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Volume Sitzung 12, 11. März 1926

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1926 (Public Domain)

Sitzung Vom 1 
Man will das Schulturnen auch nicht in das 
Stadtamt hinein haben. Herr Kollege Lohmann, warum 
haben Sie es uns nicht gesagt? 
(Zuruf bei den Sozialdemokraten: Nanu?) 
Das Schulturnen — ich will das hier offen aussprechen 
— steht in keiner Weise auf der Höhe, auf der es stehen 
müßte. 
(Sehr wahr!) 
Die höheren Schulen allein haben fachmännisch Vor 
gebildete Tnrn- und Sportlehrer. Die höheren Schüler: 
allein! Bei den Mädchenschulen trifft das schon nicht 
mehr zu. Das Mädchentirrnen wurde bisher sehr stief 
mütterlich behandelt. Es wurde vielfach in ähnlicher 
Weise wie das Knabenturnen gegeben. Erst in neuerer 
Zeit sind durch besondere Ausbildung Turulehrkräfte 
herangezogen worden, die dem weiblichen Körper an 
gemessenes Turnen überhaupt geben können. Aber da 
liegt sehr vieles noch im argen. Es sind noch lange 
nicht die notwendigen Lehrkräfte vorhanden. 
Von den Gemeindeschulen ganz zu schweigen. Da 
ist von einem gesunden, vernünftigen, planmäßigen 
Turnunterricht überhaupt keine Rede. 
(Zuruf links: Kennen Sie denn das Turnen in 
den Gemeindeschulen?) 
Trotzdem sträubt man sich gerade von dieser Seite mit 
um meisten. Herr Kollege, ich bin auch 8 Jahre auf 
diesem Gebiete ehrenamtlich tätig gewesen. Einen 
kleinen Einblick in das Gemeindeschulturnwesen habe ich 
auch. Trotzdem, sage ich, sträubt man sich gerade von 
Ihrer Seite, und zwar, weil man befürchtet, Aufsichts- 
beamte zu bekommen. Das ist das Schlagwort, das den 
Gemeindeschullehrern eigentlich oktroyiert worden ist. 
In Wirklichkeit handelt es sich darum gar nicht. Das 
Stadtamt für Leibesübungen wird natürlich Fach 
berater heranziehen, um eben auch das Turnen in den 
Gemeindeschulen auf eine angemessene Höhe zu bringen. 
Von einer planmäßigen Verwaltung der Turnhallen 
war bis jetzt auch keine Rede. Ich würde es bedauern, 
wenn die Turnhallen aus dem Stadtamt für Leibes 
übungen herausgenommen werden sollten. Es ist er 
forderlich, daß die absolut notwendigen Erneuerungen 
in allen Turnhallen endlich mal planmäßig durchge 
führt werden. Es ist notwendig, daß eine sehr große 
Zahl von Neubauten geschaffen wird. Wenn das hier 
nicht an dieser Zentralstelle, Herr Kollege Zobel, be 
schlossen wird, habe ich — und ich glaube auch Sic — 
die allerschwersten Befürchtungen. Wenn die Hallen 
bei der Schule bleiben, wie bisher, wird diese Wurstelei 
sich noch Jahre hinaus weiter hinziehen. Damit ist dem 
Schulturnen nicht gedient, damit ist auch den Turn- 
und Sportvereinen durchaus nicht gedient. Ich habe 
auch gar nicht die Befürchtung, daß die Schulen zu kurz 
kommen würden, wenn man die Verwaltung der Turn 
hallen der eigentlichen Deputation entziehen würde. 
Wir haben, meine Damen und Herren, das muß ich 
mit Nachdruck betonen, früher eine besondere Deputa 
tion in Berlin gehabt. Verschiedene Stadtverordnete 
sind ebenso wie ich noch Mitglied dieser Deputation ge 
wesen, sie hieß: Deputation für das Turn- und Bade- 
wesen. 
Und damit möchte ich auch zu dem Badewesen noch 
etwas übergehen. Bitte lassen Sie sich doch nicht durch 
die Ausführungen des Herrn Medizinalrats irgendwie 
vom gesunden Gedanken abbringen. Die medizinische 
Fachberatung wird niemand entbehren wollen. Die 
genügt aber vollkommen für das Medizinalamt. Die 
federführende Instanz braucht das Medizinalamt durch 
aus nicht zu sein. Wir haben überhaupt bis jetzt jeden 
falls keine Veranlassung, dem Medizinalamt gegenüber 
sehr entgegenkommend zu sein, da wir die Bäderpolitik 
mit Entsetzen in den letzten Jahren verfolgt haben, auch 
solange der jetzt amtierende Medizinalrat da ist. Man 
