Sitzung am 25,
erklärt, er hatte in genügender Weise dem betreffenden
Lehrer einen Rüffel erteilt. Neulich ist wieder festgestellt
worden, das; ein Lehrer einen Schüler blutig geschlagen
hat. Er ist sofort abberufen worden. Natürlich aber ist
damit nicht geholfen. Was in den höheren Schulen
nicht gemacht werden darf, das dürfte man doch erst recht
in der Berufsschule auch nicht machen. Oder wissen die
Herren etwa nicht, in welcher Lage sich unsere Jung
arbeiter befinden? Unsere Jungarbeiter wissen genau,
das; sie von der kapitalistischen Gesellschaft ausgebeutet
werden.
(Zuruf rechts: Von der Berufsschule!)
Sie luiffcit ganz genau, ivas sie zu tun haben, meint sie
erst entlassen find. Man muß andere Maßnahmen er
greifen, als mit Prügel diese Auflehnung gegen ein
System unterdrücken zu wollen. Selbstverständlich, wenn
die Polizei auf den Straßen Berlins die Arbeiter prügelt
und wenn es üblich ist, im Rathause die Vertreter der
Stadtverordnetenversammlung mit dem Gummiknüppel
zu prügeln, dann darf man sich nicht wundern, wenn
die Lehrer an den Fortbildungsschulen auch für sich das
Recht in Anspruch nehmen, die Schüler ztt verprügeln.
Aber die Elternschaft und die Arbeiterschaft Wird sich
dagegen zu wehren wissen, wenn der Magistrat nicht in
der Lage ist oder wenn der Magistrat, wie wir heute
gehört haben, gar nicht gewillt ist, Abhilfe zu schaffen.
Ich Will neben diesem einen Falle auch noch andere
Lehrer nennen, die sich der Herr Schulrat vielleicht mer
ken wird. Diese üben auch die körperliche Züchtigung
aus ohne jeden triftigen Grund. Wenn man eine öffent
liche Anfrage stellen würde oder wenn von irgendeiner
Stelle aus der Magistrat eine Anfrage an die Eltern und
Schüler richten würde, ich glaube, dem Magistrat würden
die Haare zu Berge stehen, was er für Mitteilungen er
halten Würde über die Züchtigungen, wie sie in den
Fortbildungsschulen üblich sind. Wir werden uns natür
lich vorbehalten, in einer der nächsten Versammlungen
hier einen Antrag ztt stellen, daß die Stadtverordneten
versammlung Maßnahmen trifft, um zu unterbinden, was
der Magistrat anscheinend noch billigt. Wir wissen ganz
genau, das; das Reichsgericht durch Entscheidung das
Züchtigungsrecht zitgebilligt hat. Das ist aber kein Grund
für den Magistrat, nun den Lehrern das Züchtigungsrecht
zuzugestehen.
Dieselbe Geschichte, wie mit den Prügeleien, zeigt sich
bei den Arreststrafen. Die Arreststrafen wurden uns
seinerzeit von der Verwaltung als Ausnahmen hinge
stellt. Doch sie bilden keine Ausnahme mehr, sondern sie
bilden die Regel. Um jede Lappalie wird eine Arrest
strafe verhängt. Wenn der Herr Stadtschulrat hier sagte,
daß die Arreststrafe, die in der 9. Berufsschule über
eilte Schülerin verhängt wurde, nicht zur Ausführung
gekommen ist, dann hätte ich erwartet, daß er auch
gesagt hätte, warum dies nicht geschehen ist, nämlich
deshalb nicht, weil der Vater sich energisch dagegen ver
wachte und weil wir uns in der Deputation auch dagegen
verwahrt hatten. Hätten wir und der Vater die Sache
ihren Lauf gehen lassen, dann hätte man die Arreststrafe
ohne weiteres vollzogen.
Wenn Sie mit dem Kopf schütteln, Herr Professor
Helmcke, daun werde ich Ihnen sofort den Fall bringen.
Sie haben damals gesagt, Sie wissen von den Fällen
nichts, die wir hier vorbringen. Der Fall, in dem die
Arreststrafe über die Schülerin verhängt war, hatte
folgenden Grund: Die Lehrerin hatte die Schülerin be
auftragt, eilte Etatsaufstellnug zu machen über den Haus
halt der Mutter. Als aber am anderen Tage die Schü
lerin die Etatsaufstellnug nicht brachte, fragte die Leh
rerin, warum sie sie nicht brachte. Da sagte die Schü
lerin: Mit den paar Groschen, die Vater und Mutter
verdienen, brauche ich nicht erst einen Etat aufzustellen,
da gehe ich einholen mit Mutter und da ist die Ge
schichte erledigt. Das war das ungebührliche Betragen,
weshalb die Schülerin mit zwei Stunden Arrest bestraft
Worden ist. Die Mitteilung ist nicht nur an den Vater
November 1926. 1005
ergangen, sondern auch an den Arbeitnehmer, trotzdem
die Tochter nicht mehr im Lehrverhältnis stand, anschei
nend als Argumentation, um dem Arbeitgeber zu zeigen,
daß die betreffende Schülerin nicht ganz einwandfrei ist.
