640 Sitzung am 29.
Stadtv. Urich (S.): Meine Damen und Herren!
Ich habe im Aufträge der Sozialdemokratischen Fraktion
einige Worte zu dem Beschluß, der heute im Haus
haltsausschuß angenommen worden ist, zu sagen. Die
Punkte, die dort niedergelegt worden sind, sind das Ergeb
nis der Verhandlungen, die wir hier in früheren Sitzun
gen der Stadtverordnetenversammlung gehabt haben. Wir
haben uns bei jeder Verhandlung auf den Standpunkt
gestellt, daß auch für die Arbeiter der Verkehrsbetriebe
darauf gedrungen werden muß, die achtstündige Arbeits
zeit einzuführen und daß nach Möglichkeit die übrigen
Bestimmungen' in bezug ans die Freizeit nach den Tarif
verträgen für die Arbeiter der Stadt Berlin resp. nach
den Tarifverträgen, wie sie von den Organisativneu und
dem Reichsarbeitgeberverband abgeschlossen worden sind,
Geltung haben. Wenn nun an Hand dieser von uns
aufgestellten Richtlinien von seiten der Organisationen
versucht worden ist, mit der Straßenbahn zu verhandeln
und die Verhandlungen sich übermäßig lange hinaus
gezögert haben, so möchte ich von hier aus die dringende
Bitte aussprechen, daß wir nicht den Anschein erwecken
sollen, als wenn die Arbeiter in den städtischen Ver
kehrsbetrieben, sei es bei der Straßenbahn, bei der Hoch
bahn oder bei der Omnibusgesellschaft, sich der ange
nehmen Hoffnung hingeben dürften, daß ihre Lohn- und
Arbeitsbedingungen von der Stadtverordnetenversamm
lung Berlin allein geregelt werden könnten.
(Bei den Sozialdemokraten: Sehr gut!)
Wiederholt habe ich darauf aufmerksam gemacht: Zur
Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen für die
Arbeiter der städtischen Betriebe sind nicht die Fraktionen
der einzelnen politischen Parteien da, sondern die wirt
schaftliche Organisation der -Arbeiter.
(Bei den Sozialdemokraten: Sehr richtig!)
Wenn die Arbeiter in diesen Betrieben in ihrer Zu
sammensetzung nicht das erreichen konnten, was wir
als politische Partei hier im Rathause gern wü^chten,
so müssen sich die Kolleginnen und Kollegen in den Ver
kehrsbetrieben untereinander einmal betrachten. Jeder
Tarifvertrag sieht so aus, wie die Arbeiter, die einen
Tarifvertrag abschließen, in sich organisiert sind.
(Bei den Sozialdemokraten: Sehr richtig!)
Wenn v die Arbeiter der städtischen Verkehrsbetriebe diese
Erkenntnis in sich aufgenommen hätten, dann bin ich
der festen Ueberzeugung, könnte der Direktor Baute
(Zuruf bei den Kommunisten: Und Stadtrat
Reuter!)
den Arbeitern der Berliner Straßenbahn oder den andern
Arbeitern nicht die Dinge bieten, die ihnen geboten
worden sind.
(Sehr richtig!)
Nun, meine Damen und Herren, wird ja der An
schein erweckt, als wenn die Arbeiter es nicht notwendig
hätten, sich in einer wirtschaftlichen Organisation zu
organisieren, wenn sie immer sich der Hoffnung hingeben
können: Wir brauchen ja das nicht, denn wir können uns
ja nur auf die Parteien verlassen, die im Rathaus sitzen,
die werden unsere Angelegenheiten regeln.
(Zurufe bei den Kommunisten.)
Meine Damen und Herren, auch Sie (zu den Kommu
nisten) haben in Ihren Erklärungen, die Sie öffentlich
abgegeben haben, und zwar in der Presse, nie einen
Zweifel darüber gelassen, daß Sie es als Ihre vor
nehmste Pflicht betrachten, daß sich die Arbeiter den
wirtschaftlichen Organisationen anzuschließen haben.
