344 Sitzung nun 28, April 1927.
Aber nicht nur das, -sonder» auch der Zuzug der
Wohuungsloseu ist groß.
(Zwischenrufe.)
(Vorst. Haß: Herr Kollege llrich, Sie haben nicht
das Wort!)
Herr Kollege Linke, es würde für Sie eine dankbare
Ausgabe sein, wenn Sie einmal den Herrn Stadtmedi-
zinalrat fragen würden, wieviel von den Mädchen
vom Lande, die von dem Gutsherrn oder sonstigen
Besitzern geschwängert sind, nach Berlin kommen und
hier der allgemeinen Wohlfahrtspflege zur Last fallen.
Sie scheinen sich um solche Dinge sehr wenig gekümmert
zu haben. Aber nicht nur das weibliche Geschlecht,
sondern auch das männliche Geschlecht und alle diejenigen,
die. ans dem Lande alt geworden sind, die ihr ganzes Leben
dem Gutsherrn zur Verfügung gestellt haben, werden,
wenn sie alt und verbraucht sind, abgeschoben und suchen
aus Grund von verwandtschaftlichen Beziehungen ihre»
letzten Rettungsanker in Berlin. Diese Fälle sind nicht zu
Hunderten, sondern zu Tausenden im Jahre festzustellen.
Wenn die Dinge so liegen, so ist es doch offenbar
ein Unrecht, daß die Stadt Berlin in ihren Steuerein
nahmequellen so beschnitten wird.
Nun, meine Damen und Herren, wenn Herr Dr.
Caspari heute hier gesprochen hat von der Harmonie
im Preußischen Städtetage, so will ich ihm erklären, daß
wir nicht beabsichtigen, aus dem Städtetag auszutreten.
Wir halten es für die allerhöchste Zeit, daß die
Zusammensetzung des Städtetages sich bewußt wird, daß
der Stadt Berlin ihr Recht gewährt werden muß. Sollte
das in Zukunft nicht der Fall sein, so würden sich hier
aus Konsequenzen ergeben, die Ihnen, Herr Dr.
Caspari nicht angenehm sein würden.
(Zuruf: Das wäre ja entsetzlich!)
Ich will diese Frage nicht erörtern, aber jedenfalls
liegen die Dinge so, daß Herr Dr. Caspari geflissentlich
darauf bedacht ist, und wir kennen Sie, Herr Dr.
Caspari, Ihre Eitelkeit ist uns bekannt aus Ihrer früheren
Tätigkeit, so daß man Ihnen das wirklich nicht übel
nimmt.
(Vorst. Haß: Herr Kollege Czeminski, ich möchte Sie
bitten, persönliche Eigenschaften von Stadtverordneten
nicht in die Debatte zu ziehen!)
— Ich habe bisher angenommen, daß Eitelkeit keine
schlechte Eigenschaft ist. Aber wenn der Herr Vorsteher
meint, ivill ich das gern ändern. —
Herr Dr. Caspari wird dann darauf verzichten
müssen, weiter Sitz und Stimme im Preußischen Städtetag
zu haben. Es ist doch leider so, daß der Städtetag
heute keine Interessenvertretung der Städte mehr ist, lvo
dje Interessen der Städte nach Recht und. Billigkeit
abgewogen werden, sondern man hat als Außenstehender
die Empfindung, daß sich die preußischen Städte gegen
Berlin verbunden haben. Ein Beweis dafür ist insbe
sondere, weit es noch nicht der Fall gewesen ist, daß in
einer öffentlichen Stadtverordnetenversammlung ein so
prominenter Vertreter dos Deutschen Städtetages, wie es
Herr Oberbürgermeister Dr. Adenauer ist, so gegen Berlin
losgezogen ist, >vie es in diesem Jahre der Fall war.
Wenn da von Eigennutz und von Neid gesprochen wird,
so kann meine Partei das nur unterschreiben. Es
scheint, als ob die einzelnen Oberbürgermeister sich da
vereinigt haben zu dem ausschließlichen Zweck, um die
Stadt Berlin zu schädigen, und da sagt man — und
Sie vertreten ja sonderbarerweise hier in der Stadt diesen
Standpunkt: Abbau der Steuern. In den gesetzgebenden
Körperschaften sagen Ihre Freunde: Berlin darf nicht
mehr bekommen, Berlin soll seine Steuern aufbauen. Die
Argumente, die da geliefert worden sind, warnt doch
folgende:
Berlin hat einen Gewerbesteuerzuschlag von 425,o/o.
