Sitzung ant 6.
noch dazu in ein Diakonissenheim, Was das auf sich
hat, wissen Sie selbst, das brauche ich Ihnen nicht zu
erzählen. Wir haben den Magistrat gefragt, ob es
stimmt, daß nur solche Geisteskranke hinkommen, die
keine Angehörigen haben. Das wurde uns bestätigt.
In der Vorlage heißt es aber, daß nur solche hin
kommen, „die in Berlin und Umgegend Angehörige
nicht besitzen". Was hat das zu bedeuten? Wenn
die Angehörigen in der weiteren Umgegend bon Ber
lin wohnen, dann ist das dasselbe, als wenn Sie in
Berlin wohnten. Die Entfernung ist die gleiche, als
wenn sie innerhalb der Grenze von Berlin wohnen.
Der Magistrat schickt solche Geisteskranke dorthin
und sagt nachher, daß Angehörige in Berlin nicht
wohnen.
Nun möchte ich Sie darauf aufmerksam machen,
daß wir in Buch ein sehr schönes Heim haben, ivo
Kinder untergebracht sind. Dieses Heim war ur
sprünglich für Geisteskranke vorgesehen. Warum
baut man kein Kinderkrankenhaus und sorgt dafür,
daß die Kinder aus dem Heim in Buch heraus
kommen? Dann kann das Heim dafür verwendet
werden, ivozit es gedacht ist und man kann die
Geisteskranken dorthin schicken. Wir haben auch in
Upstahl noch ein schönes festes Haus, wo auch Geistes-
* kranke untergebracht werden können, Die Insassen
* in Upstahl sind leicht Erkrankte, die der Erholung be
dürfen. Wir können sie auch in Blankenfelde unter
bringen.
Wir bringen hier den Antrag wieder ein, den
wir im Ausschüsse gestellt haben. Dieser Antrag
lautet:
„Die Stadtverordnetenversammlung lehnt die
Vorlage des Magistrats, Drucks. 880, ab und be- >
schließt:
Um bei der kolossalen, Bettennot ans dem Ge
biete des Jrrenwesens Abhilfe zu schaffen, wird
der Magistrat -ersucht, sofort eine Vorlage über den
Ausbau oder Neubau von Heil- und Pflege-
anstalten vorzulegen.
Bis dahin ist ein Austausch der Geistes
kranken nach der Richtung hin vorzunehmen, daß
die leichter Erkrankten in Leichtkrankenhäusern
untergebracht werden,"
Ich bitte die Versammlung, diesem Antrage zuzu
stimmen,
Stadtv. Frau Dr. Frankenthal (S): Meine
ß Herren und Damen! Die Verlegung von Geistes
kranken bis nach Schleswig ist allerdings ein Not
behelf, zu dem wir uns nur schweren Herzens ent
schließen können. Aber wir sind zurzeit in einer
Zwangslage und können nicht umhin, diese Vor
lage des Magistrats anzunehmen.
Der Antrag der Kommunisten ist für uns nicht
annehmbar. Wir können Geisteskranke nicht inLeicht-
kranlenhäusern unterbringen, weil die Leichtkranken-
Häuser nicht dafür eingerichtet sind und nicht die
nötigen Sicherungsvorrichtungen bieten.
Unsere Bettennot gerade in bezug auf die Irren-
pflege ist katastrophal, und daß es bis zu dieser kata
strophalen Bettennot kommen konnte, daß ist der Vor
wurf, den wir dem Hauptgesundheitsamt machen.
Die Irrenanstalt Buch ist seinerzeit zu einem Kinder
krankenhaus umgebaut worden, und nun seit drei j
Jahren ist die Rede davon, daß die Irrenanstalt
ihrer ursprünglichen Bestimmung wieder zugeführt
werden muß. Es ist vor einigen Jahren ein kom
munistischer Antrag angenommen worden, dem wir
uns angeschlossen haben, daß allerdings keineswegs
diese Nmorganisation vor sich gehen kann, bevor wir
ein neues Kinderkrankenhaus haben. Leider haben
wir dieses Kinderkrankenhaus heute noch nicht.
