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Volume Sitzung 19, 29. April 1926

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1926 (Public Domain)

510 Sitzung am 29. 
Meine Damen und Herren, folgen Sie mir, wenn es 
Ihnen mit der Sache Ernst ist, aus dein von mir vorge 
schlagenen Wege ider sachlichen Mitarbeit. Sachlich 
wollen wir raten und mittaten und helfen, aber nicht 
agitieren und eine so traurige Angelegenheit zu poli 
tischen Zwecken mißbrauchen! 
(Lebhafter Beifall bei den Deutschuativualeu.) 
Stadtv. Dr. Birk (Z.): Meine Damen und Herren! 
Wir beklagen alle auf das tiefste den Unfall, der sich 
auf dem Kraftwerk Rummelsburg ereignet hat. Darüber 
sind sich wvhl alle hier in diesem Hause einig, daß alles 
versucht werden muß, um nach Möglichkeit weitere Uit- 
fälle zu verhüten. Aber wir wissen auch — und das ist 
das Deprimierende —, daß diese Unfälle sich nicht gmiz 
vermeiden lassen. Ueberall, wo solche Bauwerke auf 
geführt werden, kommen Unfälle vor. Wir können hier 
noch so lange reden und wir werden die Unfälle doch 
nicht aus der Welt schaffen. 
Wie hat sich nun der Rummelsburger Unfall zu 
getragen? Der Kranträger des großen Laufkranes in 
der Vorwärmehalle war bereits auf richtige Höhe ge 
hoben. Ein Laufbahnträger war gleichfalls schon hoch 
gezogen und bereits mit einem Ende aufgelegt, als in 
folge eines falschen Befehles die Leute an der Bockwinde 
den Bahnträger weiter nach oben gegen den schweben 
den Kranträger zogen, so daß der Seilzug eine starke 
Ueberbeanspruchung erhielt, da er den Laufträger und 
den Kranträger ziehen mußte. Das Seil, an dem der 
Bahnträger hing, riß und der Träger stürzte in die Tiefe, 
wobei er eines der vier Seile, an denen der große Kran 
träger hing, durchschlug. Dieser drehte sich ruckartig, 
so daß auch die übrigen Seile der Beanspruchung nicht 
mehr standhielten und rissen. 
(Zuruf des Stadtv. Urich.) 
Bitte schön, so ist es amtlich dargestellt worden. 
(Zuruf des Stadtv. Urich.) 
Der Krauträger im Gewicht von 70 t fiel nach unten 
und begrub zwei Mann, den Richtmonteur und einen 
Arbeiter. Auch die zwanzigfache Sicherheit der Seile 
konnte das Unheil nicht abhalten. 
(Zurufe.) 
Es ist falsch, wenn Sie es anders darstellen, denn die 
Seile sind geprüft, sie kommen aus der Fabrik nicht 
eher heraus. 
(Zuruf der Stadtv. Frau Rosenthal.) 
Frau Rosenthal, vielleicht geben wir Ihnen eine Pro 
fessur für Statistik an der Technischen Hochschule in 
Charlottenburg, daun kommen wir zu Ihnen ins 
Kolleg, dort können die Ingenieure der Betriebsleitung 
sich dann belehren lassen. 
Meine Damen und Herren, ich komme aus dein 
Bergbau, dort hängen jeden Tag an einem Seil sound 
so viele Menschenleben. Sie wissen, daß trotz der aller 
schärfsten Aufsicht, die dort ausgeübt wird, immer 
wieder Seilbrüche vorkommen. Also, wir stehen auch 
dort diesen Ereignissen machtlos gegenüber. 
(Zurufe links.) 
Wenn weiter gesagt wird, 
(Zurufe bei den Kommunisten.) 
— Lassen Sie mich aussprechen. — 
(Zurufe. — Glocke.) 
Wenn weiter gesagt wird, es müssen Gerüste gebaut 
werden, so möchte ich fragen, wie es wohl technisch mög 
lich ist, einen Träger von parterre, von der Erde aus 
auf 26 m hochzuheben, wenn man dazwischen Gerüste 
baut. Das ist doch nicht möglich, da wären Gerüste 
hinderlich. 
(Zurufe bei den Kommunisten.) 
