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Volume Sitzung 37, 29.11.1927

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1927 (Public Domain)

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Sitzung am 29. November 1927. 
stischen und deutschen Städten vorbehalten, die An 
regung zu geben, die Schrittmacher zu werden, eine 
Reihe anderer Gegenden mitzureißen und die ganze 
Nation vorwärtszutreiben. Was wir auf diesem Ge 
biete ausgegeben haben, was wir an inneren Werten 
aus unserm Etat für diese Zwecke Herauswirtschaf 
ten und zur Verfügung stellen, das sind nicht 
Luxusausgaben, sondern das sind emi 
nent produktive, das sind soziale, h y- 
g i e n i s ch e und d a r u in w a h r- haft nati 
onale Maßnahmen. D i e F r e it b c a u 
diesen Maßnahmen w olle u w i r u n s n i ch t 
durch irgendwelche A u s s ü h r u u g e u v e r- 
gällen lassen. 
Meine Damen und Herren! Ein Wort noch 
zu der Frage: Wie hat nun die Rede auf Berlin 
gewirkt und wie werden die Maßnahmen wirken, 
die im Anschluß au diese Rede und an Vorkommnisse 
früherer Zeit zu erwarten sind? Es ist Ihnen be 
kannt, daß wir in unserm Etat einen großen Posten, 
etwa 170 Millionen, für ausländische Anleihen 
stehen hatten. Der erste Versuch einer Ausländs 
anleihe mit 100 Millionen ist uns auf 70 Mil 
lionen zusammengestrichen. Eine zweite Anleihe ist 
in Vorbereitung, und sie wird wohl oder übel, 
um dem Stiftern der schwebenden Schulden ein 
Ende zu machen, über kurz oder lang kommen. 
Sie wird um so sicherer kommen nach den Aus 
führungen, die der Herr Oberbürgermeister bezüg 
lich der Aussprache mit Schacht gemacht hat. Meine 
Damen und Herren! Das geschieht doch gleichfalls 
nur, um begonnene Werke, um begonnene Arbeiten 
in der Elektrizitätsversorgung, den Schnellbahnen, 
der Wasserversorgung, Kanalisation usw. nicht zum 
Stilliegen zu bringen, sondern um sie so schnell wie 
möglich und so rationell wie möglich zur Ausführung 
zu bringen. 
Aber ich habe mir -sagen lassen, daß schon 
heute auch in der Berliner Haushaltswirtschaft be 
denkliche Anzeichen für eine gefährliche und recht 
betrübende Wirkung dieser ganzen Haltung der Be 
ratungsstelle zu bemerken sind. Es sollen schon 
jetzt Bauten, die aus ordentlichen Mit» 
t e 1 it des Etats z u bestreiten sind, still 
gelegt, verlangsamt, gedrosselt sein 
Es sollen schon heute Etatsmittel für andere Zwecke 
in Anspruch genommen worden sein, und es soll 
schon heute unsere schwebende Schuld eine Höhe 
erreichen, in der wir alle mit dem Herrn Kämmerer 
und Oberbürgermeister eine Gefahr erblicken. Aber, 
meine Damen und Herren,- das scheint erst der 
Anfang zu sein, wenn keine Besserung auf dem 
Anleihemarkt eintritt. Das scheint erst der An 
fang insofern zu sein, als die unvermeidlich 
damit in Zusammenhang stehenden Ar- 
beiterentlassungen und Arbeitsein 
schränkungen und damit als unmittel 
bare Folge die Zunahme der Erwerbs 
losen als drohendes Gespenst im Hin 
tergründe steht. 
Meine Damen und Herren! Wie innig der 
Zusammenhang einer gesunden kommunalen Wirt 
schaft mit der privaten Wirtschaft überhaupt ist, 
das mag man doch am beste» daran ermessen: 
Wenn w ir nicht in der Lage sind, die be 
gonnenen Werke weiterzubauen, die 
Bauten fortzuführen, daun werden wir 
der I n d u st r i e und dem Handwerk keine 
Aufträge geben können. Dann wird es in den 
Material erzeugenden Industrien, vor allen Dingen 
auch im Transportgewerbe, in den am Baumarkt 
