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Schulschwestern haben. — Alse auf der einen Seite über
lastet man die Schnlgesiindheitspflegerin mit der Fa-
milienfürsorge, auf der andern Seite stellt man Schul
schwestern für die Schulgesundheitspflege ein. Wir ver
langen nur Schulgesunoheitspflegerinnen, die lediglich dem
Gesundheitsamt und oem Schularzt zur Verfügung stehen.
Wir haben es im Prenzlauer Berg seinerzeit gehabt,
daß sich tatsächlich die Art der Familienftirsorge, wie
sie Steglitz.hat, nicht bewährt hat. Quantitativ ist aller
dings etwas geleistet worden, nämlich es sind Statistiketr
geführt worden, es sind die Bücher gut geführt worden.
Aber qualitativ ist die gesamte Pflege sehr stark in den
Hintergrund gedrängt worden.
Ich frage nunmehr aber noch eins: Was soll die
Fürsorgerin, die Familienfürsorgerin ist, denn alles be
herrschen ? Wie soll denn die Ausschreibung sein? Was
soll sie alles gelernt haben, um den gesamten Kreis der
Fürsorge umfassen zu können? Eine Fürsorgerin hätte
doch nicht nur Schulkinder, sondern sie hätte auch Inva
liden zn versorgen, sie hätte Unterstützungsempfänger,
sie hätte die Jugend-, sie hätte Psychopathen-, die Kriegs-
nnd Krüppelfürsorge, sie hätte Altersrentner und Klein
rentner, kurz und gut alles, lvas wir in der Fürsorge
haben. Nun frage ich Sie, wie soll dieses Mädchen für
alles eigentlich ausgebildet werden, um das alles zu be
herrschen? Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Für
uns gibt es nur eine Trennung der Gesundheitsfürsorge
von der übrigen Fürsorge. Das sind zwei vollkommen
verschiedene Gebiete.
Wenn Fräulein Wunderlich meint, das; mehrere
Fürsorgerinnen nunmehr in eine Familie gehen müßten,
so trifft das durchaus nicht zu. Es kommt doch ganz
und gar darauf ait, wie die Zusammenarbeit ist. Warum
können Schulgesundheitspflegerinnen sich nicht an einem
bestimmten Wochentage zur bestimmten Zeit in festge
setzten Sitzungen mit der anderen Fürsorgerin über die
einzelnen Fälle anssprechen, genau so, wie es in der
Wohlfahrtspflege auch der Fall ist? Nun, kommt die
Betreffende in eine Familie und trifft Tuberkulöse oder
sonstige Unterstützungsempfänger, dann teilt die eben den
Fall der anderen 'Fürsorgerin mit. Der Fall wird eben
von dort weiter bearbeitet. Also diese Schwierigkeiten
sehen wir keinesfalls. Man will hier in Berlin, das ist in
der Zentrale so wie in den Bezirken, die Gesundheits
ämter in hohem Maße in ihrer Arbeitsmöglichkeit be
schränken. Man sieht es überall, daß die Jugendämter
jedes Vorrecht für sich in Anspruch nehmen, die Wohl
fahrtsämter auch, wozu sie auch das Recht haben, man
darf aber deswegen die Gesundheitsämter nicht in den
Hintergrund drängen, zum Schaden der Gesundheits
pflege in Berlin.
Wir stimmen also der Vorlage heute zu mit Dem
Hinweis, daß wir die Höhe der Schulkinder für Den
hauptamtlichen Schularzt weiter bekämpfen und daß wir
uns dafür einsetzen und versuchen werden, auch die
Behandlungsfreiheit für die Schulkinder zn erreichen.
(Beifall bei den Kommunisten.)
Vorst. Haß: Der Antrag der Herren Gabel u. Gen.
zu diesem Punkte lautet:
„Am 14. November 1926 hat das Bezirksamt
Reinickendorf den Beschluß gefaßt, die Schnlgesnnd-
heitspflege in die Familienfürsorge einzugliedern. Der
Beschluß ist bereits zur Durchführung gelangt. Dieser
Beschluß widerspricht soivohl den Magistratsrichtlinien
vom Juni 1926 als auch dem Stadtverordneten«
beschlnß vom 23. September 1926, Prot. Nr. 9.
Die Stadtverordnetenversammlung beschließt:
Der Magistrat wird ersucht, den Beschluß des
Bezirksamts Reinickendorf, betr. Schulgesundheitspflege,
aufzuheben."
Das Wort hat Frau Kollegin Klockow.
