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Volume Sitzung 35, 17.11.1927

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1927 (Public Domain)

Sitzung am 17. 
und daß derjenige, der nicht der Sohn reicher 
Eltern ist und nicht die Heilkunde nur ausübt, um 
sich seinen Wünschen entsprechend die Zeit zu ver 
treiben, daß jeder, der nicht so gestellt ist und 
das ist heute ja ungefähr niemand —, auch Geld 
verdienen muß, darüber dürfte eigentlich kein 
Zweifel sein. Das sollte mau einem ganzen Berufs 
stande nicht zum Vorwurf machen. Ich weiß nicht, 
wie man auf der einen Seite sich immer sehr kraß 
für die Forderungen einer ganz bestimmten Gruppe 
einsetzen kann, ohne daß einem dabei jemals auffällt, 
daß das doch vielleicht auch in irgend etwas eigen 
süchtig ist, wie ich sogar unterstelle, durchaus be 
rechtigt eigensüchtig, und daß man diesen allernot 
wendigsten Egoismus, der auch mal auf der andern 
Seite sich Geltung schafft, nun mit diesen vorge 
tragenen Argumentationen immer wieder von neuem 
bekämpfen kann. Man braucht ja nur darauf hin 
zuweisen, daß schon in dem Augenblicke, wo jemand, 
der dem Aerztebernf angehört, das Wort nimmt, 
sofort Zurufe gemacht werden, wie die, die mir eben 
der Herr Vorsitzende der Kommunistischen Fraktion 
machte: ,,Sie kennen ja das doch wohl aus Ihrer 
Praxis!" So etwas, Herr Gäbet, sollte hier nicht 
vorkommen, solche Zurufe müßten Sie nicht machen, 
denn mit diesen richten Sie sich selbst, Herr Gäbet. 
Sie haben ja gar keine Ahnung, was in diesen Be 
trieben, die Sie bezeichnen, jedenfalls, was z. B. 
sich in meinen eigenen vier Pfählen abspielt. Sie 
haben doch keine Ahnung, was dort geschieht und 
dürften doch eigentlich angesichts dieser totalen Un 
kenntnis nicht einen Zwischenruf in diesem Zusam 
menhang machen. 
(Zuruf des Stadtv. Fritz Lange.) 
Ich darf Ihnen hier um deswegen nicht ausein 
andersetzen, wie die richtigen Tatsachen heißen, weil 
S i e sich sonst auf dieser Seite tief beschämt 
fühlen müßten, 
(Großes Gelächter bei den Kommunisten.) 
und weil ich auf der andern Seite es nicht für 
praktisch halte, hier mein eigenes Loblied zu singen. 
(Lachen links.) 
Ich bin aber gern bereit, Herr Gäbet, Ihnen mal 
einen Einblick in eine ärztliche Praxis zu geben, 
nicht nur in die eigene. Ich glaube, wenn Sie 
ein ganz klein wenig Gefühl für die Ehrbegriffe 
auch anderer Menschen haben würden, wenn Sie 
sich einmal überlegen wollten, 
(Zuruf des Stadtv. Gäbet.) 
daß die Ehre, auch die Berufsehre, eines andern 
doch wohl immer zu messen sein wird mit dem Maß 
stabe, Herr Gäbet, den man leichtfertig oder sogar 
böswillig anlegt an die Ehre anderer, dann finden 
Sie sich hoffentlich sehr schwer da drüben an dein 
Pfeilerspiegel vorbei, der Ihnen sonst, wenn Sie 
noch eine einigermaßen mögliche Auffassung von 
diesen Dinge» haben, einen knallrotvioletten Men 
schen zeigen würde. Ich hoffe, daß Ihnen diese 
kleine Ermahnung genügen wird. 
(Zurufe bei den Kommunisten.) 
Meine Damen und Herren! Ob nun ausgerech 
net jemand, der in der Heilkunde groß geworden 
ist, sehr viel weniger von der Heilkunde versteht, 
als der andere, der seine Zeit ganz anders ver 
bracht hat, das wollen wir doch mal, um das der 
Frau Rosenthal zu sagen, dahingestellt sein lassen. 
Ich glaube nicht, daß ihre eigene Erkenntnis aus 
diesem Gebiete irgendwie dazu angetan ist, hier sich 
in eilten Vergleich stellen zn können. 
(Zuruf der Stadtv. Frau Rosenthal.) 
Da kamen Sie schlecht weg, denn eine Schneiderin 
November 1927. 863 