interessierten Gewerben, zu Stillegungen kommen, 
und letzten Endes ist die Leidtragende 
nicht allein die Stadt Berlin — denn 
sie wird die Bauten früher oder später 
i z u Ende f ü h r e n m ü s s e n sondern die 
I Berliner Wirtschaft. 
Aus diesem Grunde hoffen wir, daß das, was 
der Herr Oberbürgermeister bezüglich neuer Ver 
handlungen mit dem Herrn Reichsbankpräsidenteu 
angedeutet hat, recht bald Tatsache werden möchte, 
daß auch die Auffassung der deutschen Städte 
sich durchsetzt, daß auch Wohnungsbauten mit zu 
den produktiven Ausgaben gerechnet und auf An 
leihe genommen werden können. Denn auf diesem 
Gebiete hat das Jahr 1928 unendlich viel nachzu 
holen. was das Jahr 1927 leider versäumt hat. 
Meine Damen und Herren! Alles in allem kaun 
mau wohl sagen, der Vorstoß Dr. Schacht 
war bedauerlich. Er war doppelt schwer und 
ungerecht, wenn man ihn in Zusammenhang stellt 
mit den Kämpfen gewisser Kreise, gewisser Körper 
schaften gegen die Großstädte, gegen Berlin in der 
jornchtfache. Aber er hat nicht vermocht, den 
Kredit Berlins zu erschüttern, weil wir 
in unserm Finanzgebaren gesund und normal sind 
und weil die Leute, die uns die Ausländsanleihen 
gegeben haben, viel zu kluge und weitschau - 
ende Geschäftsleute und Rechner sind, 
als daß sie nicht in jedem Augenblicke 
die Ueberzeugung haben sollten: Die 
deutschen Gemeinden mit Berlin au d er 
Spitze sind leistungsfähige, verant 
wortungsbewußte Schuldner. Und die 
wollen wir bleiben im Rahmen des Möglichen; es ist 
unsere Pflicht gegenüber der lebenden Generation. Wir 
wollen uns durch derartige Angriffe die Freude am 
Gemeinwesen und an seiner Fortentwicklung nicht ein 
schränken lassen. Daun werden wir unserm Gemein 
wesen am besten dienen. Wir wünschen aber, daß 
Herr Dr. Schacht seine Angriffe, seine Kritik 
einmal ausdehnen möchte auf gewisse 
Wirtschaftsb et riebe im Reich und im 
Staat, vor allen Dingen auf das System 
der V i e l st a a t e r e i und die V i e l v e r w a l- 
terx i, und daß er auf dem Wege der Ver 
einfachung zum Einheitsstaat kommen möchte! 
(Bei den Demokraten: Bravo!) 
Vorst.-Stellv. Meyer: Ich habe dem Hause mit 
zuteilen, daß um 8 Uhr eine Sitzung des Beamten 
ausschusses stattfindet. Ich bitte die daran beteiligten 
Kollegen, davon Kenntnis zu nehmen. 
Das Wort hat Herr Stadtv. Schwarz. 
Stadtv. Schwarz (V): Meine Damen und Herren! 
Wenn es wahr ist, was eben der Herr Kollege Merten 
verkündete, das; die Ausführungen des Herrn Reichs 
bankpräsidenten in Bochum nicht vermocht hätten, den 
Kredit Berlins in irgendeiner Weise zu erschüttern, 
dann frage ich mich: Wozu hier der Aufwand an Kraft 
und Stimme 
(Stadtv. Merten: Damit wir so etwas nicht wieder 
erleben!) 
und das, was wir heute hier den ganzen Abend ge 
trieben haben? 
Ich bin der Meinung, daß die Ausführungen des 
Herrn Reichsbankpräsidenten doch bis zu einem gewissen 
Grade geeignet waren, den Kredit Berlins und den 
Kredit der anderen deutschen Städte zu erschüttern. Ich 
bebaute das und ich bemerke gleich von vornherein, 
das; meine Freunde durchaus gewillt sind, auf den 
Boden derjenigen Gruppierung zu treten, die sich gegen 
eine ungerechtfertigte Beschneidung des kommunalen 
Kredits wendet. Aber, meine Damen und Herren, ich 
sage ausdrücklich „ungerechtfertigt", nicht gegen jede 
Beschneidnng des kommunalen Kredits, und das ganz 
abgesehen vielleicht von Berlin. Wir, die wir in den
	        
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