Ausgabe November-Dezember 2020
Spätlese
Das Magazin für aufgeweckte Seniorinnen und Senioren
78. Ausgabe der Spätlese
Liebe Seniorinnen und Senioren,
liebe Leserinnen und Leser!
Das Jahr 2020 – wahrlich ein Jahr der
Unwägbarkeiten – neigt sich dem Ende zu.
Es stand und steht ganz im Zeichen der
Corona-Pandemie. Die damit verbundenen
ständigen Änderungen in vorausgeplanten
Abläufen machten auch die redaktionelle
Arbeit nicht einfacher.
Aber dem „Spätlese-Team“ ist es trotz
dieser Misslichkeiten gelungen, wieder eine
lesenswerte Ausgabe zu erstellen.
Kempen Dettmann taucht wieder ein in die
Geschichte der Dörfer Marzahn, Biesdorf,
Kaulsdorf, Mahlsdorf und Hellersdorf, die
heute den Bezirk Marzahn-Hellersdorf
bilden.
In den „Gärten der Welt“ macht er uns mit
dem berühmten Gartenarchitekten und
Gartenphilosoph Karl Foerster bekannt.
Die Zentralstelle für Prävention beim
Landeskriminalamt Berlin hat uns einige
Beiträge zu aktuellen Problemen der
Seniorensicherheit zugesandt, mit deren
Veröffentlichung wir in dieser Ausgabe
beginnen.
Unser Reporter Günter Knackfuß stellt die
Juwelen des Klosters Neuzelle vor und
Ursula A. Kolbe besuchte den Museumspark der Industriekultur Rüdersdorf, die
Ausstellung „Von Luther zu Twitter und 500
Jahre Medien“ im Deutschen Historischen
Museum, und sie erinnert daran, dass
Wilhelm Conrad Röntgen vor 125 Jahren
die X-Strahlen entdeckte. Natürlich nimmt
auch in dieser letzten Ausgabe des Jahres
das Thema „Weihnachten“ seinen
besonderen Platz ein. Prof. Dr. med. Carl
Diehm stellt fest, dass Nüsse gesund sind,
Redaktionsteam Spätlese
aber auch Vorsicht geboten ist. Ich stelle ihnen
die Geschichte des Pflaumentoffels vor. Der
Pflaumentoffel ist ein aus Trockenpflaumen
zusammengestecktes Männlein. Er ist ein
typisches Symbol für die Dresdner Weihnacht
und insbesondere für den Dresdner Striezelmarkt.
Wer allerdings noch auf der Suche nach einem
besonderen Weihnachtsgeschenk für seine
Frau ist, der sollte den Beitrag von Ursula A.
Kolbe „Dürfen`s Gold-Nuggets à la Wachau
sein?“ über Ihren Besuch bei einem Vergolder
in Krems an der Donau mit besonderer
Aufmerksamkeit lesen.
Schließlich berichte ich noch davon, wie der
italienische Weihnachtskuchen Panettone in
deutschen Haushalten dem Christstollen
Konkurrenz macht. Ich jedenfalls bleibe dem
Stollen treu! In diesem Sinne wünsche ich
geruhsame und gesunde Weihnachtstage und
einen ebensolchen Start ins Jahr 2021.
Ihr Hans-Jürgen Kolbe
Inhaltsverzeichnis
Der Gartenprofessor ...................................................................3
Jahrestage 2020: November und Dezember.............................. 4
Sicher in und nach der Krise .......................................................5
Ist Panettone der neue Stollen? ..................................................7
Dürfen`s Gold-Nuggets à la Wachau sein? ................................ 9
Von Luther zu Twitter und 500 Jahre Medien ......................... 10
Röntgen und die Entdeckung der X-Strahlen..........................12
Wieder ein „Weihnachten im Tierpark“ ................................... 13
Museumspark-Flair mit Geschichte und Zukunft ....................14
Die Juwelen vom Kloster Neuzelle ............................................15
Nüsse – ein wertvolles Nahrungsmittel ....................................17
„Notausgang“ immer noch nur halb offen ...............................20
Was ist mein Leben? .................................................................22
Willkommen im Anthropozän ..................................................23
Die Geschichte vom Pflaumentoffel .........................................24
Wir wünschen Ihnen gesunde Weihnachtstage
und einen ebensolchen Start ins Jahr 2021
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Aus dem Bezirk
Der Gartenprofessor
von Kempen Dettmann
Wer die „Gärten der Welt“ in Marzahn/
Hellersdorf besucht macht sich zu Recht auf eine
Weltreise und sucht sicherlich in erster Linie die
etwas exotischen Gärten auf:
Foto: Kempen Dettmann
Nach China, Japan, Korea, Bali, in den Orient,
nach England und Italien führt diese Reise durch
die Themengärten. Seit 2017 kamen die
Der Karl-Foerster-Staudengarten
internationalen Gartenkabinette hinzu, die den
in den „Gärten der Welt“
Besucher von Australien, über den Libanon nach
England, China, Thailand, Südafrika, Chile, Brasilien und Los Angeles führen. Mit dieser wahrlich
weltumfassenden Darstellung sind die „Gärten der Welt“ so auch einmalig in der Welt.
Mag sein, dass der eine oder andere Besucher versäumt, seine Reise auch nach Deutschland zu
führen, denn in den „Gärten der Welt“gibt es auch einen deutschen Garten – den Karl-FoersterStaudengarten. Hinter dieser fachlich-technischen, etwas trockenen Bezeichnung steckt allerdings
eine ganze Gartenphilosophie, die eben von Karl Foerster geprägt wurde.
Die Spezialisten wissen das: bei einigen Führungen habe ich das deutlich gemerkt. Eine Gruppe
finnischer Landschaftsarchitekten fragte gleich zu Beginn ihres Besuchs nach dem FoersterGarten und Gartenarchitekten aus der Schweiz wollten unbedingt den Garten zuerst sehen.
Schon diese Beispiele belegen, welch internationale Größe mit Karl Foerster die „Gärten der Welt“
den Besuchern darbieten. Foerster war Professor, Gartenarchitekt, Züchter, Schriftsteller. Er lebte
von 1874 bis 1970. In diesem Jahr jährt sich also sein 50. Todestag.
Der Karl-Foerster-Staudengarten in den „Gärten der Welt“sticht durch seine türkisfarbige Pergola
aus dem bewaldeten Umfeld hervor. Auf insgesamt 3.600 qm sind formale Gartenbereiche mit
geometrischen Beeten, eingerahmt durch Buchsbaumhecken, zu sehen, die außerhalb der Pergola
von landschaftlich geformten Gartenteilen kontrastiert werden. In den Beeten finden sich
natürlich Stauden, die Foerster seinerzeit gezüchtet hatte. Sie sind auch ein Spiegelbild der Idee
Foersters von den Farbdreiklängen. Grundlage für eine derartige Gestaltung war Foersters Buch
„Einzug der Gräser und Farne in die Gärten“, das er 1957 geschrieben hatte und das jeder
Landschaftsarchitekt kennen muss. „Es wird durchgeblüht“, schrieb er einstmals zur Gestaltung
eines Gartens.
Besonders stolz auf Karl Foerster sind die Potsdamer. In Potsdam-Bornim verwandelte Foerster
ein 5.000 qm großes Ackergelände 1910 zu einem Gartenreich mit dem berühmten Senkgarten.
Von dem von ihm entworfenen Wohnhaus hatte er immer einen freien Blick auf diesen Garten.
Er ist übrigens der meist besuchte Privatgarten Deutschlands.
Auch viele internationale Besucher kommen nach Bornim. Hier züchtete Foerster viele neue
Sorten von Stauden und anderen Vielblühern. Schon bald nach Eröffnung dieses
Gartenwunderlandes galt es als etwas Besonderes, bei der Gärtnerei Foerster zu arbeiten.
Foerster selbst wurde von seinen Angestellten liebevoll „Karlchen“ genannt. Schon bald erhält
Foerster auch große Aufträge, darunter z.B. die Bepflanzung der Anlagen um Schloss Cecilienhof
(heute Gedenkstätte des Potsdamer Abkommens von 1945). Oder auch die Restaurierung des
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Goethe-Gartens in Weimar, in dem noch heute viele Pflanzen vorzufinden sind, die aus seiner
Gärtnerei stammen.
Besondere internationale Wertschätzung erwarb sich Foerster allerdings mit seinen unzähligen
Neuzüchtungen. Die Phlox, die Feuerblume, hatte es ihm dabei besonders angetan. Mit etwas
Schmunzeln hat er einmal gesagt und dann auch aufgeschrieben: „Ein Garten ohne Phlox ist ein
Irrtum!“
Während der Kriegsjahre lagen Züchtung und Verkauf natürlich brach. Es musste Gemüse
angebaut werden und Foerster schimpfte ständig über das viele Unkraut, das an seine kostbarsten,
wichtigsten Neuzüchtungen heranwuchs. 1945 nimmt die sowjetische Militäradministration „die
Gärtnerei als Züchtungs- und Forschungsbetrieb winterharter Blütenstauden“ unter Schutz.
Erzählt werden auch seine spezifischen Züchtungsmethoden: Er sperrte 2 Pflanzen, die er kreuzen
wollte, in einem Raum ein und ließ dazu Bienen rein, die dann die Arbeit – Bestäubung –
verrichteten.
In unzähligen Büchern und Schriften hat Foerster sein Wissen und seine Erfahrung hinterlassen.
Er war auf diese Weise auch Philosoph. „Ich glaube, dass der Gärtnerberuf ebenbürtig den
vornehmsten und auch geistesspannendsten Betätigungen des Menschen ist.“ Über sich selbst hat
er einmal gesagt: „Ich bin kein Träumer, wie manche meinen, sondern ein Traumverwirklicher.“
Die „Gärten der Welt“ haben ihm mit dem Staudengarten ein würdiges Denkmal gesetzt.
Aus dem Bezirk
Jahrestage 2020:
November und
Dezember
von Kempen Dettmann
Foto: SCHILKIN GmbH & Co. KG
Das Firmengelände der SCHILKIN GmbH & Co
KG. in Kaulsdorf
Die Geschichte der Dörfer Marzahn, Biesdorf,
Kaulsdorf, Mahlsdorf und Hellersdorf, die heute den
Stadtbezirk Marzahn-Hellersdorf bilden, erweckt
immer wieder das Interesse unserer Leser. Alle fünf
Ortsteile gehörten einst zum Landkreis
Niederbarnim und wurden 1920 durch das GroßBerlin-Gesetz nach Berlin eingemeindet.
