark dominieren Elemente des Jugendstils und dort befindet sich der größte Teil der Rosen. Sie präsentieren in verschiedenen Themenbereichen ihre Schönheit - auch ein Café an den Wasserspielen lädt zum Verweilen ein. Der Wehrinselpark, im englischen Landschaftsstil gehalten, überrascht mit seinem sehenswerten, altehrwürdigen Baumbestand, seinem lichten Grün und den weitläufigen Rasenflächen und Wegen. Außer dem Abstecher nach Forst kann auch der entschleunigte Besucher alle interessanten Orte in Neuzelle und Umgebung an einem Tag besichtigen. Ein Ausflug in die Geschichte, Kunst und Natur, der sich lohnt. Wer länger bleiben möchte, übernachtet natürlich im Landhaushotel „Prinz Albrecht“. Direkt am Klostersee mit Blick auf das Zisterzienserkloster gelegen. Gesundheit Nüsse – ein wertvolles Nahrungsmittel von Prof. Dr. med. Curt Diehm Nüsse sind ein gesundes Lebensmittel. In seinem aktuellen Gastbeitrag erklärt Prof. Dr. med. Curt Diehm, warum Nüsse auf den Speiseplan gehören sollten. Aber nur in Maßen. Der Verzehr von rund 70 Gramm Nüssen pro Tag kann signifikant den Blutfettspiegel senken. In 25 groß angelegten Bevölkerungsstudien an zusammen 583 Teilnehmer wurde wissenschaftlich die Wirkung des Nuss-Verzehrs untersucht. Bei regelmäßigem Nusskonsum kommt es zu einem www.magazin-spätlese.net ! von 25 17 ! Abfall des Gesamtcholesterins um 10,9 mg/dl und des schlechten LDL-Cholesterins um 10,2 mg/dl. Triglyzeride fielen um über 20 mg/dl ab. Erfreulich: Alle Nuss-Sorten, von Wal-, Hasel-, Pekan-, Erd- und Cashew-Nüssen bis zu Mandeln erwiesen sich als blutfettsenkend – wobei Erdnüsse keine Nüsse sind, sondern zu den Hülsenfrüchten gehören. Am besten wirken Nüssen bei schlanken Personen und höheren Konzentrationen des ungünstigen LDL-Cholesterins. Bild: thinkstockphotos.com Nüsse gehören also auf den Speiseplan - nicht nur in Eine Auswahl verschiedener Nüsse der Weihnachtszeit. Haselnuss, Walnuss und Mandeln sind als uralte symbolträchtige Zauber- und Heilpflanzen anzusehen. Nüsse haben in der Volksmedizin seit jeher einen wichtigen Platz gehabt. Bis in das 19. Jahrhundert hinein galten Mandeln als Aphrodisiaka. Walnüsse gesund für das Herz Spanische Forscher haben gezeigt, dass nach einem fettreichen Essen Walnüsse die Arterie noch besser elastisch halten als Olivenöl. Dr. Emilio Ros von der Universitätsklinikum in Barcelona untersuchte 24 gesunde Probanden. Alle Probanden verzehrten ein 3-gängiges Menü und als „Nachspeise“ bekamen sie entweder 4 Teelöffel Olivenöl oder 40 g Walnüsse. Im Anschluss wurden Ultraschalluntersuchungen durchgeführt. Diese ergaben, dass die Arterien der Nussesser nach der Mahlzeit elastischer und flexibler waren als jene der Kontrollgruppe. Die Autoren sind der Auffassung, dass Walnüsse wie auch Olivenöl nach fettreichen Mahlzeiten Entzündungsneigungen in den Arterien reduziert. Für die günstigen Wirkungen der Walnüsse wird die Linolensäure verantwortlich gemacht. Walnüsse sind reich an Antioxidanzien. Eine Handvoll Walnüsse enthält fast doppelt so viele Antioxidanzien wie die gleiche Menge anderer Nüsse. Das zeigte eine Studie der Universität von Scranton in Pennsylvania. In einer Vergleichsstudie waren Walnüsse viel effektiver als Vitamin E. Amerikanische Experten sind der Auffassung, dass Walnüsse zum Abhalten freier Radikale besonders gut wirksam sind und so den Körper vor Zellschäden schützen können. