Atzung ant 14. Dezember 192lr.
stets den Standpunkt des Magistrats zu vertreten, und
das werde ich auch heute tun.
Tie Verhältnisse der Schwestern haben sich seit der
Vorkriegszeit, insbesondere in Berlin, ganz außerordent
lich gebessert, Ihre materielle Lage ist, wie unsere Er
hebungen ergeben haben, heute bei uns besser als in
irgendeiner andern deutschen Stadt, auch besser als in
den, reichen Hamburg. Es wird gesagt, es sei ganz
unerhört, ivenn den Schwestern zugemutet würde, Dienst
wohnung zu nehmen, ebenso auch Verpflegung. Nun, der
ganze Pslegebernf ist so wesentlich verschieden von andern
Berufen, das; man hier nicht einfach sagen kann, die
Dienstwohnung, die anderwärts eine Plage sein kann,
sei auch hier eine Plage. Das ist sie keineswegs, sondern
alle Sachverständigen geben einstimmig an, das; es notig
sei, daß obere Pflegepersonal soweit wie irgend möglich
in der Anstalt wohnen zu lassen, zum Schutz der Pakien-
teit £ deren Wohl doch wohl in erster Linie zu. berücksichti
gen ist, aber auch zum gesundheitlichen Wohl der
Schwestern selbst.
Nun, wollen Sie sich bitte vorstellen, das; das Per
sonal, das in der Anstalt wohnt, und zwar überwiegend,
durchaus nicht schlecht lebt, sondern größtenteils viel besser
als vor dem Kriege, mittags, zum Frühstück oder
abends weglaufen muß, um in irgendwelchen Restaurants
der Umgegend, sich das Essen zn besorgen. Das verträgt
sich mit einem Betrieb, der zum großen Teil ja selbst ein
Verpflegungsbetrieb ist, außerordentlich schlecht. Es ver
trägt sich auch mit der Verwendung der Arbeitszeit der
Schwestern nicht gerade sehr gut.
(Stadtv. Merten: Sehr wahr!)
Und wo ist denn diese Frage akut? Nur hier in Berlin,
wo die Schwestern am besten gestellt werden. In weiten
Gegenden von Deutschland kennt man diese Frage gar
nicht. Man hält es dort für ganz selbstverständlich, daß,
wer in der Anstalt wohnt, sich auch in der Anstalt be
köstigen läßt, und man hält es für wohltuend, der Sorge
um das tägliche Brot enthoben zn sein. Ich bin selber
lange genug in Krankenanstalten gewesen, auch wohnhaft,
und muß "sagen, daß die Zumutung, sich auswärts zu
verpflegen, außerordentlich unangenehm wirkte.
Nun wird gesagt — gewiß mit einem Schein des
Rechts —, die Verpflegung ist eine Massenverpflegung,
mehr oder minder wird sie eintönig, die Betreffenden
werden ihrer schließlich überdrüssig. Dazu ist zu sagen,
das; die Verheirateten und auswärts Wohnenden über
haupt nicht unter diesen Beköstigungszwang fallen sollen,
sondern nur die ledigen, in der Anstalt Wohnenden. Die
Beköstigung ist, lute von allen Kreisen zugegeben wird,
durchaus gut, auch hinreichend abwechselungsreich. Die
Verwaltungsdirektoren geben sich alle Mühe, in der Be
ziehung den Wünschen des Pflegepersonals nachzukommen.
Wenn man dann aber auch noch sagt, obwohl die Zu
bereitung vorzüglich ist, wird es auf die Dauer lang
weilig, so ist das ein Vorwurf, der für jede Familien
füche in gleichem Umfange zuträfe.
Was den Achtstundentag anbelangt, so sind wir
bemüht, soweit wie irgend möglich darauf zu halten,
nachdem einmal die Mittel bewilligt sind, den Acht
stundentag für die Schwestern einzuhalten. Es ist richtig,
wenn eine Schwester acht Stunden stramm durchgearbeitet
hat, hat sie genug,
(Sehr richtig!)
so genug, daß sie dann aber auch der Sorge um die täg
liche Verpflegung enthoben werden muß. Hier müssen wir,
insbesondere bei den jüngeren Schwestern, die Sicherheit
haben, daß sie abends ein ordentliches Mahl zn sich
nehmen, ebenso morgens. Wenn das nicht der Fall ist,
so können Sie sich darauf verlassen, das; viele Schwestern
das Geld für andere Dinge ausgeben,
(Zurufe bei den Komm.)