So ist es auch seit mehreren Jahren zu einer guten Tradition geworden, dass der Heimatverein
Marzahn-Hellersdorf e.V. alljährlich ausgewählte Daten von Jahrestagen herausgibt. Es handelt
sich um eine Übersicht von wichtigen Jahres- und Gedenktagen, die den Bezirk betreffen. Denn
Marzahn und „seine Dörfer“ sind ja schon viel, viel älter als der jetzige Bezirk. Bedeutsame
Ereignisse, die Entstehung historischer Bauten, Geburts- und Todestage bekannter
Persönlichkeiten des Bezirks sind in dieser Zusammenstellung zu finden. Wir schauen in die
Monate November und Dezember:
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425 Jahre
Am 11. Dezember 1595 wird Konrad von Burgsdorf geboren. Der brandenburgische Staatsmann ist
von 1643 bis zu seinem Tod 1652 Besitzer des Halben Dorfes Marzahn.
400 Jahre
Henning Ryke (Reiche) verstirbt im Jahre 1620. Der Berliner Bürger, Besitzer des halben Dorfes
Marzahn von 1590 bis 1601, ist der letzte männliche Nachkomme der Familie, nach der die
Rykestraße in Prenzlauer Berg benannt ist.
150 Jahre
Am 6. November 1870 wird Karl Janisch geboren. Von 1907 bis 1909 war er der Konstrukteur der
Biesdorfer Luftschiffhalle und Architekt des denkmalgeschützten Kuhstalles auf dem Gutshof
Biesdorf.
100 Jahre
Elise Voigt, Tochter von Karl Adolf Landré, Gutsbesitzer Alt-Kaulsdorf 1-11, dessen Besitz nach
seinem Tod an sie übergegangen ist, verstirbt am 17. November 1920. Auf dem Hof befindet sich
heute die Firma Schilkin.
In Kaulsdorf gründet sich eine Gemeinde der Neuapostolischen Kirche, der etwa 50 Personen, die
u.a. in Hellersdorf, Biesdorf, Mahlsdorf und Marzahn wohnen, angehören.
85 Jahre
Am 8. Dezember 1935 findet im Lokal „Carl Erbes Lindengarten“ in der Prinzenstraße 45 (heute:
Prignitzstraße 100) erstmals ein katholischer Gottesdienst in Biesdorf-Nord statt. Ab 1936 besteht
eine Kuratie (Seelsorgebezirk).
75 Jahre
Am 9. November 1945 verstirbt Otto Rechnitz, Gründer der Märkischen Wachsschmelze
Kaulsdorf. Er war am 20. April gesundheitlich geschwächt aus dem jüdischen Sammellager
Iranische Straße entlassen worden. Am 1. April 1933 war ihm der Zugang zu seiner Firma
verweigert worden. Sie wurde später zwangsversteigert.
40 Jahre
Am 15. Dezember 1980 fährt der erste S-Bahn-Zug zwischen Lichtenberg und Otto-Winzer-Straße
(heute: Mehrower Allee) Gleichzeitig wird der S-Bahnhof Bruno-Leuschner-Straße (heute: RaoulWallenberg-Straße) in Betrieb genommen.
25 Jahre
Der Arche – Christliches Kinder- und Jugendwerk e.V. wird am 25. November 1995 von Bernd
Siggelkow von der Evangelischen Freikirche Hellersdorf gegründet.
Politik, Wirtschaft, Soziales
Sicher in und nach der Krise
Von Monika Weiß, Landeskriminalamt, Zentralstelle für Prävention
Auch wenn seit langem die Aufmerksamkeit hauptsächlich auf den Auswirkungen der Covid 19 –
Pandemie liegt, sind andere Probleme nicht verschwunden. Betrüger und Diebe gehen weiterhin
ihrem „Geschäft“ nach und passen sich dabei auch neuen Gegebenheiten an.
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Ihre Ziele - Geld und Wertsachen – bleiben dagegen
immer dieselben und auch wenn man nicht alle
Varianten aufzählen kann, die Grundmuster der
Tricks bleiben gleich. Deswegen gelten immer
wieder dieselben einfachen Verhaltensregeln, die vor
Schaden schützen.
Es klingelt an der Tür: Vergewissern Sie sich erst, wer
zu Ihnen will (Türspion, Gegensprechanlage). Sollte
Foto: Polizei Berlin
eine fremde Person dort stehen, sichern Sie die Tür
beim Öffnen mit einer Kette o. ä. Bleiben Sie auch bei
Ärmelabzeichen der Polizei Berlin
anscheinend plausiblen Anliegen misstrauisch. Werden
Sie um eine Gefälligkeit gebeten, lehnen Sie alles ab, was Einlass in Ihre Wohnung erfordern
würde!
Bei angeblichen Handwerkern oder Amtspersonen rufen Sie bei den zuständigen Stellen an, z.B.
der Hausverwaltung oder Polizei, und fragen nach, ob alles seine Richtigkeit hat. Während Sie das
tun, bleiben die Fremden draußen vor der geschlossenen Tür. Sollten Sie keine Gewissheit
bekommen, dass die Person „echt“ ist, lassen Sie sie nicht ein.
Weil Sie in Ihrer Wohnung Zeit und Ruhe haben zu prüfen, wer zu Ihnen will, gehen Täter
verstärkt dazu über, Sie schon beim Nach-Hause-kommen vor der Tür anzusprechen. Denn in
dieser Situation fällt das Prüfen schwerer. Wenn Sie ein Handy haben, könnten Sie dort wichtige
Nummern speichern (z. B. Hausmeister, Gesundheitsamt, Nachbarn, Polizeiabschnitt).
Alternativ könnten Sie überlegen, bei welchen Nachbarn oder umliegenden Geschäften Sie um
Unterstützung bitten können. Oder Sie denken sich „Ausreden“ aus, z. B. dass Sie ein
Familienmitglied herbeirufen wollen. Wichtig ist, dass Sie sich vorab gedanklich für eine
solche Situation wappnen, damit man Sie nicht leicht überrumpeln kann. Egal, was
man Ihnen erzählt: Nehmen Sie niemand Fremdes mit in Ihre Wohnung.
Auch am Telefon gibt es neben „Altbewährten“ (z. B. Enkeltrick) immer wieder neue Maschen, um
Sie zur Übergabe von Geld und Wertsachen zu überreden und auch hier gilt wie immer:
‣ Raten Sie nie den Namen eines Anrufenden. Wenn sich der Gesprächspartner nicht selbst
vorstellt, legen Sie auf.
‣ Geben Sie am Telefon niemals Auskunft über Ihre Vermögensverhältnisse und Ihre
persönlichen Daten.
‣ Übergeben Sie nie Geld an Fremde bzw. Ihnen unbekannte Mittelspersonen
Das ist nichts Neues? Das stimmt und trotzdem klappt es immer wieder! Tauschen Sie sich
immer wieder einmal im Verwandten- und Bekanntenkreis aus, so verhindern Sie, doch einmal
„auf dem falschen Fuß“ erwischt zu werden.
Erstatten Sie auf Ihrem Polizeiabschnitt oder per Internet Anzeige (auch, wenn die Täter bei Ihnen
nicht erfolgreich waren). Im Notfall rufen Sie natürlich die 110 an.
Wenn Sie Fragen zur Vorbeugung haben: Wir beraten Sie gerne.
Ansprechpersonen für Seniorensicherheit des LKA Berlin, Tel.: 4664-979222.
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Kultur, Kunst, Wissenschaft
Ist Panettone der neue
Stollen?
von Sonja Helms, Hans-Jürgen Kolbe
Erstmals urkundlich erwähnt wird der Dresdner
Christstollen 1474 auf einer Rechnung des
Foto: Imago
christlichen Bartolomai-Hospitals. Seither hat er
einen unvergleichlichen Siegeszug in die
weihnachtlichen Rituale in allen deutschen Landen
Weihnachtlicher Panettone
angetreten. Als gebürtiger Dresdner ist für mich ein
Weihnachtsfest ohne Stollen schlichtweg nicht
vorstellbar. Selbst in den schweren Nachkriegsjahren im zerbombten Dresden stand an jedem
Weihnachtsfest in meiner Kindheit ein Stollen auf dem Tisch. Mir ist bis heute schleierhaft, wie
meine Eltern das bewerkstelligt haben. Fest steht jedenfalls: Der Stollen gehört heutzutage zu den
weihnachtlichen Lieblingsdesserts der Deutschen. Doch seit Jahren macht sich Konkurrenz breit –
ein Weihnachtskuchen aus Italien: Der Panettone ist die italienische Antwort auf den Stollen und
darf auch hierzulande zum Fest gerne aufgetischt werden – er schmeckt nämlich köstlich!
Der Panettone sah nicht immer so aus wie heute. Früher war der lockere Weihnachtskuchen eher
flach, wie ein Brot. Mit der Zeit wurde er höher, was unter anderem daran liegt, dass er in einer
Papiermanschette gebacken wird. Er stammt aus dem Norden Italiens, so viel ist sicher. Aber
wurde der Panettone von einem Küchenjungen erfunden? Oder von einem verliebten Gesellen?
Suchen wir nach einer Antwort!
Uns interessiert vielmehr: Wie ist er eigentlich entstanden? Wer hat ihn erfunden und wann? Das
ist leider nicht so genau überliefert. Und wie bei jeder Spezialität, deren Herkunft unklar ist, rankt
sich so manche Legende um ihre Entstehung. Weil Weihnachten die Zeit der herzerwärmenden
Geschichten ist, erzähle ich Ihnen zwei der bekanntesten.
So entstand Tonis Brot
Es war einmal… ein Küchenjunge. Er hieß Toni und diente in Mailand am Hofe des italienischen
Herzogs Ludovico Sforza. Viel ist nicht von Toni überliefert. Bescheiden soll er gewesen sein,
sicher auch klug, fleißig und talentiert. Immerhin so talentiert, dass er eines Tages seinen
Küchenchef zu retten wusste.
Das Unglück geschah ausgerechnet an Weihnachten. Der Chef patzte, und zwar gewaltig! Er hatte
ein fürstliches Bankett zu organisieren, alle Adligen der Gegend waren geladen, in der Küche
herrschte große Aufregung. Überall wurde geschnippelt und gerührt, gekocht und gebraten, und
alles ging gut - bis der Küchenchef feststellte, dass er die Süßspeise im Ofen vergessen hatte. Der
Höhepunkt des prunkvollen Mahls: verbrannt!
Es war eine Katastrophe, Toni hatte seinen Chef nie so verzweifelt gesehen. Also nahm der
Küchenjunge all seinen Mut zusammen und sagte, er habe aus übrig gebliebenen Zutaten wie
Mehl, Butter, Zucker und Eiern, kandierten Früchten und Rosinen einen Kuchen gebacken. Der
Chef könne ihn nehmen, wenn er nichts anderes habe. Da dieser keine Wahl hatte, servierte er ihn
der adligen Gesellschaft und stand zitternd hinter dem Vorhang, um die Reaktion der Gäste zu
beobachten. Die aber waren - entzückt. Als der Herzog nach dem Namen des Gebäcks fragte,
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verriet ihm der Küchenchef sein Geheimnis und sagte, es sei das „Brot des Toni“, "pan del Toni".
