Sitzung am 5. Mai 1927.
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Meine Damen und Herren! Das sind gar keine
Gründe. Genau so sind Ihre Gründe abwegig, die
Sie hier anführen in bezug auf die Beihilfe des Landes
arbeitsamtes. Sie erklären, das sind genau sogut öffent
liche Mittel. Jawohl, das sind öffentliche Mittel. Aber
wo sind sie denn hergekommen? Danach scheinen Sie
nicht zu fragen. Wissen Sie denn nicht, daß diss Mittel
der produktiven Erwerbslosensürsorge zu einem verhält
nismäßig großen Prozentsatz mit aus den Abzügen
genommen werden, die dem Arbeiter allwöchentlich aus
seinem Lohnzettel erscheinen in der Form der Abzüge
für die Erwerbslosenfürsorge? Meine Damen und Herren,
aus diesem Fonds werden zum Teil auch die Mittel
der produktiven Erwerbslosenfürsorge genommen. Der
Unternehmer ist naturgemäß gezwungen, denjenigen Teil,
der auf ihn entfällt, in seine Unkosten mit hineinzukal
kulieren. Er wälzt sie also auf den Konsumenten ab,
wie es ja bei diesen sogenannten sozialen Lasten meist, ja
ich möchte sagen in allen Fällen zutrifft. Sie sehen also,
mit dieser Belastung des Unternehmertums sieht es hier
sehr faul aus, und wir als Gemeinde können doch zu
frieden sein, wenn wir diese Mittel auf einem anderen
Wege wieder zur Verfügung stellen können.
Noch drolliger war das Auftreten des Herrn Kol
legen Klein hier. Wir müssen uns eigentlich wundern,
daß der Herr Kollege Klein im Ausschuß das pure
Gegenteil von dem bewiesen hat, was er heute hier zu
beweisen bestrebt war. Herr Kollege Klein hat im Aus
schuß erklärt: — ich habe mich genau erkundigt, Sie
haben das selbst gesagt, Herr Kollege —: „In den
Schuhmacherwerkstätten beim Bezirksamt zahlen wir
höchstens 3,50 3tM. Nach den Preisen, die uns die
Jnnungsmeister genannt haben, werden 4,50 und
darüber für das Besohlen von ein Paar Stiefeln ge
fordert."
(Stadtv. Urich: Und haben nicht so gutes Leder
wie da!)
Auf den Einwand des Magistratsvertreters, daß
es sich nicht nur um Besohlung, sondern auch um
Flicken von Schuhwerk handelt, erklärte Herr Kollege
Klein, daß unter solchen Voraussetzungen sich über
haupt kein Schuhmachermeister bereit finden würde, das
Schuhzeug der Erwerbslosen zu reparieren. Nachdem
die Deutschnationale Fraktion Sie zurechtgestutzt hat, wie
das wahrscheinlich bei Ihnen so üblich ist, da kommen
Sie und beweisen wunderbarerweise das Gegenteil.
Meine Damen und Herren! Das ist keine Politik,
nicht einmal mehr eine deutschnationale. Das ist eine
ganz vermasselte Art, in der Sie hier aufzutreten be
lieben. Sie müssen sich daran gewöhnen, sich wenigstens
auch im Plenum so einzustellen, wie Sie im Ausschuß
glaubten, die Interessen ihrer Wähler wahrnehmen zu
müssen.
Die Wirtschaftspakt hat einen' schlechten Bundes
genossen gefunden, denn Sie sind ebensowenig wie diese
imstande, zu beweisen, daß den Schuhmachermeistern da
durch geholfen würde, wen» wir die wenigen Werk
stätten, die wir nun einmal haben, auslösen. Wir haben
bereits erklärt, wir sind nicht gegen die Schuhmacher
meister. Wenn Sie uns irgendeinen nennenswerten Vor
schlag machen können, wie wir diesen Leuten helfen
können, sind wir gern dazu bereit. Aus diese Art und
Weise aber können Sie ihnen zweifelsohne lediglich einen
Bärendienst erweisen, eine wirkliche Hilfe aber nicht, und
deswegen müssen wir Ihren Antrag ablehnen.
(Beifall bei den Kommunisten.)
Stadtv. Hake (W.): Meine Damen und Herren!