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass andere Nüsse durch die Hitze beim Rösten den Antioxidanzien-Charakter verlieren. Walnüsse werden bekanntlich Naturbelassen und ohne Erhitzen gegessen und dies scheint ein Vorteil zu sein. Vor den Kalorien sollte man keine Angst haben. Walnüsse sind zwar kalorienreich, aber sie haben eindeutig einen schützenden Effekt vor Arteriosklerose und sie führen auch in aller Regel zu keiner Gewichtszunahme, sondern können das Körpergewicht eher senken, da sie sehr stark sättigend wirken. Walnüsse bremsen Prostatakrebs Krebsforscher haben in einer Tierstudie gezeigt, dass Prostatatumoren langsamer wachsen und deutlich kleiner bleiben, wenn die Versuchsnagetiere Walnüsse zu fressen bekommen. Im Tierversuch waren Prostatageschwüre bei mit Walnuss gefütterten Mäusen im Schnitt die Hälfte kleiner als bei den Kontrolltieren. Ein gesunder Nahrungsfahrplan für die Prostata sollte demnach immer Walnüsse beinhalten. www.magazin-spätlese.net ! von !25 18 Cashew-Nüsse Cashew-Nüsse enthalten viel Vitamin A, D und E. Der Fettanteil in Cashew-Nüssen ist hoch, er reicht bis zu 42 Prozent. Es handelt sich dabei aber um „gesunde“ Fette. Haselnuss Haselnüsse enthalten viel Vitamin E. Haut und Haare profitieren davon. Haselnüsse haben einen hohen Anteil an Ballaststoffen. Ihr Fettanteil liegt allerdings bei 61 Prozent. Erdnuss Erdnüsse gehören eigentlich nicht zur Familie der Nüsse. Es sind Hülsenfrüchte. Sie sind optimale Eiweißlieferanten. Sie haben einen Fettanteil von 48 Prozent, enthalten aber mehrfach ungesättigte Fettsäuren und können dadurch sogar das Cholesterin senken. Paranüsse Paranüsse enthalten viel Selen, Eisen und Kalzium. Sie werden bei Osteoporose empfohlen. Macadamia Macadamia-Nüsse sind optimale Magnesium Lieferanten. Sie haben einen hohen Fettgehalt. Macadamia-Nüsse enthalten 690 kcal/100g. Walnüsse Walnüsse sind cholesterinfrei und enthalten einen hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren. Sie liefern daneben wichtige Omega 3 Fettsäuren, Ballaststoffe, Eiweiße, Magnesium, Vitamin E, Kupfer und Folsäure. Sie schützen vor Bluthochdruck und Zuckerkrankheit. Mandeln Mandeln sind cholesterinfrei und enthalten viele Vitamine und Mineralien. Pekannuss Pekan-Nüsse enthalten viel Vitamin B1 und Zink. Sie haben einen hohen Ballaststoffanteil, aber sie sind auch sehr kalorienreich. Sie enthalten 690 kcal/100 g. Pistazien In einer türkischen Studie hat sich gezeigt, dass Pistazien sehr wirksam sind bei erektilen Dysfunktionen. In der Studie verzehrten Probanden 100 g Pistazien täglich. Es zeigte sich bei Doppler-Ultraschalluntersuchungen eine deutlich verbesserte Penisdurchblutung. Zudem zeigte sich, dass die Werte des Gesamtcholesterins und des LDL-Cholesterins fielen, während das günstige HDL-Cholesterin unter dieser „Pistazien-Therapie“ anstieg. Die Aussagekraft der Studie ist zwar beschränkt, weil es sich um eine nicht kontrollierte Studie handelt. Die Autoren sind dennoch der Meinung, dass der Genuss der Steinfrucht des Pistazienbaumes günstige Effekte auf die erektile Dysfunktion hat. Fazit: Nüsse sind gesund, aber Vorsicht: Viele haben einen hohen Fettgehalt und sind deshalb kalorienreich. Bild: Weimarer Land Tourismus www.magazin-spätlese.net ! von !25 19 Gesundheit Gedanken zum DGHS-Gesetzentwurf Freitodbegleitung: „Notausgang“ immer noch nur halb offen von Ursula A. Kolbe Freitodbegleitung – ein