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Volume Sitzung 5, 10.02.1927

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1927 (Public Domain)

96 Sitzung ant 10. 
Schulschwestern haben. — Alse auf der einen Seite über 
lastet man die Schnlgesiindheitspflegerin mit der Fa- 
milienfürsorge, auf der andern Seite stellt man Schul 
schwestern für die Schulgesundheitspflege ein. Wir ver 
langen nur Schulgesunoheitspflegerinnen, die lediglich dem 
Gesundheitsamt und oem Schularzt zur Verfügung stehen. 
Wir haben es im Prenzlauer Berg seinerzeit gehabt, 
daß sich tatsächlich die Art der Familienftirsorge, wie 
sie Steglitz.hat, nicht bewährt hat. Quantitativ ist aller 
dings etwas geleistet worden, nämlich es sind Statistiketr 
geführt worden, es sind die Bücher gut geführt worden. 
Aber qualitativ ist die gesamte Pflege sehr stark in den 
Hintergrund gedrängt worden. 
Ich frage nunmehr aber noch eins: Was soll die 
Fürsorgerin, die Familienfürsorgerin ist, denn alles be 
herrschen ? Wie soll denn die Ausschreibung sein? Was 
soll sie alles gelernt haben, um den gesamten Kreis der 
Fürsorge umfassen zu können? Eine Fürsorgerin hätte 
doch nicht nur Schulkinder, sondern sie hätte auch Inva 
liden zn versorgen, sie hätte Unterstützungsempfänger, 
sie hätte die Jugend-, sie hätte Psychopathen-, die Kriegs- 
nnd Krüppelfürsorge, sie hätte Altersrentner und Klein 
rentner, kurz und gut alles, lvas wir in der Fürsorge 
haben. Nun frage ich Sie, wie soll dieses Mädchen für 
alles eigentlich ausgebildet werden, um das alles zu be 
herrschen? Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Für 
uns gibt es nur eine Trennung der Gesundheitsfürsorge 
von der übrigen Fürsorge. Das sind zwei vollkommen 
verschiedene Gebiete. 
Wenn Fräulein Wunderlich meint, das; mehrere 
Fürsorgerinnen nunmehr in eine Familie gehen müßten, 
so trifft das durchaus nicht zu. Es kommt doch ganz 
und gar darauf ait, wie die Zusammenarbeit ist. Warum 
können Schulgesundheitspflegerinnen sich nicht an einem 
bestimmten Wochentage zur bestimmten Zeit in festge 
setzten Sitzungen mit der anderen Fürsorgerin über die 
einzelnen Fälle anssprechen, genau so, wie es in der 
Wohlfahrtspflege auch der Fall ist? Nun, kommt die 
Betreffende in eine Familie und trifft Tuberkulöse oder 
sonstige Unterstützungsempfänger, dann teilt die eben den 
Fall der anderen 'Fürsorgerin mit. Der Fall wird eben 
von dort weiter bearbeitet. Also diese Schwierigkeiten 
sehen wir keinesfalls. Man will hier in Berlin, das ist in 
der Zentrale so wie in den Bezirken, die Gesundheits 
ämter in hohem Maße in ihrer Arbeitsmöglichkeit be 
schränken. Man sieht es überall, daß die Jugendämter 
jedes Vorrecht für sich in Anspruch nehmen, die Wohl 
fahrtsämter auch, wozu sie auch das Recht haben, man 
darf aber deswegen die Gesundheitsämter nicht in den 
Hintergrund drängen, zum Schaden der Gesundheits 
pflege in Berlin. 
Wir stimmen also der Vorlage heute zu mit Dem 
Hinweis, daß wir die Höhe der Schulkinder für Den 
hauptamtlichen Schularzt weiter bekämpfen und daß wir 
uns dafür einsetzen und versuchen werden, auch die 
Behandlungsfreiheit für die Schulkinder zn erreichen. 
(Beifall bei den Kommunisten.) 
Vorst. Haß: Der Antrag der Herren Gabel u. Gen. 
zu diesem Punkte lautet: 
„Am 14. November 1926 hat das Bezirksamt 
Reinickendorf den Beschluß gefaßt, die Schnlgesnnd- 
heitspflege in die Familienfürsorge einzugliedern. Der 
Beschluß ist bereits zur Durchführung gelangt. Dieser 
Beschluß widerspricht soivohl den Magistratsrichtlinien 
vom Juni 1926 als auch dem Stadtverordneten« 
beschlnß vom 23. September 1926, Prot. Nr. 9. 
Die Stadtverordnetenversammlung beschließt: 
Der Magistrat wird ersucht, den Beschluß des 
Bezirksamts Reinickendorf, betr. Schulgesundheitspflege, 
aufzuheben." 
