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Volume Sitzung 40, 2. Dezember 1926

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1926 (Public Domain)

Sitzung am 2. 
Wir haben baun weiter im Antrage gesagt, daß auch 
eine Beschäftignngsmöglichkeit für weibliche Arbeiter ge 
schaffen werden muß. Ein sehr großer Teil von Ar 
beiterinnen, seien es JndustriMrbeiteriunen oder feien es 
Arbeiterinnen, die als Angestellte beschäftigt waren, kann 
heilte gar nicht mehr mit der Möglichkeit rechnen, lvieder 
in einem Betriebe untergebracht p werden. Deshalb 
haben ivir gesagt, muß der Magistrat als größter Ar 
beitgeber auch dafür sorgen, irgendwie nach dieser Richtung 
hlit die Not z» lindern und versuchen, erst mal in feinen 
eigenen Anstalten die Wäsche aufzufrischen und neue Be 
kleidung zu schaffen, hierdurch werden neue Möglichkeiten 
zur Beschäftigung erschlossen. Die Schutzkleidungen, die 
in den Werken für die Pflegerinnen und sonstwie in 
Anstalten benötigt werden, alle Sachen, die benötigt 
weiden, feien es Hemden, Kittel, Höfen oder dergleichen, 
müssen erneuert werden. Es sieht heute in den einzelnen 
Anstalten sehr trostlos aus. Wenn auch hier Mittel und 
Wege gefunden würden, könnte ein ganz großer Teil 
von Arbeitslosen Beschäftigung finden. Der Ausschuß 
hat einen Antrag angenotnuie», daß die Berliner An- 
schafflingswerkstätten erweitert werben sollen. Es sollen 
dort unter sachkundiger Leitung Arbeiterinnen ausgebildet 
werden, die noch' nicht als Schneiderinn»» gearbeitet 
haben, um dann ans diese Art und Weise die Möglichkeit 
zu schaffen, auch für arbeitslose Arbeiterinnen eine ge 
eignete Arbeitsstelle zu finde». 
Dann ist in unserm Antrage weiter gesagt, daß zur 
Linderung der Not der Angestellten die Zeithilfen beim 
Magistrat grundsätzlich beseitigt werden sollen und daß 
vor allen Dingen der Magistrat darauf 'Geivicht legen 
muß, daß das Ueberstundenwesen eingeschränkt wird. 
(Zuruf bei den Kommunisten: Beseitigt, nicht ein 
geschränkt!) 
Meine Damen und Herren, und besonders meine Herren 
vom Magistrat! Die ganze Öffentlichkeit beschäftigt sich 
feit 14 Tagen und länger mit der Frage, ob nicht die 
Möglichkeit besteht, die Arbeitszeit wesentlich zu verkürzen, 
ob nicht die Möglichkeit besteht, die 8-stündige Arbeitszeit 
wieder in den Betrieben einzuführen, 
(Stadtv. Päeth: Haben ivir ja!) 
Ja, Sie haben sie ja, Herr Kollege Paeth. Aber bei 
der Stadt Berlin werden so viele Üeberstunden gemacht, 
ob mit Wissen der Herren Sachwalter oder ohne 
Wissen, das will ich hier im Moment nicht untersuchen. 
Ich möchte aber hier die dringende Bitte aussprechen, 
daß die Herren vom Magistrat sich befleißigen möchten, 
darauf zu sehen, daß keinerlei Ueberarbeit mehr in den 
städtischen Betrieben geleistet wird. Und besonders möchte 
ich Sie bitten, meine Herren vom Magistrat, namentlich 
den Herrn Magistratsvertreter Reuter, bei der Straßen 
bahn, bei der Nord-Süd-Bahn und bei der Omnibns- 
gesellschaft dahin zn wirken - - Herr Kollege Reuter, 
in Ihrer Eigenschaft als Stadtrat der Stadt Berlin —, 
daß dort die Arbeitszeit auf 8 Stunden herabgesetzt wird. 
(Zuruf des Stadtv, Paeth.) 
Meine Damen und Herren, wir kommen dann zn 
dem andern Kapitel, zur Fortsetzung der Notaktion, 
Die Notaktion, die wir vor einem Jahr, ungefähr im 
November, beschlossen hatten, muß durchgeführt werben. 
Sie muß erweitert werden, weil ja die Arbeitslosigkeit 
nicht herabgemindert, sondern weil sie in den letzten 
Wochen in Berlin weiter zugenommen hat. Damit sind 
Not und Elend größer geworden. Deshalb muß die 
Notaktion, lvie ivir sie im Jahre 1925 eingeleitet haben, 
nicht im verminderten, sondern im verstärkten Maßstabe 
durchgeführt werden. Wenn wir auch nicht hier in dieser 
Stadtverordnetenversammlung die Arbeitslosen so unter 
stützen können, wie wir es gerne wollten, da im Moment 
gesetzliche Bindungen vorliegen, so muß doch etwas ge 
schehen, Der Reichsarbeitsminister hat Anweisungen her 
ausgegeben, daß die Kommune» über den Satz der 
Unterstützung bei Erwerbslosigkeit hinaus keine Extra 
unterstützung gewähren dürfen. Wenn nun die Kom 
munen keine Extraunterstützungen gewähren dürfen, kann 
