Sitzung am 17.
und daß derjenige, der nicht der Sohn reicher
Eltern ist und nicht die Heilkunde nur ausübt, um
sich seinen Wünschen entsprechend die Zeit zu ver
treiben, daß jeder, der nicht so gestellt ist und
das ist heute ja ungefähr niemand —, auch Geld
verdienen muß, darüber dürfte eigentlich kein
Zweifel sein. Das sollte mau einem ganzen Berufs
stande nicht zum Vorwurf machen. Ich weiß nicht,
wie man auf der einen Seite sich immer sehr kraß
für die Forderungen einer ganz bestimmten Gruppe
einsetzen kann, ohne daß einem dabei jemals auffällt,
daß das doch vielleicht auch in irgend etwas eigen
süchtig ist, wie ich sogar unterstelle, durchaus be
rechtigt eigensüchtig, und daß man diesen allernot
wendigsten Egoismus, der auch mal auf der andern
Seite sich Geltung schafft, nun mit diesen vorge
tragenen Argumentationen immer wieder von neuem
bekämpfen kann. Man braucht ja nur darauf hin
zuweisen, daß schon in dem Augenblicke, wo jemand,
der dem Aerztebernf angehört, das Wort nimmt,
sofort Zurufe gemacht werden, wie die, die mir eben
der Herr Vorsitzende der Kommunistischen Fraktion
machte: ,,Sie kennen ja das doch wohl aus Ihrer
Praxis!" So etwas, Herr Gäbet, sollte hier nicht
vorkommen, solche Zurufe müßten Sie nicht machen,
denn mit diesen richten Sie sich selbst, Herr Gäbet.
Sie haben ja gar keine Ahnung, was in diesen Be
trieben, die Sie bezeichnen, jedenfalls, was z. B.
sich in meinen eigenen vier Pfählen abspielt. Sie
haben doch keine Ahnung, was dort geschieht und
dürften doch eigentlich angesichts dieser totalen Un
kenntnis nicht einen Zwischenruf in diesem Zusam
menhang machen.
(Zuruf des Stadtv. Fritz Lange.)
Ich darf Ihnen hier um deswegen nicht ausein
andersetzen, wie die richtigen Tatsachen heißen, weil
S i e sich sonst auf dieser Seite tief beschämt
fühlen müßten,
(Großes Gelächter bei den Kommunisten.)
und weil ich auf der andern Seite es nicht für
praktisch halte, hier mein eigenes Loblied zu singen.
(Lachen links.)
Ich bin aber gern bereit, Herr Gäbet, Ihnen mal
einen Einblick in eine ärztliche Praxis zu geben,
nicht nur in die eigene. Ich glaube, wenn Sie
ein ganz klein wenig Gefühl für die Ehrbegriffe
auch anderer Menschen haben würden, wenn Sie
sich einmal überlegen wollten,
(Zuruf des Stadtv. Gäbet.)
daß die Ehre, auch die Berufsehre, eines andern
doch wohl immer zu messen sein wird mit dem Maß
stabe, Herr Gäbet, den man leichtfertig oder sogar
böswillig anlegt an die Ehre anderer, dann finden
Sie sich hoffentlich sehr schwer da drüben an dein
Pfeilerspiegel vorbei, der Ihnen sonst, wenn Sie
noch eine einigermaßen mögliche Auffassung von
diesen Dinge» haben, einen knallrotvioletten Men
schen zeigen würde. Ich hoffe, daß Ihnen diese
kleine Ermahnung genügen wird.
(Zurufe bei den Kommunisten.)
Meine Damen und Herren! Ob nun ausgerech
net jemand, der in der Heilkunde groß geworden
ist, sehr viel weniger von der Heilkunde versteht,
als der andere, der seine Zeit ganz anders ver
bracht hat, das wollen wir doch mal, um das der
Frau Rosenthal zu sagen, dahingestellt sein lassen.
Ich glaube nicht, daß ihre eigene Erkenntnis aus
diesem Gebiete irgendwie dazu angetan ist, hier sich
in eilten Vergleich stellen zn können.
(Zuruf der Stadtv. Frau Rosenthal.)
Da kamen Sie schlecht weg, denn eine Schneiderin
November 1927. 863
kann nun mal nicht dasselbe auf diesem Gebiete
wissen, wie ein Arzt es weiß.
