Sitzung ant 29. März 1928.
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Stabtb. Frau Hossmann-Gwmuer (K): Wir
te hnen wie immer die christlichen und die privaten
Vereine in der Wohlfahrtspflege ab. Wir stehen auf
dem Standpunkte, daß diese gesamten christlichen
Vereine und die gesamten bürgerlichen Organi
sationen, die sich mit privater Wohlfahrtspflege be
schäftigen, nichts weiter sind, als Schrittmacher für
das Unternehmertum. Sie stehen im Dienste der
Unternehmer, sie besorgen ideologisch die Geschäfte
des bürgerlichen Staates, des Klassenstaates, der
Kirche und auch der Wirtschaft. In einer der
letzten Deputationssitznngen erklärte ein christlicher
Vertreter: Wenn die' christliche Wohlfahrt unter
bunden wird, gehen die ethischen Werte verloren:
Wir stehen auf dem Standpunkte, daß gerade, die
ethischen Werte durch die Arbeit der christlichen
Organisation verloren gehen und nicht umgekehrt.
Ich glaube, wir können das mit Hunderten von Bei
spielen auch belegen. Wenn nämlich diese Vereine
und die Kirche ans sozialem Gebiete etwas leisten
wollten, wenn sie wirklich der bedrückten bzw. der
armen und gequälten Bevölkerung helfen wollten,
dann brauchten sie auch nur mit uns einer Meinung
zu sein, daß die gesamte Wirtschaftsform und daß
die gesamte Gesellschaftsform umgestellt werden
müßte Das wäre der einzige Weg, um wirklich
auf dem Gebiete der Wohlfahrt etwas für das Volk
zu leisten, und die Herren Minister tmd alle die
Frauen der Bürgermeister sowie die Magistratsmit
glieder und sonstigen Unternehmer würden mehr
tun und mehr für die Wohlfahrt leisten, wenn sie
statt in den Kuratorien zu sitzen dafür sorgten, daß
die Kommune Geldmittel zur Verfügung hätte, da
mit sie tatsächlich ans diesem Gebiete den Armen
helfen könnte. Es ist ja auch sehr thpisch und inter-..
essant, daß die christlichen Vertreter immer wieder
erklären, die ehrenamtlichen Kräfte werden der Kom
mune nicht zur Verfügung stehen, sie geben auch ihre
privaten Spenden nicht dafür. Sie sitzen nun aller
dings in den Kuratorien, sie geben mal dann und
wenn eine kleine Spende, das ist aber auch alles.
Sie haben aber nicht den ernsten Willen, wirklich
zu helfen, trotzdem sie es behaupten. Es bedeutet
einfach Einlullen des Volkes in Demut und Zu
friedenheit, in Hoffnung ans mehr. Damit versuchen
Sie die Menschen abzulenken von dem, was nötig ist,
nämlich vom Kampf für bessere Zustände.
Die Vereine und Organisationen erklären ja
auch immer wieder, daß sie absolut unpolitisch seien
Nun, kürzlich erst hat in Lichterfelde die Kirche
eines Nachmittags zu einem Kaffee eingeladen, und
zwar bei einer Frau Major Sprang. Bei diesem
Kaffeekränzchen, das angeblich zum Besten alter
Leute, um ihnen Unterhaltung zu schaffen, gegeben
worden ist, hat niemand anders als der deutsch»
nationale Abgeordnete Könnecke eine deutschnationale
Wahlrede gehalten. So arbeiten diese Leute un
politisch und so -werden Ihnen (nach rechts) von
der Kirche die Schäfchen zu Ihrer Partei zu
geführt. Endlich hat ja einmal der Bischof Evrnm
in Trier kürzlich auf der Tagung des Karitasver
bandes die Maske gelüftet. Es wird sie besonders
interessieren. Dort hat er gesagt: „Lassen Sie mich
zwei Stunden für das leibliche Wohl des Arbeiters
sorgen und in der dritten Stunde seine Seele ge
winnen." Das letztere ist das, was diese Vereine
bezwecken, was die Vereine wollen.
(Zuruf der Stadtv. Frau Frohn.)
