Sitzung ant 17.
Meine Dante» und Herren, das ist eine Tatsache, die j
ich bereit bin, Ihnen nachzuweisen und Namen zu
nennen. Diesen jungen Mädchen will man dann
14 Tage vor dem Abgang aus der Schule endlich
über den menschlichen Körper Unterweisung geben.
(Zuruf des Stadtv. Gäbet.)
Ich glaube, die anwesenden Lehrpersonen werden sich
bestimmt schamhaft unter den Tisch verkriechen. Bei
solchen Zuständen will mau etwa mit der Aus-
klärung anfangen, wenn die Jungen schon ans der
Fortbildungsschule sind imd die jungen Mädchen
ans der Schule heraus sind.
Meine Dame» und Herren! Wir verlangen,
daß hier eine ganz andere Aufklärung durchgeführt
wird, wir verlangen, daß das hier nur eine Min
destunterlage ist, aufzuklären. Wenn Sie den Kamps
gegen die Geschlechtskrankheiten durchführen wollen,
so ist die erste Bedingung Aufklärung von unten au,
in der Schule, von der untersten Klasse an, schon
int Elternhaus über die gesamten sexualen Vor
gänge überhaupt. Des weiteren werden Sie den
Kampf gegen die Geschlechtskrankheiten nur durch
führen können, wenn er tatsächlich bei den Woh
nungsverhältnissen einsetzt, wenn Sie das Geld, das
Sie heute nur für Behandlung der Erscheinung
der Geschlechtskrankheiten anwenden und den pri
vaten Aerzten von der wirtschaftlichen Organisation
den Geldbeutel füllen, dazu benutzen, billige und
größere Wohnungen zu bauen, damit die Familien
nicht mit vier Personen in einem Zimmer hausen
müssen. Sie werden erst dann den Kampf richtig
aufgenommen haben, wenn sie andere Arbeits
bedingungen und andere Löhne geschaffen haben.
Meine Damen und Herren! Dieser Kampf ist
ein Politischer Kampf, und wir sagen Ihnen an
dieser Stelle, mit diesem Organisationsplan werden
Sie den Kampf nicht durchführen können. Wir als
Kommunisten wissen ja ganz genau, daß Sie nie
mals imstande sind, überhaupt ein soziales Problem
zu lösen und daß erst dann, wenn die Arbeiterschaft
selber sich ihren Staat geschaffen hat, dieses große
Problem und der Kampf gegen die Geschlechts
krankheiten richtig durchgeführt werden kann.
(Lebhafte Bravorufe und Händeklatschen bei den
Kommunisten.)
Stadtv. Frau Dr. Frankenthal (S): Meine
Herren und Xanten! Ich kann mich recht kurz fassen,
da ja im Ausschuß über die prinzipiellen Fragen allge
mein Einigkeit bestattet. Nur einige Worte zu den Aus
führungen der Kollegin Hoffmann-Gwinner.
Daß die Bekämpfung der Geschlechtskrankl-eiten ein
setzen muß bei der Bekämpfung der sozialen Mißstände:
der Wohnungsnot, der Arbeitslosigkeit, der schlechten Ta-
rifpolitik usw., weiß jeder Mensch, der sich überhaupt mit
den Dingen beschäftigt hat. Aber darauf brauchen wir ja
hier nicht einzugehen, denn wir wollen ja hier nur den
Organisationsplan besprechen.
Was nun die Bemängelungen der Kollegin Hofsmann
Gwinner bezüglich der Aufklärungsaktion betrifft, so muß
ich ihr zu meinem großen Bedauern wiederholen, daß sie
wieder einmal etwas dnrcheinandergeworfen hak. Diese
Aufklärung, -verehrte Kollegin Hoffmann-Gwinner, bezog
sich ja nur auf die eine große Agitation, die vom Haupt
gesuugheitsamt anläßlich der Einführung des Gesetzes
in die Wege geleitet wurde.
(Zuruf der Stadtv. Fr. Hoffmann-Gwinner.
Daß in den Schulen bereits von 13—14 Jahren
an die Aufklärung einsetzen soll, ist ein einstimmiger Be
schluß der Gesundheitsdeputation, den ivir vor einigen
Monaten gefaßt haben. Wir erivarteti noch immer die
Bestätigung, daß das Provinzialschtilkolleginm dieser
November 1927. 861
Sache zugestimmt hat und daß die Sache tatsächlich nach
unfern Wünschen durchgeführt wird.
