Sitzung vom 25
Vorst. Haß: In der Beratung hat das Wort Herr
Stadtv. Peschke.
Stadtv. Peschke (K.): Meine Damen und Herren!
Unser Antrag, der die Beschaffung von Badegelegen
heiten für Erwerbslose vorsieht, ist angesichts der immer
weiter um sich greifenden Wirtschaftskrise geradezu eine
Notwendigkeit. Trotzdem bereits mehr als l k Million
Erlverbslose auf der Straße liegen, weide» von den
Unternehmern in Berlin fortwährend weitere Tausende
auf das Pflaster geworfen. Ohne jede Rücksicht ans
die sogenannte Volkswirtschaft, ohne jede Rücksicht ans
die Volksgesnndheit rationieren die Unternehmer ihre
Betriebe und werden Wahrscheinlich noch so lange ra
tionieren, bis die Arbeiterschaft mit ihnen beginnt zu
rationieren.
Angesichts der Tatsache z. B., daß ein lediger Er
werbsloser in der Woche 9.75 M oder im Monat 40 M
Erwerbslvsenunterstützung erhält, von der Tausende
lediger Erwerbslosen, die keine eigene Wohnung haben,
sondern zur Miete in Schlafstelle oder möbliert wohnen,
20 M im Monat für diese Schlafstelle an Miete
aufbringen müssen. Es ist klar, daß sie, wenn sie nur
20 M für ihre persönlichen Lebensbedürfnisse int Monat
zur Verfügung haben, nicht viel oder gar nichts übrig
bleibt zur Bestreitung ihrer hygienischen Bedürfnisse.
Em Verheirateter mit einem Kinde z. B., der 15,40 M
in der Woche erhält, im Monat also rund 60 dl,
kann, wenn er ebenfalls 20 J& im Monat für Miete
und Gas bezahlen muß, nicht mehr 3 Personen mit den
übrig bleibenden 40 J6 int Monat durchbringen. Er
kann unter keinen Umständen mehr Gelder aufbringen
für die Bestreitung seiner Bedürfnisse an Sauberkeit
und Gesundheit.
Wir können also feststellen, daß die Erlverbslosen
bei beit sogenannten hohen Unterstützungssätzen kein Geld
übrig haben für die Bestreitung ihrer sanitären Be
dürfnisse. Welche unabsehbaren Schäden dabei für die
Volksgesnndheit bei den unterernährten Körpern, den
ungenügend gesäuberten Körpern eintreten können, das
brauche ich Wohl Nicht erst besonders zu erläutern. Wenn
Wir int» wöchentlich ein Bad für die Erwerbslosen fordern,
so haben uns die Ausführungen des Vertreters des Ge
sundheitsamtes davon überzeugt, daß bei der mangelhaften
Ausstattung Berlins mit Badeanstalten.es nicht durch
führbar ist bei der Tatsache, daß 330 000 Erwerbslose mit
ihren Familienangehörigen, also rund 500000 Bedürf
tige für die Badegelegenheiten in Frage kommen. Das
ist nicht möglich bei der Jahresfrequenz von sage und
schreibe 2,7 Millionen Bädern, die insgesamt tut vorigen
Jahre au die Berliner Bevölkerung abgegeben wurden.
Es ist unter diese» Umständen nicht möglich, < die
500 000 Badebedürftigen einmal in ■ der Woche baden
zu lassen bei der Wochenfreqnenz von 40 000. In
einer Vier-Millionenstadt wie Berlin muß man fest
stellen, daß das ein absoluter Mangel ist. Wenn man
Berlin die Weltstadt, die Verkehrsstadt oder gar die
Lichtfladt nennt, so müssen wir hier sagen, daß es not
wendig ist, daß Berlin mich für die sanitären und hygieni
schen Bedürfnisse der Bevölkerung eine Aenderung schasst.
Es ist absolut notwendig, daß der Ban von Badean
stalten in Angriff genommen wird. Wenn die Regierung
sich geweigert hat, für solche Bauten als Notstandsarbei
ten Gelder herzugeben, so müssen wir darauf Hinweisen,
daß das von volkswirtschaftlichen Begriffen sehr wenig
verspüren läßt. Dem A. G. D. B., der neulich bei der
Negierung war, ist erklärt worden, daß man für den
Wohnungsbau und auch für Notstandsarbeiten kein Geld
übrig hat. Aber dieselbe Regierung hat 500 Millionen
übrig, die sie den Besitzenden als Steuerzahler erlassen
kann. Dieselbe Regierung hat 400 Millionen, die sie
den Besitzenden an Steuern stunden kann. Wir müssen
dem Magistrat schon sagen, daß er sich nicht damit
begnügt, wenn ihm die Hergabe von Geldern für Hoch
. Februar 1926. 243
bauten als Notstandsarbeiten abgelehnt wird, sondern
daß er an die Oeffentlichkeit gehen soll, um gegen diese
Zustände zu protestieren. Die Berliner Bevölkerung,
die dann in breiten Massen hinter dem Magistrat stehen
wird, wird aufgerufen werden müsse», um zu- helfen,
Protest gegen derartige Dinge zu erheben.
