Sitzung am 2.
Wir haben baun weiter im Antrage gesagt, daß auch
eine Beschäftignngsmöglichkeit für weibliche Arbeiter ge
schaffen werden muß. Ein sehr großer Teil von Ar
beiterinnen, seien es JndustriMrbeiteriunen oder feien es
Arbeiterinnen, die als Angestellte beschäftigt waren, kann
heilte gar nicht mehr mit der Möglichkeit rechnen, lvieder
in einem Betriebe untergebracht p werden. Deshalb
haben ivir gesagt, muß der Magistrat als größter Ar
beitgeber auch dafür sorgen, irgendwie nach dieser Richtung
hlit die Not z» lindern und versuchen, erst mal in feinen
eigenen Anstalten die Wäsche aufzufrischen und neue Be
kleidung zu schaffen, hierdurch werden neue Möglichkeiten
zur Beschäftigung erschlossen. Die Schutzkleidungen, die
in den Werken für die Pflegerinnen und sonstwie in
Anstalten benötigt werden, alle Sachen, die benötigt
weiden, feien es Hemden, Kittel, Höfen oder dergleichen,
müssen erneuert werden. Es sieht heute in den einzelnen
Anstalten sehr trostlos aus. Wenn auch hier Mittel und
Wege gefunden würden, könnte ein ganz großer Teil
von Arbeitslosen Beschäftigung finden. Der Ausschuß
hat einen Antrag angenotnuie», daß die Berliner An-
schafflingswerkstätten erweitert werben sollen. Es sollen
dort unter sachkundiger Leitung Arbeiterinnen ausgebildet
werden, die noch' nicht als Schneiderinn»» gearbeitet
haben, um dann ans diese Art und Weise die Möglichkeit
zu schaffen, auch für arbeitslose Arbeiterinnen eine ge
eignete Arbeitsstelle zu finde».
Dann ist in unserm Antrage weiter gesagt, daß zur
Linderung der Not der Angestellten die Zeithilfen beim
Magistrat grundsätzlich beseitigt werden sollen und daß
vor allen Dingen der Magistrat darauf 'Geivicht legen
muß, daß das Ueberstundenwesen eingeschränkt wird.
(Zuruf bei den Kommunisten: Beseitigt, nicht ein
geschränkt!)
Meine Damen und Herren, und besonders meine Herren
vom Magistrat! Die ganze Öffentlichkeit beschäftigt sich
feit 14 Tagen und länger mit der Frage, ob nicht die
Möglichkeit besteht, die Arbeitszeit wesentlich zu verkürzen,
ob nicht die Möglichkeit besteht, die 8-stündige Arbeitszeit
wieder in den Betrieben einzuführen,
(Stadtv. Päeth: Haben ivir ja!)
Ja, Sie haben sie ja, Herr Kollege Paeth. Aber bei
der Stadt Berlin werden so viele Üeberstunden gemacht,
ob mit Wissen der Herren Sachwalter oder ohne
Wissen, das will ich hier im Moment nicht untersuchen.
Ich möchte aber hier die dringende Bitte aussprechen,
daß die Herren vom Magistrat sich befleißigen möchten,
darauf zu sehen, daß keinerlei Ueberarbeit mehr in den
städtischen Betrieben geleistet wird. Und besonders möchte
ich Sie bitten, meine Herren vom Magistrat, namentlich
den Herrn Magistratsvertreter Reuter, bei der Straßen
bahn, bei der Nord-Süd-Bahn und bei der Omnibns-
gesellschaft dahin zn wirken - - Herr Kollege Reuter,
in Ihrer Eigenschaft als Stadtrat der Stadt Berlin —,
daß dort die Arbeitszeit auf 8 Stunden herabgesetzt wird.
(Zuruf des Stadtv, Paeth.)
Meine Damen und Herren, wir kommen dann zn
dem andern Kapitel, zur Fortsetzung der Notaktion,
Die Notaktion, die wir vor einem Jahr, ungefähr im
November, beschlossen hatten, muß durchgeführt werben.