Tarnt ging aus den Ausführungen der verehrten
Kollegin Hosfmamt-Gwiutter so ungefähr hervor, daß
die Einführung der freien Arztwahl von uns gegen ihren
Willen durchgedrückt worden ist. Nun, meine Herren und
Damen, vor dieser Sitzung hörte man es anders, da
hörte man: Aha, ihr wollt, daß die Herrschaften vom
Knrfürstendamm ihren Arzt aufsuche», daß aber unsere
armen Volksgenossen in die öffentliche Beratungsstelle
gesteckt und der Zwangsbehandlnng zugeführt werden.
Wir verlangen für unsere armen Volksgenossen die freie
Arztwahl, getrau so, tvie die Herrschaften vom Kurfürsten»
dämm sie haben.
Nun scheint es mir ja auch so, da Sie ja dem Aus
schußbeschlusse zustimmen wollen, daß Sie auch der freien
Arztwahl Ihre Zustimmung geben wollen. Aus Ihren
Ausführungen war nicht so ganz klar zu ersehen, worauf
Sie eigentlich hinaus wollen. Auch ich bebaute es sehr,
daß tvir in dem Vertrage mit der Aerzteschaft dazu über
gehen mußten, Konzessionen zu machen, die etwas weiter
gehen, als ich es wünschte Es sollen im Laufe dieses
Jahres nur zwei neue städtische Beratungsstellen einge
richtet werden. Dieser Vertrag mit der Aerzteschaft ist
aber nur auf ein Jahr geschlossen, und wir haben bereits
in unsern Richtlinien einstimmig beschlossen, daß grund
sätzlich an jede städtische Beratungsstelle eine Behandlnngs-
stelle angeschlossen werden soll. Es unterliegt also gar
keinem Zweifel, daß tvir tut nächsten Jahre dazu über
gehen werden, unser Netz von städtischen Behandlungs
stellen weiter auszubauen, und die Aerzteschaft hat sich
dann ganz einfach zu entscheiden, ob sie unter diesen Be
dingungen die freie Arztwahl weiterführen will oder ob
sie es nicht will. Wen» sie es nicht will, bann werden
allerdings die Mittel, die für die freie Arztwahl jetzt
ausgeworfen werben, dazu verwendet, schleunigst unser
Netz von städtischen Behandlnngsstellen so auszubauen,
daß wir den Kranken alles bieten sönnen, was sie zu ver
langen haben. Ich selber bin der Ansicht, daß wir den
Kranken kein Unrecht tun, wenn wir sie in wirklich erst
klassig eingerichteten städtischen Behandlnngsstellen: behan
deln. Eines muß-man sagen, ich will ganz gönnst *— Sie
werden mir das wahrscheinlich nicht bestreiten — das
Beste für die Behandlung der Geschlechtskrankheiten, aber
die 3i/ü Millionen anderen Steuerzahler liegen uns doch
auch noch ein bißchen am Hetzen, und ich meine, daß
vielleicht die freie Arztwahl so erhebliche Kosten machen
wird, daß tvir uns nach Ablauf dieses Vertrages nach
einem Jahr ernstlich überlegen werden, ob tvir sie weiter
fortführen wollen oder nicht.
(Stadtv. Gäbet: Sie rennen ja offene Türen ein.
Warum polemisieren Sie gegen die freie Arztwahl?)
— Sie haben doch hier dagegen polemisiert. —
(Zuruf bei den Kommunisten: Sind das Standes- ■
interefsen, die Sie vertreten?)
Ich glaube nicht, daß meine verehrten Kollegen das als
Wahrnehmung Ihrer Interessen bezeichnen würden. Frau
Kollegin Hoffmann-Gwinner hat ziemlich wörtlich ge
sagt, sie würde cs wünschen, daß nicht den Leuten frei
gestellt wirb, einen Arzt aufzusuchen, nachdem die Diagnose
gestellt wird, sondern daß sie sofort zwangsweise in Be
handlung genommen )verbetn
Verehrte Frau' Kollegin Hofsntattn-Gwntner! Ich
möchte hören, tvas Sie sage», wenn tvir das durchführen
würden. Das würde zu einer netten Zwangsreglemen
tiernng für jeden Menschen führen, der das Unglück ge
habt hat, sich eine Geschlechtskrankheit zuzuziehen. Ich
glaube, so weit dürfen wir wohl in unserm Bestreben,
die Geschlechtskrankheiten zu bekämpfen, in gar keinem
Falle gehen.
Deut Antrage der Kommunistischen Partei, daraus
hinzuwirken, daß eine neue Reglementierung nicht ein
geführt wird, werden wir im Prinzip zustimmen müssen,