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Volume Sitzung 2, 14. Januar 1926

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1926 (Public Domain)

Sitzung am 14. 
Sie haben diese Finanzhoheit durch den entsetzlichen 
Dawesvertrag einer internationalen Bank übertragen. 
Es ist Ihnen Wohl bekannt, daß die heutige Reichsbank 
nicht mehr deutsch ist, sondern daß sie, eben weil man 
diesen Weg vorzog, umgewandelt wurde in die vom 
Dawesvertrag geforderte internationale Bank. Sie haben 
sich damit Ihres Rechts begeben, die Waren in Ihrem 
Lande so herzustellen, zu einem solchen Preise herzn* 
stellen, wie es den Interessen Deutschlands entspricht, 
denn diejenigen, die über die Zinspolitik der Reichsbank 
wachen, sind nicht unsere Landsleute, sondern sind die 
Internationalen, die ein Interesse daran haben, daß 
der ausländische Handel blüht und nicht der deutsche. 
Darum die wahnwitzige Zinspolitik der Reichsbank, die 
den deutschen,Handel ruiniert, die deutsche Wirtschaft zu 
grunde richtet. Die Reichsbank, d. h. diejenigen, die 
dort die Macht ausüben, haben ein Interesse daran, 
daß Deutschland aus der Konkurrenz des Auslandes, 
des Weltmarktes ausscheidet. Wenn Sie sich überlegen, 
daß wir im Jahre 1924 eine passive Handelsbilanz von 
3 Milliarden Goldmark gehabt haben, daß wir im Jahre 
1925, wie ich es im vorigen Jahre vorausgesagt habe, 
eine passive Handelsbilanz von fast 5 Milliarden Gold 
mark hatten, dann müßten Sic doch, wenn Sie unpar 
teiisch und ohne Voreingenommenheit an die Dinge her 
antreten wollten, einsehen, daß hier der Haupt 
grund unserer wirtschaftlichen D e p r e s - 
f t o n liegt und daß es nur anders werden kann, wenn 
hier angesetzt wird. Notstandsarbeiten, und wenn iutt 
für Milliarden ausführen lassen, können uns nicht hel 
fen. Helfen kann uns nur die Möglichkeit, wieder mehr 
Waren auszuführen anstatt einzuführen. Wenn mir 
nicht einmal die Waren, die wir selber herstelle» 
können, — 
(Stadtb. Roth: Was wollen Sie denn inzwischen 
mit den Millionen Erwerbslosen machen?) 
— Werter Herr Kollege, das will ich Ihnen auch gleich 
sagen. — 
Ich sage, wir müssen unter allen Umständen dafür 
sorgen, daß wenigstens die Waren, die wir selber her 
zustellen imstande sind, bei uns hergestellt werden, daß 
wir nicht den wahnsinnigen Weg gehen wie 1924 — 
vom Jahre 1925 kenne ich die Zahlen noch nicht, sie 
werden aber nicht viel anders sein —, daß wir allein 
für 14 Milliarde Mark fertige Baumwollwaren, die wir 
sämtlich in Deutschland hätte herstellen können, aus 
Amerika beziehen und dafür unsere Textilindustrie, die 
deutsche Textilindustrie ruinieren, so daß Hunderttau 
sende von Arbeitern auf die Straße gesetzt werden. Sie' 
müssen doch endlich einmal einsehen, daß das ein 
Wahnsinn ist. Und wie ist das möglich? Weil nach den 
„Dresdner Neuesten Nachrichten" trotz des Zolles von 
100%, der auf amerikanischen Textilwaren liegt, die 
Ware immer noch — damals, vor einigen Wochen — 
27% billiger war als unsere deutsche Ware. 
Wenn Sie nicht anfangen, das zu begreifen, und 
wenn Sie hier nicht den Hebel ansehen, kann es nicht 
anders kommen als bei dem Papiermarkschwindel. Der 
Wagen geht rettungslos dem Abgrund zu, die Arbeits 
losenziffer muß sich jeden Tag vermehren, gleich La 
winen, die um so schneller rollen, je länger der Weg ist, 
genau so, wie es beim Papiergeldschwindel zuging. Wir 
werden also im nächsten Jahre wahrscheinlich eine noch 
höhere Einfuhrziffer haben. 
Wir müssen uns darum endlich einmal mit der Frage 
beschäftigen: Woher kommt es, daß wir dauernd aus 
ländische Waren einführen, die wir selber herstellen 
könnten? Weshalb sind unsere Waren dauernd teurer 
als die ausländischen? Um diese Frage kommen wir 
nun mal nicht herum. Ich habe sie hier schon ver 
schiedene Male beantwortet und mache es noch einmal 
ganz kurz, indem ich sage: Der Haupt g r n n d i st 