kann nun mal nicht dasselbe auf diesem Gebiete 
wissen, wie ein Arzt es weiß. 
Meine Damen und Herren! E« ist hier auch der 
Name des Herrn Dr. Röschmann erwähnt worden. 
(Zuruf des Stadtv. Fritz Lange.)- 
Man hat Herrn Dr. Röschmann im Zusammen 
hang mit der Bemerkung genannt, es handelte sich 
bei ihm offenbar weniger um die Bekämpfung der 
Geschlechtskrankheiten als um deren Verbreitung. Ich 
möchte doch sehr bitten, mit solchen Aeußerungen 
vorsichtig zu sein, denn auch wegen einer solchen 
Aeußerung könnte es Ihnen, Frau Hoffmann- 
Gwinner, einmal übel in die Bude hageln. Das 
geht zu weit, das geht sehr über den Rahmen einer- 
berechtigten Kritik hinaus. Sie sollten da recht 
vorsichtig sein. 
(Zurufe bei den Kommunisten.) 
Meine Damen und Herren! Auch zu dem, was 
mit Bezug auf Herrn Dr. Scheyer ausgeführt 
worden ist, möchte ich sagen, daß sich Herr Dr. 
Scheper selbstverständlich ungefähr so ausgedrückt hat, 
wie es hier die Frau Hoffmann-Gwinner gesagt 
hat, bloß daß das, was er gesagt hat und was sie 
ungefähr richtig mitgeteilt haben mag, vollständig 
anders zu verstehen ist. 
(Stadtv. Gäbet: Das verstehen Sie nur!) 
Herr Dr. Scheyer stellt sich auf den Standpunkt, 
daß die Allgemeinheit keine Veranlassung hat, auch 
für die Behandlung derjenigen Kreise einzutreten, 
die notorisch bemittelt sind. Er hält es also nicht 
für richtig, und zwar hält er das mit weiten Kreisen 
unserer Bevölkerung nicht für richtig, daß jemand 
in eine Behandlungsstelle geht, nur um einen Betrag 
zu ersparen, den er sehr bequem und ohne sich irgend 
wie anzustrengen, auch selbst zahlen könnte. Herr 
Dr. Scheyer steht auf dem richtigen Standpunkte 
— und ich darf ihn wohl mal kommentieren —, 
daß die Einrichtungen auf dem Gebiete der Gesund 
heitspflege seitens der Stadt, immer nur in dem 
Ausmaße getroffen werden sollten, wie tatsächliche 
Lücken vorhanden sind. Und diese Lücken wollen 
wir natürlich gern schließen. Wo aber solche nicht 
vorhanden sind, sondern wo Man feststellen kann, 
daß mit den bereits vorhandenen Mitteln nicht nur 
Gutes, sondern das Beste und ganz Unübertreffliches 
geleistet werden kann und geleistet wird, da wollen 
wir uns dieser Mittel bedienen und wollen die 
Steuerzahler, die ja doch für die Stadt nicht ganz 
unwesentlich sind, uns erhalten. Wir wollen auch 
nicht den jungen Nachwuchs der Medizinstudierenden 
dadurch zurückschrecken, daß wir Regeln schaffen 
und Verhältnisse stabilisieren, die die Ergreifung 
des ärztlichen Berufes nicht erwünscht erscheinen 
lassen können. 
Meine Damen und Herren! Nun hat hier die 
Frau Hoffmann-Gwinner dann ein Schreckgespenst 
an die Wand gemalt. Sie hat gesagt: Wenn da 
jemand in unsere Behandlungsstellen geht, dann soll 
nach dein Willen dieser bösen bürgerlich eingestellten 
Gesellschaft so ein Patient möglichst nicht gleich be 
handelt werden, sondern er sott erst weggeschickt 
werden; und dann am nächsten Tage, wenn schon 
vieles versäumt ist, oder noch später, kann er sich 
schließlich an einen Arzt wenden, der bann nur noch 
feststellen kann, daß viel versäumt worden ist. Der 
Betreffende wird also, wie damit auseinandergesetzt 
wird, schwer geschädigt. So ist es ja gar nicht 
Wenn jemand wirklich in einer Behandlungsstelle 
zunächst nur beraten wird, dann geschieht das ja 
nicht vielleicht ganz mechanisch so, daß er nun ein 
fach weggeschickt wird, sondern irgendeine irgend 
wie notwendige Maßnahme, die für den Augenblick 
wirklich ergriffen werden muß, wird natürlich ge-
	        
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