Path:
Volume Sitzung 35, 21. Oktober 1926

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1926 (Public Domain)

Sitzung am 21. Oktober 1926. 
Nun, meine Damen und Herren, die Dinge liegen 
doch praktisch so: Die einzelnen Arbeitnehmer, die sich 
weigern, in solchen Betrieben Ueberstunden zu machen, 
werden dann durch irgendwelche! Schikanen der Ban- 
leitung ans dem Betrieb entfernt. 
(Stadtv. Gabel: Hört, hört!) 
Wir haben gehört, daß ein Arbeiter, der von Beruf 
Ziseleur ist — und der wurde hier vorhin von Herrn 
Stadtbanrat Hahn genannt —, 3 Tage dort bei der Nord- 
Süd-Bahn gearbeitet hat. An dem ersten Tage, als er 
dort in Beschäftigung''ging, hat er nicht weniger als 
131/2 Stunden, am zweiten Tage, am 28., 16 Stunden 
gearbeitet. 
(Stadtv. Gabel: Hört, hört!) 
Er sollte dann am 29. noch 8 Stunden übergleiten 
lassen. 
(Hört, hört!) 
(Stadtv. Urich: Ein Ziseleur!) 
Meine Damen und Herren, was ich hier sage, ist 
nicht ettva aus der Luft gegriffen, sondern ich habe mir 
die Daten und die Stundenzahlen, die dieser Arbeit 
nehmer dort verrichten sollte, von ihm persönlich auf 
dieses Blatt Papier aufschreiben lassen. Ich habe selbst 
mit diesem Manu Rücksprache genommen. Er war ver 
pflichtet, die Arbeiten zu leisten, weil er ja sonst nicht 
mehr in den Genuß der Erwerbslosenunterstützung kam. 
Er mußte die Arbeit dort aufgeben, weil es ihm un 
möglich war, während der Panse, die zwischen den 
nächsten 8 Stunden doch liegen soll, sein Brot anzufassen, 
»veil er die Hände infolge der langen Arbeitszeit voller 
Schwielen hatte. 
(Stadtv. Urich: Er mußte auch noch Akkord ar 
beiten!) 
Ob er bei dieser langen Arbeitszeit noch Akkord arbeiten 
mußte, weiß ich nicht. 
(Stadtv. Urich: Ja, man hat es von ihm verlangt!) 
Wir haben hier in der Stadtverordnetenversamm 
lung das größte Interesse daran, daß das Bauamt der 
Nord-Süd-Bahn die verdammte Pflicht hat, infolge der 
übergroßen Erwerbslosigkeit, infolge der übergroßen Er- 
werbslosenziffer, die wir hier besonders in Berlin haben, 
darauf zu achten, daß Ueberstunden nicht gemacht werden. 
Meine Damen und Herren, wie wirft das auf die Er 
werbslosen, wenn einzelne Arbeitnehmer vielleicht nicht 
direkt, sondern indirekt dazu gezwungen werden, solche 
große Zahl von Ueberstunden zu machen. Da werden die 
Erwerbslosen draußen mit Recht sagen: Ihr könnt nach 
Notstandsarbeiteru schreien soviel ihr wollt, ihr könnt 
Notstandsarbeiten beschließen, soviel ihr wollt, was 
kommt dabei aber für die Erwerbslosen heraus, wenn von 
einem großen Teile Ueberstunden gemacht werden 
(Zuruf bei den Kommunisten: Werden müssen!) 
und Erwerbslose dafür nicht eingestellt werden? 
Meine Damen und Herren, wir haben gestern bei 
der Bauleitung feststellen müssen, daß es so ist. Es ist 
uns zugesagt worden, daß die Banleitung sich nun be 
mühen wird, wenn es einigermaßen möglich ist, ans 
den verschiedenen Banstellen in 3 Schichten arbeiten 
zu lassen. 
(Stadtv. Urich: Aber auch den Tariflohn bezahlen 
muß!) 
Die Bauleitung hätte schon früher so einsichtig sein 
müssen. 
(Stadtv. Urich: 13 Pfennige die Stunde, Herr 
Stadtrat!) 
