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Volume No. 38, 29. November 1928

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1928 (Public Domain)

Sitzung mit 29. November 1928. 913 
Konzert für ein Orchester viel größer und anstrengender 
sind als die Proben für eine Oper. Ich will mir selbst 
kein eigenes Urteil anmaßen, aber vorläufig ist mir Herr 
Tr. Singer in diesen Fragen etwas maßgebender als 
Frau Hoffmann-Gwinner. 
Frau Hoffmann-Gwinner hat sich ferner dagegen 
gewandt, daß auch Prominente bei den Vorstellungen 
mitspielen sollen. Auch diese Frage ist im Ausschuß ein 
gehend erörtert worden, und Herr Intendant Dr. Singer 
hat uns darüber belehrt, daß es sich hier nur um einzelne 
Fälle handelt und daß es vorkommen kann, daß in einem 
Stück sich eine Rolle befindet, die tatsächlich nur von 
einem routinierten und geschulten Sänger gespielt wer 
den kann. Ich meine, es wäre geradezu ein Vergehen 
gegen unsere jungen Kräfte, wenn wir sie in einer 
Rolle herausstellen würden, die nur von einem routi 
nierten und erfahrenen Sänger oder von einer routi 
nierten und erfahrenen Sängerin bewältigt werden 
samt. Dann wurden wir das Gegenteil von dem er 
reichen, was wir erreichen wollen: wir würden die 
jungen Kräfte nicht fördern, sondern wir würden sie 
vor unmögliche Aufgaben stellen und ihnen das Fort 
kommen erschweren, indem ihnen dieses Vorgehen eine 
ungünstige lKritik in der Oeffentlichkeit eintragen 
würde. 
Ganz besonders eigenartig hat mich die Deduktion 
der Frau Hoffmann-Gwinner berührt, daß dadurch, daß 
wir diese billigen Vorstellungen veranstalten, der Absatz 
der Billetts für die teuren Vorstellungen beeinträchtigt 
werden könnte. Ich muß sagen, wie das aus dem Munde 
einer Kommunistin kommen kann, ist mir geradezu un 
verständlich. Sie sollte sich doch freuen, wenn für Leute, 
die nicht über das große Portemonnaie verfügen, die 
Möglichkeit gegeben ist, für ganz billiges Geld gute 
Kunst genießett zu können. Ich muß gestehen, diese Dar 
legungen haben mich außerordentlich frappiert. 
Meine Damen und Herren! Ich will nicht auf die 
sonstigen allgemeinen Ausführungen darüber eingehen, 
ob die Oper eine Existenzberechtigung hat oder ob die 
Oper ein „Amüsiertheater" geworden ist. Ich glaube 
doch, Frau Hoffmann-Gwinner, die Leute, die jetzt be 
geistert aus der Vorstellung von „Tannhäuser" in 
unserer Städtischen Oper herauskommen, werden eine 
andere Auffassung darüber haben, ob sie sich dort nur 
amüsiert oder ob sie sich dort erhoben haben. Ich will 
auch ans die allgemeine Kritik an der Städtischen Oper 
nicht eingehen. Es ist selbstverständlich richtig, daß die 
Städtische Oper in ihrem Repertoire der Nachkriegszeit 
viele Vorstellungen hat, die kein Mitglied des Anfsichts- 
rats billigt, die auch -keinen Musikfreund voll befriedigen 
können. Das ist aber eine unselige Erbschaft des Char 
lottenburger Opernhauses, das wir übernommen haben. 
Wir haben da besonders viele alten Kulissen, die mit 
Recht bemängelt worden sind. Beispielsweise aber ist die 
Aufführung „Carmen", die von Frau Hofsmanu- 
Gwinner ganz besonders tadelnd hervorgehoben worden 
ist, aus unserm Repertoire verschwunden und wird 
hoffentlich in einiger Zeit in neuem Iugendkleide 
wieder aufleben. 
Wenn der Herr Oberbürgermeister bereits Gelegen 
heit genommen hat, gegen die absolut unverständlichen 
Angriffe, die Frau Hoffmann-Gwinner gegen Bruno 
Walter hier gerichtet hat, vorzugehen, so enthebt mich 
das der Aufgabe, nochmals das gleiche zu tun. Ich muß 
sagen, wer einmal einen Blick hinter die Kulissen der 
Städtischen Oper getan hat, wer weiß, wie alle, die dort 
tätig sind, mit größter Liebe an Bruno Walter hängen, 
wer weiß, wie unsere Abonnenten keinen dringenderen 
Wunsch haben, als eine Vorstellung zu genießen, in der 
Bruno Walter dirigiert, wer weiß, daß das Renommee 
der Städtischen Oper im wesentlichen der Genialität 
eines Bruno Walter zu verdanken ist, der weiß auch, daß 
