312 Sitzung ant 22. März 1928.
Wir haben keine Bedenken, dein Vorschlage des Kol-
legen Raddatz und der Kommunistischen Fraktion zu
folgen, und sind bereit, dem Antrage auf Ausschußüber-
weifung zuzustimmen. Sollte dieser Antrag aber abge
lehnt werden, dann werden wir unsern bereits bor
Monaten gestellten Antrag aufrecht erhalten. Er liegt
doch dem Büro noch vor? Unser Antrag will den
bisherigen Zustand beibehalten. Ich bitte Sie, und
besonders meinen Amtsfreund von der Kommunistischen
Fraktion,
(Gelächter bei den Komm.)
dann auch diesem Antrage zuzustimmen. Wenn Sie
der Schwesternschaft ernstlich helfen wollen, dann brin
gen Sie bitte nicht etwa wieder aus agitatorischen
Gründen einen weitergehenden Antrag ein, dem daun
der Magistrat doch wieder nicht folgen wird.
Also nochmals, wir werden ihrem Antrage zustim
men. Sollte aber Ausschußüberweisung abgelehnt
werden, dann stimmen Sie auch unserem Antrage zu,
der es bei dem bisherigen Zustande belassen will.
Stadtmedizinalrat Prof. Dr. v. Drigalski: Meine
Damen und Herren! Für den Magistrat ist die An
gelegenheit keine politische, sondern eine rein wirtschaft
liche und sanitäre. Ich muß doch hervorheben, daß alle
meine Herren Vorgänger, auch Herr Geheimrat
Rabnow, den Standpunkt vertreten haben, den der Ma
gistrat jetzt noch vertritt. Auch mein verewigter Kollege
Silberstein in Neukölln, der Ihnen gewiß in Vielem
nahestand, hat unzweideutig stets die Meinung ver
treten, daß die in der Anstalt wohnenden Schwestern
und Oberschwestern zweckmäßig ganz in die Verpfle
gung gehen und nicht in halbe. — Nur diese sind ge
meint. — Zu einem großen Teil ist der Anstaltsbetrieb
ein Verpflegungsbetrieb, und es ist schon rein wirt
schaftlich gesehen nicht ganz logisch, wenn man diejeni
gen, die mitten in diesem Wirtschaftsbetriebc drinstehen
und ihre Heimstätte dort haben, abends herausschickt
und ihnen sagt: Sucht anderwärts euer Abendbrot!
Es wird gesagt werden: Das ist ja freier Wille.
Der freie Wille ist nicht immer der beste Wille. Wtr
glauben, daß es nicht sehr zum Nutzen der Schwestern
ist, wenn sie darauf angewiesen sind, Abend für Abend
wegzugehen oder sich in der bekannten kümmerlichen
Weise auf ihrem Zimmer zu behelfen. Ich wiederhole
noch einmal: meine Herren Vorgänger haben, ich
glaube durchaus mit Recht, den Standpunkt betont, auf
den der Magistrat aus rein sachlichen Gründen auch
glaubt heute noch stehen zu müssen.
Wir arbeiten dauernd an einer Entlastung der
Schwestern. Die 48-Stundenwoche wird durchgeführt.
Wir wollen der Schwesternschaft durchaus helfen, aber
wir dürfen auch sagen, bezüglich der Vergütung steht
die Schwesternschaft von Berlin weitaus an erster
Stelle. Die Schwestern haben jetzt 135% mehr als
1914, die Oberschwestern haben 173 % mehr und stehen
damit weit besser als die Schwestern z. B. in Hamburg,
Wiesbaden, Köln, Essen, München. Bei solcher Lage
darf es einigermaßen wundernehmen, wenn die Stel
lungnahme der Majorität des Magistrats, die eine
durchaus vernünftige Basis hat, so außerordentlich hef
tig von den Schwestern bekämpft wird. Wir wissen,
daß viele Schwestern es durchaus begrüßen, wen» sie in
voller Verpflegung sein können; dann wissen sie, wohin
sie gehören. — Es können bei schematischer Behandlung
Härten vorkommen, das geben lvir zu. Es kann vor
kommen, daß ältere Schwestern sozusagen sich abge
gessen haben und die Hauskvst nicht mehr recht ver
tragen.
(Zuruf: Kommt immer vor!)