Wenn sie glaubt, daß dort bei den Bauwerken irgend 
welche Einsturzgefahr vorliegen könnte, dann kann sie in 
Schichten arbeiten lassen. Wir haben der Bauleitung 
gestern gesagt, daß mir uns als Vertreter der Bürger 
nicht gefallen lassen werden, daß so viele Ueberstunden 
gemacht werden. Das ist nicht im Interesse der Er- 
931 
»verbslosen. Es soll nun ein Anschlag auf den ein 
zelnen Baustellen herauskommen, worin die Bauleitung 
aufgefordert wird, mit der Betriebsvertretung dafür 
Sorge zu tragen, daß, wenn sich wirklich Ueberstunden 
nicht vermeiden lassen, diese aber dann in Zukunft 
abgebummelt werden müssen. Es wird also hier an den 
Vertreter des Magistrats, Herrn Stadtbaurat Hahn, 
liegen, dafür zu sorgen und strikte darauf zu achten, 
daß dieses Ueberstundennnwesen, wie es zurzeit auf dieser 
Baustelle herrscht, hier im Regiebetriebe der Stadt Berlin 
nicht aufkommt. 
(Lebhafter Beifall links.) 
Stadtv. Zager (K.): Meine Damen und Herren! 
Der Herr Stadtbaurat Hahn sagte, Ueberstunden ließen 
sich in solchen Betrieben schlecht vermeiden. Aber was 
man unter Ueberstunden versteht, darüber scheint zwischen 
Herrn Stadtbaurat Hahn und meiner Person, ein Unter 
schied zu fein. Wenn man von Ueberstunden spricht, die 
sich nicht vermeiden lassen, so können das nur wenige 
sei», mit denen mau nicht viel Federlesen macht, von 
denen man nicht spricht und die man eben abbummelt. 
Aber unter den Ueberstunden, wie sie hier ohne Schicht 
wechsel mit Billigung des Magistrats gemacht werden, 
ist doch etwas ganz anderes zu verstehen. Herr Stadt 
banrat Hahn ineinte, 30 Stunden kämen gar nicht in 
Frage. Sie haben den Monat September herausgegriffen, 
der für Sie der günstigste ist. Greifen Sie einmal auf die 
Monate Juli und August zurück, die werden Ihnen andere 
Beweise liefern. In der Kolonne Krause — genannt der 
Eisenbahnminister —-, war die Arbeitszeit häufig so — 
rechnen Sie genau mit Herr Banrat —, daß von 7 Uhr 
morgens bis 8 Uhr abends gearbeitet wurde, von 8 bis 
10 Uhr ging man nach Hause, um sich vielleicht ein paar 
Stullen zu holen. Dann ging es von 10 Uhr bis zum 
nächsten Tage 4y 2 Uhr ohne Unterbrechung. Bitte rechnen 
Sie sich das selbst zusammen, ob nicht 30 Stunden raus 
kommen, die Beweise hierfür kann ich Ihnen bringen. 
Wenn Sie behaupten, das trifft nicht zu, so be 
haupte ich, daß man nach best von mir angeführten 
Zahlen nicht sagen kann, der Magistrat hätte den besten 
Willen, die Erwerbslosigkeit zu mindern und die Misere 
zu beseitigen. Wenn der Magistrat den ehrlichen Willen 
hätte, die Erwerbslosigkeit zu mindern, so brauchte man 
sich das bloß nachzurechnen. Wenn — ich will schlecht 
rechnen — 600 Ueberstunden in der Woche herauskommen, 
so sind das 15 Arbeiter auf der einen kleinen Bau 
stelle von 1000 Mann. Das ist aber schlecht gerechnet, 
meiner Rechnung nach sind es 1500 Ueberstunden. Wenn 
Sie aber sagen, es sind bloß soviel, so sind es trotzdem 
aber 15 Mann. 
Meine Damen und Herren! Wenn der Magistrat als 
Bauherr sich so etwas leisten kann, was soll man dann 
bei den Privatunternehmern sagen? Die nehmen sich ein 
Beispiel daran. Wie will man das vor den Erwerbslosen 
verantworten? Wir stehen auf dem istandpnnkt, daß 
Berlin sich so etwas nicht leisten darf als Bauherr. 
' (Bei den Kommunisten: Sehr gut!) 
Wenn einige vom Betriebsausschuß sich erlauben, 
das zu monieren, dann wird ihnen nahe gelegt: Wenn 
euch das nicht gefällt, dann könnt, ihr gehen! So dumm 
sind sie natürlich nicht, es wörtlich ansznsprechen. 
Sie werden so abgefertigt, wie wenn man ungefähr 
eilten blauen Brief bekommt. Es wird angedeutet: Du 
bist uns im Wege, stelle dich anders ein, wer sich un 
beliebt macht, verschwindet. 
Herr Banrat Hahn! Ich kann z. B. aus dem 
Monat September einige Tüten verlesen mit 70y 2 — das 
ist etwas mehr als Sie behaupten — nochmals 70'/s, 
60, 64, 69 und dergl. Sie haben behauptet, daß das 
keine Ueberstunden sind. 
(Stadtv. Urich: Das sind Arbeitsstunden!)
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.