Das Wort hat Frau Kollegin Klockow. 
. Februar 1927. 
Stadtv. Frau Klockow (V.): Nachdem Frau Kol 
legin Rötger und Frau Dr. Wunderlich ausführlich über 
das, was sie wünschet:, berichtet Und auch die Bedenken 
klargestellt haben, brauche ich wirklich nicht noch ein 
mal dieselbe Sache zu wiederholen. Wir schließen uns an. 
Ich möchte nur noch das eine unterstreichen, daß 
wir eine Trennung der schulärztlichen Pflege von der 
Familienfürsorge schon deshalb nicht wünschen, weil 
unserer Meinung nach eine nur schulärztliche Tätigkeit 
entschieden eine gewisse Einseitigkeit bedeuten würde, die 
gerade in diesem Punkte nicht wünschenswert wäre, weil 
der Schularzt allein ohne die Familienftirsorge absolut 
nicht genügend durchgreifen kann. Meine Freunde werden 
der Vorlage zustimmen, besonders unter den Gesichts 
punkten, daß in der Entschließung die verschiedenen Siche 
Hingen gegeben sind, die dafür Sorge tragen, daß nicht 
mit eines Prinzips willen in überhetzter und schneller 
Weise unnütze Beunruhigung in die gut arbeitenden 
Fürsorgekreise hineingetragen wird. 
Stadtv. Hädicke (S.): Meine Damen ttttd Herren! 
Meine Freunde glaubten, daß die Sache hier schnell 
und' ohne Debatte erledigt werden würde, und das um so 
mehr, als die Angelegenheit schon in den zuständigen 
Deputationen, in den Ausschüssen und sogar schon ein 
mal in der Stadtverordnetenversammlung erörtert wor 
den ist. Wir selbst Iverden notgedrungen der Vorlage 
zustimmen. Wir hätten es mit größerer Freude getan, 
wenn der Magistrat die Richtzahlen, die wir aufgestellt 
hatten, sich zueigen gemacht hätte. 
Auch wir haben natürlich eine ganze Reihe von 
Wünschen, wollen sie aber nicht in besonderen Anträgen 
festlegen, um die Durchführung nicht zu gefährden oder 
auch nur zu verzögern. Wir haben deshalb unsere 
Wünsche in eine Resolution zusammengefaßt, die Ihnen 
der Ausschuß zur Beschlußfassung vorlegt. 
Wir hätten vor allem gewünscht, daß der Ma 
gistrat die Sache beschleunigt hätte, damit sie bereits 
zum 1. Januar erledigt worden wäre. Die neue Vor 
lage hätte uns jedenfalls bis dahin vorliegen können, 
damit die Kündigung der nebenamtlich beschäftigten Schul 
ärzte rechtzeitig hätte erfolgen können. Auch wir wün 
schen, daß die beiden Dinge: Schulgesundheitspflege und 
Familienftirsorge getrennt werden. Wir wünschen nicht, 
daß die Schule, wie es heute noch vielfach der Fall ist, 
von allen möglichen Stellen überlaufen wird, sowenig wie 
wir wünschen, daß Sozialbeamte aller möglichen Zweige 
der öffentlichen und privaten Wohlfahrt in die Familie 
hineingehen. 
Wir bitten Sie deswegen, der Vorlage und der 
von uns vorgelegten Entschließung einstimmig zuzu 
stimmen. 
Stadtmedizinalrat Prof. Dr. von Drigalski: Der 
Magistrat ist dem Hanse sehr dankbar, Paß es an der 
Notwendigkeit der sachlichen Forderung selbst einen 
Zweifel nicht mehr hegt. Lediglich über die Frage der 
Fürsorge ist hier noch ziemlich ausgiebig verhandelt 
worden. Dazit darf ich bemerken, daß dem wiederholt 
geäußerten Wunsche, keine überstürzte starrsinnige Hal 
tung bei Durchführung der Schulfürsorge einzunehmen, 
bereits durch die Vorlage Rechnung getragen ist. Ich 
weiß nicht, wie man es deutlicher ausdrücken soll, als 
daß man in eine Vorlage hineinschreibt, daß bei der 
Durchführung der Schulfürsorge „ein überstürztes Vor 
gehen im Interesse, gesunder organischer Entwicklung 
zn vermeiden" sein wird. Geht die Vorlage so durch, 
dann wird nur eben verwirklicht, was durch Richtlinien, 
die Fürsorge betr., vom Magistrat bereits 1926 festge 
legt ist. Der Magistrat kann unmöglich, nachdem er 
nach langen mühseligen Verhandlungen mit allen mög 
lichen Instanzen wohl erwogene Richtlinien festgelegt 
hat, nun wieder davon abgehen und hier einen neuen 
Weg wandeln.
	        
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