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Volume Sitzung 16, 13. April 1926

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1926 (Public Domain)

Sitzung am 13. April 1926. 401 
die Deutschnätionale Fraktion — in diesem Falle 51t 
100%, nicht zu 50% — 
(Sehr richtig!) 
das; man gar nicht daran dächte, die Erzbergersche 
Steuerreform abzubauen. 
(Hört, hört!) 
Im Augenblick wäre gar nicht daran zu denken! 
(Links: Hört, hört! und Gelächter.) 
Und es ist sonderbar, daß Sie, Herr Wege 
(Zuruf: Herr Koch!) 
Entschuldigen Sie, wenn Sie es nicht waren, dann war 
es Ihr Kollege, Herr Koch, 
(Heiterkeit.) 
der ausgerechnet „Erzberger" dazwischen rief. 
(Stadtrat Wege: Sie wissen, daß ich als Magistrats 
mitglied auch nichts zu sagen habe!) 
Ich nehme Ihnen das nicht übel, wenn Sie auf der 
Bank der Stadtverordneten sitzen und sich gleichfalls 
die Freiheit herausnehmen wie jeder Stadtverordnete. 
(Heiterkeit.) 
Aber die Dinge liegen doch so (nach rechts gewendet) : 
Sie haben doch eine Agitation in der Zeit geführt, bei 
der Ihnen wirklich manchmal etwas kalt über den 
Buckel laufen mag, wenn Sie heute daran zurückdenken. 
Heute glaubt Ihnen doch wirklich kein Mensch mehr, 
was Sie sagen. Ich kenne die sehr fröhlichen Reden, 
die Herr Kollege Koch hier gehalten hat. 
(Zuruf rechts.) 
Es ist allerdings schon etwas lange her. 
(Heiterkeit.) 
Meine Damen und Herren, wir müssen feststellen, daß 
in der neuen Stadtverordnetenversammlung, und 
speziell in der letzten Zeit, unser Kollege Koch außer 
ordentlich bescheiden geworden ist. 
(Heiterkeit links.) 
Wenn wir daran denken, welche Rolle Herr Koch und 
mit ihm noch einige Vertreter der Deutschen Volks 
partei vor den letzten Stadtverordnetenwahlen hier ge 
spielt haben, dann müssen wir doch mit Bismarck sagen: 
„Welche Wendung durch Gottes Fügung!" 
(Heiterkeit.) 
Ich glaube, Herr Koch hat uns hier öfter mitgeteilt, 
daß nach seiner Kenntnis der Gesinnung der Berliner 
Bevölkerung die Sozialdemokraten bei der nächsten 
Wahl vollständig zerschmettert sein werden. Er hat uns 
erklärt, dah es nur noch zwei Parteien geben werde: 
die Deutschnationalen und die Kommunisten. 
(Rechts: Richtig!) 
(Stadtv. Dr. Lohmann: Sehr falsch war das!) 
Er hat aber dabei vergessen, daß, wenn auch noch vor 
4 Jahren ein Plakat erschien, das Noch in unser aller 
lebhaften Erinnerung ist: „Von roten Ketten macht euch 
frei allein die Deutsche Vvlkspartei", gerade diese Volks 
partei den größten Schiffbruch erlitten Hai. 
(Zuruf links: Die Partei der Zwerge!) 
Warum hat sie nun Schiffbruch erlitten? 
(Zuruf rechts.) 
Sie scheinen hier noch Neuling zu sein, Herr Kollege, 
Sie scheinen von Etatsberatungen keine Ahnung zu 
haben, denn sonst würden Sie sich den Zwischenruf er 
sparen. Aber ich gebe gern zu, daß es Ihnen unan 
genehm ist, daß man solche alten Sünden auffrischt und 
Ihnen ins Gedächtnis zurückführt. Tie Dinge 
liegen doch so, das; die Berliner Bevölkerung sich zwar 
einmal etwas einlullen läßt, aber für die Dauer be 
urteilt sie doch die Tätigkeit, die diese viel versprechenden 
Parteien ausgeübt haben, und dann fällt sie ihr Urteil. 
(Zuruf rechts: Abwarten!) 
Das Urteil, meine Damen und Herren — darüber 
ist doch gar kein Zweifel —, ist bereits gefällt bei der 
Reichspräsidentenwahl und es ist gefällt bei dem Volks 
begehren. Oder wollen Sie etwa daran zweifeln, daß 