Gerade der Schluß der Ausführungen des letzten Herrn
Kollegen zwingt mich, nochmals Ihre kostbare Zeit in
Anspruch zu nehmen. Der Herr Kollege hat zum Schluß
ausgeführt, daß wir den Beweis, daß wir etwas Bes
seres an diese Stelle setzen wollen im Interesse der Er
werbslosen und auch der Stadt Berlin, schuldig ge
blieben sind.
Wir haben uns nach der letzten Ausschußsitzung,
meine Damen und Herren, nochmals mit der kompe
tenten Stelle: der Schuhmacher-Innung Berlin, ins
Einvernehmen gesetzt.
(Stadtv. Urich: Das ist aber nicht mehr richtig!)
Jawohl, das ist die einzige kompetente Stelle, die sich
sogar über den ganzen Stadtkreis Berlin ausdehnt.
(Stadtv. Urich: Mit den Cöpenickcru haßen Sie
nicht geredet!)
Das ist der Verband der selbständigen Schuhmacher des
Stadtkreises Berlin. Da haben wir folgende schrift
liche Unterlage bekommen:
„Berlin, den 2. Mai 1927.
Betr. Auflösung der Erwerbslosenbetriebswerkstätte»
für Schuhmacher.
Der Auffassung des Magistrats der Stadt Berlin
und seiner Bezirksämter, daß die Erwerbslosenbe
triebswerkstätten eine segensreiche Einrichtung ist, muß
hier von Sachverständige» des Schuhmacherhandwerks
in jeder Beziehung widersprochen werben, denn es ist
festgestellt, daß der niedrige Preis, der dort erhoben
wird trotz der Zuschüsse des Landesarbeitsamtes, nur
auf Grund der schlechten Arbeit und des schlechten
Materials zustande kommt.."
(Stadtv. Urich: Das ist eine unerhörte Behauptung!)
— Bitte, das ist mir zugegangen. —
(Stadtv. Urich: Das hat einer geschrieben, der von
der Schusterei keine Ahnung hat!)
„Was die Ratenzahlung anbelangt, so kann auch
diese dann aufrecht erhalten werden, wenn die Repa
raturen vom selbständigen Schuhmacher ausgeführt
werden, indem der Erwerbslose nicht an den Schuh
macher direkt zahlt, sondern die Abrechnung, wie in
Schöneberg und Steglitz usw., mit den Fürsorgeämtern
erfolgt.
Der Verband der selbständigen Schuhmacher des
Stadtkreises Berlin erklärt sich nochmals damit ein
verstanden, daß für dieselben Preise bei Verwendung
desselben Materials die Arbeiten von den selbstän
digen Schuhmachern ausgeführt werden, wie in den
Erwerbslosenbetriebswerkstätten.
Unser über 5000 Mitglieder zählender Verband
erklärt hiermit, daß mindestens die Hälfte aller seiner
Mitglieder die in Frage kommenden Arbeiten für die
in Betracht kommenden Preise ausführt.
Magistrat und Bezirksämter halten diese Be
triebswerkstätten nicht deshalb für segensreich, weil
hierdurch den Erwerbslosen nach ihrer Meinung eine
Hilfe zugute kommt, sondern weil hierdurch die par
teipolitische Forderung: die Sozialisierung des Hand
werks, in die Wege geleitet werden soll. Und lute
jene Herren heute an der Vernichtung dieses Hand
werkszweiges arbeiten, so gehen sie morgen gegen
einen anderen vor.
Wir übernehmen auch die volle Verantwortung da
für, daß keiner dieser Schuhmacher die Reparaturen
zurückweist, weil die Schuhe schon zu schlecht sind.
Verband der selbständigen Schuhmacher des
Stadtkreises Berlin."
Also, meine verehrten Dante» und Herren, damit
Sie nicht wieder sagen, ich bin den Beweis schuldig ge
blieben — ein besseres authentisches Material wird wohl
keiner in der Lage sein auszuweisen, Herr Kollege.
Nun aber, meine Damen und Herren, ist es wohl
nicht richtig verstanden worden, wenn ausgeführt wird,
daß die Schuhmacher die Arbeit zurückhaben wollen, um
die stille Zeit damit auszufüllen. Das ist natürlich
nicht so zu verstehen, daß das die Reisezeit oder die
Zeit nach den Feiertagen ist. Nehmen wir nun einmal
einige Tagesstunden an, die der Schuhmachergeselle nicht
voll beschäftigt ist. Sie können es einem Unternehmer