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Volume Sitzung 39, 25. November 1926

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1926 (Public Domain)

Sitzung am 25, 
erklärt, er hatte in genügender Weise dem betreffenden 
Lehrer einen Rüffel erteilt. Neulich ist wieder festgestellt 
worden, das; ein Lehrer einen Schüler blutig geschlagen 
hat. Er ist sofort abberufen worden. Natürlich aber ist 
damit nicht geholfen. Was in den höheren Schulen 
nicht gemacht werden darf, das dürfte man doch erst recht 
in der Berufsschule auch nicht machen. Oder wissen die 
Herren etwa nicht, in welcher Lage sich unsere Jung 
arbeiter befinden? Unsere Jungarbeiter wissen genau, 
das; sie von der kapitalistischen Gesellschaft ausgebeutet 
werden. 
(Zuruf rechts: Von der Berufsschule!) 
Sie luiffcit ganz genau, ivas sie zu tun haben, meint sie 
erst entlassen find. Man muß andere Maßnahmen er 
greifen, als mit Prügel diese Auflehnung gegen ein 
System unterdrücken zu wollen. Selbstverständlich, wenn 
die Polizei auf den Straßen Berlins die Arbeiter prügelt 
und wenn es üblich ist, im Rathause die Vertreter der 
Stadtverordnetenversammlung mit dem Gummiknüppel 
zu prügeln, dann darf man sich nicht wundern, wenn 
die Lehrer an den Fortbildungsschulen auch für sich das 
Recht in Anspruch nehmen, die Schüler ztt verprügeln. 
Aber die Elternschaft und die Arbeiterschaft Wird sich 
dagegen zu wehren wissen, wenn der Magistrat nicht in 
der Lage ist oder wenn der Magistrat, wie wir heute 
gehört haben, gar nicht gewillt ist, Abhilfe zu schaffen. 
Ich Will neben diesem einen Falle auch noch andere 
Lehrer nennen, die sich der Herr Schulrat vielleicht mer 
ken wird. Diese üben auch die körperliche Züchtigung 
aus ohne jeden triftigen Grund. Wenn man eine öffent 
liche Anfrage stellen würde oder wenn von irgendeiner 
Stelle aus der Magistrat eine Anfrage an die Eltern und 
Schüler richten würde, ich glaube, dem Magistrat würden 
die Haare zu Berge stehen, was er für Mitteilungen er 
halten Würde über die Züchtigungen, wie sie in den 
Fortbildungsschulen üblich sind. Wir werden uns natür 
lich vorbehalten, in einer der nächsten Versammlungen 
hier einen Antrag ztt stellen, daß die Stadtverordneten 
versammlung Maßnahmen trifft, um zu unterbinden, was 
der Magistrat anscheinend noch billigt. Wir wissen ganz 
genau, das; das Reichsgericht durch Entscheidung das 
Züchtigungsrecht zitgebilligt hat. Das ist aber kein Grund 
für den Magistrat, nun den Lehrern das Züchtigungsrecht 
zuzugestehen. 
Dieselbe Geschichte, wie mit den Prügeleien, zeigt sich 
bei den Arreststrafen. Die Arreststrafen wurden uns 
seinerzeit von der Verwaltung als Ausnahmen hinge 
stellt. Doch sie bilden keine Ausnahme mehr, sondern sie 
bilden die Regel. Um jede Lappalie wird eine Arrest 
strafe verhängt. Wenn der Herr Stadtschulrat hier sagte, 
daß die Arreststrafe, die in der 9. Berufsschule über 
eilte Schülerin verhängt wurde, nicht zur Ausführung 
gekommen ist, dann hätte ich erwartet, daß er auch 
gesagt hätte, warum dies nicht geschehen ist, nämlich 
deshalb nicht, weil der Vater sich energisch dagegen ver 
wachte und weil wir uns in der Deputation auch dagegen 
verwahrt hatten. Hätten wir und der Vater die Sache 
ihren Lauf gehen lassen, dann hätte man die Arreststrafe 
ohne weiteres vollzogen. 
Wenn Sie mit dem Kopf schütteln, Herr Professor 
Helmcke, daun werde ich Ihnen sofort den Fall bringen. 
Sie haben damals gesagt, Sie wissen von den Fällen 
nichts, die wir hier vorbringen. Der Fall, in dem die 
Arreststrafe über die Schülerin verhängt war, hatte 
folgenden Grund: Die Lehrerin hatte die Schülerin be 
auftragt, eilte Etatsaufstellnug zu machen über den Haus 
halt der Mutter. Als aber am anderen Tage die Schü 
lerin die Etatsaufstellnug nicht brachte, fragte die Leh 
rerin, warum sie sie nicht brachte. Da sagte die Schü 
lerin: Mit den paar Groschen, die Vater und Mutter 
verdienen, brauche ich nicht erst einen Etat aufzustellen, 
