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Volume No. 30, 11. Oktober 1928

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1928 (Public Domain)

Sitzung am 11. Oktober 1928. 723 
ober indirekte Stenern aus der Ber 
liner Bürgerschaft herausgezogen wer 
den und für deren Verwendung die 
Stadtverordnetenversammlung mit dem 
Magistrat gemeinsam haften und die 
i Verantwortung tragen muß. Da muß es 
I einen natürlich sehr wundernehmen, wenn solche Be- 
i Häuptlingen aufgestellt werden. Ich sage ausdrücklich, 
daß ich diese Behauptung noch nicht für bar nehmen 
kann, ich muß erst hören, wie der Herr Kämmerer 
sich dazu äußert. 
Nun aber zu der Bereitwilligkeit der Gaswerke, 
die „Volksgaskochmusterküche" einzurichten. Es ist 
das erstemal, daß überhaupt städtische Werke mit 
einer solchen Art der Werbung heraustreten. Ich 
habe zwar schon einmal etwas Aehnliches erlebt, und 
zwar war es bei der Gelegenheit, als wir in einer 
Anstalt in Buch einen neuen Kochherd errichten 
wollten. Da hatten wir das Schauspiel für Götter, 
daß die E-Werke und die Gaswerke vor der Gesund- 
heitsdeputation sich gegenseitig Konkurrenz machten, 
wer nun die Kochmaschine eigentlich hinstellen 
könnte und auf welche Art nun am billigsten gekocht 
werden könne, ob mit Gas oder mit Elektrizität. Nun, 
das war immerhin ein vorhandenes Projekt. Aber 
daß eine städtische Gesellschaft jetzt dazu übergeht, die 
Lasten aus sich zu nehmen, die eigentlich die Stadt 
Berlin als solche zu tragen hat, das ist das erstemal. 
Ich weiß nicht, ob das ein Präzedensfall sein soll 
und ob wir nun nicht an Hand dieses Präzedeus- 
falles erleben werden, daß auch andere städtische Ein 
richtungen, Wohlfahrtseinrichtungen usw., durch 
städtische Werke finanziert und eingerichtet werden. 
Man kann vielleicht darauf gefaßt sein, daß sich ganz 
interessante Dinge entwickeln. Sagen wir ein 
mal, die E-Werke hätten ein Interesse 
daran, daß bestimmte Apparate und be- 
stimmte Einrichtungen populär wer 
den. Sie richten aus diesem Grunde auf 
ihre Kosten Berufsschulen ein. Die 
Stadt Berlin muß diese Berufsschulen 
schlucke n, d i e d i e E-Werke einrichten. Es 
ist daun nicht mehr die Schulverwaltung dafür maß- ' 
gebend und verantwortlich, sondern die E-Werke 
sind verantwortlich. Man könnte noch mehr solche 
Beispiele anführen, die sich bei solch einer Praxis 
entwickeln können. 
Wir Kommunisten haben sowohl im Aufsichtsrat 
als auch in der Wohlfahrtsdeputation, wo nns diese 
Dinge vorgetragen wurden, mit aller Entschiedenheit 
1 erklärt, daß wir solche verdeckte Geschichten nicht 
wünschen, sondern daß wir wünschen, daß mit 
offenen Karten gespielt wird. Nun, wir wissen, im 
Aufsichtsrat der Gaswerke tauchte dieses Projekt auf, 
und es dauerte auch gar nicht lange — es war kurz 
vor den Stadtverordnetenferien, in dem Moment, als 
eben der Etat für 1928 verabschiedet worden war —, 
a l s uns Frau Stadtrat Kausler so zwi 
schen Tür und Angel außerhalb d e r 
Tagesordnung — mir bekamen e s nicht 
als gedruckte Vorlage — einen Vortrag 
hielt über die ,,V v l k s g a s k o ch m u st e r k ü ch e". 
Sie müsse unbedingt in der Sellerstraße aufgestellt 
werden, sie würde von den Gaswerken erbaut und 
werde „soundso" aussehen und wir als Stadtverord 
nete müßten unbedingt zustimmen, wenn wir über 
haupt ein Verständnis für Volksküchen hätten. Nun, 
die Wohlfahrtsdeputation schickte damals Frau Stadt 
rat Kausler mit ihrem Projekte schleunigst wieder 
nach Hanse. Die Wohlfahrtsdeputation hat Frau 
Stadtrat Kausler bedeutet, das, wenn die Stadtver 
ordnetenversammlung etwas vorgelegt bekommt, sie 