Selbstbestimmungsrecht, das seit Jahren in der Luft schwelt und immer noch einer endgültigen gesetzlichen Klärung bedarf. Zur Kampagnen-Auftakt mit PR-Cars vor dem Brandenburger Tor Erinnerung: Ende Februar hat das Bundesverfassungsgericht den § 217 Strafgesetzbuch (StGB) (Förderung der geschäftsmäßigen Selbsttötung) für verfassungswidrig erklärt und damit das Recht des Einzelnen gestärkt, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, aber aktive Sterbehilfe, z. B. Tötung auf Verlangen, weiterhin verboten bleibt. Bei der assistierten Sterbehilfe dagegen wird das tödliche Medikament zur Verfügung gestellt, und der Patient nimmt es selbst ein. Bild: Wega Wetzel Seitdem haben sich mehr als 50 Sterbewillige beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn gemeldet, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Parlamentsanfrage der FDP hervorgeht. Doch auf Weisung von Gesundheitsminister Jens Spahn, einem erklärten Gegner der Sterbehilfe, werden sämtliche Anträge abgelehnt. Jetzt könnte neuer Druck kommen. Laut Kölner Verfassungsgericht haben im Juni erstmals zwei Antragsteller ein Eilverfahren gegen die Ablehnung angestrengt. Für die Bürgerrechts- und Patientenschutzorganisation DGHS (Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben e. V.) hat sich in den zurückliegenden Monaten einiges verändert. Sie unterbreitete jetzt einen Vorschlag für eine verfassungskonforme Gesetzgebung zur Suizidhilfe. Er umfasst die Aufnahme eines neuen Paragrafen in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und die Aufnahme eines neuen Paragrafen sowie diverse Ergänzungen bzw. Modifizierungen bestehender Vorschriften im Betäubungsmittelgesetz. In der DGHS- Presseerklärung heißt es weiter: „Zentrale Bedingung einer ethisch vertretbaren Praxis der Suizidhilfe ist die Einhaltung von Sorgfaltskriterien durch die beteiligten Ärzte und Sterbehelfer. Erforderlich ist zudem eine Anpassung der Berufsordnungen der Landesärztekammern und Änderungen im Betäubungsmittelrecht. Elementare Bedingung ist für die DGHS die Freiverantwortlichkeit des Suizidwilligen. Diese liegt vor, wenn der Suizidwillige die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seinen Selbsttötungsentschluss besitzt, seine Entscheidung frei von Willensmängeln ist, sein Entschluss wohlerwogen und von einer inneren Festigkeit getragen ist. Dabei ist die Urteils- und Entscheidungsfähigkeit, wie im gesamten Rechtsverkehr, zu unterstellen. Nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte hinsichtlich einer möglichen Einschränkung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit sollte eine fachpsychiatrische Begutachtung vorgenommen werden.“ www.magazin-spätlese.net ! von !25 20 Weiter heißt es, dass im Rahmen eines zu schaffenden prozeduralen Sicherungskonzepts die DGHS eine ausgewogene und umfassende Aufklärung über medizinische Alternativen zum beabsichtigten Suizid befürworte, aber eine wie auch immer geartete Beratungspflicht ablehne, die auf eine Pflicht des Sterbewilligen hinauslaufe, seinen Sterbewunsch zu rechtfertigen. Die freiverantwortliche Entscheidung über das eigene Lebensende bedarf nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts „keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung“. In seinem Urteil vom 26.2.2020 hatte das BVerfG festgestellt, dass das im Grundgesetz garantierte allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Es