Sitzung am 29.
hat. Dessen ungeachtet handelt es sich hier doch
immer darum, daß wir gerecht sind.
Was hat Herr Schacht gesagt? Soweit mir
die Berichte vorliegen, hat er gesagt, daß eine
Stabilität der Währung nur bei einer stabilen
Wirtschaftsordnung auf die Dauer möglich ist, daß
zwei Gründe uns bedrohten ich wurde dankbar
sein, wenn Sie sorgfältig zuhörten, wir müssen
dem Herrn doch gerecht werden —: die Bedrohung
des Gleichgewichts im Reichshaushalt und die
Handelsbilanz, daß wir über die Haushaltsunfähig
leit nur hinweggekommen seien mit ausländischen
Mitteln — alles richtig bis jetzt, nicht wahr?
wir in der Handelsbilanz, in der Zahlungs
bilanz, absolut nicht vorwärts gekommen seien.
Gr hat weiter gesagt: Wir haben jetzt 5yZ
Milliarden langfristige Anleihen und etwa
•li/2 Milliarden kurzfristige. Das macht zusammen
rd. 10 Milliarden. Ich streite mit ihm nicht über
die einzelnen Ziffern (Sie wissen, daß die Ziffern
etwas zwischen ihm und dem Wirtschaftsminister
umstritten sind), ob 4y» oder 3y» Milliarden kurz
fristig sind. Darüber werden Sie nicht im Zweifel
sein: kurzfristige Anleihen von dem Ausmaß sind
eine furchtbare Gefahr. Er sagt: 10 Milliarden
erfordern jährlich H Milliarden Zinsen. Außerdem
habe ich jährlich eine Milliarde ans dem Dawes-
gutachten zu bezahlen. Wie lange geht das noch
auf dem bisherigen Wege? Es geht überhaupt nicht
dauernd. Er macht da ein sehr krasses Beispiel,
Sie können es bei ihm nachlesen. Der Weg, der
zum Ziele führte, i ft bor Weg der hei
matlichen Kapitalsbildung. Dazu gehört
zweierlei: gesteigerte Produktion und
Spartätigkeit. Und nun kommt er zu dem
Schluß, daß die Erreichung des Ziels unendlich
langsam vor sich zu gehen droht. Er sagt: Dabei
können mir die öffentlichen Schulden, die wir haben,
gar nicht helfen, von den rd. 5y> Milliarden lang
fristiger Ausländsanleihen, die bisher aufgenommen
sind, entfallen aber 2ri Milliarden auf die öffentliche
Hand. Oefsentliche Hand ist alles zusammen: Reich,
Staat, Kommunen. Soweit es sich um Devisen
beschaffung handelt, wäre die öffentliche Hand nicht
da. Die öffentliche Hand brächte ihre Mittel, die
sie notwendig hätte, durch Steuern und dergl. auf,
aber sic schaffe nicht die Auslandsdevisen, die man
dann bekommen kann, wenn man exportiert. Darin
hat er d o eh vollkommen recht, das über
läßt siecher Privatwirtschaft.
lind so kommt er dazu, zu sagen: Ich bin als
Hüter der Währung gegenüber diesem ganzen An
leihebedarf in einer furchtbaren Lage. Ich kann
auf die öffentliche Hand überhaupt nicht zurück
greifen, ich muß im wesentlichen Gewicht darauf
legen, daß der Anleihemarkt nur für die private
Wirtschaft in- Anspruch genommen wird.
Meine Damen und Herren! Ich unterschreibe
lange nicht alles im einzelnen, was er gesagt hat,
insbesondere auch nicht schlechthin die Vorwürfe,
die er nach der Aufzählung des „Vorwärts" den
Kommunen und Kostrmunalverbänden, dem Reich und
den Ländern gemacht haben soll. Aber die Be
ll a u p t u n g e n , die i ch Ihnen hier v o r -
g c t r a g e n h a , nt it ß i ch i nt w esentlichen
unterschreibe n. Da beißt keine Maus einett
Faden ab.
Ich habe sehr sorgfältig, wie immer, den
kritisierenden Artikel meines Leiborgans, des „Vor
wärts", gelesen.
(Zuruf des Stadtv. ,"Hofstimmt. Heiterkeit.)