da gehe ich einholen mit Mutter und da ist die Ge 
schichte erledigt. Das war das ungebührliche Betragen, 
weshalb die Schülerin mit zwei Stunden Arrest bestraft 
Worden ist. Die Mitteilung ist nicht nur an den Vater 
November 1926. 1005 
ergangen, sondern auch an den Arbeitnehmer, trotzdem 
die Tochter nicht mehr im Lehrverhältnis stand, anschei 
nend als Argumentation, um dem Arbeitgeber zu zeigen, 
daß die betreffende Schülerin nicht ganz einwandfrei ist. 
Das ist das System, was wir bekämpft haben damals 
bei diesem Ortsgesetz, das sich jetzt hier ausgewirkt hat. 
Man hat natürlicherweise davon Abstand genommen, 
weil wir zugegriffen haben. 
Ein anderer Fall, der ebenso drastisch ist und der 
uns gleichzeitig zeigt, in welcher Weise die Arrestzeit 
ausgenutzt wird, hat sich ebenfalls kürzlich in der 9. Be 
rufsschule zugetragen. Da ist eine Direktorin, die eilte 
Feindin des Bubikopfes ist. Die kann nicht leiden, 
daß junge Mädchen einen Bubikopf tragen, und als 
nun kürzlich eine Schülerin im Bubikopf von der Kino 
vorstellung kam, da macht sie beleidigende Bemerkungen 
über diese Schülerin zu anderen Schülerinnen. Die 
Schülerin ist darüber empört und verbittet sich diese 
Beleidigung. Was macht die Direktorin? Sie wird tät 
lich, und als die Schülerin tut Bewußtsein ihres Rechtes 
sich widersetzt, bekommt sie sofort 2y 2 Stunden Arrest 
aufgebrummt — und auch dem Arbeitgeber wird dies 
mitgeteilt —, weil sie die Beleidigung, der Bubikopf sei 
unzüchtig, nicht hinnehmen wollte. 
(Hört, hört!) 
In den Arreststunden wird ihr nun eine interessante 
Beschäftigung aufgegeben. Sic bekommt nämlich die Auf 
gabe, in den Arreststunden über „Haltung und Beneh 
men" etwas abzuschreiben, und zwar b% Seiten laug. 
Ich nehme nur die merkwürdigsten Stellen heraus, damit 
man im Hanse hier sieht, in Welchem Geiste die jungen 
Mädchen erzogen werden. 
Es heißt da zunächst, daß die Schülerin einen „an 
ständigen Gebrauch von ihren Gliedern zu machen habe." 
(Heiterkeit links.) 
Das erfordert der „natürliche Anstand und die sittsame 
Jungfräulichkeit, diese schönen Eigenschaften des weiblichen 
Geschlechts". So heißt es in der Einleitung des Auf 
satzes, den die Schülerin abschreiben muß. 
• Dann heißt es weiter: „Mau hat darauf zu achten 
— die Jungfrau nämlich —, daß beim Stehen die Füße 
nicht breit auseinander stehen, sondern an den Fersen 
geschlossen gehalten werden." Also, inan erzieht die 
Jungfrau dazu, das; sie vielleicht nicht durch auffallende 
Haltung den Eindruck erweckt, daß sie keine Jungfrau 
mehr - feilt sollte. Das scheint die Direktorin-Gonver- 
nante so anzusehen. 
Weiter heißt es in dem Dokument: „Der Mensch 
ist das einzige Geschöpf, welches als Ebenbild Gottes das 
Haupt aufwärts gerichtet, nach oben schauend, trügt." — 
Da hätte eigentlich die Direktorin weiter diktieren müssen: 
Es gibt mich Tiere, die ihr Haupt nach oben tragen. 
Ich will nur die Affen nennen. Die Schülerinnen sollen 
ihr Haupt nach oben richten, aber vorsichtig, nicht zu 
weit nach oben. Denn es heißt weiter: „Man lasse 
dementsprechend mich nicht mißvergnügt nach unten 
schauend den Kopf hängen, aber man halte ihn mich 
nicht zu steif nach oben." — Auch diese Anstandsregeln 
mußte die Schülerin abschreiben, um sie sich einzuprägen. 
Da die Religion in den Fortbildungsschulen noch nicht 
eingeführt ist, nimmt man als Ersatz solche Austnnds- 
regelu, um den Kindern Religion beizubringen. 
Weiterhin wird noch eine Belehrung über das 
Grüßen gegeben: „Allerdings müssen auch die Personen, 
welche man grüßt, nach ihrem Range berücksichtigt wer 
den," 
(Bei den Kommunisten: Hört, hört!) 
und man differenziert 1. höherstehende Personen, 2. gleich 
gestellte Personen und 3. untergeordnete Personen. 
(Lachen links.) 
Die höherstehenden Personen müssen „achtungsvoll" und 
„sehr ehrerbietig" gegrüßt werden, 
(Hört, hört!)
	        
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