Sitzung ant 16. Februar 1926.
Möglichkeit soll Ihnen, wenigstens soweit die Macht
der Berliner Stadtverordnetenversammlung reicht, ge
nommen werden. Deshalb haben wir beantragt, daß
die Hälfte der Lokale, die bei der letzten Stadtverord
netenwahl als AÜstimmungslokäle genommen waren,
jetzt als Lokale für die Einzeichnung zum Volksbegehren
genommen werden sollen. Für die Durchführung des
Volksentscheides müssen genau soviel Stammlokale ein
gerichtet werden, wie sie auch bei der Stadtverordneten
wahl vorhanden gewesen sind. Wenn man solche Dinge
nicht erwähnt, kann leicht dem anderen die Möglichkeit
gegeben werden, hier seine dtntkle Hand spüren zu
lassem
(Zuruf rechts.)
— Wenn Sie auch Schwarz heißen, Herr Kollege, so
brauchen Sie sich das nicht anzuziehen! — Jedenfalls
wäre die Möglichkeit der Sabotage der Durchführung
derartiger Dinge gegeben.
Dann noch eins: Wir glauben, das; mit uns wenig
stens 90% der Berliner Bevölkerung diese Forderung
vertreten. Deshalb nmf; die Stadtverordnetenversamm
lung nach meinem Dafürhalten hier zweierlei tun.
Erstens muß sie sich in einem Aufruf an die Bevölke
rung wenden, und dieser Aufruf ist in einem von uns
gestellten Antrage niedergelegt, itt dem die Stadtver
ordnetenversammlung von Berlin die Bevölkerung auf
fordert, sich für die restlose Enteignung der Fürsten
anszusprechen.
Zweitens muß sie noch eins tun, nicht um des
Betrages willen, aber um nach außen zu dokumentieren,
daß die große Gemeinde Berlin, die Hauptstadt des
Deutschen Reiches, diejenige Gemeinde, die von den
Steuern am meisten ausgepreßt wird, diejenige Ge
meinde, ans deren Steuererträgen am meisten zu der
Auffindung der Fürsten beigetragen werden würde, sich
mit aller Kraft dagegen erklärt. Um das zu dokumen
tieren, haben wir auch den Antrag gestellt, daß dem
Ausschuß zur Durchführung des Volksentscheides eine
einmalige Stimmc von 20 000 Jl zugewiesen wird. Das
ist nicht viel, aber es soll dokumentieren, daß von der
Berliner Stadtverordnetenversammlung der Ruf aus
geht: „Keinen Pfennig den Fürsten!"
(Bravo! und Händeklatschen bei den Kommunisten.)
Stadtv. Dr. Caspari (V.l (zur Geschäftsordnung):
Meine Damen und Herren! Ich habe mich nur zur
Geschäftsordnung gemeldet. Meine politischen Freunde
beabsichtigen nicht, in diesem Raume sich über die Frage
der Abfindung der Fürstenhäuser — Auseinander
setzung heißt es richtiger — zu unterhalten. Unser
Standpunkt ist Ihnen ans der Haltung unserer Partei
freunde im Reichstag bekannt.
Ich habe hier nur namens meiner Parteifreunde
den Antrag zu stellen, zu dem Antrage Nr. 136, den
Herr Letz eben ganz richtig als einen Aufruf an die
Berliner Bevölkerung bezeichnet hat, den Uebergang zur
Tagesordnung zu beantragen, und zwar deshalb, weil
Politische Aufrufe unter keinen Umstünden zu den Auf
gaben einer Stadtverordnetenversammlung gehören.
(Lachen bei den Kommunisten.)
Die Stadtverordnetenversammlung hat zusammen
mit dein Magistrat diejenigen Ortsgesetze und Ge-
meindebeschlüsse zu fassen, die für die Verwaltung er
forderlich sind, sie hat aber nicht die Aufgabe, die Be
völkerung in ihrer politischen Stellungnahme zu beein
flussen. Um das Ansehen der Stadtverordnetenver
sammlung zu wahren
(Zuruf links: Oho!)
und es nicht so erscheinen zu lassen, als wenn diese
Stadtverordnetenversammlung über die Befugnisse, die
205
ihr das Gesetz gibt, hinausgeht, um Unfrieden in die
Bevölkerung zu tragen, stellen wir unsern Antrag.
