Sitzung am 7. September 1926. 795
Die Kinder der Armen müssen aber die Schule ver
lassen, sobald einmal ihre Leistungen nachlassen ltitb aus
dem Grunde das Schulgeld nicht mehr erlassen luird.
Das ist auf die Dauer ein unhaltbarer Zustand. Wir
wollen nur, daß das wieder eingeführt wird, was mehrere
Jahre hindurch bestanden hat.
Außerdem bedauern wir außerordentlich, daß die
Grenze, bis zu der überhaupt kein Schulgeld erhoben
wird, nicht, wie es die Stadtverordnetenversammlung
beschlossen hat, von 2000 M ans 2500 M erhöht worden
ist. Das erklärt sich vielleicht zum Teil daraus, daß
der Magistrat nicht wollte, daß die Vorlage, die eine Er
höhung der Einnahmen bringen sollte, eine Herabsetzung
zur Folge hätte. Wir hatten ja den Beschluß angenom
men, daß'der neue Staffeltarif in Geltung treten und
das alte Schulgeld beibehalten werden sollte. Wir sind
aber bereit, den Magistrat auf einen Weg hinzuweisen, wie
er aus dem Schulgeld höhere Einnahmen erzielen kann.
Dann hoffen wir, daß der Magistrat uns iit dieser Be
ziehung entgegenkommen wird.
Meine Damen und Herren! Der Herr Minister
Boelitz hat im Jahre 1923 in seiner Verfügung über das
Schulgeld die Provinzialschulkollegien ermächtigt, bei
einem ganz besonders hohen Einkommen das Schulgeld
über die staatlichen Schulgeldsätze hinaus zu staffeln. Das ist
ganz natürlich. Wenn z. B. ein Vater 10 000 M Ein
kommen hat und 150 M zahlen muss, so kann ein Vater,
der 100 000 M Einkommen hat, ruhig tausend Mark
oder noch mehr zahlen.
(Sehr richtig! links.)
Meine Damen und Herren! Meine Freunde wollen
nun nicht, daß unmittelbar auf Grund dieser Verfügung
des Herrn Ministers Boelitz der Magistrat eine Vorlage
mache. Wir ivollen aber, das; der Magistrat ernstlich
die ganze Sache für Berlin prüfe und ausrechne, ob die
Einführung eines solchen Schulgeldes für Berlin zweck
mäßig sei. Wenn der Magistrat zu der Ansicht kommt,
daß auf diese Weise höhere Einnahmen erzielt werben
können, wünschen wir, daß er der Stadtverordnetenver
sammlung eine Vorlage mache.
In diesen: Sinne habe ich nur erlaubt, einen Antrag
dem Herrn Vorsteher zu übergeben.
Vorst.-Stellv. Fabian: Es ist folgender Antrag ein
gelaufen, vielmehr eine Entschließung:
„In der Verfügung vom 12. September 1923 usw.
usw. — es ist die Nummer der Verfügung angegeben
— ermächtigt der Herr Minister für Wissenschaft, Kunst
und Volksbildung die Provinzialschulkollegien, für Er
ziehungsberechtigte mit einem, außergewöhnlich hohen
Einkommen ein Schulgeld zu genehmigen, das den
staatlichen Satz übersteigt.
Die Stadtverordnetenversammlung ersucht den Ma
gistrat, eine solche Staffelung in ihrer finanziellen
Auswirkung für Berlin zu prüfen und evtl. der Stadt
verordnetenversammlung eine Vorlage zu machen."
Der Antrag den Herren Schlvarz und Genossen ist, glaube
ich, schon bekanntgegeben worden.
Das Wort hat Herr Dr. Caspari.
Stadtv. Dr. Caspari (V.): Meine Damen und
Herren! Mit der Entschließung, die Herr Kollege Witte
gestellt hat, kann man sich durchaus einverstanden er
klären. Er scheint ja allerdings den Erfolg auch etwas
skeptisch zu betrachten,
(Stadtv. Dr. Witte: Nein, nein! Der Magistrat soll
prüfen!)
denn er sagt ja, der Magistrat soll einmal prüfen, was
dabei herauskommen kann. Wenn dabei irgend etwas
fiir unsere Schulen herauskommt, dann kann man natür
lich nur einverstanden sein, daß Leute miMsehr hohen:
Einkommen auch ein entsprechend hohes Schulgeld zahlen.