Sie muß erweitert werden, weil ja die Arbeitslosigkeit
nicht herabgemindert, sondern weil sie in den letzten
Wochen in Berlin weiter zugenommen hat. Damit sind
Not und Elend größer geworden. Deshalb muß die
Notaktion, lvie ivir sie im Jahre 1925 eingeleitet haben,
nicht im verminderten, sondern im verstärkten Maßstabe
durchgeführt werden. Wenn wir auch nicht hier in dieser
Stadtverordnetenversammlung die Arbeitslosen so unter
stützen können, wie wir es gerne wollten, da im Moment
gesetzliche Bindungen vorliegen, so muß doch etwas ge
schehen, Der Reichsarbeitsminister hat Anweisungen her
ausgegeben, daß die Kommune» über den Satz der
Unterstützung bei Erwerbslosigkeit hinaus keine Extra
unterstützung gewähren dürfen. Wenn nun die Kom
munen keine Extraunterstützungen gewähren dürfen, kann
Dezember 1926. 1057
sie aber niemand davon abhalten, denjenigen, die in
Not geraten sind, in der größten Not irgendeine Extra-
unterstützung zu gewähren, sei es in Kleidung, sei es in
Kohle, sei es in sonst irgend etwas. Meine Damen und
Herren, deshalb haben wir gesagt, es muß die Not
aktion in verstärktem Maße fortgesetzt werden. Wir
haben uns im Ausschuß dafür eingesetzt, daß zunächst
5 Millionen Mark bereitgestellt iverden müssen. Wir haben
genau so gesagt, zuerst 5 Millionen, wie wir im ver
gangenen Jahre gesagt haben, wir wollen zunächst 10
Millionen haben. Wir haben dabei betont, wir geben uns
weder mit den 10 Millionen noch gilt den weiteren 15
Millionen zufrieden, sondern wir werden bei 'geeigneter
Gelegenheit dem Magistrat sagen: die Mittel, die für
die Notaktion zur Verfügung gestellt sind, reichen nicht
aus, die Notaktion muß weiter durchgeführt werden,
es müssen neue und weitere Mittel zur Verfügung ge
stellt werden. Und bei dieser Gelegenheit möchte ich den
jenigen Herren sagen, die zn Dezernenten berufen sind,
die berufen sind, die Mittel für diese Notaktion zu 'be
schaffen, daß es so viele Mittelchen gibt, um neue Steuern
eintreiben zu können. Ich habe bereits im Ausschuß
einige Andeutungen gemacht und bin gerne bereit, betn
Herrn Käm'merer, der ja einen Teil meiner Vorschläge
gehört hat, die ich im Ausschuß machte, diese schriftlich
zu unterbreiten, damit er einmal nachsinnen kann, ob
auf diesem Wege nicht Mittel herbeigeschafft Iverden
können.
Meine Damen und Herren, es ist für mich eine be
sondere Freude, hier heute abend zu dem Antrag der
Sozialdemokratischen Partei sprechen und ihn begründen
zu können, weil ja in demselben Moment in den Mauern
Berlins der Kongreß der Erwerbslosen tagt. Dieser
Kongreß der Erwerbslosen soll die Möglichkeit haben,
zn dem Programm, wie es die freie Gewerkschaft, die
Sozialdemokratische Partei in Berlin aufgestöllt haben,
Stellung zu nehmen, zu dem, ivas wir seit Jahren hier in
der Kommune Berlin vertreten haben, ob wir etwas
Rechtes oder Unrechtes vertreten haben, ob wir versucht
haben, irgend etwas zu machen.
Wir könnten vielleicht ans manchem Gebiet weiter,
viel weiter sein, wenn wir leider nicht damit rechnen
müßten, daß immer noch Richtungen vorhanden sind, die
sich nicht gegenseitig verstehen »vollen. Aber ich glaube,
es wird doch bald die Zeit kommen, wo sich auch die
Teile gegenseitig verstehen. Dann wird auch manche
Frage, die hier erörtert werden muß, > die zurückgestellt
wird und die von manchen als Agitationsmittel ausge
nutzt wird, ihre Erledigung finden, und wir werden sach
lich arbeiten und ernste Arbeit leisten können.
Wir haben nun weiter verlangt, daß eine Fürsorge
für die arbeitende Jugend und bessere Maßnahmen für
die Jugend durchgeführt werden müssen, Es handelt sich
um eine verbesserte Jugendfürsorge, namentlich um die
Jugendlichen im Alter von 14—15 Jahren. Jeder Vater,
und wo kein Vater mehr vorhanden ist, die Mutter oder
der Vormund bemühen sich krampfhaft, wenn der Sohn
oder die Tochter die Schule verläßt, für den Sohn oder
die Tochter eine geeignete Lehrstelle zu beschaffen. Die
Lehrherren nehmen diese Jungen und Mädchen au. Sie
versuchen, sie auszubilden. Die Ausbildung ist manchmal
sehr primitiv, an anderer Stelle ist sie überhaupt nicht
als Ansbildnugsgang zu betrachten. Wenn nun die
Kinder 3 oder 4 Jahre dort bei solch einem Lehrherrn
gewesen sind, werden sie entlassen. Sie sind Wochen,
Monate, ja Jahre arbeitslos. Kein anderer Arbeitgeber
will sie wieder einstellen, und die Kinder haben dann
umsonst 3 oder 4 Jahre gelernt. Hier muß die Stadt
Berlin einen besondern Schutz für diese Jugendlichen ein
führen, und es muß versucht werden, zuerst für diejenigen,
die keine Arbeitsstelle, keine Lehrstelle bekommen, einen
verlängerten Schulunterricht durchzuführen. Man läßt
die Kinder vielleicht ein Jahr länger zur Schule gehen.
Die andern, die sich eignen, müssen in geeigneten Berufs-
Werkstätten, die von der Stadt Berlin zu errichten sind,
untergebracht werden, um sie auf diese Weise der Straße