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Volume No. 39, 6. Dezember 1928

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1928 (Public Domain)

Sitzung ant 6. 
noch dazu in ein Diakonissenheim, Was das auf sich 
hat, wissen Sie selbst, das brauche ich Ihnen nicht zu 
erzählen. Wir haben den Magistrat gefragt, ob es 
stimmt, daß nur solche Geisteskranke hinkommen, die 
keine Angehörigen haben. Das wurde uns bestätigt. 
In der Vorlage heißt es aber, daß nur solche hin 
kommen, „die in Berlin und Umgegend Angehörige 
nicht besitzen". Was hat das zu bedeuten? Wenn 
die Angehörigen in der weiteren Umgegend bon Ber 
lin wohnen, dann ist das dasselbe, als wenn Sie in 
Berlin wohnten. Die Entfernung ist die gleiche, als 
wenn sie innerhalb der Grenze von Berlin wohnen. 
Der Magistrat schickt solche Geisteskranke dorthin 
und sagt nachher, daß Angehörige in Berlin nicht 
wohnen. 
Nun möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, 
daß wir in Buch ein sehr schönes Heim haben, ivo 
Kinder untergebracht sind. Dieses Heim war ur 
sprünglich für Geisteskranke vorgesehen. Warum 
baut man kein Kinderkrankenhaus und sorgt dafür, 
daß die Kinder aus dem Heim in Buch heraus 
kommen? Dann kann das Heim dafür verwendet 
werden, ivozit es gedacht ist und man kann die 
Geisteskranken dorthin schicken. Wir haben auch in 
Upstahl noch ein schönes festes Haus, wo auch Geistes- 
* kranke untergebracht werden können, Die Insassen 
* in Upstahl sind leicht Erkrankte, die der Erholung be 
dürfen. Wir können sie auch in Blankenfelde unter 
bringen. 
Wir bringen hier den Antrag wieder ein, den 
wir im Ausschüsse gestellt haben. Dieser Antrag 
lautet: 
„Die Stadtverordnetenversammlung lehnt die 
Vorlage des Magistrats, Drucks. 880, ab und be- > 
schließt: 
Um bei der kolossalen, Bettennot ans dem Ge 
biete des Jrrenwesens Abhilfe zu schaffen, wird 
der Magistrat -ersucht, sofort eine Vorlage über den 
Ausbau oder Neubau von Heil- und Pflege- 
anstalten vorzulegen. 
Bis dahin ist ein Austausch der Geistes 
kranken nach der Richtung hin vorzunehmen, daß 
die leichter Erkrankten in Leichtkrankenhäusern 
untergebracht werden," 
Ich bitte die Versammlung, diesem Antrage zuzu 
stimmen, 
Stadtv. Frau Dr. Frankenthal (S): Meine 
ß Herren und Damen! Die Verlegung von Geistes 
kranken bis nach Schleswig ist allerdings ein Not 
behelf, zu dem wir uns nur schweren Herzens ent 
schließen können. Aber wir sind zurzeit in einer 
Zwangslage und können nicht umhin, diese Vor 
lage des Magistrats anzunehmen. 
Der Antrag der Kommunisten ist für uns nicht 
annehmbar. Wir können Geisteskranke nicht inLeicht- 
kranlenhäusern unterbringen, weil die Leichtkranken- 
Häuser nicht dafür eingerichtet sind und nicht die 
nötigen Sicherungsvorrichtungen bieten. 
Unsere Bettennot gerade in bezug auf die Irren- 
pflege ist katastrophal, und daß es bis zu dieser kata 
strophalen Bettennot kommen konnte, daß ist der Vor 
wurf, den wir dem Hauptgesundheitsamt machen. 
Die Irrenanstalt Buch ist seinerzeit zu einem Kinder 
krankenhaus umgebaut worden, und nun seit drei j 
Jahren ist die Rede davon, daß die Irrenanstalt 
ihrer ursprünglichen Bestimmung wieder zugeführt 
werden muß. Es ist vor einigen Jahren ein kom 
munistischer Antrag angenommen worden, dem wir 
uns angeschlossen haben, daß allerdings keineswegs 
diese Nmorganisation vor sich gehen kann, bevor wir 
ein neues Kinderkrankenhaus haben. Leider haben 
wir dieses Kinderkrankenhaus heute noch nicht. 
