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Volume Sitzung 22, 23.06.1927

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1927 (Public Domain)

5-2 Sitzung am 23. Juni 1927. 
der Magistrat Verkehrsprojekte in einem Umfange 
durchführt, wie er sie nicht für nötig hält oder — was 
dasselbe ist — zur Zeit finanziell nicht für tragbar hält. 
Das sind lediglich andere Worte für dasselbe Problem. 
Meine Damen und Herren! Unsere Kritik bewegt 
sich in der anderen Richtung: Wir haben durch eine 
Reihe von Anträgen und auch bei Verabschiedung ver 
schiedener Projekte, die vor dein Etat verabschiedet 
worden sind, gezeigt, daß wir sehr wohl bereit sind, 
an der kommunalen Verwaltung Berlins mitzuarbeiten. 
(Stadtv. Gäbel: Sehr wahr!) 
Aber dazu gehört natürlich eine Voraussetzung: Wenn 
die Wühler Berlins in ihrer Mehrheit eine Stadtver 
ordnetenversammlung gewählt haben, die sich aus Ver 
tretern der Sozialdemokraten und der Kommunisten zu 
sammensetzt und die im Kampfe gegen die damals be 
stehende Rechtsmehrheit gewählt wurde, meine Damen 
und Herren, so bedingt das, daß diese Mehrheit auch 
in der Stadtverordnetenversammlung in die Er 
scheinung tritt. 
(Zurufe bei den Kommunisten: Sehr richtig! 
Sehr wahr!) 
Das bedingt, daß die Ausgabeseite des Etats so gestaltet 
wird, wie es den Bedürfnissen der Bevölkerung Berlins 
entspricht. 
(Stadtv. Merten: Wie die Einnahmeseite das 
zuläßt!) 
Jawohl, ich komme noch auf die Einnahmeseite, 
Herr Kollege Merten, und zwar sehr energisch. Ich 
möchte darauf aufmerksam machen, daß gegenüber den 
Anforderungen der Bezirke 77 Millionen gestrichen 
worden sind. Gegenüber den Anforderungen der Be 
zirke, meine Damen und Herren! Das sind nicht die 
Anträge der Kommunisten, sondern das sind die Anträge 
der Bezirksämter, die in der Mehrheit von Ihnen be 
setzt sind. 
(Bei den Kommunnisten: Sehr richtig!) 
Das geschieht auf der einen Seite. Nun haben Sie vor 
her hier die Komödie des Kampfes gegen den Finanz 
ausgleich ausgeführt und in der Konsequenz bei der 
Verabschiedung des Etats haben Sie diesen Kampf 
gegen den Finanzausgleich preisgegeben. Denn es ist 
eine Preisgabe des Kampfes, wenn Sie sich ducken vor 
den Anordnungen der Regierung, wenn Sie den Kampf 
gegen die Stellen, die im Reich und im Lande gegen 
Berlin sind, nicht aufnehmen. 
Seien Sie doch ganz ehrlich, meine Damen und 
Herren. Selbst der Kampf, den Ihr eigener Partei 
freund, der Herr Oberbürgermeister, geführt hat — ich 
nehme an, der Herr Kollege Merten hat für die Etats 
mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung ge 
sprochen — selbst der eigene Kampf, den der Herr Ober 
bürgermeister gegen den Finanzausgleich aufnehmen 
wollte, ist doch von Ihnen sabotiert worden. 
(Stadtv. Merten: Nanu, erlauben Sie mal!) 
Sie haben nicht hinter Ihrem eigenen Manne gestanden. 
(Stadtv. Merten: Wo waren Sie denn?) 
Eine Mehrheit dieses Hauses will sich bereit finden, 
diesen Berliner Etat zu verabschieden, weil die Sozial 
demokratie Angst hat vor den Konsequenzen, die eine 
wirkliche Vertretung von Arbeiterinteressen nach sich 
ziehen würde. 
Meine Damen und Herren! Wie der Herr Kollege 
Merten schon sagte, sind selbst Probleme in diesem Etat 
nicht einmal berührt, geschweige denn gelöst worden. 
Ja, meine Damen und Herren, das ist es, was wir 
an diesem Etat kritisieren. Die Richtung muß zeigen, 
daß der Etat zugunsten der Arbeiterschaft geht. 
(Bei den Kommunisten: Sehr wahr!) 
Die Richtung dieses Etats aber wird durch einen 