In solchen Fällen kann im Dezernatswege durchaus in
loyaler Weise Rücksicht genommen werden. All solchen
Fallen kann Gerechtigkeit werden. Aber Sie können
den Magistrat bis auf weiteres nicht davon überzeugen,
daß es richtig ist, jemand vollkommen in der Anstalt ji
behausen, in den Dienst der Anstalt zu stellen, in bei
Anstalt eine sorgfältige Verpflegung für Hunderte uni i 11
Tausende von Menschen herzustellen und an diese,
Verpflegung ausgerechnet das Pflegepersonal nicht teil
nehmen zu lassen. Das ist eben wirtschaftlich nich
richtig. Diesen Standpunkt hat der Magistrat frühe, ‘ c
vertreten und muß ihn auch jetzt aufrecht erhalten 1,1
Aber ich betone nochmals ausdrücklich, berechtigte i l
Svnderwüusche werden in Zukunft, ebenso wie sj,
früher berücksichtigt worden sind, in weitem Umfangt
berücksichtigt werden. Härten derart, daß jetnaiii
geradezu geschädigt wird, werden n i ch t vorkomme».
Wohl aber wird eine sehr viel bessere Bewahrung auch 1
der jungen Schwestern stattfinden. Wenn ich selbst 11
eine Tochter im Krankenhaus habe, ist es mir kein fc
haglicher Gedanke, daß sie infolge der Wirtschasls-
regelung Abend für Abend darauf angewiesen iss 11
irgendwo anders hinzugehen, um sich das Esten zu bc
sorgen. ' Ü
Das sind die Erwägungen, die den Magistrat dazu
getrieben haben, an seinem früheren wohlbegründetei,
Standpunkte festzuhalten.
Stabtb. Raddatz (K): Meine Damen und Herren!
Ich will gleich auf die letzten Worte des Herrn Stabl-
medizinalrats eingehen, daß berechtigte Sonderwünsch
der Schwestern berücksichtigt werden sollen. Wir
merken leider nichts davon, denn sonst hätte man bei
berechtigten Wünschen der Schwestern, es mindestens
bei dem bisherigen Zustande zu belassen, doch bun
feiten des Magistrats Rechnung tragen können. Er
ist doch sicher nicht ein Zufall, wenn die gesamte
Stadtverordnetenversammlung aus dem Standpunkt! ,
steht, mindestens den alten Zustand zu belassen. Wh ;
haben ja den Antrag eingebracht, auch diesen a 11 e ii ]
Zustand aufzuheben und es ist in das Beliebe»
jeder Schwester zu stellen, ob sie an dieser vollen Be
köstigung oder an der Beköstigung überhaupt teilnehme»
will.
Ist die Beköstigung wirklich so gut, ist sie wirklich
so praktisch für die Schwestern, wie sie der Herr Stab!
medizinalrat geschildert hat, dann brauchen Sie ja gär
keine Befürchtung zu haben, dann werden die Schwestern ’
das freiwillig auf sich nehmen, was Sie ihnen setz!
auszwingen wollen. Aber der Zwang, den Sie jetzt
ausüben, wird immer Widerstand erzeugen, und Sie
können alle überzeugt sein, bei allem Wohlwollen, da-
Sie hier zum Ausdruck bringen und welches auf seiten
des Magistrats vorhanden sein soll, dürfen Sie doch
nicht verkennen, daß eine Körperschaft wie die Stabt-
verordnetenversammlung mit 225 Mitgliedern eben
falls in der Lage ist, die Singe einigermaßen zu beur
teilen. Wenn man von dem Gesichtspunkt ausgeht,
den Sie in die Wagschale werfen, daß jemand, der
in der Anstalt wohnt, dann mindestens auch die Kost
auf sich nehmen muß, dann muß man noch weiter
gehen, dann muß man letzten Endes all den Diensl-
wohuungsinhabern auch die Kost aufzwingen. Wir
sind überhaupt der Auffassung, daß cs nicht einmal
notwendig ist, daß die Schwestern in der Anstalt
wohnen. ' Man könnte sehr gut die Schwestern, genau
wie alle übrigen Beamten und Angestellten, sich ihr
Quartier suchen lassen, man könnte sie wohnen lassen,
wo sie wollen. Sie müssen pünktlich zum Dienst er
scheinen, wie jeder andere Beamte. Auch das läßt sich
doch sehr gut machen. Es würde dadurch eine ganze
Menge Raum gewonnen, wir würden evtl. in der
Lage sein, einen Teil der ganz katastrophalen Betten-
not, die wir in 58erlitt haben, dadurch zu beseitigen.
Von den geldlichen Bezügen der Schwestern habe
ich gar nicht gesprochen. Aber wenn Sie der Auffassung
sind, daß die geldlichen Bezüge der Schwestern aus
reichend sind, dann hätten Sie doch um so mehr Ber-