(Bei den Kommunisten: Sehr richtig! Führen
wir auch praktisch durch!)
Bitte schön, wenn auch Sie die Erklärung abgegeben
haben, dann nützt es nichts, daß man versuchen will, nun
September 1927.
in einem Moment, wo die Arbeiter unter Führung ihrer
wirtschaftlichen Organisation einen Beschluß gefaßt haben,
für sich vom politischen Gesichtspunkte aus etwas dabei
herauszuholen.
(Zuruse bei den Kommunisten.)
Dabei kommt diesmal nichts heraus, meine Damen und
Herren.
(Zurufe bei den Kommunisten.)
Ich kann aus naheliegenden Gründen über den Schieds
spruch, der heute nach stundenlanger Verhandlung gefällt
worden ist, hier in dieser Versammlung nichts sagen, weil
zur Zeit die berufenen Funktionäre der Straßenbahn zu
dem Ergebnis der Verhandlungen Stellung nehmen. Es
würde illusorisch sein, wenn wir hier als Stadtverordnete
den Funktionären und den andern vorschreiben sollten, wie
sie sich demgegenüber zu verhalten haben. Das würde
unverantwortlich sein,
(Lärm bei den Kommunisten.)
und zu einer so unverantwortlichen Handlungsweise
können wir nimmermehr unsere Hand bieten.
(Zurufe bei den Kommunisten.)
Aber, meine Damm und Herren, wenn der Herr-
Kollege Deter hier darauf aufmerksam gemacht hat, daß
bei den Verhandlungen heute Deputationen waren, die
verlangt haben, daß die Hochbahner nun mit in den
Streik gezogen werden sollen, — —
(Zurufe bei den Kommunisten.)
ja, meine Damen und Herren, was hat denn die Ber-
handlungskommission, die von dem Schlichter zur
Schlichtung des Streitfalles bestimmt worden ist, mit
dem zu tun, ob die Hochbahn die Arbeit einstellt oder
nicht? Interessant war, was die Verhandlungs-
kvmmissionen und was die Herren dort feststellen konnten,
daß die Hochbahn sich bereit erklärt hatte, am Freitag
zu verhandeln und daß mit Zustimmung des Herrn
Stadtverordneten Deter die Verhandlung auf Montag
verschoben worden ist.
(Stadtv. Czeminski: Hört, hört!)
(Stadtv. Deter: Das ist ja nicht wahr! Das ist ja
eine Lüge! Mensch, Du bist ja ein Lügner!)
(Vorst.-Stellv. Fabian: Herr Deter, ich rufe Sie
für diesen Ausdruck zur Ordnung!)
Ich kann nicht mehr sagen als das, was in dieser Ver
handlung — in meiner Eigenschaft als Beisitzer — uns
erklärt worden ist.
(Zuruf: Es wird schon stimmen!)
Ich suche niemand hinter dem Busch, lieber Freund, wenn
ich nicht schon selber dahinter gesteckt habe.
(Zurufe bei den Kommunisten. — Glocke.)
Wir hoffen, daß das, was im Hauptausschuß an
genommen worden ist, nach Möglichkeit erfüllt wird, und
ich glaube, daß der Schiedsspruch, der gefällt worden
ist, auch zu einem großen Teil die Wünsche erfüllt, die
der Hauptausschuß der Gruppe Berlin aufgestellt hat.
Das hielt ich mich für verpflichtet, hier zu sagen. Wir
müssen es aber als Sozialdemokraten ablehnen, uns
heute hier tit diesen Kampf, der einzig und allein von
den zuständigen wirtschaftlichen Organisationen geführt
werden kann, hineinzumischen.
(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)
Stadtv. Klein (DN.): Meine Damen und Herren!
Hier in diesem Hause und von dieser Stelle aus ist
nicht nur von uns, sondern auch von anderen Parteien
betont worden, daß wir uns mit den arbeitsrechtlichen
und tarifvertraglichen Angelegenheiten der Arbeitnehmer
bei den Gesellschaften und Werken nicht befassen wollen,