Wir müssen also einstweilen der Verlegung der
Dezember 1928. 981
Kranken nach Schleswig zustimmen, schließen daran
aber das Verlangen an den Magistrat, die lange pro
jektierte Kinderheilanstalt jetzt mit größter Beschleu
nigung in die Wege zu leiten und uns in kürzester Zeit
eine Vorlage zu machen, aus der hervorgeht, auf wel
chem Terrain und wo die Kinderheilanstalt erbaut
werden soll, damit die Anstalt in Buch ihrer eigentlichen
Bestimmung als Irrenanstalt wieder zugeführt
werden kann,
Vorst.-Stellv. Meyer: Weitere Wortmeldungen
liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Der
Berichterstatter verzichtet auf das Schlußwort.
Ich beabsichtige in der Weise abstimmen zu lassen,
daß ich erst den Antrag der Kommnnistischen Fraktion
zur Abstimmung stelle, im Falle der Ablehnung dieses
Antrages weiter den Ausschußantrag.
Ich bitte diejenigen Mitglieder der Versammlung,
die dem von Frau Markus bereits vorgelesenen Antrag
der Kommunistischen Fraktion zustimmen wollen, eine
Hand zu erheben.
(Geschieht.) -
Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte diejenigen Mitglieder der Versammlung,
die dem Ausschußantrage zustimmen wollen, eine Hand
zu erheben.
(Geschieht.)
Das ist die Mehrheit. Es ist danach beschlossen.
Wir kommen zu Punkt 8 der Tagesordnung:
II. Beratung der Vorlage, betr. Erhöhung der Vor
behaltsmittel — Drucks. 944 —.
Berichterstatter ist Herr Stadtverordneter Merten.
(Verzichtet.)
! Der Herr Berichterstatter verzichtet auf Bericht
erstattung.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort ge
wünscht? Das Wort hat Herr Stadtverordneter
Merten.
Stadtv. Merten (D): Meine Damen und Herren!
Die Vorlage des Magistrats, die schließlich im Haus
haltsausschutz mit Mehrheit angenommen wurde, gibt
doch zu sehr interessanten Betrachtungen und auch zu
erheblichen Bedenken Anlaß. Wenn wir uns einmal
vergegenwärtigen, wie die Vorbehaltsmittel in unsern
Etat von Jahr zu Jahr gewachsen sind, so muß man
doch einmal Betrachtungen darüber anstellen, ob wir
mit diesem System weiterarbeiten können.
Im Jahre 1925 betrug der Etatsansatz 2,4 Milli
onen, verausgabt sind letzten Endes 3,7 Millionen. Ich
betone, daß Nachforderungen damals nicht vorgenommen
wurden, sondern das einfach in den Vorlagen geschrie
ben war: „Die Bewilligung erfolgt aus den Vorbehalts
mitteln", und kein Mensch wnßte, wann diese über
schritten waren und wann wir eigentlich im Defizit
wirtschafteten. Im Jahre 1926 war das Verhältnis
zwischen 2,4 Millionen zu 6 Millionen. Im Jahre 1927
3 Millionen, verausgabt 7,3 Millionen, und in diesem
Jahre, 1928, sind in den Etat wieder 3 Millionen ein
gestellt. Am 4. Oktober haben wir 1,5 Millionen nach
bewilligt, heute sollen 2 Millionen bewilligt werden, das
sind 6,5 Millionen. Wir alle aber stehen unter dem
Eindruck, daß das noch nicht die letzte Forderung ist,
sondern daß wir wahrscheinlich im Februar/März er-
: neut eine Nachbewilligung vornehmen müssen, so daß
eine Summe von 7—8 Millionen wahrscheinlich erreicht
werden wird.
Angesichts dieser unerhörten Steigerung der Vor
behaltsmittel frage ich mich doch, ob der Herr Kämmerer
bzw. der Gesamtmagistrat nicht die Verpflichtung hat,
nach einem anderen System sich umzusehen, ob es nicht
notwendig ist, bei der Verteilung der Etatsmittel und
bei der Anweisung der einzelnen Dezernate von Haus
aus Sparkonten zu bilden und sie zu sperren in Höhe