— Stille, Herr Hvffmann, lesen Sie ihn häufiger,
dann werden Sie klüger. Er ist ausgezeichnet redi-
November 1927. 899
giert. Und das, was er hier verzapft, laß sich
lesen. —
Aber, meine Damen und Herren von links, Sie
schmieden doch auch Waffen, die den Mann gar
nicht treffen. So, wenn Sie in diesem Artikel z. B.
sagen: „Sparen heißt für Dr. Schacht: Weniger
verbrauchen. Er kennt das Wesen des Sparens
nicht, für das es selbstverständlich ist, daß Sparen
in der Fabrik und im Haushalt nur heißen kann
(nur!): Trotz der Erhöhung des Aufwandes,
also trotz der Steigerung des Verbrauchs
auf die Dauer mehr als die Aufwandsrate z u
erwirtschaften." Ich greife nur diesen Satz
heraus. Er ist eine vollkommene Jrre-
f ü h r it n g. Ich will dafür ein paar Beispiele bilden,
Sie werden es daun selber zugeben.
Wenn ich darauf loslebe in der Hoffnung, ich
habe ja ein Gewinnlos in der Tasche, bis ich voll
kommen bankerott bin und gewinne dann wirklich
eine Million — heißt denn das sparen? Der Ueber-
schttß ist ja da, ich habe ihn auch erwirtschaftet!
Oder wenn die ganze Landwirtschaft darauf los lebt,
wie sie leider Gottes zum Teil hat leben müssen,
weil sie so verschuldet war, und aus eine Rekord
ernte hofft und der liebe Herrgott gibt sie ihr wirk
lich, dann hat sie mehr erwirtschaftet; hat sie aber
gespart? So geht's nicht. Meine Damen und
Herren! Sparen ist in der Tat die Tätigkeit, die
bei den Ausgaben einsetzt, um mehr Einnahmen zu
behalten als Ausgaben. Darin hat also Herr Schacht
recht.
lind von diesem Sparen, meine Damen und
Herren, sind wir sehr weit entfernt.
Herr Dr. Lohmann hat ja auch bei dieser
Gelegenheit nicht genug Worte der Verurteilung
unserer öffentlich-rechtlichen Zustände im Reich ge
sunden. Meine Damen und Herren, ich möchte
vazu auch an dieser (Stelle einmal hervorheben, daß
wir am 15. Januar 1978000 Erwerbslose und
Krisenfürsorglinge zusammen hatten. Jetzt haben wir
zusammen 442 000.
(Hört, hört!)
Das bedeutet eine Hochkonjunktur ersten Ranges. Ist
sie gesund? Wird insbesondere bei dieser Hoch
konjunktur bei uns gespart? Ich glaube, die paar
Millionen der Sparkassen beweisen es nicht. Aber
die seidenen Strümpfe beweisen das Gegenteil. Das
„Berliner Tageblatt" hat neulich in einer amüsanten
Notiz auseinandergesetzt, der Bubikopf und seidene
Strümpfe krempelten die ganze Wirtschaft um. Ganz
richtig.
(Zuruf.)
Wenn Sie das nicht verstehen, rate ich Ihnen, das
„Berliner Tageblatt" häufiger zu lesen. Da gehen
Hunderte von Millionen draus. „Es muß da sein,"
sagen unsere Töchter.
(Stadtv. Goß: Das kann bloß der Pfarrer Koch
bekämpfen!)
Nein, Herr Kollege Goß, wir beide können das auch,
aber mit Erfolg nicht, fürchte ich. Ich bekämpfe es
ja auch gar nicht als unschön. Meine Augen sind
noch jugendlich genug, um sich daran zu erfreuen.
(Hört, hört! — Heiterkeit!)
Aber ich stelle fest, meine Damen und Herren,
gespart lvird dabei nicht. Bei diese r >
riesigen Konjunktur wird nicht gespart.
Nun frage ich Sie ferner: Wird denn bei
unserer öffentlichen Kommune gespart?
Ich kaun mich da wahrscheinlich schwer toegten gegen
solche Autoritäten, wie sie hier vorhanden sind. Abw
ich darf Ihnen doch sagen, als Herr Luther die Stadt
Berlin bankerott gemacht hatte, da hatte sie 150 Mil-