Vorst.-Stellv. Meyer: Meine Damen und Herren!
Der Herr Stadtv. Dr. Caspari hat zu dem Antrage
Nr. 42 den Uebergang zur Tagesordnung beantragt.
Ich bitte die Mitglieder der Versammlung, die diesen
Antrag unterstützen, die Hand zu erheben.
(Geschieht.)
Die Unterstützung reicht nicht aus. Infolgedessen
kann dieser Antrag nicht zur Abstimmung kommen.
Herr Stadtrat Dr. Richter, Sie haben sich nun
zum Wort gemeldet. Ich würde Ihnen aber vorschlagen,
daß wir zunächst die Begründung des dritten Antrags
durch Herrn Stadtv. Kunze hören. Sind Sie damit
einverstanden?
(Zustimmung.)
Das Wort hat zur Begründung des dritten vor
liegenden Antra ges der Herr Stadtv. Kunze.
Stadtv. Kunze (VS. Gruppe): Meine Damen und
Herren! Ich werde mich wesentlich kürzer fassen, als
es die beiden Herren Vorredner getan haben.
Der Herr Vertreter der äußersten Linken hat die
Revolution vom November 1918 ein Stückwerk genannt.
Nun, ich mochte durch meinen Antrag gerade diese
.Herren davor bewahren, daß sie heute sich selber ins
Gesicht schlagen und abermals ein Stückwerk ausführen.
Darum möchte ich ihnen Gelegenheit geben, einmal
ganze Arbeit zu machen.
Die Not unseres arbeitenden Volkes ist ja wieder
in beweglichen Worten geschildert worden, aber ich
glaube nicht, daß die Herren durch die Enteignung
der Fürsten diese Not im wesentlichen werden lindern
können. Betragen doch die Lasten, die wir nach dem
Schandvertrag von London vom Jahre 1928/1929 an
zu leisten haben, jährlich 2'A Milliarden Goldmark,
beträgt doch heute das Mehr an Steuern, das wir
gegenüber der Vorkriegszeit aufzubringen haben, min
destens 5 Milliarden Goldmark im Jahre. Was würde
das, was wir ans der Enteignung der Fürsten bekom
men, wohl sein im Verhältnis zu den ungeheuren Ab
gaben, die auf unserem Volke ruhen? Ein Tropfen
auf den heißen Stein! Darum müßten wir schon, wenn
wir die Nut unseres Volkes wirklich lindern wollen
und wenn das die eigentlichen Motive des Antrages
zur Enteignung der Fürsten sind, etwas weiter gehen
und ganze Arbeit mache n. Dann müssen wir
endlich einmal, wie es ja von seiten der Linken früher
so wundervoll gesagt worden ist, an die Enteig
nung der Kriegs-, Revolntio n s- u n d
Jnflationsgewinnler gehen. Dabei würden
nämlich ganz gewaltige Werte herauskommen, und wir
würden dabei nicht gegen den Grundsatz von Recht
und Gerechtigkeit verstoßen, sondern würden endlich ein
mal einen Grundpfeiler der Weimarer Verfassung wirk
sam werden lassen, nämlich den, daß es in der Deutschen
Republik für alle Staatsbürger nureinRecht geben
solle. Wenn man schon einen Teil des Volkes enteignet,
von dem man. annimmt, daß er sein Eigentum zu
Unrecht besitzt, dann muß man folgerichtigerweise alle
enteignen, die in demselben Maße ihr Eigentum nicht
zu recht erworben haben.
(Zuruf links: Ihre Möbel, die Sie ans Gardelegen
mitgebracht habeil!)
Mein Verehrtester Freund, ich habe wirklich nicht
die Absicht, mich mit Ihnen über derartige Dinge zu
unterhalten. Dann würden wir uns nämlich auch mit
einigen Personen beschäftigen müssen, die zufälliger
weise in Ihrer Mitte heute unter Ihnen sind. Ich werde
mich also jetzt nur mit dem beschäftigen, was die Öf
fentlichkeit, was die Allgemeinheit interessiert, und da
will ich Ihnen einige Zahlen nennen, die meinen An
trag, den Antrag meiner Freunde, als durchaus berech
tigt erscheinen lassen müssen.