schließt das Recht auf Selbsttötung sowie die Freiheit ein, dazu auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. (Rdnr. 348). Das BVerfG hat darüber hinaus festgestellt, dass das Berufsrecht der Ärzte und Apotheker dementsprechend auszugestalten und Betäubungsmittel anzupassen sind (Rdnr. 341). Dieses Urteil hat die Rechtslage von 2015 wiederhergestellt und damit den über vier Jahre verschlossenen Notausgang einer Selbsttötung neu eröffnet. Nicht nur das: Durch dieses Urteil hat nunmehr Deutschland selbst die Schweiz an Liberalität überholt, so DGHS-Präsident Prof. D. Dr. h. c. Dieter Birnbacher. Das Gericht bindet die Freiheit zum Tode an keine andere Bedingung als die der Ernsthaftigkeit, -festigkeit und Freiverantwortlichkeit des Entschlusses und verlangt nicht, dass der Sterbewillige an einer schweren, unheilbaren oder zum Tod führenden Krankheit leidet. In der Praxis steht der Notausgang allerdings erst halb offen. Zwei Barrieren stehen weiterhin im Wege. Erstens das berufsrechtliche Verbot einer ärztlichen Beteiligung an der Selbsttötung durch die zehn Landesärztekammern, die die vom Deutschen Ärztetag 2011 beschlossene Verbotsempfehlung übernommen haben. Es gibt gute Gründe, die Verschreibung und Verfügbarmachung eines tödlichen Mittels Ärzten vorzubehalten. Aber solange ein Arzt um seine Approbation fürchten muss, wird er kaum zu einer Suizidhilfe bereit sein. Zweitens lässt sich auch nach dem Urteil das in der Schweiz zur Herbeiführung eines schnellen und leichten Todes bewährte Mittel Natrium-Pentobarbital in Deutschland noch immer nicht leicht beschaffen. „Der gegenwärtige Rechtszustand ist nicht nur halbherzig, sondern glatterdings unlogisch“, sagt DGHS—Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher. Wenn der ehemalige § 217 StGB verfassungswidrig ist, weil er die Wahrnehmung des Grundrechts auf selbstbestimmtes Sterben effektiv verschließt, sind auch diese weitere Hürden mit der Verfassung nicht vereinbar und müssen abgebaut werden. Und erforderlich ist, so Prof. Birnbacher und Prof. Robert Roßbruch bei der Vorstellung eines DGHS-eigenen Gesetzentwurfes am 16.9.2020 in Berlin, eine Klarstellung im Betäubungsmittelgesetz, dass das tödliche Mittel, das sich in der Schweiz bewährt hat, auch in Deutschland zum Zweck eines selbstbestimmten Sterbens und nicht nur, wie es dort heißt, zu einer ärztlichen „Behandlung“ verwendet werden darf. Den Gesetzvorschlag (aktuelle Version vom 22.8.2020) im Volltext, ein Foto und die PresseErklärung als pdf finden Sie auf www.dghs.de . Übrigens: Im „Berliner Kurier“ vom 23.9.2020 war unter der Überschrift „Vatikan lässt Kranke im Stich“ zu lesen, dass der Vatikan seine Ablehnung von Sterbehilfe bekräftigt hat und Betroffenen künftig die Sterbesakramente verweigern will. Das geht aus einem Brief der Glaubenskongregation zu Maßnahmen zum Ende des Lebens hervor, den Papst Franziskus abgesegnet hat. Patienten, die durch Sterbehilfe oder assistierten Suizid sterben wollen, sollten nicht mehr die Sakramente, Sterbekommunion, Salbung und Beichte erhalten. www.magazin-spätlese.net ! von 25 21 ! Kurzgeschichten, Gedichte Was ist mein Leben? - Ein Gedicht für Paulina von Frank Wollmann Was ist mein Leben, kann ich`s fassen, and`ren etwas geben, Gedanken fliegen lassen? Werde so langsam groß, nehme Anteil auf meine Weise, gehe im elterlichen Schoß, auf meine ganz eigene Reise. Bild: