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Volume Sitzung (5.) 41., 15. Dezember 1925

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1925 (Public Domain)

816 Sitzung am 15. 
und auf der andern Seite bei 120 dl nur 45 Jl für 
das ganze Vierteljahr! 
(Zuruf links: Auch in Thüringen, wo Herr Günther 
regiert!) 
So ist es auch in der Stadt Berlin. Ich will einem 
andern Antrag nicht vorgreifen, aber wir wissen ja, daß 
die Herren Leiter unserer Sparkasse ausgerechnet zu 
ihrem hohen Gehalt, mit dem sie sehr gut leben können, 
noch Taufende von Mark Tantieme erhalten 
haben. Wie kommt eine besondere Beamtengruppe dazu, 
auf Kosten der Bevölkerung, hier gerade auf Kosten der 
Notleidenden, der Sparer, solche riesigen Verdienste in 
die Tasche zu stecken? 
Sie haben im vorigen Sommer die Gehälter des 
Herrn Oberbürgermeisters, des Herrn Kämmerers und, 
wenn ich nicht irre, auch des 2. Bürgermeisters u m 
Tausende von Mark erhöht. Ehe wir diese Ge 
hälter um Tausende von Mark hätten erhöhen sollen, 
hätte man erst den Beamten der niedrigsten Gruppen 
ein Paar Mark zulegen sollen. 
(Stabtb. Urich: Sie haben aber dafür gestimmt!) 
Nein, ich habe dagegen gestimmt, aber Sie, die Herren 
Sozialdemokraten, haben diese Gehälter im vorigen 
Sommer mit durchbringen helfen. 
(Zurufe bei den Sozialdemokraten.) 
Ich brauche Sie ja nur daran zu erinnern, meine Herren 
von der Sozialdemokratie, — wen es juckt, der 
kratze sich nur, und Sie verstehen das Kratzen ja ganz 
besonders, — daß Sie im vorigen Jahre im Reichstag, 
als Sie den Herren Ministern zu ihrem Gehalt von 
2000 dl monatlich 1000 dl zulegen halfen, als Sozial 
demokraten es fertig brachten, zu derselben Stunde — 
ich bin selbst Zeuge gewesen — den unteren Beamten 
sage und schreibe eineMarkdenMonat zulegten. 
Die Herren Kommunisten werden das ja bestätigen, 
denn sie sind in solchen Fällen ehrlicher als die Sozial 
demokraten. So haben Sie nicht nur hier, sondern auch 
in andern Städten gehandelt. In Halle haben Sie jetzt 
den: Oberbürgermeister zu einem Gehalt von 21 000 dl 
sogar 7000 dl zugelegt. 
(Zuruf des Stabtb. Urich.) 
Also, ich habe ja gar keine Veranlassung, mich mit 
Ihnen über Dinge zu streiten, die die Spatzen von den 
Dächern pfeifen.' 
(Zuruse bei den Sozialdemokraten.) 
Ich habe mich nur gefragt, und die Frage will ich hier 
mal beantworten, wie es kommt, daß Sie als Sozial 
demokraten solch einen Wahnsinn — in meinen Augen 
ist es einer — machen konnten. 
(Zuruf des Stabtb. Urich.) 
Da gibt es nur eine Antwort: Weil Sie damals schon 
daran dachten, daß vielleicht die große Koalition 
kommen könnte, und daß Ihre Leute wieder zu den 
vorher aufgefüllten Futterkrippen vor 
rücken können. 
(Lachen bei den Sozialdemokraten.) 
Ja, es ist sehr unangenehm, an solche Dinge erinnert 
zu werden, die Ihrem ganzen Programm, das Sie jahr 
zehntelang in der Oeffentlichkeit vertreten haben, ins 
Gesicht schlagen. Aber, es ist immer wieder einmal not 
wendig, daran zu erinnern, damit Sie selber und auch 
die Oeffentlichkeit es nicht vergessen. 
(Zuruf des Stadtv. Urich.) 
Ehe wir daran denken dürfen, heute den oberen und 
obersten Beamten auch nur einen Pfennig zu zahlen, 
haben wir erst die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, 
der großen Masse unserer untersten und mittleren Be 
amten ein auskömmliches Gehalt zu geben, denn letzten 
Endes baut sich auf deren Zuverlässigkeit und Treue, 
auf deren Pflichterfüllung unser ganzes Staatsivesen 
auf. Versagt dieser Beamtenapparat, so ist unser Staat 
erledigt. Ich kann es diesen Beamten gar nicht ver 
denken, wenn sie bei einer solchen schäbigen Behandlung, 
wie sie ihnen gerade in der deutschen Republik zuteil 
geworden ist, jede Lust und Liebe an diesem Staats 
wesen verlieren. Ich halte es für ganz selbstverständlich, 
daß ein solcher Beamtenkörper nicht mehr Pflichttreue 
haben kann, baß er innerlich morsch werden muß, daß da 
