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Volume Sitzung 16, 13. April 1926

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1926 (Public Domain)

430 Sitzung ant 13. April 1926. 
Haben Sie das noch nicht gemerkt, auch jetzt nicht bei 
dem Volksbegehren? Dann bedanre ich Ihre politische 
Einsicht, Herr Kollege. Ich glaube, die Deutschnatio 
nale Bolkspartei hat auch keine Zeit zur Sanierung der 
städtischen Finanzen, sie hat genug mit der Sanie 
rung ihrer eigenen Partei zu tun. Herr 
Stadtrat Wege als ihr verantwortlicher Kassierer ist ja 
soeben mit dem Klingelbeutel unterwegs, und eine 
Partei, die soviel mit ihren eigenen Finanzen zu tun 
hat, die kann sich wohl kaum noch mit den Finanzen 
der großen Stadtgcmeiude beschäftigen. 
(Heiterkeit links.) 
Meine Damen und Herren, nun die dritte Wen 
dung durch Gottes Fügung: Herr Schwarz an 
Stelle des Herrn v. Ehnern. Desselben Herrn 
v. Ehnern, den Herr Kollege Schwarz vorhin in einer 
Anwandlung von Ritterlichkeit den „Mann der kriti 
schen Sonde" genannt hat und den seine Partei — 
um in demselben chirurgischen Bilde zu bleiben — nun 
endgültig abgesägt hat. 
(Stadtv. Czeminski: Operation gut verlaufen!) 
(Stadtv. Flatan: Patient tot!) (Heiterkeit.) 
(Zuruf des Stadtv. Caspari.) 
Ich glaube, Herr Kollege Dr. Caspari, Sie befinden 
sich augenblicklich wohl in einem Kreis von halbwegs 
politischen Fachmännern und ich bitte Sie, dieses Forum 
nicht mit einer Volksversammlung zu verwechseln. Ich 
meine, daß wir als Außenstehende wenigstens so weit 
über die inneren Vorgänge innerhalb der Deutschen 
Volkspartei informiert sind, um zu wissen, warum Herr 
v. Ehnern diesen „akademischen Weg alles Fleisches" 
gegangen ist. 
(Heiterkeit.) 
Die Volkspartei ist ja freilich nach den Worten des 
Herrn Kollegen Schwarz die einzige, die keine eigentliche 
Parteipolitik treibt. Sie ruft ihre Verwaltungsbeamten 
nicht in die politische Arena, sie. macht alles schön heim 
lich hintenher vt m. Darin befindet sie sich aller 
dings in einem außerordentlich starken Gegensatz zu 
u n s. Wir pflegen politische Maßnahmen auch offen 
als das hinzustellen, was sie sind. Wir glauben ins 
besondere, daß es untragbar ist, daß der proleta 
rischen Mehrheit dieser Versammlung ein zurzeit 
noch bürgerlicher Magistrat gegenübersteht und 
daß ein gut Teil der Schwierigkeiten, die wir in den 
letzten Monaten trotz aller erfreulichen Entwicklung ans 
allen Seiten dieses Hauses erlebt haben, in diese m 
Mißverhältnis begründet liegt. 
(Zustimmung links.) 
Meine Damen und Herren, damit komme ich zu 
den Kernfragen des diesjährigen Etats. 
Ich glaube, daß wir uns nach der Decke strecken müssen 
und daß diese Decke sehr kurz sein wird, obgleich wir 
sie ein kleinwenig länger zerren können, wenn wir 
mit etwas freudigerem Optimismus an den Etat heran 
gehen, als ihn der Herr Kämmerer — ich weiß nicht, 
ob ans Beruf oder aus Neigung — in seiner Rede 
anfznbringen vermocht hat. 
Der Herr Kämmerer ist ein großer Freund pessi 
mistischer Schätzungen. Er hat die G r u n d e r w e r b s- 
st e n e r wie die W e r t z n w a ch s st e u e r sicherlich, 
sagen wir mal, um 5 Millionen z u niedrig ein 
geschätzt. Herr Kollege Merten wies schon auf 
diesen Punkt hin; ich weiß nicht, ob er dieselben Schluß 
folgerungen daraus ziehen will wie ich. Es gibt 
eine ganze Reihe von Ansätzen der Kämmereiverwal 
tung, die sie — vielleicht belehrt durch Vorgänge 
bei der letzten Etatsberatung — allzu vorsichtig postiert 
hat, die wir kraft unseres Amtes und im Bewußtsein 
unserer Verantwortung gegenüber der drohenden Be 
lastung der arbeitenden Bevölkerung entsprechend höher 