Katrin Schindler, Kreativschmiede Paulina Vertraute in meinen Augen lesen, der Spiegel meiner Sinne, erkennbar darin mein Wesen, dem ich nicht entrinne. Ich spüre mein Empfinden, erkenne meine Welt, kann auch Erfüllung finden, wenn man zu mir hält. Die Technik kann man sagen, auf meine Augen schaut, gibt weiter meine Fragen an die, die mir vertraut. Höre meine Eltern lachen, sehe auch mal Traurigkeit, möchte ihnen Freude machen, bin für Blödsinn auch bereit. So kann ich vielmehr sagen, man besser mich versteht, ob Freude oder Klagen, mein Leben weitergeht. Wie sie sich um mich sorgen, kein Vorwurf ist zu spür`n, denke heute schon an morgen, wohin wird es uns führ`n? Mein Leben ist mäandern zwischen Traum und Wirklichkeit, ein täglich hartes Wandern durch täglich neue Zeit. Zur Entstehung des Gedichts "Im Gespräch mit einem bei uns tätigen Handwerker erfuhr ich erstmals von der sehr seltenen Krankheit Red, welche fast ausschließlich bei Mädchen auftritt. Diese Kleinstkinder fallen im Zeitraum vom 12. Bis 18. Lebensmonat auf die Entwicklungsstufe des sechsten Monats zurück und bedürfen der lebenslangen Betreuung. Die Eltern dieser Kinder haben sich in Red-Vereinen organisiert, in denen sie wertvolle medizinische und therapeutische Informationen erhalten, sich gegenseitig helfen und durch Sponsoren unterstützt werden. Jeder, dem es am Herzen liegt, kann sich unter www.rett.de informieren und auch als Nichtbetroffener mit einbringen.“ www.magazin-spätlese.net ! von !25 22 Literatur, Buchtipps Willkommen im Anthropozän von Günter Knackfuß Seit der holländische Nobelpreisträger und Meteorologe Paul Crutzen im Jahr 2000 das Zeitalter des Anthropozän bestimmt hat, streiten die Wissenschaftler. Bild: oekom Titel des Buches Manche wähnen unsimmer noch im Holozän, dem geologischen Nacheiszeitalter. Der Gelehrte wollte darauf aufmerksam machen, wie massiv der Mensch in den Planeten eingreift. Deshalb jetzt das „Zeitalter des Menschen“. Bedeutet dies aber das Ende der Natur? Wer ist für das Anthropozän verantwortlich – der Homo sapiens, die ersten Bauern oder reiche Konsumenten des Industriezeitalters? Und ist das Anthropozän notwendigerweise eine Katastrophe – eine Umweltkatastrophe, das Ende der Menschheit? Oder könnte es auch ein »gutes« Anthropozän geben, in dem Mensch und Natur gemeinsam in die Zukunft hineinwachsen? Das fundierte Buch führt gleichermaßen kompakt wie umfassend in die zahlreichen hitzigen Debatten rund um die neue Ära ein und zeigt, dass dabei weitaus mehr auf dem Spiel steht als nur die Einführung eines neuen geologischen Intervalls. Mit “Anthropozän“, Das Zeitalter des Menschen – eine Einführung, verbinden sich Klimawandel, radioaktiver Fallout, Mikroplastik – die lange Liste menschlicher Eingriffe in das System Erde. Der Autor Erle C. Ellis erläutert, was es mit dem Begriff auf sich hat, welche Umweltveränderungen maßgeblich sind und warum heftig um das Narrativ Anthropozän gestritten wird. Er gliedert sein Werk in die Kapitel: Ursprünge, Das Erdsystem, Die geologische Zeitskala, Die Große Beschleunigung, Anthropos, Oikos, Politikos und Prometheus. Seine generelle Absicht erklärt Ellis in seinem Vorwort: „Ich verfolge das schlichte Ziel, meinen Lesern lediglich den Hintergrund zu liefern, um das Anthropozän als wissenschaftliche Hypothese zu verstehen, und erklären, warum diese Hypothese eine so weitreichende Wirkung entfaltet