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Volume Sitzung 15, 05.05.1927

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1927 (Public Domain)

Sitzung am 5. Mai 1927. 
372 
Meine Damen und Herren! Das sind gar keine 
Gründe. Genau so sind Ihre Gründe abwegig, die 
Sie hier anführen in bezug auf die Beihilfe des Landes 
arbeitsamtes. Sie erklären, das sind genau sogut öffent 
liche Mittel. Jawohl, das sind öffentliche Mittel. Aber 
wo sind sie denn hergekommen? Danach scheinen Sie 
nicht zu fragen. Wissen Sie denn nicht, daß diss Mittel 
der produktiven Erwerbslosensürsorge zu einem verhält 
nismäßig großen Prozentsatz mit aus den Abzügen 
genommen werden, die dem Arbeiter allwöchentlich aus 
seinem Lohnzettel erscheinen in der Form der Abzüge 
für die Erwerbslosenfürsorge? Meine Damen und Herren, 
aus diesem Fonds werden zum Teil auch die Mittel 
der produktiven Erwerbslosenfürsorge genommen. Der 
Unternehmer ist naturgemäß gezwungen, denjenigen Teil, 
der auf ihn entfällt, in seine Unkosten mit hineinzukal 
kulieren. Er wälzt sie also auf den Konsumenten ab, 
wie es ja bei diesen sogenannten sozialen Lasten meist, ja 
ich möchte sagen in allen Fällen zutrifft. Sie sehen also, 
mit dieser Belastung des Unternehmertums sieht es hier 
sehr faul aus, und wir als Gemeinde können doch zu 
frieden sein, wenn wir diese Mittel auf einem anderen 
Wege wieder zur Verfügung stellen können. 
Noch drolliger war das Auftreten des Herrn Kol 
legen Klein hier. Wir müssen uns eigentlich wundern, 
daß der Herr Kollege Klein im Ausschuß das pure 
Gegenteil von dem bewiesen hat, was er heute hier zu 
beweisen bestrebt war. Herr Kollege Klein hat im Aus 
schuß erklärt: — ich habe mich genau erkundigt, Sie 
haben das selbst gesagt, Herr Kollege —: „In den 
Schuhmacherwerkstätten beim Bezirksamt zahlen wir 
höchstens 3,50 3tM. Nach den Preisen, die uns die 
Jnnungsmeister genannt haben, werden 4,50 und 
darüber für das Besohlen von ein Paar Stiefeln ge 
fordert." 
(Stadtv. Urich: Und haben nicht so gutes Leder 
wie da!) 
Auf den Einwand des Magistratsvertreters, daß 
es sich nicht nur um Besohlung, sondern auch um 
Flicken von Schuhwerk handelt, erklärte Herr Kollege 
Klein, daß unter solchen Voraussetzungen sich über 
haupt kein Schuhmachermeister bereit finden würde, das 
Schuhzeug der Erwerbslosen zu reparieren. Nachdem 
die Deutschnationale Fraktion Sie zurechtgestutzt hat, wie 
das wahrscheinlich bei Ihnen so üblich ist, da kommen 
Sie und beweisen wunderbarerweise das Gegenteil. 
Meine Damen und Herren! Das ist keine Politik, 
nicht einmal mehr eine deutschnationale. Das ist eine 
ganz vermasselte Art, in der Sie hier aufzutreten be 
lieben. Sie müssen sich daran gewöhnen, sich wenigstens 
auch im Plenum so einzustellen, wie Sie im Ausschuß 
glaubten, die Interessen ihrer Wähler wahrnehmen zu 
müssen. 
Die Wirtschaftspakt hat einen' schlechten Bundes 
genossen gefunden, denn Sie sind ebensowenig wie diese 
imstande, zu beweisen, daß den Schuhmachermeistern da 
durch geholfen würde, wen» wir die wenigen Werk 
stätten, die wir nun einmal haben, auslösen. Wir haben 
bereits erklärt, wir sind nicht gegen die Schuhmacher 
meister. Wenn Sie uns irgendeinen nennenswerten Vor 
schlag machen können, wie wir diesen Leuten helfen 
können, sind wir gern dazu bereit. Aus diese Art und 
Weise aber können Sie ihnen zweifelsohne lediglich einen 
Bärendienst erweisen, eine wirkliche Hilfe aber nicht, und 
deswegen müssen wir Ihren Antrag ablehnen. 
(Beifall bei den Kommunisten.) 
Stadtv. Hake (W.): Meine Damen und Herren! 
Gerade der Schluß der Ausführungen des letzten Herrn 
Kollegen zwingt mich, nochmals Ihre kostbare Zeit in 