einsetzen können. Herr Kämmerer, Sie werden sich 
entsinnen: als ich 1924 Ihnen an dieser Stelle im 
Hanshaltsausschnß vorschlug, 8 Millionen cm lleber- 
schüssen aus jenem Jahre in den Haushalt von 1925 
einzustellen, da riefen Sie mit demselben entrüsteten 
Gesicht, mit dem Sie mich augenblicklich beehren, 
(Heiterkeit), 
mir damals zu, daß das ganz untragbar sei, daß es 
gänzlich ausgeschlossen sei, daß solche Ueberschüsse auch 
nur annähernd vorhanden sei» könnten. Jetzt haben 
Sie in Ihrer Etatsrede mit einem liebenswürdigen 
Lächeln einen U e b e r s ch n ß von 32 M i l l i o n e n 
aus jenem Jahre zugestanden! 
Meine Damen und Herren, auch wenn wir das 
korrigieren, was hier zweifellos korrigiert werden muß, 
so bin ich mir trotzdem bewußt, daß wir damit noch 
längst nicht im Ueberflnß schwimmen. Ich iveiß ganz 
genau: wenn Sie die Forderungen und Wünsche meiner 
Freunde, für den W o h n n n g s b a u in Berlin wesent 
lich mehr zn tun als bis jetzt geschehen ist, erfüllen, 
dann geht der größte Teil, vielleicht der ganze lieber 
fchnß aus diesen Korrekturen drauf. 
Und wenn wir in der W o h l f a h r t s p f l e g e — 
darin stimme ich dem Vertreter der Kommunistischen 
Fraktion durchaus zu — auch unsererseits weiter- 
gehen wollen, als der Etat bis jetzt gegangen ist, 
dann brauchen wir diese Korrekturen und einige andere 
ganz gewiß noch viel nötiger. 
Der Vertreter der Kommunistischen Fraktion schlug 
zur Deckung des Bedarfs vor: Erhöhung der 
Wertzuwachs st euer, soziale Gestaltung 
der G r n n d st e ne r. Meine Damen und Herren, 
da gehen wir mit! Aber ich fürchte — und jetzt 
spreche ich zunächst für meine Person —, daß es nicht 
so ganz einfach sein wird, 
(Stadtv. Merten: Richtig!) 
diese beiden Forderungen durchzuführen. Wenn Herr 
Kollege Letz, den ich für einen hervorragenden Fach 
mann gerade auf steuertechnischem Gebiete halte, noch 
hier wäre, dann würde ich mich mit ihm darüber 
auseinandersetzen, wie er sich das vorstellt, die Grund 
steuer durch eine soziale Staffelung so zu gestalten, daß 
der Effekt einer gleichmäßigen 180prozentigen Erhöhung 
dabei herauskäme. 
Es ist eben so, meine Herren von der Kommuni 
stischen Fraktion: Ueber der Pforte des Weges, der 
von der Etatsv erneinung zur Etatsb e- 
jahung führt, steht das Wort: 
„Leicht beieinander wohnen 8ie Gedanken, 
doch hart im Raume stoßen sich die Sachen." 
(Widerspruch bei der Kommunistischen Fraktion.) 
Ja, es ist so. Und es ist hier wie überall sehr leicht, 
eine Forderung und ein schönes populäres Wort in die 
Debatte zu werfen. Die praktische Durchführung der 
sozialen Gestaltung dieser beiden Steuern, die wir gern 
mit Ihnen gemeinsam versuchen wollen, ist aber so 
schwierig, wie Herr Kollege Letz sie sich sicherlich nicht 
gedacht hat. 
Meine Damen und Herren, bei all diesen Steuer- 
beratungen werden wir ja überhaupt — das ist leider 
heute noch nicht gesagt worden, und ich möchte es daher 
endlich einmal wieder Hinausrusen — in einer Weise 
von den R e i ch s- und insbesondere von den Staats 
behörden geknebelt, die schlimmer nicht mehr 
denkbar ist. Der Herr Oberpräsident hat sich einmal 
so lächerlich ivie nur möglich gemacht, und zwar in 
dem berühmten Schreiben vom Oktober oder November 
vorigen Jahres, wo er die städtische Verwaltung, Magi 
strat und Stadtverordnetenversammlung, ivie ein Schul 
kind herunterputzte, wo er erzählte, daß eine Ein- 
schränkung der Ausgaben notwendig sei, daß auf keinen 
Fall eine Erhöhung der Steuern möglich fei, ivv er uns 
so bahnbrechende „Weisheiten" verkündete wie die, daß 
die Wirtschaft sich in einer „außerordentlichen Notlage"
	        
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