Sie sagen: „Sehr schön", Frau Frohn. Aber das,
was Sie schön nennen, nennen wir gefährlich, das
nennen wir eben falsch. Das ist die Absicht: Sie
wollen mit dieser kirchlichen Wohlfahrt tatsächlich
Seelen für die Kirche gewinnen. Wir Kommu
nisten aber wollen Seelen gewinnen für die An
erkennung eines Systems, das auf allen Seiten alles
tut, um diesen Entrechteten, wirklich Elende» 1
helfen. Wir müssen uns doch darüber klar sein, ui«
das geht doch aus diesem Etat wieder sehr kl»
hervor, daß diese gesamten Organisationen läng»
von öffentlichen Geldern leben. Mir steht hier die Li»
aus dem Landtag zur Verfügung. Ich entde«
da merkwürdigerweise — nicht merkwürdigerweis»
sondern es wird von uns schon als selbstverständlil
betrachtet, daß hier die gesamten Vereine, die ivl
unterstützen, vom Landtage noch einmal erheblicl»
Summen bewilligt erhalten haben. Im Reichst«»
sind ihnen ebenfalls erhebliche Summen zugebilligl
Ich frage Sie, meine Damen und Herren, von >v«l
leben denn diese Organisationen? Sie leben doch ml
von städtischen oder staatlichen Geldern, ohne da»
wir als Vertreter des Volkes in irgendeiner Weil
die Kontrolle darüber haben. Ich erinnere dnrail
daß das Kaiserin-Angusta-Viktoria-Haus, das big
Ratten mit Kinderleichen füttert, allein nicht wenig»
als 130000 M vom Landtage bekommt. W«
haben also keine Ursache, in irgendeiner Form diese»
Vereinen noch Summen oder irgendwelche Geld»
zu geben. Aber in aller Öffentlichkeit wollen tuil
etwas festnageln, das auch im Haushaltsansschi»
ausgesprochen ist, wenn ich nicht irre von bei
deutschnationalen Seite, daß überall da, wo Dil
Beamten in der Wohlfahrt sitzen, diese Beamte«
nichts taugen. Das möchte ich hier in aller Oesfent»
lichteit den Beamten, die in den Wohlfahrtsämter«
sitzen, sagen. Wir möchten ihnen sagen, welche«
Standpunkt die Deutschnationale Partei gegeniib»
den Beamten einnimmt, daß sie ihnen also na»
dieser Aeußerung jede soziale Einstellung und je»
soziale Fähigkeit abspricht.
(Zurufe rechts.)
Das ist im Haushaltsausschuß geschehen, ich hall
es mir sofort notiert.
(Zurufe bei den Kommunisten.)
Wenn ich nicht irre, ist es sogar von — nein, iel
will lieber den Namen nicht nennen, weil ich ei
nicht mehr ganz gewiß weiß. Ich habe mir die Nviil
sofort gemacht. Es ist behauptet worden, das»
wenn die Wohlfahrt in die Hände oer Beamte«
kommss, sie nichts tauge.
Auf der andern Seite, meine Damen uni
Herren, verstehe ich nicht, wie Ihre Organisation»
diese üble Art der Bettelei anwenden kann, itni
Gelder zu bekommen. Sie nehmen also ersten«
städtische Gelder, dann Reichsgelder und preußisch»
Gelder in Anspruch, das übrige erhalten sie butii
große Bettelei. Es ist geradezu widerlich, wem»
man hier diese Bettelei von Frau Elisabeth von Setil
dell sieht, die im Rittberghans für heimatlose Siitj
der Geld znsammenzubekommen versucht. Au»
einem Bettelbriefe geht durchaus nicht hervor, ball
die Gelder so ohne weiteres zufließen. Es ist diese»
Bettelbrief gerade bezeichnend; er beweist, daß dies»
Vereine in der Hauptsache nur von städtischen @cll
betn leben. Wir protestieren aber ganz energiscl»
dagegen, daß die verschiedenen Verbände in berl
Jugendwohlfahrt, die verschiedenen Vereine Ausl
gaben übertragen bekommen, die dem städtischen!
Jugendamt zukommen, ob in den Bezirken oder inj
der Zentrale.
Mir liegt hier ein Schreiben des Karitasver
bandes vor, an das Bezirksamt Berlin-Rein ickeudors
gerichtet In dem wird ausdrücklich gesagt:
„Wir bitten um gütige Prüfung und recht-
zeitige Mitteilung, ob Sic mit den gemachte»
Vorschlägen einverstanden sind. Die Zugangabe
an die Eltern und alles Weitere erfolgt der
Einfachheit halber durch uns."
Sie lassen.sich also gefallen, daß die gesamte Ver
schickung au katholische oder evangelische Heime, die
gesamten Verschickungsmaßnahmen laut dieses