hat. Ich hoffe, dass sie dabei im selbenMaße angeregt werden wie ich, Dinge bewusster wahrzunehmen und aktiver für eine bessere Zukunft für das »Menschenzeitalter« einzutreten“. Erle C. Ellis ist ein amerikanischer Professor für Geografie und Umweltsysteme an der University of Maryland. Er beschäftigt sich unter anderem mit der Ökologie von Ökosystemen, die vom Menschen geprägt werden. Sein Ziel ist es, durch seine Forschungeine Wende zu einem nachhaltigen Umgang mit der Erde im Anthropozän anzustoßen. Anthropozän Das Zeitalter des Menschen – eine Einführung, oekom Verlag GmbH, 256 Seiten, Softcover, ISBN 978-3-96238-177-6, 18,00 € (D). Auch als E-Book erhältlich. Grafik: Buchtitel ©oekom www.magazin-spätlese.net ! von 25 23 ! Vermischtes Die Geschichte vom Pflaumentoffel Eine Geschichte aus dem 17. Jahrhundert von Hans-Jürgen Kolbe Der Pflaumentoffel ist ein aus Trockenpflaumen zusammengestecktes Männlein. Er ist ein Bild: Dresdner Christstollen24 typisches Symbol für die Dresdner Weihnacht und insbesondere für den Dresdner Striezelmarkt. Dresdner Pflaumentoffel Eine erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahre 1801. In dieser Zeit verkauften Striezelkinder den Pflaumentoffel als weihnachtlichen Glücksbringer, Schmuck und auch Naschwerk. Seine Form als Schornsteinfeger verdankt er den Waisenknaben des 19. Jahrhunderts. Die Essenkehrer durften sogar durch eine sächsischkurfürstliche Genehmigung (1653) diese sieben- bis achtjährigen Kinder beschäftigen. Sie mussten die Essen und Schlote von innen reinigen. Dies ist ein frühes Beispiel für staatlich geduldete Kinderarbeit. Die Kinder hatten einen schwarzen Umhang mit Kapuze und dienten so als Vorbild für den Pflaumentoffel (etymologisch aus Pflaume und Feuerteufel). Im 19. Jahrhundert wurde der Zylinderhut ein weit verbreiteter Modehut und ist es bis heute bei den Essenkehrern und Schornsteinfegern geblieben. Daraus entwickelte sich der moderne Pflaumentoffel mit Zylinder. Aber auch der ältere, historische ohne Hut ist wieder erhältlich unter dem Namen Pflaumenfeuerrüpel. Eine Geschichte aus dem 17. Jahrhundert! Die Frau des Hauses, der der Krieg gleich am Anfang den Sohn und den Mann nahm, legte die Hände aneinander, dass die Fingerspitzen sich berührten, sann einige Sekunden nach und erzählte: »Da wohnt in den Trümmern eines kleinen, durch Kanonenschüsse zerstörten Hauses eine Frau, die zu den Leuten waschen geht. Ihr Mann ist seinerzeit von Napoleon als Trossfahrer mit nach Russland verschleppt worden, und obwohl diese Ärmste das Letzte verloren hat, machte ihr der Hauswirt – bedenken sie, jetzt im Dezember – auch noch den Wohnraum streitig, da sie seit Monaten mit der Miete im Rückstand war. Kein Wunder, dass sie mit ihren Kindern in diesem Unmenschen ihren schlimmsten Bedränger sehen musste.« »Mit ihren Kindern?« »Ja, mit ihren unmündigen Kindern, einem Mädchen von 10 Jahren und einem Jungen von 9.