Daraus wurde mit der Zeit der "Panettone". So erzählt man sich es. Das Ganze soll sich vor etwa
500 Jahren abgespielt haben. Wahr daran ist - so gut wie nichts. Die Geschichte erinnert ein wenig
an die Geschichte der Sachertorte, die ebenfalls ein Küchenjunge erfunden haben soll.
Schöner und romantischer ist folgende Legende.
Verliebter Falkner
Ugo, einer der Falkner am Hofe des oben genannten Herzogs Ludovico Sforza, soll sich jede Nacht
in die Mailänder Altstadt geschlichen haben. Sein Ziel war eine Bäckerei. Vordergründig half er bei
einem Bäcker namens Toni aus, der in Not geraten war. Aber eigentlich wollte er das Herz von
Tonis schöner Tochter Adalgisa erobern. Trotz aller Bemühungen blieb der Erfolg aus.
Der Bäcker und sein Gehilfe waren verzweifelt. Eines Tages entwendete Ugo seinem Herrn zwei
Falken und verkaufte sie. Von dem Geld besorgte er Butter, die er mit in den Teig schummelte,
ohne dass Toni es mitbekam. Schnell sprach sich herum, dass das Brot von Toni einen
sensationellen Geschmack hatte - daraufhin wurde es sein Verkaufsschlager. Es lief so gut, dass er
irgendwann auf die Idee kam, den Teig an Weihnachten noch mit Eiern, Rosinen und kandierten
Früchten anzureichern, was ebenfalls gut ankam. Toni wurde seine Geldsorgen los, und Ugo und
Adalgisa konnten endlich heiraten. Beide Legenden gibt es in zahllosen Varianten, die wir hier
nicht weiter ausführen können, das würde den Rahmen sprengen. Die Wahrheit ist, wie so oft,
sicher weitaus weniger romantisch.
Eine Scheibe für den Heiligen Blasius
Und wer weiß? Vielleicht stimmt das ja. Noch heute ist es in Italien Brauch, eine Scheibe
Panettone erst am 3. Februar zu essen. Laut katholischem Kalender ist das der Tag des Heiligen
Blasius, der im Winter vor Halserkrankungen schützen soll. Medizinisch ist das sicher anfechtbar,
aber die Wissenschaft zieht gegen den Glauben und eine uralte Tradition sicher den Kürzeren.
Dabei fällt mir ein, dass meine Oma auch immer einen Stollen bis Ostern aufgehoben hat. Aber
gegen Halsschmerzen hat der Stollen nicht geholfen!
Neben dem Original Panettone mit kandierten Früchten und Rosinen gibt es übrigens noch
zahlreiche andere Varianten: mit Schokolade, mit einer Cremefüllung, mit Marsala oder mit
Pinienkernen verfeinert - und auch ganz ohne Früchte. In dem Fall handelt es sich um einen
Pandoro aus Verona. In welcher Form auch immer: In Italien gehört der Weihnachtskuchen auf
jede Tafel. Wer ihn mag, zupft ihn und trinkt ein Glas süßen Wein dazu. Wohl bekommt's!
Die Welt im Panettone-Rausch
Es gibt wirklich einen Boom, nicht nur in Deutschland. In Großbritannien wurde schon mehr
Panettone als traditioneller Christmas Pudding verkauft. „Handwerksbäckereien könnten den
weltweiten Hunger nach abertausenden Panettone nicht stillen“, sagt Amerigo Martucciello,
Präsident des italienischen Panettone-Konsortiums . Eine Statistik, wie viele der Italien-Klassiker
nach Deutschland exportiert werden, gibt es zwar nicht. Aber in Italien vermelden Hersteller
große Zuwächse: Von Spanien bis in die USA und nach Asien.
Italien verfällt schon Wochen vor Weihnachten in einen regelrechten Panettone-Rausch. Es gibt
Panettone-Messen, Panettone-Werbefilme, Panettone-Zeitungsartikel, Panettone-Kreationen mit
Alkohol, Schokolade oder Trockenfrüchten. Es gibt sogar ein großes Panettone-Wettbacken. Dazu
reisen auch Bäcker aus Tokio, New York und Sydney an.
Die Berliner haben es nicht so weit. Wer zu Weihnachten einen Panettone auf den Tisch bringen
möchte braucht sich nur in eines der drei „Centro Italia“ der Stadt begeben.
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Kultur, Kunst, Wissenschaft
Dürfen`s Gold-Nuggets
à la Wachau sein?
von Ursula A. Kolbe
Wenn Abfall zu Gold wird! Die Legenden und
Märchen werden nicht alt, wenn gerade jetzt in der
bevorstehenden Weihnachtszeit zu Büchern wie den
Bild: Markus Bauer
Märchen der Gebrüder Grimm gegriffen wird, um
den Jüngsten daraus vorzulesen. Wir aber wollen
Vergoldermeister Markus Bauer bei der Arbeit
nicht in diese Wunderwelt abtauchen, sondern
in seinem Atelier
aufgreifen, wie im wahrsten Sinne des Wortes aus
Abfall Gold wird, nämlich die Vergoldung von Marillenkernen; einer Frucht, die gerade der
Wachau ihr Gepräge gibt.
Wir besuchten den Vergolder- & Staffierermeister und Restaurator Markus Bauer aus Krems in
eben der Wachau vor den Toren Wiens. Sein Hauptbetätigungsfeld sind echte Blatt-bzw.
Silbervergoldungen wie auch Schlagmetallvergoldungen aus Messing, Aluminium und Kupfer.
Aber die Gold-Nuggets à la Wachau bestätigen in der Tat: Was Markus Bauer anfasst, wird zu
Gold: Seine mit einer 23karätigen Dukaten-Doppel-Gold-Blattauflage zu Schmuckstücken
veredelten Kerne der Wachauer Marille haben längst Kultstatus.
Auf diese Idee hatte ihn übrigens ein Winzer gebracht, der vor 30 Jahren mit der Bitte zu ihm
gekommen war, ob er ihm nicht für den Opernball in Wien einen Marillenkern zu einer Brosche
veredeln könne. Damit hatte er Bauers Ehrgeiz und seine sprichwörtlichen Handwerksfähigkeiten
herausgefordert, in deren langen Prozess heute diese einmaligen Schmuckstücke tolle Blickfänge
sind – Marillenkerne als Anhänger, Broschen oder Ohrgehänge. Sie sind originelle Mitbringsel
oder Geschenke wie jetzt z. B. zu den bevorstehenden Weihnachtstagen.
Auch unsere Pensionswirtin Annemarie Heller in Weißenkirchen, wo wir in diesem Jahr zwar
verregnete, aber wie immer schöne Ferientage verbringen konnten, ist stolze Besitzerin solch
ungewöhnlicher Accessoires. Sie trägt vergoldete Marillenkerne als Ohrschmuck und wenn sie ein
Dirndl trägt, legt sie sich ein entsprechendes Samtband um den Hals. Was also einmal ein
Abfallprodukt war, entsteht heute durch Bauers Berufsethos als Lehrling in Seefeld (Tirol) zum
Vergolder und Kirchenmaler, dann als Geselle im väterlichen Handwerksbetrieb und seit 30
Jahren als dessen Inhaber geprägt.
„Unsere Arbeit ist reine Handarbeit. Ein Beruf, in den man hineinwachsen muss, mit Liebe,
Geschick und Feinfühligkeit“, sagt Markus Bauer. Das alles sind Voraussetzungen für die breite
Palette an Arbeiten, die den Handwerksmeister prädestinieren. Und das sind: Marmorierungen
auf Holz, Farbfassungen an Figuren und Statuen, Lüsterfassungen und Polierweißfassungen,
Ergänzung und Restaurierung antiker Ornamentstuckrahmen und Profilrahmen. Ebenso
Ergänzungen fehlender Ornamentikteile, fehlende Finger an Figuren, Schnitzteile und Entwurf
neuer Ornamentikschnitzereien mit Vergoldungen und Fassung.
Zur weiteren Auflistung gehören die fachgerechte Restaurierung und Konservierung sämtlicher
kirchlicher (Altäre, Orgelprospekte, Kanzeln, Rahmen, Figuren, Statuen usw.) Und profaner
(Rahmen, Luster, Antiquitäten, Kleinkunst usw.) Kunstgegenstände in Zusammenarbeit der
Diözeseanbauämter, dem Bundesdenkmalamt und Landesbehörden. Fachliche Beratung nach
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Terminvereinbarung. Ergänzung und Schnitzarbeiten fehlender ornamentalen Zierrat,
Anfertigung neuer Volksaltäre und Lesepulte. Vergolderkurse mit praktischer Einführung in der
Technik Polimentvergoldung (Brannteinvergoldung) in der Akademie Geras. Kurzum, so kann
man wohl sagen, eine Lebenserfüllung. Markus Bauer ist selbst in der Landesinnung
Niederösterreichs und der Bundesinnung, Berufsgruppensprecher für den Beruf Vergolder und
Staffierer, aktiv, um mit dazu beizutragen, seinen Beruf zu erhalten und weiterzugeben. Es
existieren ja nur noch 11 Betriebe dieser Gilde, vor 15 Jahren seien es noch 22 gewesen. Und
sicher ist es mit sein Verdienst, dass dieses Handwerk in die Liste des immateriellen Erbes der
UNESCO eingetragen ist.
PS: Weiteres erfahren Sie unter www.vergolder.cc
Kultur, Kunst, Wissenschaft
Von Luther zu Twitter
und 500 Jahre Medien
von Ursula A. Kolbe
Bild: David von Becker
Der Ausstellungsbereich „Buchdruck“
mit Luther-Porträts
Einer der weltbekanntesten Politiker ist ohne Zweifel
Donald Trump, der 45. Präsident der USA. Und er
gehört zu den Menschen, deren Twitter-Account kaum
zur Ruhe kommt. So wie auch Smartphones und
Social Media das öffentliche Leben wie das des
Einzelnen veränderte – und das nicht immer im
positiven Sinne.
Angesichts der aktuellen Debatte gerade jetzt in der Corona-Pandemie und in Wahlzeiten gewinnt
die gegenwärtige Ausstellung „Von Luther zu Twitter. Medien und Politische Öffentlichkeit“ im
Berliner Deutschen Historischen Museum an besonderer Bedeutung, beschäftigt sie sich doch mit
den Wechselwirkungen von Medien, Politik und Gesellschaft.