Das ist das System, was wir bekämpft haben damals
bei diesem Ortsgesetz, das sich jetzt hier ausgewirkt hat.
Man hat natürlicherweise davon Abstand genommen,
weil wir zugegriffen haben.
Ein anderer Fall, der ebenso drastisch ist und der
uns gleichzeitig zeigt, in welcher Weise die Arrestzeit
ausgenutzt wird, hat sich ebenfalls kürzlich in der 9. Be
rufsschule zugetragen. Da ist eine Direktorin, die eilte
Feindin des Bubikopfes ist. Die kann nicht leiden,
daß junge Mädchen einen Bubikopf tragen, und als
nun kürzlich eine Schülerin im Bubikopf von der Kino
vorstellung kam, da macht sie beleidigende Bemerkungen
über diese Schülerin zu anderen Schülerinnen. Die
Schülerin ist darüber empört und verbittet sich diese
Beleidigung. Was macht die Direktorin? Sie wird tät
lich, und als die Schülerin tut Bewußtsein ihres Rechtes
sich widersetzt, bekommt sie sofort 2y 2 Stunden Arrest
aufgebrummt — und auch dem Arbeitgeber wird dies
mitgeteilt —, weil sie die Beleidigung, der Bubikopf sei
unzüchtig, nicht hinnehmen wollte.
(Hört, hört!)
In den Arreststunden wird ihr nun eine interessante
Beschäftigung aufgegeben. Sic bekommt nämlich die Auf
gabe, in den Arreststunden über „Haltung und Beneh
men" etwas abzuschreiben, und zwar b% Seiten laug.
Ich nehme nur die merkwürdigsten Stellen heraus, damit
man im Hanse hier sieht, in Welchem Geiste die jungen
Mädchen erzogen werden.
Es heißt da zunächst, daß die Schülerin einen „an
ständigen Gebrauch von ihren Gliedern zu machen habe."
(Heiterkeit links.)
Das erfordert der „natürliche Anstand und die sittsame
Jungfräulichkeit, diese schönen Eigenschaften des weiblichen
Geschlechts". So heißt es in der Einleitung des Auf
satzes, den die Schülerin abschreiben muß.
• Dann heißt es weiter: „Mau hat darauf zu achten
— die Jungfrau nämlich —, daß beim Stehen die Füße
nicht breit auseinander stehen, sondern an den Fersen
geschlossen gehalten werden." Also, inan erzieht die
Jungfrau dazu, das; sie vielleicht nicht durch auffallende
Haltung den Eindruck erweckt, daß sie keine Jungfrau
mehr - feilt sollte. Das scheint die Direktorin-Gonver-
nante so anzusehen.
Weiter heißt es in dem Dokument: „Der Mensch
ist das einzige Geschöpf, welches als Ebenbild Gottes das
Haupt aufwärts gerichtet, nach oben schauend, trügt." —
Da hätte eigentlich die Direktorin weiter diktieren müssen:
Es gibt mich Tiere, die ihr Haupt nach oben tragen.
Ich will nur die Affen nennen. Die Schülerinnen sollen
ihr Haupt nach oben richten, aber vorsichtig, nicht zu
weit nach oben. Denn es heißt weiter: „Man lasse
dementsprechend mich nicht mißvergnügt nach unten
schauend den Kopf hängen, aber man halte ihn mich
nicht zu steif nach oben." — Auch diese Anstandsregeln
mußte die Schülerin abschreiben, um sie sich einzuprägen.
Da die Religion in den Fortbildungsschulen noch nicht
eingeführt ist, nimmt man als Ersatz solche Austnnds-
regelu, um den Kindern Religion beizubringen.
Weiterhin wird noch eine Belehrung über das
Grüßen gegeben: „Allerdings müssen auch die Personen,
welche man grüßt, nach ihrem Range berücksichtigt wer
den,"
(Bei den Kommunisten: Hört, hört!)
und man differenziert 1. höherstehende Personen, 2. gleich
gestellte Personen und 3. untergeordnete Personen.
(Lachen links.)
Die höherstehenden Personen müssen „achtungsvoll" und
„sehr ehrerbietig" gegrüßt werden,
(Hört, hört!)