« Und nun ergab sich aus dem Bericht der Erzählerin Folgendes: Die beiden Kleinen hatten eines Tages, als die Mutter in Ausübung ihres Broterwerbes aus dem Hause gegangen, einsam am Tisch gesessen, mit den paar vertrockneten Pflaumen spielend, die ihnen als Mittagessen zurückgelassen worden waren. Indem sie die Pflaumen auf dünne Holzstäbchen reihten, entstand mit Rumpf, Gliedern und einem runzligen Kopf ein kleiner schwarzer Mann, der einen Essenkehrer nicht unähnlich sah. Da nun der böse Hauswirt zufällig Schornsteinfegermeister war und als solcher bei mancher Gelegenheit doppelt düster in Erscheinung getreten sein möchte. Lag es nahe, dass die Kinder alsbald ihr Männchen als Feuerrüpel ansprachen und ihm auch noch die genaueren Kennzeichen seines Berufes, einen Besen, eine Leiter und einen Zylinderhut mit geschickten kleinen Händen beifügten. Der Jubel über das beziehungsvolle Kunstwerk ließ sie allen Hunger vergessen. Als die Mutter abends nach Hause kam, wurde ihr das verschrumpelte Abbild des Unholdes nicht ohne Freude www.magazin-spätlese.net ! von 25 24 ! und unter Gelächter vorgeführt. Die Frau, stolz auf das verschmitzte Erzeugnis ihrer Kinder und auch nicht ganz ohne Schadenfreude, hatte nichts Eiligeres zu tun als den Pflaumentoffel, wie sie ihn nannte, in den benachbarten Häusern herumzutragen. Da der Schornsteinfegermeister wegen seines Geizes und seines üblen Rufes überall unbeliebt war, bekam sie viel Beifall und Zuspruch. Sie bekam überall Backpflaumen geschenkt. Die gesamte Nachbarschaft wollte solche drolligen schmackhaften Männlein haben. Als die Frau sah, mit welcher Freude und mit welcher Hingabe ihre beiden Kinder sich an die Anfertigung der Pflaumentoffel machten, erwachte in ihr der Geschäftsgeist. Sie trug die Musterstücke zu allen Kunden, denen sie die Wäsche wusch, und nahm Bestellungen auf. Bald mussten ihre beiden Heimarbeiter die Hilfe der Nachbarskinder in Anspruch nehmen, um den Anforderungen des stillvergnügten Handels gewachsen zu sein. Die schlimmste Not war mit einem Schlag vorbei. Als der Schornsteinfegermeister, gehänselt und verlacht, hinter die Bescherung kam und die neue Firma wutschnaubend und endgültig aus dem Hause warf, obwohl die Wäscherin ihre Mietschulden inzwischen bezahlt hatte, konnte er den Dreien keinen Schmerz mehr zufügen. Sie hatten die Lacher auf ihrer Seite und fanden Unterschlupf in einem kleinen Häuschen gegenüber. Diese Geschichte schrieb der Dresdner Schriftsteller Kurt Arnold Findeisen (1883 bis 1963) auf und erwähnte in ihr zum ersten Mal die Pflaumentoffel. Der Begriff Toffel stammt aus dem Sächsischen und bezeichnet einen komischen Typ. Im Verlaufe seiner Existenz fügte man ihm Leiter und Zylinder hinzu, um an sächsische Kinder zu erinnern, die einst als sogenannte Feuerrüpel in den Schloten sächsischer Bürgerhäuser ihren rußigen Dienst verrichten mussten. Gerade mal sieben oder acht Jahre alt und meist in Waisenhäusern zu Hause, krochen die Kinder in die Schornsteine und reinigten sie. Dies hatte ein königlicher Erlass von 1635 erlaubt. Im 19. Jahrhundert schließlich wurde der Pflaumentoffel wieder von Kindern begleitet, diesmal jedoch nicht als Symbol harter Kinderarbeit, sondern in einem Bauchladen, mit dem die Knirpse auf den sächsischen Weihnachtsmärkten ihre selbst gebastelten Pflaumentoffel verkauften. Heute gilt der Pflaumentoffel trotz seiner eher traurigen Geschichte als Glückssymbol, ähnlich wie der Schornsteinfeger. Im Mittelpunkt des Festes steht der Pflaumentoffel als eine der symbolträchtigsten Figuren des Dresdner Striezelmarktes. Impressum BEZIRKSAMT MARZAHN- HELLERSDORF VON BERLIN RIESAER STRAßE 94 12627 BERLIN www.magazin-spätlese.net REDAKTION SPÄTLESE Telefon: (030) 90293-4371 Telefax: (030) 90293-4355 E-Mail: jueko.berlin@gmx.de Internet: www.magazin-spätlese.net ! von 25 25 !
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