Nun aber zu den AusschuMeratungen selbst:
Die bürgerliche Seite des Ausschusses, die bekanntlich,
wir immer, ihr warmes Herz für die Erwerbslosen auch
diesmal bekunden wollte, hat ohne weiteres die Not
wendigkeit anerkannt, Badegelegenheiten für die Er
werbslosen zu schaffen. Sie kam aber mit verschiedenen
Abändernngsanträgen, die z. B. verlangen, es den
Bezirksämtern zn überlassen, Badegelegenheiten für die
Erwerbslosen zu schaffen. Wir konnten uns mit dieser
Formulierung nicht einverstanden erklären, weil es klar
wäre, daß dann die Bezirke, in denen keine Badeanstalten
vorhanden sind, ausfallen würden, die Erwerbslosen dieser
Bezirke also keine Badengelegenheit bekommen würden.
Es ist absolut möglich, daß, wenn die Badegelegenheit
zentral geregelt wird, die Erwerbslosen des Bezirks
20 auch im 3. Bezirk baden können, daß die vom 18. und
19. Bezirk nach dem 4. Verwaltungsbezirk gehen und
die vom 15.' Bezirk nach dem 5. und 14. Verwaltungs
bezirk; die vom 13. Bezirk können in den Bezirk 6
baden gehen.
In einer weiteren Formulierung, die die bürgerliche
Seite des Ausschusses haben wollte, stand, daß man
den Erwerbslosen „nach Möglichkeit" Badegelegenheit
geben sollte. Das konnte ebenfalls nicht unsere Zustim
mung finden, aus dem einfachen Grunde, Weil wir, durch
die Erfahrungen gewitzigt, ganz genau wissen, daß der
Begriff „nach Möglichkeit" absolut dehnbar ist. Wir
wollen unter allen Umständen verhindern, daß unterge
ordnete Stellen des Magistrats oder in den Bezirks
ämtern den Begriff „nach Möglichkeit" nach ihrem
Belieben auslegen.
Am interessantesten aber waren die Ausführungen des
bekannten Herrn Dr. Faltz im Ausschuß, der den Er
werbslosen empfahl, zu Hause Waschungen vorzunehmen,
nicht baden zu gehen und überhaupt ihr Reinlichkeits
bedürfnis im Hanse zu befriedigen. Der gute Herr
mußte es sich im Ausschuß sagen lassen, daß er auch nicht
den leisesten Schimmer von den Zuständen in Proletarier
wohnungen hat, denn sonst müßte ihm bekannt sein, daß
es Wohnungen in Berlin gibt, wo 2 oder 3 Familien
in einer Stube zusammengepfercht sind, wo die ver
schiedenen Familienangehörigen absolut nicht in der Lage
sind, ihr Reinlichkeitsbedürfnis so zu befriedigen, weil
dort beinahe einer auf dem ändern liegt, weil sie sich
absolut nicht frei bewegen können. Sie sind ohne Ver
letzung des Schamgefühls absolut nicht in der Lage,
sich so zu säubern und zu Wasche», wie es nötig ist.
Es ist dem Herrn Dr. Faltz angeboten worden, ihn
in die Elendsquartiere der Berliner Bevölkerung zu
führen, damit er einmal eine Ahnung kriegt, wie in Berlin
das Proletariat wohnen muß. Interessant war zum
mindesten die Begründung, die Herr Dr. Faltz dafür
gab, daß es nicht nötig wäre, daß das Proletariat sich
jede Woche bade. Er führte da unter anderem aus, daß er
selbst zwei Jahre in der Wüste Sinai gelebt und
sich dort auch nicht gebadet hätte. Zwei Jahre in der
Wüste Sinai, das ist immerhin eine interessante Fest
stellung. Wir hätten gern noch erfahren, was Herr
Dr. Faltz denn dort gemacht hat, aber darüber war er
schweigsam. Wir nehmen allerdings an, daß er seiner
Zahnpraxis dort obgelegen und vielleicht den Kamelen
die Zähne plombiert hat.
(Heiterkeit.)
Wir wollen also die weitgehendste Ausnutzung der
Bademüglichkeit. Aus eigener Erfahrung muß ich Ihnen
sagen, daß in den Vormittagsstunden, ganz besonders in
den ersten 4 Wochentagen, die Berliner Badeanstalten,
foiuohl die Schwimmbäder wie auch die Wannen- und
Brausebäder, fast gänzlich leer stehen. Wir wollen uns