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sie aber niemand davon abhalten, denjenigen, die in 
Not geraten sind, in der größten Not irgendeine Extra- 
unterstützung zu gewähren, sei es in Kleidung, sei es in 
Kohle, sei es in sonst irgend etwas. Meine Damen und 
Herren, deshalb haben wir gesagt, es muß die Not 
aktion in verstärktem Maße fortgesetzt werden. Wir 
haben uns im Ausschuß dafür eingesetzt, daß zunächst 
5 Millionen Mark bereitgestellt iverden müssen. Wir haben 
genau so gesagt, zuerst 5 Millionen, wie wir im ver 
gangenen Jahre gesagt haben, wir wollen zunächst 10 
Millionen haben. Wir haben dabei betont, wir geben uns 
weder mit den 10 Millionen noch gilt den weiteren 15 
Millionen zufrieden, sondern wir werden bei 'geeigneter 
Gelegenheit dem Magistrat sagen: die Mittel, die für 
die Notaktion zur Verfügung gestellt sind, reichen nicht 
aus, die Notaktion muß weiter durchgeführt werden, 
es müssen neue und weitere Mittel zur Verfügung ge 
stellt werden. Und bei dieser Gelegenheit möchte ich den 
jenigen Herren sagen, die zn Dezernenten berufen sind, 
die berufen sind, die Mittel für diese Notaktion zu 'be 
schaffen, daß es so viele Mittelchen gibt, um neue Steuern 
eintreiben zu können. Ich habe bereits im Ausschuß 
einige Andeutungen gemacht und bin gerne bereit, betn 
Herrn Käm'merer, der ja einen Teil meiner Vorschläge 
gehört hat, die ich im Ausschuß machte, diese schriftlich 
zu unterbreiten, damit er einmal nachsinnen kann, ob 
auf diesem Wege nicht Mittel herbeigeschafft Iverden 
können. 
Meine Damen und Herren, es ist für mich eine be 
sondere Freude, hier heute abend zu dem Antrag der 
Sozialdemokratischen Partei sprechen und ihn begründen 
zu können, weil ja in demselben Moment in den Mauern 
Berlins der Kongreß der Erwerbslosen tagt. Dieser 
Kongreß der Erwerbslosen soll die Möglichkeit haben, 
zn dem Programm, wie es die freie Gewerkschaft, die 
Sozialdemokratische Partei in Berlin aufgestöllt haben, 
Stellung zu nehmen, zu dem, ivas wir seit Jahren hier in 
der Kommune Berlin vertreten haben, ob wir etwas 
Rechtes oder Unrechtes vertreten haben, ob wir versucht 
haben, irgend etwas zu machen. 
Wir könnten vielleicht ans manchem Gebiet weiter, 
viel weiter sein, wenn wir leider nicht damit rechnen 
müßten, daß immer noch Richtungen vorhanden sind, die 
sich nicht gegenseitig verstehen »vollen. Aber ich glaube, 
es wird doch bald die Zeit kommen, wo sich auch die 
Teile gegenseitig verstehen. Dann wird auch manche 
Frage, die hier erörtert werden muß, > die zurückgestellt 
wird und die von manchen als Agitationsmittel ausge 
nutzt wird, ihre Erledigung finden, und wir werden sach 
lich arbeiten und ernste Arbeit leisten können. 
Wir haben nun weiter verlangt, daß eine Fürsorge 
für die arbeitende Jugend und bessere Maßnahmen für 
die Jugend durchgeführt werden müssen, Es handelt sich 
um eine verbesserte Jugendfürsorge, namentlich um die 
Jugendlichen im Alter von 14—15 Jahren. Jeder Vater, 
und wo kein Vater mehr vorhanden ist, die Mutter oder 
der Vormund bemühen sich krampfhaft, wenn der Sohn 
oder die Tochter die Schule verläßt, für den Sohn oder 
die Tochter eine geeignete Lehrstelle zu beschaffen. Die 
Lehrherren nehmen diese Jungen und Mädchen au. Sie 
versuchen, sie auszubilden. Die Ausbildung ist manchmal 
sehr primitiv, an anderer Stelle ist sie überhaupt nicht 
als Ansbildnugsgang zu betrachten. Wenn nun die 
Kinder 3 oder 4 Jahre dort bei solch einem Lehrherrn 
gewesen sind, werden sie entlassen. Sie sind Wochen, 
Monate, ja Jahre arbeitslos. Kein anderer Arbeitgeber 
will sie wieder einstellen, und die Kinder haben dann 
umsonst 3 oder 4 Jahre gelernt. Hier muß die Stadt 
Berlin einen besondern Schutz für diese Jugendlichen ein 
führen, und es muß versucht werden, zuerst für diejenigen, 
die keine Arbeitsstelle, keine Lehrstelle bekommen, einen 
verlängerten Schulunterricht durchzuführen. Man läßt 
die Kinder vielleicht ein Jahr länger zur Schule gehen. 
Die andern, die sich eignen, müssen in geeigneten Berufs- 
Werkstätten, die von der Stadt Berlin zu errichten sind, 
untergebracht werden, um sie auf diese Weise der Straße
	        
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