kleinen Posten charakterisiert: „Erhöhung der Kosten für 
die Seelsorge in den Anstalten." 
(Bei den Kommunisten: Sehr wahr!) 
Das ist die Richtung, die Ihr Etat hat. 
(Stadtv. Dr. Caspari: 7500 JCl) 
Ob das 7500 JL sind oder 75 Millionen, das ist ganz 
gleich, hier handelt es sich um das Prinzip. Da machen 
wir uns beide doch gegenseitig nichts vor. Es handelt 
sich nicht darum, ob 75 Pfennige drinstehen, es handelt 
sich darum, daß es drinsteht. 
Nun, meine Damen und Herren, der Herr Kollege 
Merten schloß seine Ausführungen mit den Worten, 
daß der Rechtsgedanke bei der Verteilung von Ein 
nahmen zwischen Reich, Staat und Gemeinden sich 
durchsetzen müsse. Das werden Sie niemals haben und 
haben Sie niemals gehabt in der Weltgeschichte, daß 
der Rechtsgedanke sich durchsetzt, sondern durchgesetzt 
haben sich immer die realen Machtverhältnisse. 
(Bei den Kommunisten: Sehr richtig!) 
Wenn die Stadtverordnetenversammlung nicht ver 
steht, aus dieser Linksmehrheit eine reale Macht zu 
schaffen, die es versteht, die Interessen der Arbeiterschaft 
auch im Kampfe gegen Reich und Staat durchzusetzen, 
so ist jeder Etat und jeder Beschluß in diesem Etat nichts 
weiter als eine Durchführung dessen, was der Bürger 
block durch die Neichsrcgierung will. 
(Bei den Kommunisten: Sehr wahr!) 
Das sind die Dinge, meine Damen und Herren! 
Was bisher sich abgespielt hat, hat deutlich gezeigt, wo 
hin die Reise geht. Jeder Antrag von uns, sei es ans 
dem Gebiete des Gesundheitswesens, auf dem Gebiete 
der Schule — der ist im Ausschuß abgelehnt — oder 
sei es auf anderen Gebieten, ist bis jetzt abgelehnt 
worden, und wir müssen leider annehmen, daß die Ab 
lehnung unserer Anträge sich auch weiter fortsetzen wird 
in den'folgenden Abstimmungen. Wenn das geschieht, 1 
kann meine Fraktion diesem Etat, der die Richtung hat: 
Durchführung der Rationalisierung auf Kosten der 
jenigen, die schon bei dieser Nationalisierung unter den 
Schlitten gekommen sind, die keine Unterstützung in 
höherem Maße beziehen sollen, sondern in vermindertem 
Maße — nicht zustimmen. 
Wenn die Arbeitermehrheit sich aufraffen und einen 
Etat zustande bringen könnte, der dann auch nur ein 
kleines Stück vorwärts stößt nach der anderen Richtung: 
Kostendeckung auf Kosten der Besitzenden und Ausgaben 
für die Arbeiterklasse, dann wären wir sehr wohl bereit, 
auch einen Etat anzunehmen. 
(Bei den Kommunisten: Bravo!) 
Stadtv. Dr. Caspari (V.): Meine Damen und 
Herren! Bei den Fraktionen, die hier den Etat ab 
lehnen, dringt das durch, was der Herr Kollege Letz 
eben so scharf zum Ausdruck gebracht hat: das Prinzip. 
Es wird eilt Prinzip verteidigt, statt daß man mit den 
Tatsachen rechnet, die vorhanden sind. Wenn wir ein 
parlamentarisches System in der städtischen Verwaltung 
hätten, dann würde auch für uns die Frage zu prüfen 
sein, ob wir den Etat annehmen sollen oder nicht. Den» 
dann könnte man die Annahme des Etats ansehen als 
eine Vertrauenskundgebung gegenüber dem Magistrat 
als der Regierung. 
Wir haben gar keine Veranlassung, hier diesem 
Magistrat ein besonderes Vertrauen zu votieren. 
(Links: Oho!) 
Der Magistrat hat das ganze Etatsjahr hindurch seine 
Politik in durchaus andernf Richtungen geführt, als wir 
das gewünscht haben. Er macht seine Politik das ganze 
Jahr mit der Mehrheit, die eben von dem Herrn Letz 
hier vertreten worden ist, mit der Mehrheit aus den 
Sozialdemokraten und Kommunisten. 
(Stadtv. Dr. Lohmann: Hört, hört!)
	        
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