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sie sind eben jung, und wir sind auch einmal jung
gewesen. ; 1
(Stadtv. Dr Faltz: Nanu? Die sind doch
majorenn!) ’
(Zurufe bei den Komm.)
Das verträgt sich mit diesem Beruf sehr schlecht. Es ist in
der Begründung schon ausgeführt —- sehr kurz aller
dings —, daß jemand, der stark angestrengt ist, zu seinen;
eigenen Wohl wie zum Wohl der Verpflegten der Sorge
um die tägliche Ernährung so enthoben sein muß, daß
man sicher sein kann, daß diese vollkommen ausreichend ist.
Wir wissen aber, das; das nicht immer der Fall ist, wenn
man die Sache dem Betreffenden selbst überläßt. In
der Beziehung herrscht manchmal eine Bedürfnislosig
keit, die auch in ^gesundheitlicher Beziehung nahezu be
denklich ist.
Ich möchte also bitten, dem Standpunkt des Ma
gistrats, den er in wiederholten Beschlüssen seit Jahren
immer wieder zum Ausdruck gebracht hat, beizutreten.
Das ist ein Standpunkt, der von meinem Herrn Vor
gänger, einem erfahrenen Manne, dem Geheimrat Rab-
now, gestützt worden ist und eine Stellungnahme, die
regelmäßig von einem so erfahrenen, sachkundigen, gewiß
sozialen, andererseits aber auch mutigen Bekenner, wie
dem zn früh verstorbenen Stadtrat Silberstein, einge
nommen wurde. Ich bitte, diese Stellungnahme, würdi
gen zn wollen. Der Magistrat kann nicht einmal so
und einmal so beschließen. Er hat sich mit großer Mehr
heit zu der Ansicht bekannt, die ihm früher von seinen
Sachverständigen vorgetragen worden ist: Wer in der
Anstalt wohnt, soll auch von der Beköstigungsgelegen
heit Gebrauch machen. Er sieht sich nicht in der Lage,
von diesem wohlbegründeten Standpunkt abzugehen.
Daß die übrigen Wünsche in bezug auf Verbesserung
der Wohnung dauernd berücksichtigt werden, zeigen die
Anträge, die auf dem Gebiet des Neubaues liegen.
Den achtstündigen Arbeitstag haben wir zur Durch
führung gebracht. Ich glaube, jeder im Hanse wird ein
sehen, daß der Achtstundentag gerade beim Pflegepersonal,
bei den Schwestern, nicht vollkommen schematisch durch
geführt werden kann. Aber alle Unznträglichkeiten, die
sich auf diesem Gebiete vermeiden lassen, werden be
seitigt werden.
Stadtv. Raddatz (K.): Meine Damen und Herren!
Wenn man den Herrn Stadtmedizinalrat hört, könnte
man zu der Auffassung kommen, daß er jeder Pflegeperson
möglichst einen Polizisten zur Seite stellen möchte, der
darauf zn achten hat, daß sie auch ja richtig und ord
nungsmäßig im Interesse des Dienstes ernährt wird.
Ich habe hier die Abschrift einer Bekanntmachung, die der
Herr Stadtmedizinalrat unterzeichnet hat. Da gibt er
sich dieselbe Mühe, allerdings auch in einer Weise,
die. ich durchaus nicht billigen kann, das Personal zu
bevormunden. In dieser Bekanntmachung heißt es:
„In den Schriften und Zeitungen werden be
kanntlich immer Mittel zur Nervenstärkung und sonstige
ähnliche Dinge angepriesen.
Vielfach werden diese reklamehaften Anpreisungen
mir dazu führen, bei angestrengten Arbeitern Krank
heitsgefühle gerade zn erwecken und nervöse Vor
stellungen zu steigern. Im Interesse der Beamten, An
gestellten und Arbeiter warnen wir nachdrücklichst davor,
ans solche noch so schön klingenden Anpreisungen usw.
usw." ' !
Ich meine, es ist eine ganz eigenartige Auffassung,
daß bei städtischen Arbeitern oder anderen Bediensteten
solche Anpreisungen Krankheitsgefühle hervorrufen können.
(Lachen bei den Komm.)
Ich finde es geradezu unerhört, daß man eine derartige
Anweisung herausgeben kann. Man muß doch verlangen,
daß man das Gefühl des städtischen Personals in anderer
Weise respektiert, als es hier in solcher Bekanntmachung