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Volume Sitzung 10, 25. Februar 1926

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1926 (Public Domain)

Sitzung vom 25 
Vorst. Haß: In der Beratung hat das Wort Herr 
Stadtv. Peschke. 
Stadtv. Peschke (K.): Meine Damen und Herren! 
Unser Antrag, der die Beschaffung von Badegelegen 
heiten für Erwerbslose vorsieht, ist angesichts der immer 
weiter um sich greifenden Wirtschaftskrise geradezu eine 
Notwendigkeit. Trotzdem bereits mehr als l k Million 
Erlverbslose auf der Straße liegen, weide» von den 
Unternehmern in Berlin fortwährend weitere Tausende 
auf das Pflaster geworfen. Ohne jede Rücksicht ans 
die sogenannte Volkswirtschaft, ohne jede Rücksicht ans 
die Volksgesnndheit rationieren die Unternehmer ihre 
Betriebe und werden Wahrscheinlich noch so lange ra 
tionieren, bis die Arbeiterschaft mit ihnen beginnt zu 
rationieren. 
Angesichts der Tatsache z. B., daß ein lediger Er 
werbsloser in der Woche 9.75 M oder im Monat 40 M 
Erwerbslvsenunterstützung erhält, von der Tausende 
lediger Erwerbslosen, die keine eigene Wohnung haben, 
sondern zur Miete in Schlafstelle oder möbliert wohnen, 
20 M im Monat für diese Schlafstelle an Miete 
aufbringen müssen. Es ist klar, daß sie, wenn sie nur 
20 M für ihre persönlichen Lebensbedürfnisse int Monat 
zur Verfügung haben, nicht viel oder gar nichts übrig 
bleibt zur Bestreitung ihrer hygienischen Bedürfnisse. 
Em Verheirateter mit einem Kinde z. B., der 15,40 M 
in der Woche erhält, im Monat also rund 60 dl, 
kann, wenn er ebenfalls 20 J& im Monat für Miete 
und Gas bezahlen muß, nicht mehr 3 Personen mit den 
übrig bleibenden 40 J6 int Monat durchbringen. Er 
kann unter keinen Umständen mehr Gelder aufbringen 
für die Bestreitung seiner Bedürfnisse an Sauberkeit 
und Gesundheit. 
Wir können also feststellen, daß die Erlverbslosen 
bei beit sogenannten hohen Unterstützungssätzen kein Geld 
übrig haben für die Bestreitung ihrer sanitären Be 
dürfnisse. Welche unabsehbaren Schäden dabei für die 
Volksgesnndheit bei den unterernährten Körpern, den 
ungenügend gesäuberten Körpern eintreten können, das 
brauche ich Wohl Nicht erst besonders zu erläutern. Wenn 
Wir int» wöchentlich ein Bad für die Erwerbslosen fordern, 
so haben uns die Ausführungen des Vertreters des Ge 
sundheitsamtes davon überzeugt, daß bei der mangelhaften 
Ausstattung Berlins mit Badeanstalten.es nicht durch 
führbar ist bei der Tatsache, daß 330 000 Erwerbslose mit 
ihren Familienangehörigen, also rund 500000 Bedürf 
tige für die Badegelegenheiten in Frage kommen. Das 
ist nicht möglich bei der Jahresfrequenz von sage und 
schreibe 2,7 Millionen Bädern, die insgesamt tut vorigen 
Jahre au die Berliner Bevölkerung abgegeben wurden. 
Es ist unter diese» Umständen nicht möglich, < die 
500 000 Badebedürftigen einmal in ■ der Woche baden 
zu lassen bei der Wochenfreqnenz von 40 000. In 
einer Vier-Millionenstadt wie Berlin muß man fest 
stellen, daß das ein absoluter Mangel ist. Wenn man 
Berlin die Weltstadt, die Verkehrsstadt oder gar die 
Lichtfladt nennt, so müssen wir hier sagen, daß es not 
wendig ist, daß Berlin mich für die sanitären und hygieni 
schen Bedürfnisse der Bevölkerung eine Aenderung schasst. 
Es ist absolut notwendig, daß der Ban von Badean 
stalten in Angriff genommen wird. Wenn die Regierung 
sich geweigert hat, für solche Bauten als Notstandsarbei 
ten Gelder herzugeben, so müssen wir darauf Hinweisen, 
daß das von volkswirtschaftlichen Begriffen sehr wenig 
verspüren läßt. Dem A. G. D. B., der neulich bei der 
Negierung war, ist erklärt worden, daß man für den 
Wohnungsbau und auch für Notstandsarbeiten kein Geld 
übrig hat. Aber dieselbe Regierung hat 500 Millionen 
übrig, die sie den Besitzenden als Steuerzahler erlassen 
kann. Dieselbe Regierung hat 400 Millionen, die sie 
den Besitzenden an Steuern stunden kann. Wir müssen 
dem Magistrat schon sagen, daß er sich nicht damit 
begnügt, wenn ihm die Hergabe von Geldern für Hoch 