Es handelt sich doch zunächst um die Unglücksstätte, 
von den andern Geschichten reden wir doch vorläufig 
April 1926. 
nicht. Also, in der Halle, wo der Kran gehoben wurde, 
konnte die Oeffnung frei bleiben. 
(Zuruf bei den Kommunisten: Sie sind ja gar 
nicht so dumm, wie Sie da tun. Stellen Sic sich 
doch nicht so an!) 
— Reden Sie doch nicht! Ich spreche zu Ihnen ja gar 
nicht. — 
Wenn es Tatsache ist, daß auf dem Werk Rurnrnels- 
burg 14 Stunden ununterbrochen von einzelnen Leuten 
gearbeitet worden ist, so muß ich allerdings sagen, daß 
dies bedenklich ist. Man motiviert es damit, daß die 
Arbeit von denselben Leuten fertig gestellt werden 
mußte, die die Arbeit angefangen hatten. Aber dann 
muß man ni. E. doch anders disponieren. Denn sonst 
sind die Leute übermüdet und die Aufmerksamkeit ist 
nicht mehr gegeben. Hierbei kann natürlich ein Unfall 
leichter vorkommen. Ich stimme mit Ihnen darin 
überein, daß wir alles versuchen müssen, um die Un 
fälle zu verhüten und die normale Arbeitszeit nach 
Möglichkeit nicht zu überschreiten. 
(Zuruf bei den Kommunisten: Den Lohn zu er 
höhen!) 
Nun ist weiter Klage darüber geführt worden, daß 
man auswärtige Arbeiter herangezogen hat. Meine 
Damen und Herren, man muß daun auswärtige Ar 
beiter bei solchen Arbeiten anstellen, wenn diese infolge 
ihrer besonderen Uebung besonders qualifiziert sind. 
Das ist meine Ueberzeugung, denn 
(Zurufe.) 
— erlauben Sie bitte — wenn Spezialfirmen ihre ein 
geschulten Leute mitbringen, so ist cs ganz selbstver 
ständlich, daß das der einzige richtige Weg ist. 
(Zurufe bei den Kommunisten.) 
Man soll nicht ungelernte Leute, die die Arbeit nicht 
kennen, in Berlin annehmen. 
(Zurufe und Lärm bei den Kommunisten.) 
Hier ist gesagt worden, beim Kraftwerk Charlottenburg 
wäre ein Arbeiter zu Tode gekommen, weil ein Iso 
lierer ein Stück Holz heruntergeworfen hMe und weil 
nicht vorschriftsmäßig gebaut worden sei. Der verant 
wortliche Mann für diesen Unfall steht hier. Hierfür 
ist nicht die Baupolizei, nicht die Betriebsleitung und 
auch nicht der Herr Oberbürgermeister verantwortlich, 
sondern ich selbst. Ich hatte die Leute unter meiner 
Kontrolle und stehe dafür ein, daß alles getan ist, um 
Unfälle zu verhüten. Es ist aber trotzdem der erwähnte 
Unfall vorgekommen, nicht, wie es vom Vertreter der 
Kommunistischen Partei dargestellt worden ist, des 
wegen, weil kein Schutzgerüst vorhanden gewesen wäre, 
sondern beim Bau eines Schutzgerüstes fiel das 
Rundholz herunter und traf zufällig einen unten stehen 
den Arbeiter. 
(Zurufe bei den Kommunisten.) 
Ich wollte das nur klarstellen, damit Sie wissen, wie 
die Dinge wirklich liegen. 
Zum Schluß muß ich mein Bedauern aussprechen 
über die Art. in der hier eine solch ernste Angelegen 
heit parteipolitisch ausgeschlachtet wird. 
(Beifall rechts. — Lärm links.) 
* Oberbürgermeister Böß: Meine Damen und 
Herren! Es sind hier eine so große Anzahl von Vor 
würfen und Vermutungen zum Ausdruck gekommen, die 
sofort zu prüfen und klarzustellen unmöglich ist. Ich 
werde mir deshalb erlauben, morgen vormittag Vertreter 
der Parteien zu einer Besprechung und Besichtigung aus 
dem Werk selbst einzuladen, um mit den beteiligten 
Beamten und Bauleitern die Lage so zu klären, wie es im 
Augenblick möglich ist.
	        
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