n n d bleibt n » » e i n nt gl d i e v e r k e h r t e 
Volks- und staatsfeindliche Zinspolitik 
Januar 1926. 35 
der Reichsbank, weil sie die deutsche Ware mit 
einem ungeheuren Zins belastet, über den heute beinahe 
jeder klagt. Heute, nachdem wir bereits zwei Jahre laug 
die wahnsinnige Wirtschaft getrieben haben, nachdem 
bereits jüdische Blätter, die doch gewiß nicht meine 
Freunde sind, zugeben, daß ohne Zinsabbau kein Preis 
abbau möglich ist, dürfen Sie, meine Herren, nicht die 
Hände in die Tasche stecken und, wie es bei dem Papier 
geldschwindel der Fall war, einfach erklären: es geht 
nicht anders. Wir können nicht, wie damals, warten 
bis der letzte Sparpfennig verloren ist. Es ist endlich 
Zeit, das Uebel an der Wurzel anzufassen. W i r in ü s - 
s c n von der Regierung verlange n, d a ß 
sie eingreift und daß sieden Zins g e s e tz. - 
l i ch b e s ch r ä n k t. Wenn Amerika mit 3—4% aus 
kommt, so dürfen wir eben nicht mehr Prozent Zinsen 
nehmen, sonst ist unser Unternehmer nicht imstande, bil 
liger als Amerika zu produzieren, weil ja ohnehin in 
folge des Dawesvertrages, den Sie angenommen haben, 
neue Steuerlasten auf unsere Unternehmer gekommen 
sind, die der Ausländer nicht hat. Wenn wir also schon 
infolge dieses Vertrages unsere Unternehmer nicht von 
allen Steuern befreien können, von denen wir sie 
von Rechts wegen befreien müßten, so müssen mir 
ihnen doch wenigstens das andere, was die Ware 
verteuert, abnehmen, damit auf dieser Seite eine Er 
leichterung geschaffen wird. Wenn Sie aber beides be 
stehen lassen, den Zinswucher und die die Wirtschaft 
belastenden Stenern, so kann es nicht besser werden. 
Beraten Sie meinetwegen alle Tage hier über das 
Elend der Arbeitslosen, Sie werden es nicht lindern. 
Nein, Sie werden im Gegenteil trotz aller Ausgaben 
die Zahl der Arbeitslosen dauernd vermehren, und cs 
wird zuletzt der Zusammenbruch genau so kommen, wie 
er bei dem Papiergeldschwindel gekommen ist. Und 
deshalb mache ich heute den letzten Versuch. Ich bringe 
abermals einen Antrag ein,' dahingehend, daß die 
Stadtverordnetenversammlung beschließen soll, den 
Magistrat zu ersuchen, bei der Reichsregierung sofort 
die Einbringung eines Gesetzentwurfs zu verlangen, 
durch den alle, auch die verantwortlichen Männer der 
behördlichen oder Privatinstitute, mit schwerer Zucht 
hausstrafe bedroht werden, die mehr als 5% Zinsen 
nehmen. 
(Zimts: So ist es gut!) 
Meine Damen und Herren, wenn in Amerika der Zins 
unter 5% steht, wenn er sich in England um 5% herum 
bewegt, so können auch wir es unbedingt durchsetzen. 
Der Versuch muß gemacht werden. Es ist der letzte, den 
wir unternehmen können, um uns zu retten. Man kann 
nicht mit der Ausrede kommen, die deutschen Kapita 
listen würden dann mit ihrem Kapital ins Ausland 
gehen. 
(Zuruf links: Natürlich würden sie das!) 
Sie würden sich schwer hüten, draußen nicht mehr zu 
nehmen als 3 oder 4%, weitn sie bei uns 5% bekommen 
können. 
Vor allen Dingen ist es unerhört, daß sogar be 
hördliche Institute solche wahnsinnigen Zinsen nehmen. 
Ich habe eben gehört, daß die Stadtbank in Berlin für 
das Darlehn, das sie jetzt bei der großen Notlage der 
Beamten den Beamten in Höhe eines Monatsgehalts 
gewähren will, 12% Zinsen verlangt. 
(Rechts: Hört, hört!) 
Das ist ein Skandal sondergleichen! Das tut die Stadt 
bank, die 42 000 Ji Tantieme für ihre obersten Be 
amten ausgeworfen hat. Sie soll die Tantieme nehmen, 
um den hungernden Beamten ein zinsloses Darlehn zu 
geben. 
(Zuruf: Bravo!) 
Wir haben bereits einen dahingehenden Antrag bei dem 
Herrn Vorsteher eingebracht. Die Amtsgerichte, alle 
Gerichte überhaupt, verlangen vom Schuldner für den 
Gläubiger heute schlankweg an Verzugszinsen 12%, 
und wenn bereits Gerichte 12% bewilligen, ist es kein
	        
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