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bauten als Notstandsarbeiten abgelehnt wird, sondern 
daß er an die Oeffentlichkeit gehen soll, um gegen diese 
Zustände zu protestieren. Die Berliner Bevölkerung, 
die dann in breiten Massen hinter dem Magistrat stehen 
wird, wird aufgerufen werden müsse», um zu- helfen, 
Protest gegen derartige Dinge zu erheben. 
Nun aber zu den AusschuMeratungen selbst: 
Die bürgerliche Seite des Ausschusses, die bekanntlich, 
wir immer, ihr warmes Herz für die Erwerbslosen auch 
diesmal bekunden wollte, hat ohne weiteres die Not 
wendigkeit anerkannt, Badegelegenheiten für die Er 
werbslosen zu schaffen. Sie kam aber mit verschiedenen 
Abändernngsanträgen, die z. B. verlangen, es den 
Bezirksämtern zn überlassen, Badegelegenheiten für die 
Erwerbslosen zu schaffen. Wir konnten uns mit dieser 
Formulierung nicht einverstanden erklären, weil es klar 
wäre, daß dann die Bezirke, in denen keine Badeanstalten 
vorhanden sind, ausfallen würden, die Erwerbslosen dieser 
Bezirke also keine Badengelegenheit bekommen würden. 
Es ist absolut möglich, daß, wenn die Badegelegenheit 
zentral geregelt wird, die Erwerbslosen des Bezirks 
20 auch im 3. Bezirk baden können, daß die vom 18. und 
19. Bezirk nach dem 4. Verwaltungsbezirk gehen und 
die vom 15.' Bezirk nach dem 5. und 14. Verwaltungs 
bezirk; die vom 13. Bezirk können in den Bezirk 6 
baden gehen. 
In einer weiteren Formulierung, die die bürgerliche 
Seite des Ausschusses haben wollte, stand, daß man 
den Erwerbslosen „nach Möglichkeit" Badegelegenheit 
geben sollte. Das konnte ebenfalls nicht unsere Zustim 
mung finden, aus dem einfachen Grunde, Weil wir, durch 
die Erfahrungen gewitzigt, ganz genau wissen, daß der 
Begriff „nach Möglichkeit" absolut dehnbar ist. Wir 
wollen unter allen Umständen verhindern, daß unterge 
ordnete Stellen des Magistrats oder in den Bezirks 
ämtern den Begriff „nach Möglichkeit" nach ihrem 
Belieben auslegen. 
Am interessantesten aber waren die Ausführungen des 
bekannten Herrn Dr. Faltz im Ausschuß, der den Er 
werbslosen empfahl, zu Hause Waschungen vorzunehmen, 
nicht baden zu gehen und überhaupt ihr Reinlichkeits 
bedürfnis im Hanse zu befriedigen. Der gute Herr 
mußte es sich im Ausschuß sagen lassen, daß er auch nicht 
den leisesten Schimmer von den Zuständen in Proletarier 
wohnungen hat, denn sonst müßte ihm bekannt sein, daß 
es Wohnungen in Berlin gibt, wo 2 oder 3 Familien 
in einer Stube zusammengepfercht sind, wo die ver 
schiedenen Familienangehörigen absolut nicht in der Lage 
sind, ihr Reinlichkeitsbedürfnis so zu befriedigen, weil 
dort beinahe einer auf dem ändern liegt, weil sie sich 
absolut nicht frei bewegen können. Sie sind ohne Ver 
letzung des Schamgefühls absolut nicht in der Lage, 
sich so zu säubern und zu Wasche», wie es nötig ist. 
Es ist dem Herrn Dr. Faltz angeboten worden, ihn 
in die Elendsquartiere der Berliner Bevölkerung zu 
führen, damit er einmal eine Ahnung kriegt, wie in Berlin 
das Proletariat wohnen muß. Interessant war zum 
mindesten die Begründung, die Herr Dr. Faltz dafür 
gab, daß es nicht nötig wäre, daß das Proletariat sich 
jede Woche bade. Er führte da unter anderem aus, daß er 
selbst zwei Jahre in der Wüste Sinai gelebt und 
sich dort auch nicht gebadet hätte. Zwei Jahre in der 
Wüste Sinai, das ist immerhin eine interessante Fest 
stellung. Wir hätten gern noch erfahren, was Herr 
Dr. Faltz denn dort gemacht hat, aber darüber war er 
schweigsam. Wir nehmen allerdings an, daß er seiner 
Zahnpraxis dort obgelegen und vielleicht den Kamelen 
die Zähne plombiert hat. 
(Heiterkeit.) 
Wir wollen also die weitgehendste Ausnutzung der 
Bademüglichkeit. Aus eigener Erfahrung muß ich Ihnen 
sagen, daß in den Vormittagsstunden, ganz besonders in 
den ersten 4 Wochentagen, die Berliner Badeanstalten, 
foiuohl die Schwimmbäder wie auch die Wannen- und 
Brausebäder, fast gänzlich leer stehen. Wir wollen uns
	        
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