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Volume No. 22, 5. Juni 1928

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1928 (Public Domain)

538 Sitzung am i 
Wir haben schon damals erklärt, daß sich hier in 
getarnter Form eine neue Institution des neudeutschen 
Imperialismus ausmacht. Wir haben schon bei der 
ersten Borlage nachgewiesen, wie gerade mit der Ver 
kehrsfliegerschule schon derartige Dinge angekurbelt wer 
den, indem man hier solche Institutionen schasst, und 
auch die Formulierung im § 3 „die der Förderung 
der Luftfahrt mittelbar oder unmittelbar dienen" hat 
unserer Ausfassung nach eine ähnliche Bedeutung. 
Weiterhin hatte man bei der ersten Begründung 
seitens des Magistrats und auch eines Teiles der Mit 
glieder der Stadtverordnetenversammlung angeführt, 
man müsse zu dem Flughafen Tempelhvf einen soge 
nannten Nvtlandeflughafen haben, der evtl. bei einem 
verstärkten Flugverkehr später einmal gänzlich für die 
Zwecke des Flugverkehrs der Deutschen Lufthansa zur 
Perfügung gestellt werden könnte. Da sagt der 5 3 
weiter, daß, falls das Bedürfnis bestehen sollte, den 
Flugplatz Britz zu allgemeinen Lustverkehrszwecken her 
anzuziehen, die Benutzung dieses Flugplatzes für regel 
mäßigen Flugverkehr nicht in Frage kommt. Also auch 
hier zeigt sich gegenüber dem damals vorherrschenden 
Standpunkt, den eine Reihe durchaus namhafter sach 
verständiger Flugzeugführer in diesem Ausschuß ver 
trat, daß dieses Gelände zu einem zweiten Flugplatz 
nicht verwendet werden kann, sondern daß dieses Ge 
lände lediglich den Zwecken der Deutschen Versuchs 
anstalt dienen still. 
Weiter sagt man dann im § 4, daß die Stadt, falls 
sie nach Ablauf von 30 Jahren auf Grund des Kün 
digungsrechtes das Gelände wieder zurückhaben will, 
dann die errichteten Baulichkeiten und sonstigen An 
lagen ganz oder teilweise übernehmen muß und dafür 
eine angemessene Entschädigung zu zahlen hat. 
Noch krasser erscheint uns die Formulierung, daß 
nach Ablauf von 99 Jahren die Stadt ebenfalls eine 
Entschädigung zu zahlen hat, und zwar nicht nach dem 
eigentlichen Werte sondern nach dem Schätzungswerte 
der Zweckbestimmung für die Deutsche Versuchsanstalt. 
Hier zeigt es sich also, daß man selbst noch für die Zeit 
nach 100 Jahren solche Verschlechterungen eingeführt 
hat, die der Stadt ungeheure Lasten auch für die spätere 
Zeit auferlegen, abgesehen von den Bedingungen, die im 
S <i jetzt schon der Stadt Berlin gestellt werden. Da heißt 
cs u. a., daß die Stadt Berlin für die gesamte Anlage 
der Wasserleitung, der Gasleitung und der Kanali- 
sationsleitnng sowie für die Elektrizität usw. zu sorgen 
hat, so daß also neben diesen Dingen hier der Stadt 
Berlin eine ganze Reihe von beträchtlichen Ausgaben 
entsteht. 
Weiter ist im § 8 die Verpflichtung der Stadt Ber 
lin vorgesehen, bis zum 31. Dezember 1929 auf eigene 
Kosten das gesamte Gelände zu planieren, die Ansamung 
und Drainierung vorzunehmen und es in den Zustand 
zu versetzen, wie es die D. V. L. verlangt. 
Wir sind der Auffassung, daß, nachdem eine Mehr 
heit der Stadtverordnetenversammlung mit Einschluß 
der SPD. für dieses Projekt sicher zu sein scheint, daß 
das Reichsverkehrsministerium noch weitergehende For 
derungen stellen wird, je nach dem. wie die Mehrheit 
der Stadtverordnetenversammlung hier dem Teutschen 
Reiche entgegenkommt. 
Darüber hinaus hat die Stadt die Verpflichtung zur 
Verlegung der Hochspannungsleitung des Golpawerkes. 
Hier sind wir ebenfalls der Meinung, daß der Vor 
anschlag des Magistrats wahrscheinlich noch zu niedrig 
sein wird, zumal in dem jetzt vorliegenden Nachtrag noch 
gesagt wird, daß diese Hochspannungsleitung noch weiter 
von dem Platz verlegt werden muß und daß hier viel 
leicht — ich glaube, darüber besteht noch nicht Klarheit 
—, wahrscheinlich sogar, mit einer unterirdischen Leitung 