Die meisten Städte haben 600°/o und darüber, bis
1000 0 /o. Da sagen diese Oberbürgermeister und Vertreter
von diesen Städten: Laßt doch Berlin seine Gewerbe
steuern aufbauen, und zwar, so hoch wie die unsrigen sind.
Sie sagen auch nicht mit Unrecht, daß Berlin die nie
drigsten Tarife habe an Gas, Wasser, Elektrizität und
Fahrpreisen, und meinen daher: Erst sollen die Tarife
so angespannt werden, so hoch gesetzt werden, wie
unsere, dann sind wir bereit, darüber zu reden, ob
Berlin einen höheren Schlüsselanteil erhalten soll.
(Hört, hört!)
Aus der einen Seite klagen und ächzen Sie über die
hohen Steuern, um sich bei der Bürgerschaft beliebt zu
machen, auf der anderen Seite greifen Sie da nicht
durch, wo es möglich ist, die Steuerlasten der Berliner
Bevölkerung herabzumindern, sondern im Gegenteil,
Sie nehmen der Stadt Berlin, was sie unbedingt haben
muß. — Es hat keinen Zweck, Herr Dr. Faltz, die
Debatte ist Ihnen heute sehr unangenehm.
(Zuruf des Stadtv. Dr. Faltz.)
Wenn, Herr Dr. Faltz, der Bürgerschaft, die Sie dies
mal noch gewählt hat, das in aller Öffentlichkeit gesagt
wird, dann, glaube ich, wird Ihre Fraktion in der
nächsten Stadtverordnetemvahl bequem in einer Auto
droschke Platz haben.
(Stadtv. Dr. Faltz: Seien Sie kein Prophet!)
Nein, Herr Dr. Faltz, wir habe» Ihnen das schon
vor zwei Jahren gesagt, und was wir Ihnen gesagt habe»,
ist fast wörtlich eingetroffen, und ich glaube, daß die
Zukunft uns recht geben wird.
Nun ein Wort noch zu den Unterredungen, die der
Herr Oberbürgermeister insbesondere mit den Land
tagsabgeordneten veranlaßt hat. Meine Damen und
Herren, ich muß offen gestehni, die Art, wie mit den
Landtagsabgeordneten verhau-elt worden ist, kann die
Zustimmung, meiner Fraktion nicht finden. Ich muß
es Ihnen schon leider persönlich sagen, Herr Ober
bürgermeister, trotzdein Sie vielleicht die Verantwortung
dafür nicht haben: Man lädt keine Landtagsabgeordneten
ein nach Zimmer 63, und die Sitzung findet in einem
ganz anderen Zimmer statt, ohne daß man jemand hin
stellt und sagen läßt: die Sitzung findet in dein und dem
Zimmer statt. Man läßt auch insbesondere dafür Sorge
tragen, daß, wenn man Abgeordnete einlädt, sie an-
ständtge Sitzgelegenheit haben und sich nicht erst die
Sitzgelegenheit zusammenholen jnüssen. Da kann ich
es verstehen, wenn ein Teil der Abgeordneten dem Herrn
Oberbürgermeister erklärt: Unter solchen Umstände» gehen
wir nicht wieder nach dem Berliner Rathaus.
(Stadtv. Dr. Faltz: Hört, hört!) \
Deshalb wird es zweckmäßig sein, daß wir auf
solche Einladungen etwas mehr Wert legen, und wenn wir
von den Landtagsabgeordneten, die in diesem Falle der
gebende Teil sein sollen, etwas haben wollen, müssen wir
sie so empfangen, wie man andere entpfängt. Vielleicht
ist diese Anregung dazu angetan, daß der Herr Ober
bürgermeister in Zukunft dafür Särge tragen wird, daß
solche Einladungen in anderer Form ergehen.
Wir sind nach wie vor bereit, für die Stadt
Berlin das zu tun und das herauszuholen, was
notwendig ist, und erfreulicherweise kann ich feststellen,
daß nicht nur die Fraktion der Sozialdemokratischen
Partei im Preußischen Staatsrat geschlossen für die
Stadt Berlin gestimmt hat, sondern daß dasselbe auch im
Landtage der Fall gewesen ist.
Stadtv. Dr. Caspari: Dann darf ja außerhalb
einer mehr einen Sozialdemokraten wählen nach
Ihrer Theorie!)
Sic haben eine eigene Theorie. Ihre Theorie wird selten
verstanden, und Sie haben meistens das Pech, mißverstan
den zu werden.
(Stadtv. Dr.- Faltz: Genau, wie Sie Herrn Neu-
mann mißverstanden haben!)