Stiftungspräsident Prof. Dr. Raphael Gross betonte dabei die Bedeutung der Medien, die nicht nur
„Überbleibsel“ historischer Ereignisse seien, sondern diese vielmehr politisch-gesellschaftliche
Umwälzungen angestoßen oder sogar erst ermöglicht hätten. „Gerade mit Blick auf die
Digitalisierung zeigt sich diese Verflochtenheit von materiellen Voraussetzungen und
immateriellen Prozessen sehr deutlich. Deshalb war es mir besonders wichtig, keine
technikgeschichtliche Ausstellung zu präsentieren, sondern gezielt auf das Verhältnis von
medialer Entwicklung und Veränderung der politischen Öffentlichkeit zu schauen.“
Anschaulich zeigt die Ausstellung, wie es zum aufklärerischen Ideal demokratischer Öffentlichkeit
und freier Meinungsäußerung gekommen ist. Die Kuratoren Prof. Dr. Harald Welzer, Soziologe,
und die Historikerin Melanie Lyon beleuchten vom Buchdruck und seiner Bedeutung für die
Reformation die Entstehung bürgerlicher Öffentlichkeit im Zuge der Pluralisierung der
Presselandschaft im 19. Jahrhundert über die Erfindung des Rundfunks und seine Bedeutung für
das totalitäre NS-System bis hin zu den Bilderwelten des Fernsehens der Nachkriegszeit. Dabei
werden die Kontinuitäten und Brüche eines auch immer medial bewegten Strukturwandels der
Öffentlichkeit bis in die Gegenwart verfolgt. Nötig sind dabei aber auch immer medial besonders
intuitive Personen und Gruppen, die das politische Potential eines neuen Mediums erkennen und
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für den eigenen politischen Erfolg einsetzen. Rund 200 kulturhistorische und zeitgenössische
Objekte aus Deutschland, Österreich, Spanien, Großbritannien und China veranschaulichen, wie
sich neue mediale Räume im Spannungsverhältnis von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit,
Zensur und Protest, Überwachung und Emanzipation entwickelten. Am Beispiel zentraler
Momente der deutschen, aber auch der internationalen Medienevolution wird sichtbar, wie sich
das, was wir heute als demokratische Öffentlichkeit kennen, formiert hat und auch, was wir heute
als demokratische Öffentlichkeit kennen, formierte und auch, wie es vielleicht in Auflösung
begriffen ist.
Auf 1.000 Quadratmetern entfalten sich dabei anhand von Originalobjekten wie den Flugschriften
Martin Luthers, einer preußischen Zensurakte, einem Großlautsprecher aus der NS-Zeit oder der
zerstörten Hauptplatine der von Edward Snowden geleakten Dokumente die Besonderheiten und
Ambivalenzen der jeweiligen Medieninnovation.
Fünf Epochen der Mediengeschichte
Die Ausstellungsarchitektur inszeniert die Epochen der Mediengeschichte auf eine Weise, die die
Umgestaltung der medialen Umwelten auch sinnlich erfassbar macht. Die Reformation wird so
auch als Mediengeschehen erlebbar, wie z. B. ein Erstdruck von Luthers Übersetzung des Alten
Testaments. Darin hat der ehemalige Besitzer nicht nur eine Luther-Radierung von Cranach,
sondern auch Autographen von Luther und Melanchthon eingeklebt. Ebenso die anschließende
Epoche der Flugschriften, Zeitungen und Manifeste als eine Phase umkämpfter Öffentlichkeit
zwischen Aufbruch und Zensur. Schon damals wurde deutlich, dass sie auch zur Lenkung
öffentlicher Meinung im Sinne des Obrigkeitsstaats genutzt werden konnte.
Rundfunk und Fernsehen sind dagegen Echtzeitmedien und erlauben völlig neue Möglichkeiten
der politischen Kommunikation, die sich in Spannungsverhältnissen von Unterhaltung und
Propaganda, Aufklärung und Formierung entfalten. Ereignisse der Radiogeschichte, besonders die
von Joseph Goebbels erkannte formative Kraft des Rundfunks werden genauso dargestellt wie der
politische Schlüsselmoment des ersten Fernsehwahlkampfs der Geschichte, aus dem John F.
Kennedy als Sieger hervorging, weil er das neue Medium weit besser beherrschte als sein
Konkurrent Richard Nixon.
Wir aber leben heute mit Blick in die Zukunft einer digitalen, sich nochmals pluralisierenden, aber
auch polarisierenden Öffentlichkeit. Vor dem Hintergrund des Aufstiegs autoritärer und
populistischer Strömungen und der Sorge um das Überwachungs- und Manipulationspotenzial
digitaler Medien steht die Frage, was aus dem Versprechen einer demokratischen, vernetzten
Weltgemeinschaft wurde.
In der Ausstellung stehen dazu drei Szenarien nebeneinander: Per Zufallsprinzip betreten die
Besucherinnen und Besucher einen von drei Ausstellungsgängen zur hochdynamischen Jetztzeit,
zu den utopischen Hoffnungen, die in das Internet gesetzt wurden, oder den Gefahren, die mit
einem digital gestützten politischen Totalitarismus einhergehen. Künstlerische Positionen wie
Florian Mehnerts Fotoprojekt „Smartphone Stacks“ machen die Kehrseite digitaler Partizipation
sichtbar: Der Mensch wird hier zum berechenbaren Datenmaterial. Fest steht: Im digitalen
Zeitalter liegt die Zukunft - Transparenz und Bürgerbeteiligung eingeschlossen.
Die Ausstellung ist inklusiv und barrierefrei. Inklusive Kommunikationsstationen, die jeweils
mindestens zwei Sinne ansprechen, sind neben einem taktilen Bodenleitsystem,
Gebärdensprachvideos, Ausstellungstexten in Braille, kontrastreicher Großschrift und Leichter
Sprache Teil der Ausstellungsgestaltung. Ein Begleitbuch in deutscher Sprache ist im S. Fischer
Verlag (320 Seiten, 18 Abbildungen, 18 Euro) erschienen.
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Kultur, Kunst, Wissenschaft
Röntgen und die
Entdeckung der
X-Strahlen
von Ursula A. Kolbe
Foto: Arria Belli
Am 8. November 1895 machte Wilhelm Conrad
Röntgen in seinem Labor an der Universität
Verschiedene medizinische Röntgenbilder
Würzburg
eine wichtige Entdeckung, eine wohl
(Computertomografie)
entscheidende in seinem Leben: Einige Meter von
der mit Edelgasen gefüllte Entladungsröhre befand sich ein speziell beschichtetes Papier. Bei
eingeschalteten Kathodenstrahlen begann es zu leuchten. Das Rätselhafte: Das Papier schimmerte
auch dann noch, als die Entladungsröhre mit dicker schwarzer Pappe umschlossen war.
Also wurde es von einer bislang unbekannten Art von Strahlung zum Leuchten gebracht. Röntgen
nannte sie X-Strahlen und erzählte zunächst fast keiner Menschenseele von seiner Entdeckung.
Lediglich seiner Frau teilte er mit, dass er etwas mache, „wovon die Leute, wenn sie es erfahren,
sagen werden: „Der Röntgen ist wohl verrückt geworden.“
Er verbrachte die folgenden Wochen fast rund um die Uhr in seinem Labor, um die Eigenschaften
der Strahlen zu erforschen. Dabei ging Röntgen mit jener Sorgfalt und Präzision vor, für die er
unter Physikern ein so hohes Ansehen genoss. Bis zum Januar 1896 schrieb er drei
wissenschaftliche Forschungsberichte zu den X-Strahlen. Das während dieser frühen Forschung
entstandene Foto von den Handknochen seiner Frau Bertha mitsamt Ring sollte zu einer Ikone
der Wissenschaft werden.
Breite Resonanz unter den Wissenschaftlern
Weil Kathodenröhren damals in vielen Labors stehen, werden die spektakulären Ergebnisse
international rasch bestätigt. „Es ging wie ein Leuchtfeuer um die Welt“, sagte der Präsident der
Universität Würzburg, Alfred Forchel. Auch der deutsche Kaiser Wilhelm II. ließ den StarPhysiker zu sich nach Berlin kommen, um sich von den geheimnisvollen, alles durchdringenden
X-Strahlen berichten zu lassen. Viele Ehrungen wurden Röntgen zuteil, 1901 sogar der erste
Nobelpreis in Physik.
Die ursprüngliche Skepsis weicht schnell einem „Röntgenfieber“ – zu faszinierend ist die neue
Möglichkeit, in den Körper und verschiedene Gegenstände zu blicken. Auf einem Röntgenbild sind
Knochen gut zu erkennen, Weichteile dagegen nicht. In der Technik lassen sich mit ihnen
Werkstoffe prüfen, im Labor die Struktur von Kristallen analysieren. Röntgenteleskope im
Weltraum enthüllen energiereiche kosmische Prozesse, etwa bei schwarzen Löchern.
Neuer Zweig der Medizin entstand
Die Entdeckung vor 125 Jahren führte zu einem gänzlich neuen Zweig der Medizin - der
Radiologie. Ungezählten Menschen hat das Verfahren bisher geholfen. Schon 1905 hieß es beim
Kongress der Röntgen-Vereinigung zu Berlin: „In dieser vervollkommneten Weise sind die
Röntgenstrahlen, (…) in allen Spezialfächern der Menschenheilkunde, (…) ein unersetzliches und
unentbehrliches Hilfsmittel geworden.“
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Daran hat sich bis heute nichts geändert. Röntgenstrahlen sind aus der Diagnostik nicht mehr
wegzudenken. Und sie revolutionierten auch viele andere Bereiche der Forschung. „Die
Doppelhelix-Struktur der DNA ist mit Röntgen-Beugung aufgelöst worden“, sagt Ralph Claessen,
Leiter des Lehrstuhls für Experimentelle Physik IV an der Uni Würzburg. „Das ist für mich ein
Meilenstein der Wissenschaft.“
Doch immer bescheiden geblieben
Der am 27. März 1845 geborene Röntgen war der einzige Sohn eines angesehenen
Tuchfabrikanten aus Lennep bei Remscheid. Als er drei Jahre alt war, wanderten die Röntgens in
die Niederlande aus, lebten bis 1862 in Appeldorn, danach in Utrecht. Nach dem Studium des
Maschinenbaus mit Diplom in Zürich promovierte er in Physik, lernte in der Schweiz auch seine
spätere Frau Anna Bertha kennen. Nach neunjähriger Professur in Gießen kehrte Röntgen an die
Universität in Würzburg zurück, wo er eben auch mit den X-Strahlen die Wissenschaft
revolutionierte.
Und allem Rummel um seine Person und Entdeckung zum Trotz blieb der Star-Physiker ein
bescheidener, zurücklebender Mensch. Die Sommerzeit verbrachte er gern in seinem Haus in
Weilheim in den Bayerischen Alpen. Er liebte die Natur, war begeisterter Bergsteiger und Jäger.
1900 nahm er eine Professur in München an. Dort verbrachte er den Rest seines Lebens und starb
am 10. Februar 1923, vier Jahre nach seiner Frau. Seine wissenschaftlichen Erfindungen prägen
unser aller Leben, heute und in weiterer Zukunft.
Berliner Orte
Wieder ein
„Weihnachten im
Tierpark“
von Ursula A. Kolbe
Bild: Weihnachten im
Tierpark/Michael Clemens
Das wird die Berliner und Touristen, die die
Hauptstadt besuchen, freuen: „Weihnachten im
Tierpark“ lockt auch in diesem Winter vom 18.