Anspruch zu nehmen. Der Herr Kollege hat zum Schluß 
ausgeführt, daß wir den Beweis, daß wir etwas Bes 
seres an diese Stelle setzen wollen im Interesse der Er 
werbslosen und auch der Stadt Berlin, schuldig ge 
blieben sind. 
Wir haben uns nach der letzten Ausschußsitzung, 
meine Damen und Herren, nochmals mit der kompe 
tenten Stelle: der Schuhmacher-Innung Berlin, ins 
Einvernehmen gesetzt. 
(Stadtv. Urich: Das ist aber nicht mehr richtig!) 
Jawohl, das ist die einzige kompetente Stelle, die sich 
sogar über den ganzen Stadtkreis Berlin ausdehnt. 
(Stadtv. Urich: Mit den Cöpenickcru haßen Sie 
nicht geredet!) 
Das ist der Verband der selbständigen Schuhmacher des 
Stadtkreises Berlin. Da haben wir folgende schrift 
liche Unterlage bekommen: 
„Berlin, den 2. Mai 1927. 
Betr. Auflösung der Erwerbslosenbetriebswerkstätte» 
für Schuhmacher. 
Der Auffassung des Magistrats der Stadt Berlin 
und seiner Bezirksämter, daß die Erwerbslosenbe 
triebswerkstätten eine segensreiche Einrichtung ist, muß 
hier von Sachverständige» des Schuhmacherhandwerks 
in jeder Beziehung widersprochen werben, denn es ist 
festgestellt, daß der niedrige Preis, der dort erhoben 
wird trotz der Zuschüsse des Landesarbeitsamtes, nur 
auf Grund der schlechten Arbeit und des schlechten 
Materials zustande kommt.." 
(Stadtv. Urich: Das ist eine unerhörte Behauptung!) 
— Bitte, das ist mir zugegangen. — 
(Stadtv. Urich: Das hat einer geschrieben, der von 
der Schusterei keine Ahnung hat!) 
„Was die Ratenzahlung anbelangt, so kann auch 
diese dann aufrecht erhalten werden, wenn die Repa 
raturen vom selbständigen Schuhmacher ausgeführt 
werden, indem der Erwerbslose nicht an den Schuh 
macher direkt zahlt, sondern die Abrechnung, wie in 
Schöneberg und Steglitz usw., mit den Fürsorgeämtern 
erfolgt. 
Der Verband der selbständigen Schuhmacher des 
Stadtkreises Berlin erklärt sich nochmals damit ein 
verstanden, daß für dieselben Preise bei Verwendung 
desselben Materials die Arbeiten von den selbstän 
digen Schuhmachern ausgeführt werden, wie in den 
Erwerbslosenbetriebswerkstätten. 
Unser über 5000 Mitglieder zählender Verband 
erklärt hiermit, daß mindestens die Hälfte aller seiner 
Mitglieder die in Frage kommenden Arbeiten für die 
in Betracht kommenden Preise ausführt. 
Magistrat und Bezirksämter halten diese Be 
triebswerkstätten nicht deshalb für segensreich, weil 
hierdurch den Erwerbslosen nach ihrer Meinung eine 
Hilfe zugute kommt, sondern weil hierdurch die par 
teipolitische Forderung: die Sozialisierung des Hand 
werks, in die Wege geleitet werden soll. Und lute 
jene Herren heute an der Vernichtung dieses Hand 
werkszweiges arbeiten, so gehen sie morgen gegen 
einen anderen vor. 
Wir übernehmen auch die volle Verantwortung da 
für, daß keiner dieser Schuhmacher die Reparaturen 
zurückweist, weil die Schuhe schon zu schlecht sind. 
Verband der selbständigen Schuhmacher des 
Stadtkreises Berlin." 
Also, meine verehrten Dante» und Herren, damit 
Sie nicht wieder sagen, ich bin den Beweis schuldig ge 
blieben — ein besseres authentisches Material wird wohl 
keiner in der Lage sein auszuweisen, Herr Kollege. 
Nun aber, meine Damen und Herren, ist es wohl 
nicht richtig verstanden worden, wenn ausgeführt wird, 
daß die Schuhmacher die Arbeit zurückhaben wollen, um 
die stille Zeit damit auszufüllen. Das ist natürlich 
nicht so zu verstehen, daß das die Reisezeit oder die 
Zeit nach den Feiertagen ist. Nehmen wir nun einmal 
einige Tagesstunden an, die der Schuhmachergeselle nicht 
voll beschäftigt ist. Sie können es einem Unternehmer
	        
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