Wir müssen also einstweilen der Verlegung der 
Dezember 1928. 981 
Kranken nach Schleswig zustimmen, schließen daran 
aber das Verlangen an den Magistrat, die lange pro 
jektierte Kinderheilanstalt jetzt mit größter Beschleu 
nigung in die Wege zu leiten und uns in kürzester Zeit 
eine Vorlage zu machen, aus der hervorgeht, auf wel 
chem Terrain und wo die Kinderheilanstalt erbaut 
werden soll, damit die Anstalt in Buch ihrer eigentlichen 
Bestimmung als Irrenanstalt wieder zugeführt 
werden kann, 
Vorst.-Stellv. Meyer: Weitere Wortmeldungen 
liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Der 
Berichterstatter verzichtet auf das Schlußwort. 
Ich beabsichtige in der Weise abstimmen zu lassen, 
daß ich erst den Antrag der Kommnnistischen Fraktion 
zur Abstimmung stelle, im Falle der Ablehnung dieses 
Antrages weiter den Ausschußantrag. 
Ich bitte diejenigen Mitglieder der Versammlung, 
die dem von Frau Markus bereits vorgelesenen Antrag 
der Kommunistischen Fraktion zustimmen wollen, eine 
Hand zu erheben. 
(Geschieht.) - 
Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt. 
Ich bitte diejenigen Mitglieder der Versammlung, 
die dem Ausschußantrage zustimmen wollen, eine Hand 
zu erheben. 
(Geschieht.) 
Das ist die Mehrheit. Es ist danach beschlossen. 
Wir kommen zu Punkt 8 der Tagesordnung: 
II. Beratung der Vorlage, betr. Erhöhung der Vor 
behaltsmittel — Drucks. 944 —. 
Berichterstatter ist Herr Stadtverordneter Merten. 
(Verzichtet.) 
! Der Herr Berichterstatter verzichtet auf Bericht 
erstattung. 
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort ge 
wünscht? Das Wort hat Herr Stadtverordneter 
Merten. 
Stadtv. Merten (D): Meine Damen und Herren! 
Die Vorlage des Magistrats, die schließlich im Haus 
haltsausschutz mit Mehrheit angenommen wurde, gibt 
doch zu sehr interessanten Betrachtungen und auch zu 
erheblichen Bedenken Anlaß. Wenn wir uns einmal 
vergegenwärtigen, wie die Vorbehaltsmittel in unsern 
Etat von Jahr zu Jahr gewachsen sind, so muß man 
doch einmal Betrachtungen darüber anstellen, ob wir 
mit diesem System weiterarbeiten können. 
Im Jahre 1925 betrug der Etatsansatz 2,4 Milli 
onen, verausgabt sind letzten Endes 3,7 Millionen. Ich 
betone, daß Nachforderungen damals nicht vorgenommen 
wurden, sondern das einfach in den Vorlagen geschrie 
ben war: „Die Bewilligung erfolgt aus den Vorbehalts 
mitteln", und kein Mensch wnßte, wann diese über 
schritten waren und wann wir eigentlich im Defizit 
wirtschafteten. Im Jahre 1926 war das Verhältnis 
zwischen 2,4 Millionen zu 6 Millionen. Im Jahre 1927 
3 Millionen, verausgabt 7,3 Millionen, und in diesem 
Jahre, 1928, sind in den Etat wieder 3 Millionen ein 
gestellt. Am 4. Oktober haben wir 1,5 Millionen nach 
bewilligt, heute sollen 2 Millionen bewilligt werden, das 
sind 6,5 Millionen. Wir alle aber stehen unter dem 
Eindruck, daß das noch nicht die letzte Forderung ist, 
sondern daß wir wahrscheinlich im Februar/März er- 
: neut eine Nachbewilligung vornehmen müssen, so daß 
eine Summe von 7—8 Millionen wahrscheinlich erreicht 
werden wird. 
Angesichts dieser unerhörten Steigerung der Vor 
behaltsmittel frage ich mich doch, ob der Herr Kämmerer 
bzw. der Gesamtmagistrat nicht die Verpflichtung hat, 
nach einem anderen System sich umzusehen, ob es nicht 
notwendig ist, bei der Verteilung der Etatsmittel und 
bei der Anweisung der einzelnen Dezernate von Haus 
aus Sparkonten zu bilden und sie zu sperren in Höhe
	        
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