die Angriffe, die Frau Hoffmann-Gwinner hier gegen 
Bruno Walter geschleudert hat, an diesen großen Mann 
nicht herankommen. Ich halte mich auch für verpflichtet, 
hier gegenüber den Angriffen, die Frau Hvsfmann- 
Gwinner gegen den Generalintendanten Tietjen ge 
schleudert hat, hervorzuheben, daß ich, der ich tatsächlich 
ein Gegner der Arbeitsgemeinschaft gewesen bin, doch 
anerkennen muß, daß der Generalintendant Tietjen sich 
in der schweren Stellung, die er durch die Arbeits 
gemeinschaft übernommen hat, bisher durchaus loyal be. 
uommen hat und irgendeine Schädigung unserer Städti 
schen Oper durch Herrn Tietjen bisher nicht erfolgt ist. 
Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie auf 
das dringendste bitten, der Vorlage zuzustimmen. Be. 
denken Sie, welchen Eindruck es in der Oeffentlichkeit 
machen müßte, wenn diese Vorlage, die in der Presse 
bereits als etwas Feststehendes angekündigt worden ist, 
abgelehnt würde und dadurch die Hoffnung so manch 
jungen Komponisten oder so manch jungen Sängers 
oder Sängerin wieder vernichtet werden würde. Ich 
hoffe, meine Damen und Herren, daß Sie durch Ihre 
Abstimmung zeigen werden, daß Berlin die Hauptstadt 
von Deutschland ist und nicht die Hauptstadt von 
Böotien. 
(Beifall bei den Sozialdemokraten.) 
Stadtv. Seelmann-Eggebert (DN): Meine Damen 
und Herren! Wir waren eigentlich der Meinung, daß 
der Vater unserer Vorlage der neue Intendant der 
Städtischen Oper, Herr Dr. Singer, sei. Ich höre heute 
abend, daß der Herr Oberbürgermeister sich selber zur 
Vaterschaft dieser neuen Idee bekennt. Das ist aller 
dings nicht geeignet oder trägt in keiner Weise dazu bei, 
unsere Stellungnahme zu der Vorlage irgendwie zu 
beeinflussen. 
Der Herr Oberbürgermeister entfaltet auf dem Ge 
biete der Kunstpflege eine erstaunliche Rührigkeit. Ich 
erinnere an das Darlehn an die Volksbühne, an die 
Pläne hinsichtlich der Schaffung einer großen städtischen 
Kunstsammlung, au die Pläne hinsichtlich der zu er 
wartenden großen Season im nächsten Jahre. Das 
scheint mir einen Umfang anzunehmen, der beängsti 
gend ist. 
Wir haben angenommen, es sei dies sozusagen die 
erste Tat des neuen Intendanten, Herrn Dr. Singer, 
auf den ja auch die Begründung der Vorlage schließen 
läßt. Herr Singer will die ins Stocken geratene Opern 
kunst zu einem neuen Aufschwung bringen. Er will die 
jungen Talente, die bisher ein unbekanntes Dasein ge 
führt haben und nicht in der Lage waren, ihre Werke 
öffentlich aufgeführt zu sehen, ans Licht ziehen und hofft 
dadurch auf eine Bereicherung unseres Spielplans und 
unserer Opernliteratur. Es ist allerdings Tatsache, daß 
die Schöpfung von Opern augenblicklich etwas im Ver 
sanden begriffen ist. Es fehlt an einem Nachwuchs, es 
fehlt an neuen Ideen, es fehlt au neuer Ausdrucks- 
gestaltuug. Es ist deshalb an und für sich ein Gedanke, 
den man wohl unterstützen könnte, wenn man der 
Opernschöpsung neues Leben zuführen könnte. Wir sind 
aber angesichts dieser Vorlage doch etwas skeptisch, um 
so mehr, da sie, auch aus dem Munde des Herrn Inten 
danten Dr. Singer, eine Begründung erfahren hat, die 
uns reichlich — gestatten Sie mir den Ausdruck — ver 
schwommen erscheint. Wenn da die Rede ist von der 
Schaffung einer neuen Ensemble-Kunst durch diese neue 
junge Opernbühne, wenn davon die Rede ist, man soll 
auf diese Weise das Publikum zum wahren Verständnis 
für die Oper erziehen, wenn davon die Rede ist, daß 
von dieser neuen Jungen Opernbühne eine neue Ent 
wicklung der Opernproduktion ausgehen könnte, so sind 
das Erwartungen, die uns reichlich überspannt er 
scheinen, und wir glauben da unsere Skepsis nachdrück 
lichst zum Ausdruck bringen zu müssen. 
Das Beispiel, das da angegeben ist von Rußland, 
das Beispiel von Piseator und ebenfalls das Beispiel 
von Max Reinhardt vom Deutschen Theater kann uns
	        
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