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Volume No. 26, 28. Juni 1928

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1928 (Public Domain)

610 Sitzung mn 28. Juni 1928. 
es macht: „Ach Gott, man sieht, was junge Mädchen 
sind, da nehmen wir sie eben zur Vorsicht mal mit." 
Das ist der Standpunkt von Hamburg, und derselbe 
Polizeipräsident hat geschrieben: Gebt ittir meine 
Razzia wieder! Demgegenüber betonen wir ausdrück 
lich, daß sich die Mehrheit der Stadtverordnetenver 
sammlung Berlins auf den Standpunkt gestellt hat: Wir 
wollen die Polizei nicht, wir wollen nur fürsorgerisch 
arbeiten, und der Wille der Mehrheit der Stadtver 
ordnetenversammlung ist maßgebend. Der Herr Stadt 
medizinalrat v. Drigalski hat sehr richtig ausgeführt, 
daß wir die Polizei zur Unterstützung haben wollen, 
'aber nur dann, wenn die Gesnndheitsbehärde sie um 
Hilfe ersucht. Die Gesundheitsbehörde hat sie in diesem 
Falle nicht ersucht, Frau Dr. Mayer. Die Polizei hat 
drei Mädchen der Gesundheitsbehörde gemeldet, das Ge 
sundheitsamt hat dem Willen der Mehrheit der Stadt 
verordnetenversammlung Ausdruck gegeben, indem cs 
erklärt hat: Wir verfolgen die Mädchen nicht. Darauf 
hin hat der Polizeipräsident erst die Frage gestellt: Wie 
steht der Magistrat grundsätzlich dazu? - Unser Antrag 
geht dahin, unsern grundsätzlichen Standpunkt zu be 
tonen, daß wir keine Verfolgung wünschen sondern nur 
fürsorgerische Maßnahmen. 
Meine Damen und Herren! Ich kann Ihnen aus - 
den Erfahrungen der Praxis sagen, die fürsorgerischen 
und erzieherischen Maßnahmen, die wir bisher auf 
Grund des Stadtverordnetenbeschlusses verfolgt haben, 
waren von einem außergewöhnlichen Erfolge begleitet. 
Die Mädchen haben Vertrauen gewonnen, die Mädchen 
haben sich freiwillig gestellt imd stellen sich dauernd frei 
willig. Etwas anderes haben wir nicht zu erreichen. 
Es ist das der einzige Weg. den wir beschreiten müssen, 
um die Geschlechtskrankheiten wirklich zu bekämpfen. 
Wenn Sie, Frau Wetzel, der Meinung sind, daß 
Sie auch das Bestreben haben, den jungen Mädchen zu 
helfen, so gibt es eben doch nur den einen Weg, daß man 
die jungen Mädchen irgendwie in den Produktions 
prozeß hineinschickt, damit sie nicht nötig haben, auf die 
Straße zu gehen. Gehen Sie doch nicht immer um die 
Ursachen herum, gehen Sie doch nicht immer darum 
herum, was wirklich ist. Die Mädchen gehen doch nur 
und verkaufen ihren Leib deswegen, weil sie sich nicht 
auf normale und gesunde Weise ernähren können. 
Meine Damen und Herren! Sie können pro 
testieren. Weisen Sie mir nach, daß es noch ein anderer 
Grund ist. Ich sage Ihnen und wiederhole das: Diese 
Mädchen gehen aus die Straße, weil sie auf die Straße 
getrieben worden sind, weil die Gesellschaft die 
Prostitution braucht, damit sie ihre Frauen und Mäd 
chen schützen kann. 
Meine Damen und Herren! Wir bleiben mis 
unserem Antrage bestehen. Nicht durch polizeiliche Maß 
nahmen kann die Prostitution aufgehoben werden son 
dern nur durch erzieherische und fürsorgerische Maß 
nahmen. 
(Bei den Kommunisten: Bravo! Sehr gut!) 
Vorst.-Stellvertr. Meyer: Wünscht der Herr Be 
richterstatter das Schlußwort? Das scheint nicht der 
Fall zu sein. Dann kommen wir zur Abstimmung. 
Aus den Ausführungen der Frau Hosfmann- 
Gwinner geht hervor, daß die Kommunistische Fraktion 
ihren Antrag aufrecht erhält. Ich beabsichtige nun 
mehr, zunächst über den kommunistischen Antrag ab 