In: übrigen kann ich mich dem Bebauern des Herrn
Kollegen Witte nur anschließen, daß der Magistrat die
Staffelung, die er selbst seinerzeit vorgeschlagen hat, nicht
durchführt, daß er, weil ihm das höhere Schulgeld abge
lehnt wurde, nun auch seinerseits davon abgesehen hat,
die neue Staffelung einzuführen. Die alte Staffel ist
nicht mehr zeitgemäß. Sie ist Anfang des Jahres 1924
eingeführt worden, zu einer Zeit, als der Geldwert
ein ganz anderer war als er heute ist. Gegenüber einem
Index von damals, ich glaube, 110, haben wir heute einen
Index von ungefähr 110. Die Einnahmen sind im allge
meinen der Steigerung des Index nicht gefolgt. Aber
auch soweit sie ihr gefolgt sind, ist die Staffel heute
unsozial, denn wenn jemand damals ein Einkommen
von etwa 1900 M hatte, das ihn also vom Schulgeld
befreite, und heute ein Einkommen von etwa 2 100 \s,
dann hat er heute nicht etwa mehr als damals. Er muß
aber heute für das erste Kind bereits Schulgeld zahlen.
Das scheint mir bei der Prüfung im Magistrat doch
übersehen worden zu sein. Die Stadtverordnetenversamm
lung .hat sich seinerzeit einstimmig ans den Standpunkt
gestellt, daß finanzielle Nöte der Stadt nicht geheilt wer
den dürfen dadurch, daß die Knltnraufgaben der Stadt
leiden,
(Sehr richtig!)
insbesondere nach der Richtung hin, daß die Kinder
der minderbemittelten Schichten deshalb, weil die Stadt
mehr Geld braucht, nicht mehr höhere Schulen besuchen
können. Das ist ein Vorgehen, das einer Stadt mit
einem Etat wie Berlin vollkommen unwürdig ist. Ob
da wirklich 500 000 M mehr oder weniger — das
wird ungefähr der Betrag sein — aus den: Schulgeld
der höheren Schulen herauskommen, spielt bei dem Defizit,
das wir heute haben, kaum noch eine Rolle.
(Sehr richtig!)
Da muß man doch andere Wege gehen, weitn man Ein
nahmen herausholen will für Ausgaben, die jetzt für
nötig gehalten werden, und sie nicht gerade auf die
höheren Schulen abzuwälzen versuchen.
Wir haben deshalb den Antrag gestellt, daß der
Magistrat die Sache noch einmal prüft und vom 1. No
vember ab die Staffel zur Einführung bringt, die er
selbst seinerzeit vorgeschlagen hat.
Stadtv. Goß (K.): Meine Damen und Herren!
Ueber die Arbeitsgemeinschaft in diesem Punkte, die min
destens bis zur Deutschen Volkspartei reicht, wie wir ge
hört haben, bin ich außerordentlich erfreut. Ich muß
gestehen, ich hätte meine Ausführungen genau so be
gonnen, wie Herr Kollege Caspari.
Der Staffeltarife den wir in der Deputation seinerzeit
vorgeschlagen hatten, ging natürlich erheblich weiter. Aus
drücklich ist seinerzeit vom Magistratsvertreter betont wor
den, daß dieser Staffeltarif, wie ihn die Stadtverord
netenversammlung angenommen hat, eigentlich weiter
nichts ist, als eine Anpassung an die Geldentwertung, und
ich möchte doch den Magistrat darauf hinweisen, daß die
Stadtverordnetenversammlung diesen Beschluß einstimmig
angenommen hat,
(Zuruf: Richtig!)
daß die Stadtverordnetenversammlung sich dreimal hinter
einander, Herr Oberbürgermeister, auf den Standpunkt
gestellt hat, daß die Staffel so, wie sie jetzt ist, unhaltbar
ist. Es fehlt vor allen Dingen die Stufe zu dem halben
Schulgeld. Jetzt ist die Situation so, daß bis zu 2 000 M
Freiheit besteht, dann wird rigoros sofort 3 A des Schul
geldsatzes eingetrieben. Es liegen, meine Damen und
Herren, in allen Bezirken Hunderte und Hunderte von Be
schwerden vor. Das ist keine Uebertreibung.
(Sehr richtig!)
Die Schulbüros wissen nicht, wie sie die Beschwerden
erledigen sollen. Wenn ein Einkommen von 2, 3 M
über 2 000 'M vorliegt und es kann nicht gezahlt