Schloss Friedrichsfelde in weihnachtlicher
November bis zum 20. Januar nächsten Jahres mit
Lichtinstallation
neuen fulminanten Illuminationen in die größte
Tierpark-Anlage Europas sowie das historische Schloss Friedrichsfelde. Bei einem Spaziergang
durch den stimmungsvoll beleuchteten Tierpark sind viele neue Highlights zu entdecken, so z. B.
das anmutige Glockenspiel, durch das man hindurch laufen kann, um das Zusammenspiel von
Licht und Klang zu genießen, oder den Laser-Dschungel, wo die Besucher durch Licht und Nebel
schreiten und dabei selbst spektakulär in Szene gesetzt werden. Ich bin davon überzeugt, dass so
manches Erinnerungsfoto an unvergessliche Eindrücke noch lange daran erinnern wird.
Gerade jetzt in Corona-Zeiten ist dieses Highlight eine angenehme Alternative zum
herkömmlichen Weihnachtsmarkt ohne jeden hektischen Trubel und Gedränge. Ja, der Christmas
Garden bekommt mit diesem winterlichen Lichterfest auch in diesem Jahr ein gebührendes
Pendant im Osten. Mit romantischem Lichtzauber, einem zwei Kilometer langen Spaziergang
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durch eine stimmungsvoll beleuchtete Pflanzenwelt, beleuchteten Seerosen im Teich… Erstmalig
in Berlin finden die Besucher im Tierpark einen poetischen Feuergarten.
Abwechslung auf der Eisbahn: Dort, wo im Sommer Wasserfontänen lustig sprudeln, wird für
das winterliche Lichtfest eine romantische Eisbahn eingerichtet. Kinder und Erwachsene können
hier vor der erleuchteten historischen Kulisse des Schlosses Schlittschuh laufen. Und damit
Appetit und Durst gestillt werden können, laden an den festlich geschmückten Hütten saisonale
Köstlichkeiten wie Glühwein und andere weihnachtliche Leckereien ein. Bei einem anregenden
Plausch am knisternden Feuer kann man sich sogar wieder aufwärmen.
Tickets: Um für Jeden einen angenehmen Spaziergang zu ermöglichen, wird der Einlass auf eine
bestimmte Personenzahl je Stunde begrenzt. Der Aufenthalt ist zeitlich nicht begrenzt. Um sich
mögliche Wartezeiten an der Abendkasse zu ersparen, wird der Ticketerwerb im Vorverkauf
empfohlen.
Natur, Tourismus
Museumspark-Flair
mit Geschichte und
Zukunft
von Ursula A. Kolbe
Kalksandstein – auch weißes Gold genannt.
Rüdersdorf bei Berlin verdankt ihm seine
Bekanntheit. Und der erste Tourismus – Dialog
Blick auf die Schachtofenbatterie
Berlin in diesem Jahr führte seine Teilnehmer
hierher ins Freie, in den größten Museumspark für
Industriegeschichte. Der Gastgeber Prof. Dr. Frank Schaal, Geschäftsführer der Museums- und
Kultur GmbH Rüdersdorf, richtete dabei den Blick auf die Geschichte, Gewinnung und
Verarbeitung von Kalksandstein an diesem Ort. Der Rüdersdorfer Kalkberg ist das größte
Kalksandsteinvorkommen in Norddeutschland. Als Werkstein und als Branntkalk oder zu Zement
verarbeitet, war er neben den Ziegeln aus der Mark Brandenburg der wichtigste Baustoff für die
Metropole Berlin. Das Brandenburger Tor, Schloss Sanssouci in Potsdam, Berliner
Olympiastadion und viele weitere bedeutende Bauwerke in Berlin und Brandenburg stehen für
Kalkstein aus Rüdersdorf. Und das seit über 750 Jahren. Zu der Zeit fing man an, den Kalkstein zu
brechen und zu brennen; spätestens seit dem 17. Jahrhundert galt Rüdersdorf als der
Baustofflieferant für Berlin. Bis heute ist der Tagebau aktiv, und das Zementwerk exportiert den
Zement europaweit.
Bild: Museumspark Rüdersdorf/Lothar Barthel
Einblicke in technische Bauwerke
Der Rundgang mit Prof. Dr. Schaal durch den 17 ha großen Museumspark bei runden 30 Grad
Celsius zu ehemaligen Transport- und Produktionsanlagen forderte einige Schweißtropfen, die
aber viele interessante historische Einblicke in diese Kalksteinwelt schmelzen ließen, ist er doch
das einzige in dieser Vielfalt erhaltene historische Kalk- und Bergwerk.
Alle technischen Bauwerke, die nach Entwürfen berühmter Baumeister wie Schinkel errichtet
wurden, bilden ein einzigartiges architektonisches Ensemble. Es gehört zu den bedeutendsten
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Industrie-Denkmälern Deutschlands. So informiert eine Ausstellungshalle umfassend über
Kalksteinvorkommen und –nutzung, die Geologie, Mineralogie und Fossilienkunde von
Rüdersdorf. Die Kalkscheune z. B., ein ehemaliges Lager für den gebrannten Kalk mit
Grundmauern aus dem Jahre 1665, ist zur Museumsgastronomie umgestaltet worden. Das
Dachgeschoss, einstmals Wohnung des Kalkbrennmeisters, wird über das Rüdersdorfer
Standesamt als romantischer Eheschließungsraum genutzt. Als wir vor dem Portal des
Bülowkanals standen, ahnten wir, dass die Steinbrüche über mehrere Kanalbauten mit dem
Wasserstraßennetz Spree-Havel verbunden sind. Dieser Tunnel ist ein an die
Revolutionsarchitektur von Johann Gottlieb Schlaetzer angelehntes geschaffenes Portal. So
existiert noch der Heinitzkanal als Vorgänger des Bülowkanals. Er beherbergt heute die
Vereinsräume des Rüdersdorfer Bergbauvereins.
Als wir am restaurierten Seilscheibenpfeiler vorbeikamen, erfuhren wir, dass 1872 der
Heinitzbruch mit den Gleisen der Ostbahn verbunden wurde und im Steinbruch ein Schrägaufzug
angelegt, über den normalspurige Eisenbahnwagen und spezielle Werkswagen in den Bruch
gebracht und beladen wieder hinauf gezogen wurden. Der Antrieb der Seilwinden erfolgte durch
eine Dampfmaschine von 130 PS Leistung. Mit Flutung des Heinitzbruches 1914 endete der
Betrieb dieser Anlage. In der „Kathedrale des Kalks“ dann, eine imponierende Schachtofenanlage,
die von 1874 bis 1967 für die Branntkalkherstellung genutzt wurde, fühlte ich mich dann in eine
andere Welt versetzt. Kein Wunder, dass dieser Museumsteil auch als Filmkulisse beliebt ist. Er ist
zudem Ausstellungsobjekt und Veranstaltungsraum. Ursprünglich bestand die Anlage aus 18
Brennöfen des Rumfordschen Bautyps, von denen sechs in einer Reihe und zwölf in Doppelreihe
angeordnet sind. Es gibt ebenso den Kranpark und einen Museumszoo samt kleinem Streichelzoo.
Auf Fossiliensuche
Wollen Sie 240 Millionen Jahre alte Kalksteine anfassen und nach Fossilien suchen? Dann auf zur
geologischen Führung. Nach ein wenig Theorie im „Haus der Steine“ geht es mit dem Land Rover
zur Sammelstelle im Tagebau, wo man spannende Funde machen kann. Übrigens wurde hier der
Nothosaurus gefunden, besser gesagt – ein Skelett, heute im Berliner Naturkundemuseum zu
bewundern. Die Gebäude, Anlagen und Freiflächen sind für jeden Besucher frei zugänglich und
geben viel Raum für Kunst & Kultur, für Exkursionen, Seminare & Workshops, für Feiern und
Geselligkeit. Darüber hinaus auch attraktive Ferienprogramme für Groß und Klein. Infos &
Buchungen über Angebote: Tel.: 033638 / 799797; kasse@museumspark.de
Natur, Tourismus
Die Juwelen vom Kloster Neuzelle
Günter Knackfuß
Die wahren Schätze im Besitz der Stiftung Stift Neuzelle verbergen sich im Inneren der vollständig
erhaltenen Klosteranlage aus dem 13. Jahrhundert. Tilmann Schladebach, Kultur- und
Marketingchef der Stiftung, erläutert uns die Highlights des kulturellen Erbes: „Viele sprechen ja
von einem Barockwunder. Doch wurde die ursprünglich gotische Anlage erst im 17. Jhrh.
barockisiert. Glanzpunkte sind heute die prächtige Ausstattung der Stiftskirche St. Marien, der
spätgotische Kreuzgang im Klausurgebäude mit Schätzen aus der Klosterausstattung und die
Fresken in der Evangelischen Pfarrkirche zum Heiligen Kreuz. Mein absoluter Favorit aber sind
im neuen Museum „Himmlisches Theater“ die Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab“. Bei
Besuch und Rundgang ergibt sich für uns der große Vorteil, dass alle Klosterbauwerke als
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Ensemble dicht zusammen stehen und somit optimal
erreichbar sind.
Stiftskirche
Weithin sichtbar der 70m hohe Glockenturm. In dem
Gotteshaus haben italienische und böhmische
Künstler ihre barocke Handschrift hinterlassen. Ein
einmaliges Gesamtkunstwerk, ziemlich überladen, so
dass etwas Orientierungshilfe benötigt wird. Zum
Bild:Günter Knackfuß
Beispiel für die Darstellungen von Engeln, Heiligen,
Marienfiguren – Szenen aus dem Alten und dem
Kloster Neuzelle mit Stiftskirche
Neuen Testament. Oder die beeindruckenden Wandund Kuppelmalereien, dazu allein 12 Altäre und die Kanzel sowie die große Orgel. Eine beispiellose
Pracht. St. Marien ist heute die Wallfahrtskirche für das Bistum Görlitz. Seit 2018 wirken wieder 6
Zisterziensermönche im neugegründeten Priorat Neuzelle, die ihr Leben nach den Regeln des Hl.
Benedikt gestalten. Gegenwärtig laufen Verhandlungen mit der Stiftung für einen Klosterneubau
in der Nähe des Ortes Treppeln.
Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab
Zu den bedeutendsten Kunstwerken aus der Ausstattung des Klosters gehören die Neuzeller
Passionsdarstellungen. Europaweit gelten sie nach Umfang, Größe und künstlerischer Qualität als
einzigartig. Das Heilige Grab besteht aus bis zu sechs Meter hohen bemalten Leinwänden und
Holztafeln. Die fast lebensgroßen Figuren und Figurengruppen sind mit Leimfarbe auf Holz
gemalt. Von den rund 240 großformatigen Tafeln und Leinwänden haben sich 220 erhalten. Man
kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus... Die alles museal modern gestaltet in der
Dunkelzone. Nachdem die Szenen Judaskuss, Kreuztragung und Weltgericht von Mathias Steier
und Hans-Georg Wagner aufgestellt worden waren, wird jetzt eine weitere Passion gezeigt: die
dritte Szene mit dem Titel „Jesus vor Kaiphas“. Abt Gabriel beauftragte 1751 den böhmischen
Künstler Joseph Seifrit mit der durchdachten Gesamtkonzeption eines monumentalen
Barocktheaters. 15 Szenen in fünf Bühnenbildern illustrieren mitreißend die biblischen Ereignisse
von Leiden, Sterben und Aufstehen Jesu Christi. Der Neuzeller Passionszyklus nutzt theatralisch
alle Mittel und ist auch technisch eine Meisterleistung – ein künstlerischer und geistlicher Schatz:
eben das „Himmlisches Theater“.
Klostergarten und Weinberg
Um 1760 wurde östlich der beiden Klosterkirchen ein Garten im barocken Stil errichtet, der sich
auf einer Fläche von ca. 4 ha in einen Abts- und in einen Konventgarten Die barocken Wege- und
Wasseranlagen, die steil abfallenden Terrassen, die Orangerie sowie Teile des historischen
Pflanzenbestandes sind original erhalten. Der Neuzeller Klostergarten gilt deshalb heute als
einziger Barockgarten im Land Brandenburg. Er wurde in die Liste der 53 bedeutendsten
Gartenanlagen Deutschlands aufgenommen. Der seit 2002 neu erwachte und bepflanzte Weinberg
mit 1.500 m² ist Betätigungsfeld der Neuzeller Klosterwinzer. Sie pflegen und ernten 6
verschiedene Weinsorten an rd. 400 Rebstöcken. In ihrem Winzerhaus finden auch Verkostungen
statt.
Besuchenswertes ausserhalb der Klostermauern
Klosterbrauerei Neuzelle
Bereits seit 1589 besitzt das Kloster Neuzelle Braurechte. Das ursprüngliche Brauereigebäude der
Mönche wurde 1892 bei einem Brand leider vollständig zerstört. Die um 1902 wieder aufgebaute
Brauerei befindet sich direkt vor dem Kloster. In regelmäßigen Führungen kann man den
Brauprozess live erleben und die Produkte verkosten. Dazu gehören u.a. Schwarzer Abt, Kirsch
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Bier, Ginger Bier. Braumeister P. Schauermann schwört auf die Traditionsbiere, die sich dauerhaft
großer Beliebtheit erfreuen. Aber auch Sonderabfüllungen in 1 l-Flaschen sind begehrt. Im
Klosterladen im Angebot: alle 40 Bier- und Brausespezialitäten, Bier-Brände, Gelees aus Schwarzund Kirschbier, Bier-Schokolade, Bier-Käse und passende Gläser.
Strohhaus Neuzelle
Das Fachwerkwohnhaus und die Fachwerkstallgebäude wurden 1780 erbaut und zählen zu den
ältesten Bauwerken im Erholungsort Neuzelle. Heute als Museum für Ländliche Alltagskultur
genutzt, erzählt das Anwesen u.a. vom Leben des Tuchmachermeisters Franz Flickschuh
(Flickschuhs Bude). Er erbaute das Lehmfachwerkhaus mit Rohrdeckung und Roggenstrohfirst.
Noch heute künden vom Wandel der Zeiten die drei Stuben, ein großer Werkstattraum, die
Schwarze Küche und vier Bodenkammern. Der Wert dieser Häuser liegt in der originalen Substanz
und der Anordnung der Räume aus der Erbauerzeit.
Eiszeitfindling in Kobbeln
256 Tonnen wiegt der steinerne Koloß, den die Eismassen von der Insel Bornholm bis in die
Lausitz transportierten. Der Syenitgranit hat etwa eine Länge von 7,30 m, eine Breite von 5,25 m,
eine Höhe von 4,52 m sowie einen Umfang von 25 m. Entdeckt wurde das Ungetüm bereits im 17.
Jhrh. aber erst 1925 freigelegt. Der „Kobbelner Stein“ ist Brandenburgs zweitgrößter Findling. Der
größte unzerteilte Findling Brandenburgs ist übrigens der Kleine Markgrafenstein in den Rauener
Bergen.
Fahrt nach Forst
In Forst/Lausitz können Blumenliebhaber den Ostdeutschen Rosengarten besichtigen. Eine
Empfehlung natürlich vor allem im Sommer. Gegründet 1913 präsentieren sich heute auf einer
Gesamtfläche von 17 Hektar zehntausende Rosenstöcke in fast 900 Sorten. Im Rosenpark
dominieren Elemente des Jugendstils und dort befindet sich der größte Teil der Rosen. Sie
präsentieren in verschiedenen Themenbereichen ihre Schönheit - auch ein Café an den
Wasserspielen lädt zum Verweilen ein. Der Wehrinselpark, im englischen Landschaftsstil
gehalten, überrascht mit seinem sehenswerten, altehrwürdigen Baumbestand, seinem lichten
Grün und den weitläufigen Rasenflächen und Wegen. Außer dem Abstecher nach Forst kann auch
der entschleunigte Besucher alle interessanten Orte in Neuzelle und Umgebung an einem Tag
besichtigen. Ein Ausflug in die Geschichte, Kunst und Natur, der sich lohnt. Wer länger bleiben
möchte, übernachtet natürlich im Landhaushotel „Prinz Albrecht“. Direkt am Klostersee mit Blick
auf das Zisterzienserkloster gelegen.
Gesundheit
Nüsse – ein wertvolles Nahrungsmittel
von Prof. Dr. med. Curt Diehm
Nüsse sind ein gesundes Lebensmittel. In seinem aktuellen Gastbeitrag erklärt Prof.
Dr. med. Curt Diehm, warum Nüsse auf den Speiseplan gehören sollten. Aber nur in
Maßen.
Der Verzehr von rund 70 Gramm Nüssen pro Tag kann signifikant den Blutfettspiegel senken. In
25 groß angelegten Bevölkerungsstudien an zusammen 583 Teilnehmer wurde wissenschaftlich
die Wirkung des Nuss-Verzehrs untersucht. Bei regelmäßigem Nusskonsum kommt es zu einem
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Abfall des Gesamtcholesterins um 10,9 mg/dl und des
schlechten LDL-Cholesterins um 10,2 mg/dl.
Triglyzeride fielen um über 20 mg/dl ab.
Erfreulich: Alle Nuss-Sorten, von Wal-, Hasel-,
Pekan-, Erd- und Cashew-Nüssen bis zu Mandeln
erwiesen sich als blutfettsenkend – wobei Erdnüsse
keine Nüsse sind, sondern zu den Hülsenfrüchten
gehören. Am besten wirken Nüssen bei schlanken
Personen und höheren Konzentrationen des
ungünstigen LDL-Cholesterins.
Bild: thinkstockphotos.com
Nüsse gehören also auf den Speiseplan - nicht nur in
Eine Auswahl verschiedener Nüsse
der Weihnachtszeit. Haselnuss, Walnuss und Mandeln
sind als uralte symbolträchtige Zauber- und Heilpflanzen anzusehen. Nüsse haben in der
Volksmedizin seit jeher einen wichtigen Platz gehabt. Bis in das 19. Jahrhundert hinein galten
Mandeln als Aphrodisiaka.
Walnüsse gesund für das Herz
Spanische Forscher haben gezeigt, dass nach einem fettreichen Essen Walnüsse die Arterie noch
besser elastisch halten als Olivenöl. Dr. Emilio Ros von der Universitätsklinikum in Barcelona
untersuchte 24 gesunde Probanden.
Alle Probanden verzehrten ein 3-gängiges Menü und als „Nachspeise“ bekamen sie entweder 4
Teelöffel Olivenöl oder 40 g Walnüsse. Im Anschluss wurden Ultraschalluntersuchungen
durchgeführt. Diese ergaben, dass die Arterien der Nussesser nach der Mahlzeit elastischer und
flexibler waren als jene der Kontrollgruppe.
Die Autoren sind der Auffassung, dass Walnüsse wie auch Olivenöl nach fettreichen Mahlzeiten
Entzündungsneigungen in den Arterien reduziert. Für die günstigen Wirkungen der Walnüsse
wird die Linolensäure verantwortlich gemacht. Walnüsse sind reich an Antioxidanzien. Eine
Handvoll Walnüsse enthält fast doppelt so viele Antioxidanzien wie die gleiche Menge anderer
Nüsse. Das zeigte eine Studie der Universität von Scranton in Pennsylvania.
In einer Vergleichsstudie waren Walnüsse viel effektiver als Vitamin E. Amerikanische Experten
sind der Auffassung, dass Walnüsse zum Abhalten freier Radikale besonders gut wirksam sind und
so den Körper vor Zellschäden schützen können. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass andere
Nüsse durch die Hitze beim Rösten den Antioxidanzien-Charakter verlieren. Walnüsse werden
bekanntlich Naturbelassen und ohne Erhitzen gegessen und dies scheint ein Vorteil zu sein.
Vor den Kalorien sollte man keine Angst haben. Walnüsse sind zwar kalorienreich, aber sie haben
eindeutig einen schützenden Effekt vor Arteriosklerose und sie führen auch in aller Regel zu
keiner Gewichtszunahme, sondern können das Körpergewicht eher senken, da sie sehr stark
sättigend wirken.
Walnüsse bremsen Prostatakrebs
Krebsforscher haben in einer Tierstudie gezeigt, dass Prostatatumoren langsamer wachsen und
deutlich kleiner bleiben, wenn die Versuchsnagetiere Walnüsse zu fressen bekommen. Im
Tierversuch waren Prostatageschwüre bei mit Walnuss gefütterten Mäusen im Schnitt die Hälfte
kleiner als bei den Kontrolltieren. Ein gesunder Nahrungsfahrplan für die Prostata sollte demnach
immer Walnüsse beinhalten.
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Cashew-Nüsse
Cashew-Nüsse enthalten viel Vitamin A, D und E. Der Fettanteil in Cashew-Nüssen ist hoch, er
reicht bis zu 42 Prozent. Es handelt sich dabei aber um „gesunde“ Fette.
Haselnuss
Haselnüsse enthalten viel Vitamin E. Haut und Haare profitieren davon. Haselnüsse haben einen
hohen Anteil an Ballaststoffen. Ihr Fettanteil liegt allerdings bei 61 Prozent.
Erdnuss
Erdnüsse gehören eigentlich nicht zur Familie der Nüsse. Es sind Hülsenfrüchte. Sie sind optimale
Eiweißlieferanten. Sie haben einen Fettanteil von 48 Prozent, enthalten aber mehrfach
ungesättigte Fettsäuren und können dadurch sogar das Cholesterin senken.
Paranüsse
Paranüsse enthalten viel Selen, Eisen und Kalzium. Sie werden bei Osteoporose empfohlen.
Macadamia
Macadamia-Nüsse sind optimale Magnesium Lieferanten. Sie haben einen hohen Fettgehalt.