stimmen zu lassen und nach dessen Ablehnung über den 
Antrag des Ausschusses. 
(Lachen bei den Kommunisten.) 
(Stadt. Gäbel: Das ist eine unberechtigte Beein 
flussung der Versammlung!) 
Ich habe weder beeinflussen noch prophezeien 
wollen. Ich berichtige mich also dahin, daß für den 
Fall der Ablehnung dieses Antrages über den Aus- 
schußäntrag abgestimmt wird. 
Ich bitte zunächst diejenigen Mitglieder der Ver 
sammlung, die dem Antrage Gäbel-Rosenthal zu 
stimmen wollen, die Hand zu erheben. 
(Geschieht.) 
Das ist die Minderheit. Der Antrag ist abgelehnt 
Nunmehr liegt von Herrn Stadtv. Wachsen der 
Wunsch vor, über die vom Ausschuß vorgeschlagene 
Entschließung hinsichtlich der beiden Teile getrennt ab 
zustimmen. Wir stimmen zunächst also über den ersten 
Absatz und dann über den zweiten Absatz ab. 
(Stadt. Frau Hoffmann-Gwinner: Bitte vorlesen!) 
Der erste Absatz sagt: 
„Die Versammlung steht auf dem Standpunkt, 
daß ein Vorgehen der Polizei gegen Personen, die 
häufig wechselnden Geschlechtsverkehrs verdächtig 
erscheinen, nicht angebracht ist." 
Ich bitte diejenigen Mitglieder, die diesem Teile 
des Ansschußantrages zustimmen wollen, die Hand zu 
erheben. 
(Geschieht.) 
(Stadtv. Bublitz: Das ist nicht der erste Absatz. 
Das ist der erste Absatz der Entschließung. Der 
Antrag steht vorher: In Erledigung des An 
trages usw.) 
Der Herr Berichterstatter ist der Meinung, daß 
wir erst abstimmen müssen über den Antrag des Aus 
schusses vor der Entschließung. Dieser Antrag lerntet: 
„Der Ausschuß empfiehlt der Versammlung zu 
beschließen: 
In Erledigung des Antrages der Stadtv. Gäbel 
und Gen. — Drucks. 458 — ersucht die Versammlung 
den Magistrat, dem Hauptgesnndheitsamt Anweisung 
zu geben, die Aufforderung der Polizei zur Mit 
arbeit bei der Sittenkontrolle zurückzuweisen." 
Ich bitte diejenigen Mitglieder der Versammlung, 
die diesein Ausschußantrage zustimmen wollen, die 
Hand zu erheben. 
(Geschieht.) 
Das ist die Mehrheit. 
Dann kommen wir zur Entschließung, für die auch 
getrennte Abstimmung gewünscht wird, und zwar zu- 
näckst zu dem ersten Absatz der Entschließung, den ich 
vorhin vorgelesen habe. Wird nochmals Verlesung 
»ewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich 
diejenigen Mitglieder, die dem ersten Satz der Entschlie 
ßung zustimmen wollen, die Hand zu erheben. 
(Geschieht.) 
Das ist die Mehrheit. 
Dann bitte ich dieieniaen Mitglieder, die dem 
zweiten Teile der Ausschußentschließung zustimmen 
wolle«, die Hand zu erbeben. 
(Geschieht.) 
Das ist auch die Mehrheit. 
Dann darf ich ohne nochmalige Abstimmung fest 
stellen, daß der Ausschußantrag in allen Teilen ange 
nommen ist. 
Wir kommen zu Punkt 10 der Tagesordnung: 
II. Beratung des Antrages der Stadtv. Gäbel und 
Gen.. betr. Ermäßigung der Eintrittspreise fiir die 
Ausstellung „Die Ernährung — Drucks. 506 —. 
Das Wort hat die Berichterstatterin Frau Rosenthal. 
Berichterst. Stadtv. Frau Rosenthal (K): Der 
Dringlichkeitsantrag der Kommunistischen Fraktion 
verlangt, daß der Magistrat ersucht wird, bei der Messe 
G.m.b.H. dahin vorstellig zu werden, daß an drei Tagen 
in der Woche — einschließlich des Sonntags — der 
Eintrittspreis z n r A u s st e l l u n g „Die 
Ernähr it n g" für Erwachsene auf 25 P f g. 
herabgesetzt wird. Kinder haben an 
diesen Tagen freien Eintritt. An den 
übrigen Tagen beträgt der Eintritts 
preis 50 Pfg. für Erwachsene und 10 Pfg.
	        
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