Meine Damen und Herren! E« ist hier auch der
Name des Herrn Dr. Röschmann erwähnt worden.
(Zuruf des Stadtv. Fritz Lange.)-
Man hat Herrn Dr. Röschmann im Zusammen
hang mit der Bemerkung genannt, es handelte sich
bei ihm offenbar weniger um die Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten als um deren Verbreitung. Ich
möchte doch sehr bitten, mit solchen Aeußerungen
vorsichtig zu sein, denn auch wegen einer solchen
Aeußerung könnte es Ihnen, Frau Hoffmann-
Gwinner, einmal übel in die Bude hageln. Das
geht zu weit, das geht sehr über den Rahmen einer-
berechtigten Kritik hinaus. Sie sollten da recht
vorsichtig sein.
(Zurufe bei den Kommunisten.)
Meine Damen und Herren! Auch zu dem, was
mit Bezug auf Herrn Dr. Scheyer ausgeführt
worden ist, möchte ich sagen, daß sich Herr Dr.
Scheper selbstverständlich ungefähr so ausgedrückt hat,
wie es hier die Frau Hoffmann-Gwinner gesagt
hat, bloß daß das, was er gesagt hat und was sie
ungefähr richtig mitgeteilt haben mag, vollständig
anders zu verstehen ist.
(Stadtv. Gäbet: Das verstehen Sie nur!)
Herr Dr. Scheyer stellt sich auf den Standpunkt,
daß die Allgemeinheit keine Veranlassung hat, auch
für die Behandlung derjenigen Kreise einzutreten,
die notorisch bemittelt sind. Er hält es also nicht
für richtig, und zwar hält er das mit weiten Kreisen
unserer Bevölkerung nicht für richtig, daß jemand
in eine Behandlungsstelle geht, nur um einen Betrag
zu ersparen, den er sehr bequem und ohne sich irgend
wie anzustrengen, auch selbst zahlen könnte. Herr
Dr. Scheyer steht auf dem richtigen Standpunkte
— und ich darf ihn wohl mal kommentieren —,
daß die Einrichtungen auf dem Gebiete der Gesund
heitspflege seitens der Stadt, immer nur in dem
Ausmaße getroffen werden sollten, wie tatsächliche
Lücken vorhanden sind. Und diese Lücken wollen
wir natürlich gern schließen. Wo aber solche nicht
vorhanden sind, sondern wo Man feststellen kann,
daß mit den bereits vorhandenen Mitteln nicht nur
Gutes, sondern das Beste und ganz Unübertreffliches
geleistet werden kann und geleistet wird, da wollen
wir uns dieser Mittel bedienen und wollen die
Steuerzahler, die ja doch für die Stadt nicht ganz
unwesentlich sind, uns erhalten. Wir wollen auch
nicht den jungen Nachwuchs der Medizinstudierenden
dadurch zurückschrecken, daß wir Regeln schaffen
und Verhältnisse stabilisieren, die die Ergreifung
des ärztlichen Berufes nicht erwünscht erscheinen
lassen können.
Meine Damen und Herren! Nun hat hier die
Frau Hoffmann-Gwinner dann ein Schreckgespenst
an die Wand gemalt. Sie hat gesagt: Wenn da
jemand in unsere Behandlungsstellen geht, dann soll
nach dein Willen dieser bösen bürgerlich eingestellten
Gesellschaft so ein Patient möglichst nicht gleich be
handelt werden, sondern er sott erst weggeschickt
werden; und dann am nächsten Tage, wenn schon
vieles versäumt ist, oder noch später, kann er sich
schließlich an einen Arzt wenden, der bann nur noch
feststellen kann, daß viel versäumt worden ist. Der
Betreffende wird also, wie damit auseinandergesetzt
wird, schwer geschädigt. So ist es ja gar nicht
Wenn jemand wirklich in einer Behandlungsstelle
zunächst nur beraten wird, dann geschieht das ja
nicht vielleicht ganz mechanisch so, daß er nun ein
fach weggeschickt wird, sondern irgendeine irgend
wie notwendige Maßnahme, die für den Augenblick
wirklich ergriffen werden muß, wird natürlich ge-