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Volume No. 6, 3. Februar 1928

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1928 (Public Domain)

Amtlicher stenographischer Bericht 
über die außerordentliche Sitzung 
der Berliner Stadtverordnetenversammlung 
tun 3. Februar 1928. 
6. Sitzung. 
Herausgegeben 
Beratungsgegenstand: 
Fortsetzung der Haushaltsberatung 
Rednerliste: 
Seite 
Stadtv.-Vorst. Han 127 
Vor t.-Stellv, Meyer 146 
Stab.ö Kinscher (kV) 133 
Dr. M.chaelis (D) 127 
- Schmidt, Anton (Z) 139 
- Schwarz, (v) 130 
- Weinitichke (Ev. 6) 145 
- Fr. Wiegmann (US) . 144 
(Beginn der Sitzung 17 Uhr 13 Min.) 
Vorst. Hatz: Die Sitzung ist eröffnet. 
Wir fahren in der Haushaltsberatung fort. Für 
die Demokratische Partei hat Herr Kollege Dr. Micha 
elis das Wort. 
Stabtb. Tr. Michaelis (D): Meine sehr verehrten 
Damen und Herren! Ein sehr lieber Parteifreund, der 
Professor von Heidelberg Willy Hellpach, hat kürzlich 
Berun als die „unbeliebteste Stad t" des 
Deutschen Reiches bezeichnet. Nehmen wir an, daß er 
damit recht hat. Aber man muß doch fragen: Wodurch 
kommt eigentlich eine Stadt in den Ruf einer beson 
deren Beliebtheit? Herr Hellpach in Heidelberg hat es 
ja gut, denn zahlreiche Zeitgenossen versichern uns 
dauernd in Versen und Musik, daß sie in Heidelberg 
ihr Herz verloren haben. 
(Heiterkeit.) 
Von Berlin wird das im allgemeinen nicht behauptet, 
höchstens könnte man sagen, daß so etwas Aehnlicyes 
bor Zeiten einmal in Schöneberg im Monat Mai 
Passiert wäre. 
(Große Heiterkeit.) 
Aber, ich glaube, man darf doch auch fragen, woher 
die Beliebtheit einer Stadt eigentlich kommt. Es sind 
wohl, wie man hinzufügen darf, im wesentlichen die 
weiblichen Reize, die diese Beliebtheit ausmachen. Nun 
fehlt es ja allerdings auch in Berlin an solchen Reizen, 
wie man mit versichert hat, nicht, 
(Große Heiterkeit.) 
und manchmal zeigt sogar diese hohe Versammlung, daß 
diese Behauptung den Tatsachen entspricht. 
Aber es ist ganz richtig, daß diese weiblichen Reize 
tu Berlin nicht die Hauptsache ausmachen, es sind vor 
allen Dingen männliche Tugenden, durch die Berlin 
groß geworden ist. Es ist der A r b e i t s w i l l e, die 
Dom Magistrat. 
O p f e r f r e u d i g k e i t, das Organisations 
talent, alles das, was eigentlich unter beit Begriff: 
männliche Tugenden fällt, durch das Berlin groß 
geworden ist. Und, meine Damen und Herren, ich 
glaube, in dieser Beziehung brauchen wir den Vergleich 
mit keiner anderen Stadt Deutschlands und des Aus 
landes zu scheuen, 
(Stadtv. Mertens Sehr wahr!) 
auch nicht mit Frankfurt a. M., das der sehr geschätzte 
Herr Hellpach so eigentlich zu einer zweiten Reichs 
hauptstadt machen möchte in der Art, daß ein halbes 
Jahr in Berlin regiert wird und ein halbes Jahr von 
Frankfurt a. M. aus. 
(Heiterkeit.) 
Ich muß sagen, ich gönne ja der alten lieben Reichs 
stadt Frankfurt a. M. alles Gute, allerdings mit einer 
Ausnahme, daß nämlich Berlin von feinem Anteil an 
der Reichseinkommensteuer 25% abgeben muß in die 
allgemeine Kasse und daß davon der Stadt Frankfurt, 
der reichsten Stadt Preußens, noch ein Anteil zufällt, 
so daß eigentlich Frankfurt noch von uns mit unter 
halten wird. 
(Stadtv. Merten: Sehr wahr!) 
Das gönne ich ihr eigentlich nicht. 
(Bei den Dem.: Sehr wahr!) 
Aber im übrigen wollen wir sie leben lassen, wenn sic 
die Güte hat, auch uns leben zu lassen. Nur in einer 
Beziehung sind wir doch etwas hartnäckig, auch auf 
die Gefahr hin, uns unbeliebt zu machen: Berlin bleibt 
die Hauptstadt der deutschen Republik und läßt sich diesen 
Vorrang von keiner anderen Stadt nehmen. 
(Bravorufe.) 
Ich denke, daß man sich mit dieser Willenserklärung 
überall abfinden muß, auch in Heidelberg und Frank 
furt a. M., obgleich es seinerzeit die Krönungsstadt des 
alten römischen Reiches deutscher Nation war. 
Meine Damen und Herren! Wir in Berlin sind 
ja ganz gewiß gegenüber der süddeutschen Einstellung 
etwas herbe und schroff veranlagt. Wir sind geschult an 
dem Pflichtgefühl unseres großen Philosophen Emanüel 
Kant und wir sind geschult an dem Rechtsgefühl unseres 
großen märkischen Dichters Heinrich von Kleist, wie 
er es besonders in seiner M^isternovelle „Michael Kohl- 
haas" dargelegt hat. In dieser Beziehung lassen wir 
allerdings nicht mit uns spaßen, sondern wir stellen 
das Pflichte! e f i't h l und das R e ch t auch heute 
noch an die erste Stelle. Und weil es so ist, deshalb 
sind wir allerdings der Meinung, daß Berlin die Pflicht 
hat, die deutsche Republik würdig zu vertreten, daß es 
aber auch das Recht einer gerechten Behandlung hat.
	        
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