gerechnet werden muß, die dann bei weitem höhere 
'. Juni 1928. 
Kosten verursachen wird. Jnsgesanst kostet die Stadt 
das Projekt 3 % Millionen, wenn man hinzurechnet, 
daß noch ungefähr 143 000 qm Gelände gekauft werden 
müssen und daß ja nun, nachdem diese zu allem bereite 
Mehrheit da ist — das ist ja immer der springende Punkt 
bei dieser Geschichte —, wahrscheinlich die Besitzer nist 
ihren Forderungen nicht hintanhalten, sondern ver 
suchen werden, von der Stadt zu bekommen, was nur 
möglich ist. 
Wir stellen fest, daß die Kosten, die sich für dieses 
Gelände ergeben, ungefähr 314 Millionen betragen und 
daß die Stadt Berlin bei ihren augenblicklichen finan 
ziellen Schwierigkeiten unserer Auffassung nach andere 
wichtigere Aufgaben hat als hier dem Deutschen Reiche 
Gelder und Mittel zur Verfügung zu stellen für diese 
imperialistischen Zwecke. Wenn das Deutsche Reich schon 
glaubt, eine solche Versuchsanstalt notwendig zu 
haben, dann soll es in allererster Linie eine 
solche Versuchsanstalt in eigene Regie über- | 
nehmen und nicht so, wie es jetzt ist und wie J 
wir damals auf Grund der Satzungen nachgewiesen . 
haben, daß die Privatindustrie ausschlaggebend beteiligt ' 
ist. Wenn das Deutsche Reich so großes Interesse an der 
Versuchsanstalt hat, daun soll es nicht die Lasten der j 
Stadt auferlegen sondern soll dann auch selbst die Kosten 
für diese Dinge tragen. 
Die Stellungnahme des Reichsverkehrsministeri 
ums, das in einer ultimativen Form unbedingt klare P 
Entscheidung bis zum 7. Juni abends verlangt, hat ja i 
bei einer Reihe von Fraktionen, die erst ebenfalls noch \ 
Bedenken hatten, erwirkt, daß auch diese Fraktionen 1 
zustimmen. | 
Uns wundert nur die Stellungnahme der Deutsch- ! 
nationalen Fraktion, die bei der Wahl Plakate geklebt ! 
hat mit einem Flugzeuge „Dem Siege entgegen!" — es j 
ist allerdings anders gekommen — und jetzt im Ausschuß , 
nicht einmal für diesen Flugplatz gestimmt hat, trotzdem ^ 
sie doch bisher dafür war. Das ist eine Haltung, die uns 
einigermaßen in Erstaunen gesetzt hat. Sie fordert die 
Wiederherstellung der Magistratsvorlage Nr. 175, wenn 
ich nicht irre, die das Gelände östlich von der Buckower 
Chaussee dafür vorsieht, und mm, da man das andere 
Gelände bekommen kann — also dem Siege ent 
gegen —, kneift man. 
Stadtv. Trcffert (Z): Meine sehr verehrten Damen 
und Herren! Das Zentrum wird der Magistratsvorlagc 
zustimmen. Aber ich halte es für notwendig, zur Be 
gründung einige Worte zu sagen. 
Die Zentrumsfraktion hat sich seinerzeit für das ur 
sprünglich in Aussicht genommene Gelände in Britz ein 
gesetzt. Es war damals die Auswahl zwischen Staaken, 
Johannisthal und Britz. Wir hielten das Britzer Ge 
lände für das geignetste. Die gemachten Einwendungen 
wurden sowohl von Sachverständigen als auch durch Be 
sichtigungen und unsere Gegenargumente widerlegt. Aber 
die Mehrheit stimmte seinerzeit gegen das Projekt, und es 
fiel bekanntlich unter den Tisch. Die Folgen waren vor 
auszusehen: Abwanderung der Deutschen Verkehrs- 
Fliegerschule, also der D. V. F. und der Deutschen Ver 
suchsanstalt für Luftschiffahrt, der D.V.L. Die Deutsche 
Verkehrsfliegerschule ist bereits am 7. Mai durch Ver 
trag mit der Stadt Brannschweig »nwidernflich nach 
Braunschweig verlegt worden. Berlin hat also hier in 
diesem einen Falle schon das Nachsehen, lind wenn 
wir uns heute bezüglich der Deutschen Versnchsanstali 
Nicht entscheiden, dann wandert diese ebenfalls ab, und 
zwar nach Stuttgart. Das wäre m. E. der zweite Schild 
bürgerstreich, der von Berlin begangen werden könnte. 
Diese zweite Abwanderung müssen wir unter allen Um 
ständen zu verhindern suchen. 
Ich hatte damals eine Resolution eingebracht, die 
auch Annahme fand, daß der Magistrat ersucht wird,
	        
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