. Februar 1927.
Stadtv. Frau Klockow (V.): Nachdem Frau Kol
legin Rötger und Frau Dr. Wunderlich ausführlich über
das, was sie wünschet:, berichtet Und auch die Bedenken
klargestellt haben, brauche ich wirklich nicht noch ein
mal dieselbe Sache zu wiederholen. Wir schließen uns an.
Ich möchte nur noch das eine unterstreichen, daß
wir eine Trennung der schulärztlichen Pflege von der
Familienfürsorge schon deshalb nicht wünschen, weil
unserer Meinung nach eine nur schulärztliche Tätigkeit
entschieden eine gewisse Einseitigkeit bedeuten würde, die
gerade in diesem Punkte nicht wünschenswert wäre, weil
der Schularzt allein ohne die Familienftirsorge absolut
nicht genügend durchgreifen kann. Meine Freunde werden
der Vorlage zustimmen, besonders unter den Gesichts
punkten, daß in der Entschließung die verschiedenen Siche
Hingen gegeben sind, die dafür Sorge tragen, daß nicht
mit eines Prinzips willen in überhetzter und schneller
Weise unnütze Beunruhigung in die gut arbeitenden
Fürsorgekreise hineingetragen wird.
Stadtv. Hädicke (S.): Meine Damen ttttd Herren!
Meine Freunde glaubten, daß die Sache hier schnell
und' ohne Debatte erledigt werden würde, und das um so
mehr, als die Angelegenheit schon in den zuständigen
Deputationen, in den Ausschüssen und sogar schon ein
mal in der Stadtverordnetenversammlung erörtert wor
den ist. Wir selbst Iverden notgedrungen der Vorlage
zustimmen. Wir hätten es mit größerer Freude getan,
wenn der Magistrat die Richtzahlen, die wir aufgestellt
hatten, sich zueigen gemacht hätte.
Auch wir haben natürlich eine ganze Reihe von
Wünschen, wollen sie aber nicht in besonderen Anträgen
festlegen, um die Durchführung nicht zu gefährden oder
auch nur zu verzögern. Wir haben deshalb unsere
Wünsche in eine Resolution zusammengefaßt, die Ihnen
der Ausschuß zur Beschlußfassung vorlegt.
Wir hätten vor allem gewünscht, daß der Ma
gistrat die Sache beschleunigt hätte, damit sie bereits
zum 1. Januar erledigt worden wäre. Die neue Vor
lage hätte uns jedenfalls bis dahin vorliegen können,
damit die Kündigung der nebenamtlich beschäftigten Schul
ärzte rechtzeitig hätte erfolgen können. Auch wir wün
schen, daß die beiden Dinge: Schulgesundheitspflege und
Familienftirsorge getrennt werden. Wir wünschen nicht,
daß die Schule, wie es heute noch vielfach der Fall ist,
von allen möglichen Stellen überlaufen wird, sowenig wie
wir wünschen, daß Sozialbeamte aller möglichen Zweige
der öffentlichen und privaten Wohlfahrt in die Familie
hineingehen.
Wir bitten Sie deswegen, der Vorlage und der
von uns vorgelegten Entschließung einstimmig zuzu
stimmen.
Stadtmedizinalrat Prof. Dr. von Drigalski: Der
Magistrat ist dem Hanse sehr dankbar, Paß es an der
Notwendigkeit der sachlichen Forderung selbst einen
Zweifel nicht mehr hegt. Lediglich über die Frage der
Fürsorge ist hier noch ziemlich ausgiebig verhandelt
worden. Dazit darf ich bemerken, daß dem wiederholt
geäußerten Wunsche, keine überstürzte starrsinnige Hal
tung bei Durchführung der Schulfürsorge einzunehmen,
bereits durch die Vorlage Rechnung getragen ist. Ich
weiß nicht, wie man es deutlicher ausdrücken soll, als
daß man in eine Vorlage hineinschreibt, daß bei der
Durchführung der Schulfürsorge „ein überstürztes Vor
gehen im Interesse, gesunder organischer Entwicklung
zn vermeiden" sein wird. Geht die Vorlage so durch,
dann wird nur eben verwirklicht, was durch Richtlinien,
die Fürsorge betr., vom Magistrat bereits 1926 festge
legt ist. Der Magistrat kann unmöglich, nachdem er
nach langen mühseligen Verhandlungen mit allen mög
lichen Instanzen wohl erwogene Richtlinien festgelegt
hat, nun wieder davon abgehen und hier einen neuen
Weg wandeln.