der Korruption Tor und Tür geöffnet wird. Gerade im 
Dezember 1925. 
Interesse unserer selbst liegt es, dafür zu sorgen, daß 
wir einen in sich gefestigten, berufs 
freudigen, treuen B e a m t e n st a n d h a b e n, 
und das ist nur möglich, wenn wir auch dafür sorgen, 
daß er vor äußer st er Not geschützt ist. Es 
ist möglich, es ist unbedingt möglich, die Mittel dafür 
auszubringen, wenn wir an anderen Dingen sparen. 
Wir haben es in dieser Stadtverordnetenversammlung 
oft genug erlebt, daß Sie bei anderen Gelegenheiten an 
die notwendige Sparsamkeit gar nicht dachten, indem Sie 
handelten wie Männer, die nicht im Elend stecken, 
sondern die glauben, einen gefüllten Geldsack vor sich 
zu haben. 
Das habe ich ja mit ansehen müssen, Sie haben 
den ganzen Haushaltsplan dieses Jahres angenommen, 
Sie, von der Sozialdemokratie. Ich brauche Sie nur 
daran zu erinnern, daß Sie 2 Millionen Unterstützung 
für ein Theater übrig hatten. 
(Stadtv. Flatau: Ihr Theater kriegen wir billiger!) 
Ich stehe auf dem Standpunkt, ehe man dafür sorgt, 
daß die Satten ins Theater gehen können, hat man 
dafür zu sorgen, daß die Hungrigen erst mal 
satt werden. 
(Zuruf des Stadtv. Urich.) 
Ich erinnere weiter daran, daß uns schon wieder 3 Mil 
lionen Mark aufgebürdet werden sollen, um ein Terrain 
zu erwerben, und zwar aus Fürstenhänden, damit der 
Verkehr in Berlin verbessert werden kann. Es ist eine 
gute Sache um die Verbesserung des Verkehrs, aber 
solange ich nicht satt bin, habe ich' nicht an den Verkehr, 
sondern zunächst einmal an den Hunger zu denken. W i r 
haben 3 Millionen Mark erst einmal zu 
nehmen, um alle diejenigen, die an dem 
Verkehr nicht teil nehmen können, satt 
zu machen. Das ist unsere Pflicht, wenn wir ein 
soziales Gewissen haben. 
Ich stelle weiter fest, daß die Mittel zur Hilfe für 
diejenigen, die heute so offenbar Not leiden, unbedingt 
aufgebracht werben könnten, wenn man an den Dingen 
sparte, wo ohne Gefahr für Leben und Gesundheit der 
Bevölkerung gespart werden kann. Erst kommt der 
Magen und dann alles andere. Das haben auch Sie 
früher gesagt, als Sie noch nicht selbst an der Futter 
krippe saßen. 
(Zurufe.) 
Wenn Sie es wünschen, werde ich Ihnen einmal die 
wundervollen Episteln, die Sie besonders vor Wahlen 
halten konnten, aus Ihrem „Vorwärts", aus der „Leip 
ziger Volkszeitung" und der „Chemnitzer Bolksstirnrne" 
vorlesen. Sie würden erschrecken, was Sie damals für 
Menschen gewesen sind, Sie würden Angst haben, daß 
Ihnen Ihre heutige weiße Weste als Lumpen vorn 
Bauche fällt. 
(Zuruf des Stadtv. Urich: Sie haben in Garde 
legen Ihre weiße Weste verschmutzt!) 
Das Brüllen verstehen Sie meisterhaft, Herr Urich, 
wenn Sie alles so gut verständen, wie das Brüllen, 
dann wären Sie heute schon Präsident der Republik! 
(Große Heiterkeit.) 
(Stadtv. Urich: In Gardelegen haben Sie alles 
weggefressen und -gesoffen!) 
Um die Sache kurz zu machen: Die Beamten leiden 
Not, so große Not, daß Ihnen geholfen werden muß. 
Mittel, ihnen zu helfen, könnten beschafft werden, 
(Stadtv. Flatau: Durch Ihre Rede aber nicht!) 
weitn eine vernünftige Wirtschaft geführt würde, wenn 
wir endlich einmal die unnötigen Ausgaben lassen 
wollten, wenn wir uns als Männer betrachteten, die 
verantwortlich sind für die Taschen derer, die uns ge 
wählt haben. Sie haben den neuen Haushaltsplan ge 
nehmigt ohne Rücksicht auf unsere Leistungsfähigkeit. 
Sie haben der Wirtschaft immer nur Steuern über 
Steuern aufgehalst, gerade Sie, die Sie vor Errichtung 
der Republik so furchtbar und zum Teil mit Recht 
gegen die indirekte Besteuerung gekämpft haben. Sie 
haben für die Annahme des Haushaltsplans gestimmt, 
trotzdem unsere Lasten von 180 Millionen vor dem 
Kriege, wo wir ein wohlhabendes Volk waren, auf 
540 Millionen in diesem Jahre des Elends vermehrt 
worden sind. Hier in dieser Versammlung hat der
	        
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