hat beispielsweise sämtliche Flußbäder geschlossen, also 
der Bevölkerung die Möglichkeit zum Baden genommen, 
1. März 192(3. 311 
ohne daß man Ersatz geschaffen hat. Nun nach dem 
Kriege hat man auf einmal gesagt: das Flußwasser ist 
so gesundheitsschädlich. 
(Zuruf.) 
Bitte, Herr Kollege, da muß man lachen. Früher, 
während des Krieges und noch lange nachher war das 
Flußwasser nicht so gesundheitsschädlich. Das ist keine 
Vorausschauende Politik des Medizinalamts. Dann 
hätte man für Ersatz sorgen müssen. Für Ersatz hat 
man nicht gesorgt, und für Ersatz wird das Medizinal 
amt in Zukunft auch nicht sorgen. Es wird sich auf 
rein medizinische Angelegenheiten beschränken, wo es 
zuständig ist. Die Politik für Schwimmbäder soll auch 
gerade in der Hand des Stadtamts für Leibesübungen 
liegen, denn der Kern jeder Badeanstalt ist doch die 
Schwimmhalle. 
Hinter die Zahlen, die der Herr Medizinalrat vor 
getragen hat, setze ich ein großes Fragezeichen. 
(Zuruf des Stadtv. Merten.) 
Jawohl, Herr Kollege Merten. Herr Kollege Merten, 
ich will nicht über den Wert der Statistik überhaupt 
reden, aber ich habe Zahlen von einzelnen Bezirken 
gehört, die ganz anders lauten, Zahlen, die amtlich 
von den Bezirken bekanntgegeben worden sind. Ich 
habe natürlich nicht einen Ueberblick, tote der Herr Medi 
zinalem, über das Ganze. Jedenfalls ist Tatsache, 
daß in verschiedene» Bezirken bis zu 80°/o der SchwimM- 
hallenbesucher gerade organisierte Sportler sind, und 
das wird Wohl auch noch zunehmen. Außerdem 
ist die gefaulte Schuljugend heute planmäßig verpflich 
tet, am Schwimmunterricht teilzunehmen. Es sind aljo 
Hunderttaufeiide von Kindern, die ebenfalls im Turnen 
und Schwimmen dem Stadtamt für Leibesübungen zu 
unterstellen sind. Deshalb sollten nuferer Ansicht nach 
auch die Badeanstalten, deren Kernpunkt, tote gesagt, 
die Schwimmhallen sind, dem Stadtamt für Leibes 
übungen unterstellt werden. Die medizinischen Gut 
achten, die notwendig sind und die ärztliche Beeinflussung 
wird niemand dem Mcdiztnalaint verwehren. 
Aehulich verhält es sich mit den Außenspielplätze», 
Herr Kollege Lohmanu. Es ist sonst nicht üblich, 
daß eine Stelle, die die Außenfpielplätze für fünf Wochen 
braucht — für die großen Ferien —, die Außen- 
spielplatze verwaltet, während sie die andere Stelle, das 
Stadtamt für Leibesübungen, für die andern l'Oy» Mo 
nate braucht. Es ist doch'da eigentlich das Vernünftige, 
dast das Stadtamt für Leibesübungen, das die Außenspiel- 
plätze 10 Monate im Jahre braucht, diese Spielplätze auch 
verwaltet, iind nicht das Jugendamt, das sie nur braucht, 
um während der großen Ferien die Kinder daraus zu 
verpflegen. Es steht auch ausdrücklich im' Entwurf 
der Satzungen, daß die Belange des Jugendamts hin 
sichtlich der Anßenspielplntze nicht berührt werden, d. H. 
für die großen Ferien stehen dem Jugendamt die Außen* 
spielplätze zu den bisherigen Zwecken restlos zur Ver 
fügung. Das kann das Jugendamt verlangen, soll 
es auch verlangen. Das will dem Jugendamt auch jeder 
Mensch geben. Die Verwaltung der Außenspielplätze 
aber muß in der Hand des Stadtamts für Leibes 
übungen sein. Ebenso verhält es sich mit den Jugend 
herbergen. 
Auf die zum Teil wirklich naiven Argumente der 
SPD. kann mau nicht eingehen. Meine Damen und 
Herren, es ist bedauerlich, daß Berlin >a in vielen 
Dingen, so auch in dieser Angelegenheit, nachhinkt. 
Die' Reichshauptstadt ist wirklich heute auf wenigen 
Gebieten führend. 
(Links: Sehr richtig!) 
Tun Sie endlich auf dem Gebiete der Jugenderziehung 
und körperlichen Ertüchtigung das, was andere Städte 
längst vorbildlich geleistet 'haben und schaffen Sie dadurch, 
das,' Sie heute der Satzung zustimmen endlich das Stadt 
amt für Leibesübungen.
	        
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