Macadamia-Nüsse enthalten 690 kcal/100g.
Walnüsse
Walnüsse sind cholesterinfrei und enthalten einen hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren. Sie
liefern daneben wichtige Omega 3 Fettsäuren, Ballaststoffe, Eiweiße, Magnesium, Vitamin E,
Kupfer und Folsäure. Sie schützen vor Bluthochdruck und Zuckerkrankheit.
Mandeln
Mandeln sind cholesterinfrei und enthalten viele Vitamine und Mineralien.
Pekannuss
Pekan-Nüsse enthalten viel Vitamin B1 und Zink. Sie haben einen hohen Ballaststoffanteil, aber
sie sind auch sehr kalorienreich. Sie enthalten 690 kcal/100 g.
Pistazien
In einer türkischen Studie hat sich gezeigt, dass Pistazien sehr wirksam sind bei erektilen
Dysfunktionen. In der Studie verzehrten Probanden 100 g Pistazien täglich. Es zeigte sich bei
Doppler-Ultraschalluntersuchungen eine deutlich verbesserte Penisdurchblutung.
Zudem zeigte sich, dass die Werte des Gesamtcholesterins und des LDL-Cholesterins fielen,
während das günstige HDL-Cholesterin unter dieser „Pistazien-Therapie“ anstieg.
Die Aussagekraft der Studie ist zwar beschränkt, weil es sich um eine nicht kontrollierte Studie
handelt. Die Autoren sind dennoch der Meinung, dass der Genuss der Steinfrucht des
Pistazienbaumes günstige Effekte auf die erektile Dysfunktion hat.
Fazit:
Nüsse sind gesund, aber Vorsicht: Viele haben einen hohen Fettgehalt und sind deshalb
kalorienreich.
Bild: Weimarer Land Tourismus
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Gesundheit
Gedanken zum DGHS-Gesetzentwurf
Freitodbegleitung:
„Notausgang“ immer
noch nur halb offen
von Ursula A. Kolbe
Freitodbegleitung – ein
Selbstbestimmungsrecht, das seit Jahren in
der Luft schwelt und immer noch einer
endgültigen gesetzlichen Klärung bedarf. Zur
Kampagnen-Auftakt mit PR-Cars vor dem Brandenburger Tor
Erinnerung: Ende Februar hat das
Bundesverfassungsgericht den § 217
Strafgesetzbuch (StGB) (Förderung der geschäftsmäßigen Selbsttötung) für verfassungswidrig
erklärt und damit das Recht des Einzelnen gestärkt, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, aber
aktive Sterbehilfe, z. B. Tötung auf Verlangen, weiterhin verboten bleibt. Bei der assistierten
Sterbehilfe dagegen wird das tödliche Medikament zur Verfügung gestellt, und der Patient nimmt
es selbst ein.
Bild: Wega Wetzel
Seitdem haben sich mehr als 50 Sterbewillige beim Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM) in Bonn gemeldet, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine
Parlamentsanfrage der FDP hervorgeht. Doch auf Weisung von Gesundheitsminister Jens Spahn,
einem erklärten Gegner der Sterbehilfe, werden sämtliche Anträge abgelehnt. Jetzt könnte neuer
Druck kommen. Laut Kölner Verfassungsgericht haben im Juni erstmals zwei Antragsteller ein
Eilverfahren gegen die Ablehnung angestrengt.
Für die Bürgerrechts- und Patientenschutzorganisation DGHS (Deutsche Gesellschaft für
Humanes Sterben e. V.) hat sich in den zurückliegenden Monaten einiges verändert. Sie
unterbreitete jetzt einen Vorschlag für eine verfassungskonforme Gesetzgebung zur Suizidhilfe. Er
umfasst die Aufnahme eines neuen Paragrafen in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und die
Aufnahme eines neuen Paragrafen sowie diverse Ergänzungen bzw. Modifizierungen bestehender
Vorschriften im Betäubungsmittelgesetz.
In der DGHS- Presseerklärung heißt es weiter: „Zentrale Bedingung einer ethisch vertretbaren
Praxis der Suizidhilfe ist die Einhaltung von Sorgfaltskriterien durch die beteiligten Ärzte und
Sterbehelfer. Erforderlich ist zudem eine Anpassung der Berufsordnungen der
Landesärztekammern und Änderungen im Betäubungsmittelrecht. Elementare Bedingung ist für
die DGHS die Freiverantwortlichkeit des Suizidwilligen.
Diese liegt vor, wenn der Suizidwillige die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seinen
Selbsttötungsentschluss besitzt, seine Entscheidung frei von Willensmängeln ist, sein Entschluss
wohlerwogen und von einer inneren Festigkeit getragen ist. Dabei ist die Urteils- und
Entscheidungsfähigkeit, wie im gesamten Rechtsverkehr, zu unterstellen. Nur bei Vorliegen
konkreter Anhaltspunkte hinsichtlich einer möglichen Einschränkung der Einsichts- und
Urteilsfähigkeit sollte eine fachpsychiatrische Begutachtung vorgenommen werden.“
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Weiter heißt es, dass im Rahmen eines zu schaffenden prozeduralen Sicherungskonzepts die
DGHS eine ausgewogene und umfassende Aufklärung über medizinische Alternativen zum
beabsichtigten Suizid befürworte, aber eine wie auch immer geartete Beratungspflicht ablehne, die
auf eine Pflicht des Sterbewilligen hinauslaufe, seinen Sterbewunsch zu rechtfertigen. Die
freiverantwortliche Entscheidung über das eigene Lebensende bedarf nach dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts „keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung“.
In seinem Urteil vom 26.2.2020 hatte das BVerfG festgestellt, dass das im Grundgesetz
garantierte allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie auch ein Recht
auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Es schließt das Recht auf Selbsttötung sowie die Freiheit
ein, dazu auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. (Rdnr. 348). Das BVerfG hat darüber
hinaus festgestellt, dass das Berufsrecht der Ärzte und Apotheker dementsprechend
auszugestalten und Betäubungsmittel anzupassen sind (Rdnr. 341).
Dieses Urteil hat die Rechtslage von 2015 wiederhergestellt und damit den über vier Jahre
verschlossenen Notausgang einer Selbsttötung neu eröffnet. Nicht nur das: Durch dieses Urteil hat
nunmehr Deutschland selbst die Schweiz an Liberalität überholt, so DGHS-Präsident Prof. D. Dr.
h. c. Dieter Birnbacher. Das Gericht bindet die Freiheit zum Tode an keine andere Bedingung als
die der Ernsthaftigkeit, -festigkeit und Freiverantwortlichkeit des Entschlusses und verlangt nicht,
dass der Sterbewillige an einer schweren, unheilbaren oder zum Tod führenden Krankheit leidet.
In der Praxis steht der Notausgang allerdings erst halb offen. Zwei Barrieren stehen weiterhin im
Wege. Erstens das berufsrechtliche Verbot einer ärztlichen Beteiligung an der Selbsttötung durch
die zehn Landesärztekammern, die die vom Deutschen Ärztetag 2011 beschlossene
Verbotsempfehlung übernommen haben. Es gibt gute Gründe, die Verschreibung und
Verfügbarmachung eines tödlichen Mittels Ärzten vorzubehalten.
Aber solange ein Arzt um seine Approbation fürchten muss, wird er kaum zu einer Suizidhilfe
bereit sein. Zweitens lässt sich auch nach dem Urteil das in der Schweiz zur Herbeiführung eines
schnellen und leichten Todes bewährte Mittel Natrium-Pentobarbital in Deutschland noch immer
nicht leicht beschaffen.
„Der gegenwärtige Rechtszustand ist nicht nur halbherzig, sondern glatterdings unlogisch“, sagt
DGHS—Präsident Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher. Wenn der ehemalige § 217 StGB
verfassungswidrig ist, weil er die Wahrnehmung des Grundrechts auf selbstbestimmtes Sterben
effektiv verschließt, sind auch diese weitere Hürden mit der Verfassung nicht vereinbar und
müssen abgebaut werden. Und erforderlich ist, so Prof. Birnbacher und Prof. Robert Roßbruch
bei der Vorstellung eines DGHS-eigenen Gesetzentwurfes am 16.9.2020 in Berlin, eine
Klarstellung im Betäubungsmittelgesetz, dass das tödliche Mittel, das sich in der Schweiz bewährt
hat, auch in Deutschland zum Zweck eines selbstbestimmten Sterbens und nicht nur, wie es dort
heißt, zu einer ärztlichen „Behandlung“ verwendet werden darf.
Den Gesetzvorschlag (aktuelle Version vom 22.8.2020) im Volltext, ein Foto und die PresseErklärung als pdf finden Sie auf www.dghs.de .
Übrigens: Im „Berliner Kurier“ vom 23.9.2020 war unter der Überschrift „Vatikan lässt Kranke
im Stich“ zu lesen, dass der Vatikan seine Ablehnung von Sterbehilfe bekräftigt hat und
Betroffenen künftig die Sterbesakramente verweigern will. Das geht aus einem Brief der
Glaubenskongregation zu Maßnahmen zum Ende des Lebens hervor, den Papst Franziskus
abgesegnet hat. Patienten, die durch Sterbehilfe oder assistierten Suizid sterben wollen, sollten
nicht mehr die Sakramente, Sterbekommunion, Salbung und Beichte erhalten.
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Kurzgeschichten, Gedichte
Was ist mein Leben?
- Ein Gedicht für Paulina von Frank Wollmann
Was ist mein Leben,
kann ich`s fassen,
and`ren etwas geben,
Gedanken fliegen lassen?
Werde so langsam groß,
nehme Anteil auf meine Weise,
gehe im elterlichen Schoß,
auf meine ganz eigene Reise.
Bild: Katrin Schindler, Kreativschmiede
Paulina
Vertraute in meinen Augen lesen,
der Spiegel meiner Sinne,
erkennbar darin mein Wesen,
dem ich nicht entrinne.
Ich spüre mein Empfinden,
erkenne meine Welt,
kann auch Erfüllung finden,
wenn man zu mir hält.
Die Technik kann man sagen,
auf meine Augen schaut,
gibt weiter meine Fragen
an die, die mir vertraut.
Höre meine Eltern lachen,
sehe auch mal Traurigkeit,
möchte ihnen Freude machen,
bin für Blödsinn auch bereit.
So kann ich vielmehr sagen,
man besser mich versteht,
ob Freude oder Klagen,
mein Leben weitergeht.
Wie sie sich um mich sorgen,
kein Vorwurf ist zu spür`n,
denke heute schon an morgen,
wohin wird es uns führ`n?
Mein Leben ist mäandern
zwischen Traum und Wirklichkeit,
ein täglich hartes Wandern
durch täglich neue Zeit.