das auch ausgearbeitet wünscht, daß es Kopf und 
Fuß haben muß und daß sie wissen muß, was sie mit 
der Geschichte anfangen soll. Erst wollte Frau Stadt 
rat Kausler das nicht begreifen. Endlich sah sie ein, 
daß es so nicht ginge und verschwand mit dem Pro 
jekt. Nun ist es eigentümlich, vor den Stadtverord 
netenferien wurde uns die Sellerstraße als einzigst 
mögliche Stelle bezeichnet, nur da würden die Gas 
werke bereit sein, sie hinzustellen, darum müßten 
wir die neue Küche nehmen mit Stumpf und Stiel 
wie sie ist. Als die Stadtverordnetenferien vorbei 
waren, als wieder etwas Wasser die Spree hinab 
geflossen war, kam Frau Stadtrat Kausler, die enge 
Verbindung zu den städtischen Gaswerken hat, mit 
einem neu ausgearbeiteten Projekte, dieses Mal 
Grünthaler Straße, wieder. Als gefragt wurde: 
Wo bleibt der Ausbau der Tr es cko to 
st r aß e? wurde erklärt: Der Ausbau der 
T re s cko w str a ß e kommt gar nicht in 
Frage, denn die Markthallenverwal 
tung v e r langt, daß die Markthalle in 
der Tresckowstraße wieder ihrer ur 
sprünglichen Bestimmung zugeführt 
wird, der Ausbau würde nur unnützes 
Geld kosten; mir müssen eineneue Vo lks - 
f ii ch e baue n, und unter dem Arm hatte 
Frau Stadtrat Kausler, die Stadträtin 
von „F o r m a t", ein neues Projekt. 
(Heiterkeit.) 
Dieses Projekt einer „Volksgaskochmusterküche" soll 
in der Grünthaler Straße hingestellt werden. Nun 
machte sie uns diese „Volksgaskochmusterküche" in 
der Grünthaler Straße dadurch schmackhaft, daß sie 
uns erzählte: Nur die Kosten für den Austenbau, den 
Rohbau, das sind ungefähr 325 OOO M, sind von 
der Stadt Berlin zu tragen und die Gaswerke haben 
sich bereit erklärt, alles andere hineinzustellen. Nun, 
es war ein mit in einer Stadtverordnetenversamm 
lung um das Jahr 1925 herum die Frage darüber, 
welches „Format" ein Mensch haben muß, wenn 
er Stadtrat werden will. Damals war die Frage 
besonders brennend bei den „Deutschnationalen", und 
die Deutschnationalen waren in der glücklichen Lage, 
durch die glückliche Hand des Herrn 
StadtverordnetenvorstehersdieStadt- 
rätin von Format das e r st e m a l aus der 
Urne zu ziehen! 
(Heiterkeit.) 
Sie haben sie dann auch, als Neuwahlen erfolgten, 
wieder auf ihre Liste gehoben. Seitdem geben sich 
die Stadtverordneten, die mit dieser Stadträtin zu 
arbeiten haben, die größte Mühe, endlich einmal zu 
lernen, welches „Format" man haben muß, um in 
den Magistrat eintreten zu können, und weil sich 
die Stadtverordneten diese Mühe geben, deshalb 
sehen sie sich auch die Arbeiten der Frau Stadtrat 
Kausler genau an. Man will lernen, man ist ja nur 
ein ganz bescheidener Mitteleuropäer, man hat kein 
Abitur abgelegt, mau hat nicht studiert, ist kein Dok 
tor, man . ist einfach eine ganz einfache Schneiderin. 
Da muß man bei solchen Dingen lernen. In der 
Wohlfahrtsdeputation und auch im Volksküchenaus 
schuß kamen die Stadtverordneten und Bürgerdepu- 
tierten zu dem Ergebnis, daß sie sagten: Ja, wenn 
nun einmal eine Volksgaskochmusterküche gebaut wer 
de,: muß, dam: sehen wir ein, daß die Mauern auf 
gestellt werden müssen, aber letzten Endes muß doch 
auch die Stadtverordnetenversammlung und müssen 
Ausschüsse und Deputationen gefragt werden und 
darüber vorberaten, was in die Mauern hineingestellt 
werden soll; wir können uns wirklich nicht auf das 
Gutachten der Frau Stadtrat Dr. Kausler verlassen. 
(Zuruf bei den Kommunisten: Doktor?) 
— Ich muß manchmal aufpassen. Ich habe neulich 
in ein interessantes Buch hineingesehen. Man muß 
sich Mühe geben, die Leute mit Format richtig an 
zureden. —
	        
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