das Urteil vollständig vernichtend für Sie ausgefallen 
ist? Wollen Sie etwa behaupten, daß Ihre ausge 
sprochenen Ansichten zugetroffen haben und daß sie nicht 
in das Gegenteil verwandelt worden sind? Wollen Sie 
etwa behaupten, daß Sie recht haben mit Ihren Prophe 
zeiungen? Die Tatsachen sprechen eine ganz andere 
Sprache, und daraus leiten wir her, daß auch Herr 
Koch ausnahmsweise — das geben wir gern zu — ver 
nünftig sein kann, was er in der letzten Zeit bewiesen 
hat. Wir hoffen, daß die Belehrung, die der Herr Koch 
durch das Volksurteil in sich aufgenommen hat, auf ihn 
heilsam wirken und daß er in Zukunft die Stel 
lung einnehmen wird, die man von einem Berliner 
Stadtverordneten verlangen kann. 
Meine Damen und Herren! Wir möchten imitier 
zu dem eigentlichen Thema zurückkommen, von dem wir 
vorhin sprachen. 
(Gelächter.) 
Wenn es Ihnen Spas; macht, bin ich natürlich bereit, 
Ihnen auf diesem Gebiete zu folgen. Aber da ich sehe, 
daß es Ihnen unangenehm ist und da ich kein Freund 
von Quälerei bin, auch selbst, wenn es meine politi 
schen Gegner betrifft, ist es besser, wenn wir uns wieder 
dem eigentlichen Thema zuwenden und von der Wohl 
fahrt in Berlin sprechen. Und da müssen wir sagen, daß 
imr der Ansicht sind, daß, wenn der Herr Kämmerer 
nur 10 Millionen in den Haushalt einstellt, das eine 
außerordentlich niedrige Summe ist und daß er deshalb 
den Etat für allgemeine Wohlfahrtspflege außerordent 
lich belastet. Denn, Herr Kämmerer, die Dinge stehen 
doch nicht so, daß man. sagen kann: wenn ich 10 Mil 
lionen für den Wohnungsbau ausgebe, dann bleibt das, 
was ich für die allgemeine Wohlfahrtspflege ausgebe, 
weiterhin bestehen. Wir müssen doch feststellen, daß 
gerade durch den Wohnungsbau Tausende von Arbeitern 
Beschäftigung finden, die jetzt von der allgemeinen 
Wohlfahrtspflege unterstützt werden und daß durch die 
Herstellung von gesunden Wohnungen Tausenden von- 
Familien Krankheiten erspart werden, 
(Sehr richtig!) 
die jetzt gleichfalls aus dem allgemeinen Wohlfahrts-' 
fvnds unterstützt werden. Deshalb halten meine Partei 
freunde es für nicht wieder gutzumachend, wenn man 
sich die Krankenhauskosten, kurz alle sanitären Einrich 
tungen, von der Stadt so hoch bezahlen läßt, daß sie 
tatsächlich beinahe die Selbstkosten erfüllen. Ich möchte 
bei dieser Gelegenheit nur darauf Hinweisen, daß in der 
Vorkriegszeit die Krankenhausbehandlung in Berlin 
3 M pro Tag gekostet hat, daß sie heute 5,40 <M kostet 
und daß sie in dem letzten Jahre von 4,80 Jt auf 5,40 Jl 
gestiegen ist, 
(Hört, hört!) 
ohne daß irgendwelche sachliche Gründe dafür vor 
handen sind. Ich kenne die Absicht, und ich weiß, daß 
von seiten der Deutschnationalen sehr stark darauf hin 
gearbeitet wird, daß die Unkosten, die aus der Kranken 
hansbehandlung erstehen, von den einzelnen Korpora 
tionen voll zu decken sind, wohingegen sie früher zu 50, 
höchstens 60% gedeckt wurden. Die Dinge liegen aber 
doch so, daß dann die Kosten so hoch wären, daß sie 
keiner mehr bezahlen kann, so daß letzter Zahler die 
allgemeine Wohlfahrtspflege ist und dadurch das Ka 
pitel für die allgenteine Wohlfahrtspflege wiederum be 
deutend erhöht wird. Also man nimmt es aus der einen 
Tasche und zahlt aus der anderen Tasche das Doppelte 
darauf. Das sind Zustände, wie sie auf die Dauer un-
	        
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