Zur Entstehung des Gedichts
"Im Gespräch mit einem bei uns tätigen Handwerker erfuhr ich erstmals von der sehr seltenen
Krankheit Red, welche fast ausschließlich bei Mädchen auftritt. Diese Kleinstkinder fallen im
Zeitraum vom 12. Bis 18. Lebensmonat auf die Entwicklungsstufe des sechsten Monats zurück
und bedürfen der lebenslangen Betreuung. Die Eltern dieser Kinder haben sich in Red-Vereinen
organisiert, in denen sie wertvolle medizinische und therapeutische Informationen erhalten, sich
gegenseitig helfen und durch Sponsoren unterstützt werden. Jeder, dem es am Herzen liegt,
kann sich unter www.rett.de informieren und auch als Nichtbetroffener mit einbringen.“
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Literatur, Buchtipps
Willkommen im
Anthropozän
von Günter Knackfuß
Seit der holländische Nobelpreisträger und
Meteorologe Paul Crutzen im Jahr 2000 das
Zeitalter des Anthropozän bestimmt hat,
streiten die Wissenschaftler.
Bild: oekom
Titel des Buches
Manche wähnen unsimmer noch im Holozän, dem geologischen Nacheiszeitalter. Der Gelehrte
wollte darauf aufmerksam machen, wie massiv der Mensch in den Planeten eingreift. Deshalb jetzt
das „Zeitalter des Menschen“. Bedeutet dies aber das Ende der Natur? Wer ist für das
Anthropozän verantwortlich – der Homo sapiens, die ersten Bauern oder reiche Konsumenten des
Industriezeitalters? Und ist das Anthropozän notwendigerweise eine Katastrophe – eine
Umweltkatastrophe, das Ende der Menschheit? Oder könnte es auch ein »gutes« Anthropozän
geben, in dem Mensch und Natur gemeinsam in die Zukunft hineinwachsen?
Das fundierte Buch führt gleichermaßen kompakt wie umfassend in die zahlreichen hitzigen
Debatten rund um die neue Ära ein und zeigt, dass dabei weitaus mehr auf dem Spiel steht als nur
die Einführung eines neuen geologischen Intervalls.
Mit “Anthropozän“, Das Zeitalter des Menschen – eine Einführung, verbinden sich Klimawandel,
radioaktiver Fallout, Mikroplastik – die lange Liste menschlicher Eingriffe in das System Erde.
Der Autor Erle C. Ellis erläutert, was es mit dem Begriff auf sich hat, welche Umweltveränderungen maßgeblich sind und warum heftig um das Narrativ Anthropozän gestritten wird.
Er gliedert sein Werk in die Kapitel: Ursprünge, Das Erdsystem, Die geologische Zeitskala, Die
Große Beschleunigung, Anthropos, Oikos, Politikos und Prometheus. Seine generelle Absicht
erklärt Ellis in seinem Vorwort: „Ich verfolge das schlichte Ziel, meinen Lesern lediglich den
Hintergrund zu liefern, um das Anthropozän als wissenschaftliche Hypothese zu verstehen, und
erklären, warum diese Hypothese eine so weitreichende Wirkung entfaltet hat.
Ich hoffe, dass sie dabei im selbenMaße angeregt werden wie ich, Dinge bewusster wahrzunehmen
und aktiver für eine bessere Zukunft für das »Menschenzeitalter« einzutreten“. Erle C. Ellis ist ein
amerikanischer Professor für Geografie und Umweltsysteme an der University of Maryland.
Er beschäftigt sich unter anderem mit der Ökologie von Ökosystemen, die vom Menschen geprägt
werden. Sein Ziel ist es, durch seine Forschungeine Wende zu einem nachhaltigen Umgang mit
der Erde im Anthropozän anzustoßen.
Anthropozän Das Zeitalter des Menschen – eine Einführung, oekom Verlag GmbH, 256 Seiten,
Softcover, ISBN 978-3-96238-177-6, 18,00 € (D). Auch als E-Book erhältlich.
Grafik: Buchtitel ©oekom
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Vermischtes
Die Geschichte vom
Pflaumentoffel
Eine Geschichte aus dem 17. Jahrhundert
von Hans-Jürgen Kolbe
Der Pflaumentoffel ist ein aus Trockenpflaumen
zusammengestecktes Männlein. Er ist ein
Bild: Dresdner Christstollen24
typisches Symbol für die Dresdner Weihnacht und
insbesondere für den Dresdner Striezelmarkt.
Dresdner Pflaumentoffel
Eine erste urkundliche Erwähnung stammt aus
dem Jahre 1801. In dieser Zeit verkauften Striezelkinder den Pflaumentoffel als weihnachtlichen
Glücksbringer, Schmuck und auch Naschwerk. Seine Form als Schornsteinfeger verdankt er den
Waisenknaben des 19. Jahrhunderts. Die Essenkehrer durften sogar durch eine sächsischkurfürstliche Genehmigung (1653) diese sieben- bis achtjährigen Kinder beschäftigen.
Sie mussten die Essen und Schlote von innen reinigen. Dies ist ein frühes Beispiel für staatlich
geduldete Kinderarbeit. Die Kinder hatten einen schwarzen Umhang mit Kapuze und dienten so
als Vorbild für den Pflaumentoffel (etymologisch aus Pflaume und Feuerteufel). Im 19.
Jahrhundert wurde der Zylinderhut ein weit verbreiteter Modehut und ist es bis heute bei den
Essenkehrern und Schornsteinfegern geblieben. Daraus entwickelte sich der moderne
Pflaumentoffel mit Zylinder. Aber auch der ältere, historische ohne Hut ist wieder erhältlich unter
dem Namen Pflaumenfeuerrüpel.
Eine Geschichte aus dem 17. Jahrhundert!
Die Frau des Hauses, der der Krieg gleich am Anfang den Sohn und den Mann nahm, legte die
Hände aneinander, dass die Fingerspitzen sich berührten, sann einige Sekunden nach und
erzählte: »Da wohnt in den Trümmern eines kleinen, durch Kanonenschüsse zerstörten Hauses
eine Frau, die zu den Leuten waschen geht. Ihr Mann ist seinerzeit von Napoleon als Trossfahrer
mit nach Russland verschleppt worden, und obwohl diese Ärmste das Letzte verloren hat, machte
ihr der Hauswirt – bedenken sie, jetzt im Dezember – auch noch den Wohnraum streitig, da sie
seit Monaten mit der Miete im Rückstand war. Kein Wunder, dass sie mit ihren Kindern in diesem
Unmenschen ihren schlimmsten Bedränger sehen musste.«
»Mit ihren Kindern?«
»Ja, mit ihren unmündigen Kindern, einem Mädchen von 10 Jahren und einem Jungen von 9.«
Und nun ergab sich aus dem Bericht der Erzählerin Folgendes:
Die beiden Kleinen hatten eines Tages, als die Mutter in Ausübung ihres Broterwerbes aus dem
Hause gegangen, einsam am Tisch gesessen, mit den paar vertrockneten Pflaumen spielend, die
ihnen als Mittagessen zurückgelassen worden waren. Indem sie die Pflaumen auf dünne
Holzstäbchen reihten, entstand mit Rumpf, Gliedern und einem runzligen Kopf ein kleiner
schwarzer Mann, der einen Essenkehrer nicht unähnlich sah. Da nun der böse Hauswirt zufällig
Schornsteinfegermeister war und als solcher bei mancher Gelegenheit doppelt düster in
Erscheinung getreten sein möchte. Lag es nahe, dass die Kinder alsbald ihr Männchen als
Feuerrüpel ansprachen und ihm auch noch die genaueren Kennzeichen seines Berufes, einen
Besen, eine Leiter und einen Zylinderhut mit geschickten kleinen Händen beifügten.
Der Jubel über das beziehungsvolle Kunstwerk ließ sie allen Hunger vergessen. Als die Mutter
abends nach Hause kam, wurde ihr das verschrumpelte Abbild des Unholdes nicht ohne Freude
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und unter Gelächter vorgeführt. Die Frau, stolz auf das verschmitzte Erzeugnis ihrer Kinder und
auch nicht ganz ohne Schadenfreude, hatte nichts Eiligeres zu tun als den Pflaumentoffel, wie sie
ihn nannte, in den benachbarten Häusern herumzutragen.
Da der Schornsteinfegermeister wegen seines Geizes und seines üblen Rufes überall unbeliebt war,
bekam sie viel Beifall und Zuspruch. Sie bekam überall Backpflaumen geschenkt. Die gesamte
Nachbarschaft wollte solche drolligen schmackhaften Männlein haben. Als die Frau sah, mit
welcher Freude und mit welcher Hingabe ihre beiden Kinder sich an die Anfertigung der
Pflaumentoffel machten, erwachte in ihr der Geschäftsgeist. Sie trug die Musterstücke zu allen
Kunden, denen sie die Wäsche wusch, und nahm Bestellungen auf. Bald mussten ihre beiden
Heimarbeiter die Hilfe der Nachbarskinder in Anspruch nehmen, um den Anforderungen des
stillvergnügten Handels gewachsen zu sein. Die schlimmste Not war mit einem Schlag vorbei.
Als der Schornsteinfegermeister, gehänselt und verlacht, hinter die Bescherung kam und die neue
Firma wutschnaubend und endgültig aus dem Hause warf, obwohl die Wäscherin ihre
Mietschulden inzwischen bezahlt hatte, konnte er den Dreien keinen Schmerz mehr zufügen. Sie
hatten die Lacher auf ihrer Seite und fanden Unterschlupf in einem kleinen Häuschen gegenüber.
Diese Geschichte schrieb der Dresdner Schriftsteller Kurt Arnold Findeisen (1883 bis 1963) auf
und erwähnte in ihr zum ersten Mal die Pflaumentoffel. Der Begriff Toffel stammt aus dem
Sächsischen und bezeichnet einen komischen Typ. Im Verlaufe seiner Existenz fügte man ihm
Leiter und Zylinder hinzu, um an sächsische Kinder zu erinnern, die einst als sogenannte
Feuerrüpel in den Schloten sächsischer Bürgerhäuser ihren rußigen Dienst verrichten mussten.
Gerade mal sieben oder acht Jahre alt und meist in Waisenhäusern zu Hause, krochen die Kinder
in die Schornsteine und reinigten sie. Dies hatte ein königlicher Erlass von 1635 erlaubt.
Im 19. Jahrhundert schließlich wurde der Pflaumentoffel wieder von Kindern begleitet, diesmal
jedoch nicht als Symbol harter Kinderarbeit, sondern in einem Bauchladen, mit dem die Knirpse
auf den sächsischen Weihnachtsmärkten ihre selbst gebastelten Pflaumentoffel verkauften. Heute
gilt der Pflaumentoffel trotz seiner eher traurigen Geschichte als Glückssymbol, ähnlich wie der
Schornsteinfeger. Im Mittelpunkt des Festes steht der Pflaumentoffel als eine der
symbolträchtigsten Figuren des Dresdner Striezelmarktes.
Impressum
BEZIRKSAMT MARZAHN- HELLERSDORF
VON BERLIN
RIESAER STRAßE 94
12627 BERLIN
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