762 Sitzung am 26.
Es wird Ihnen doch Wohl klar sein, daß die Ver
mehrung der Arbeitslosen und die Erhöhung der Mittel,
die wir brauchen, um diese Arbeitslosen vor dem Ver
hungern zu schützen, immer wieder zum Teil auch
neue Lasten für die andern Arbeitenden bringen.
(Zurufe.)
Wenn Sie das nicht verstehen können, tut cs mir leid,
dann hat es auch gar keinen Zweck, daß Sie weiter
zuhören.
Es wird also für uns unbedingt notwendig feilt,
wenn wir wirklich Hilfe schaffen wollen und wenn es
Ihnen mit der Unterstützung der Arbeitslosen ernst ist,
die Gründe aufzudecken, die dauernd die Zahl
der Arbeitslosen verinehreu werden.
(Zurufe bei den Kommunisten: Jetzt kommt das
Manuskript von 1914!)
(Lachen.)
Ia, es ist außerordentlich bedauerli ch,
daß auch Sie jetzt lachen, wenn von der
Not der Arbeitslosen die Rede ist.
(Zurufe bei den KauMUnisten. — Große Unruhe.
— Glocke.)
Es ist das auch ein Beweis dafür, daß es Ihnen gar
nicht ernstlich darum zu tun ist, Abhilfe zu schaffen,
denn wenn cs Ihnen damit ernst wäre,
(Zurufe bei den Kommunisten.)
dann würden Sic endlich einmal die Mittel und Wege
ergreifen, die wirklich Rettung bringen können.
(Zurufe.)
Oft genug ist darüber bereits gesprochen worden. Aber
mich'soll Ihr Lachen durchaus nicht daran hindern, vor
der Oeffentlichkeit zu zeigen, wie wenig Sie wirklich
tun wollen, um eine Aenderung unserer traurigen Ver
hältnisse herbeizuführen. Ich werde mir trotzdem ge
statten, noch einmal den Finger auf die Wunde zu legen.
Nicht um Ihretwillen! Daß Sie nicht zu überzeugen sind,
weiß ich selbst, aber ich hoffe doch, daß dieses oder jenes
Wort in der Oeffentlichkeit endlich einmal Eindruck
machen kann, denn Sic werden es erleben, daß die Zeit
kommt, wo keine Hilfe mehr geschafft werden kann,
weil das Deutsche Reich vollständig bankerott ist.
(Zurufe. — Lärm. — Glocke.)
(Zurufe v. d. Tribüne.)
(Vorst.-Stellv. Fabian: Ich mache wiederholt
darauf aufmerksam, daß die Tribüne jede Bei
falls- oder Mißfallensäußerung zu unterlassen hat.
Ich bitte, das oben auf der Tribüne zu befolgen.
. Sie fördern durch Beifalls- oder Mißfallensänße-
rungen keineswegs die Arbeiten, sondern können sie
höchstens stören,' was nicht in Ihrem Interesse
liegen wird!)
(Zuruf: Wenn Kunze unter die Propheten geht!)
Ich komme also noch einmal darauf zurück, daß
von Ihrer Seite selbst zugegeben wird, daß die Arbeits
losenziffer von Woche zu Woche wächst.
(Zuruf: Das haben Sie schon zehnmal gesagt!)
Wenn ich mich nicht irre, wurde hier die Zahl 8000
für jede Woche genannt. Sie wächst aber nicht nur in
Berlin, sondern auch im ganzen Reiche, überall. Und
darum ist es notwendig, daß diejenigen, die ernstlich
über dieses Problem nachdenken wollen, sich mit den
wirklichen Ursachen beschäftigen.
Ich möchte mir zunächst gestatten, Ihnen einige
Zahlen zu nennen. Warum haben wir keine Arbeit?
Weil wir die Waren, die wir selbst erzeugen könnten
mit unsern Arbeitern, vom Auslande beziehen. Als ich
vor einigen Wochen in Dresden war, fiel mein Blick
auch in den Handelsteil einer großen Dresdner Zeitung.
Da las ich folgendes: „Unsere Kattun-Industrie geht
ihrem Ende entgegen, weil die Grossisten nicht mehr
bei den deutschen Fabriken bestellen, sondern in Amerika
ihre Aufträge tätigen." Warum? Weil die amerikanische
Ware, also Kattunwaren, trotz des Zolles von
100%, der auf diesen Waren liegt seil dem
neuesten S ch u tz z o l l g e s e tz, noch' 27% billiger
ist als die deutschen Kattunwaren.
(Zuruf bei den Kommunisten: Trotz niedriger
Löhne in Deutschland!)
November 1925.
Diese Tatsache trifft aber nicht nur auf diesen Teil der
deutschen Industrie zu, sondern auch auf jeden andern
Teil. Es ist ja dadurch bewiesen, daß wir im vorigen
Jahre für über 3 M i l l a r d e n G v l d m a r k
Einfuhrüberschuß gehabt haben, und daß wir
in diesem Jahre bis jetzt, soweit ich unterrichtet bin,
schon wieder über 3 Millarden Mark
Einfuhrüberschuß haben, daß also sämtliche deut
schen flüssigen Zahlungsmittel, die, wenn ich richtig
berichtet bin, nach dem lebten Reichsbanrausweis
5% Milliarden Mark betragen, gar nicht ausge
reicht hätten, diesen Einfuhrüberschuß
zu bezahlen. Man hat sich in unserm deutschen
Wirtschaftsleben bisher nur damit helfen können, daß
Man einen großen Teil dieser Waren durch kurz
fristige Kredite, durch Wechsellredite deckte, und
diese Wechsellredite lasten wie ein Damoklesschwert auf
der deutschen Wirtschaft und führen, wenn die Wechsel
nicht prolongiert werden, zu den dauernd zunehmenden
Konkursen und zu den dauernd zunehmenden Arbeiter-
entlassungen.
(Sehr richtig!)
Und darum wäre es nur angebracht, daß wir uns als
größte Gemeinde des Staates damit beschäftigten, wie
wir diese Ursachen des Zusammenbruchs unserer Wirt-
chaft — der wird unbedingt in absehbarer Zeit er-
olgen müssen — endlich einmal beseitigen können.
Ich habe hier schon vor einiger Zeit gesagt, daß die
Ursache nicht in den Arbeiterlöhnen liegen kann, weil es
nachgewiesen ist, d a ß i n A m e r i k a d i e A r b e i t e r-
löhne bereits dreimal so hoch sind als
in Deutschland. Ich habe damals, als wir uns
auch über die Arbeitslosigkeit unterhielten, darauf hin
gewiesen, daß der Hauptgrund — wenigstens einer der
Hauptgründe — der ist, daß das amerikanische Kapital
bei weitem billiger ist als das deutsche. Und solange
wir eben die kapitalistische Wirtschaft haben, — die
können Sie vorläufig nicht abschaffen — müssen wir
das in Rechnung stellen. Wenn der Amerikaner heute
noch — ich habe eben erst gestern die Zinssätze aus den
Zeitungen ersehen — im Durchschnitt 3—4% Zinsen
zu zahlen hat, während wir jetzt noch 18, 24 und 30%
Zinsen zahlen, dann kann die Ware in Deutschland
nicht billiger werden, denn diese Zinsen werden nicht
einmal auf die Ware gelegt, sondern werden sich jedes
mal bei dem Unternehmer, der mit der Fertigstellung
der Ware zu tun hat, auswirken. Da wir bei unserm
komplizierten Wirtschaftsbetriebe meistens 3,- 4 und
5 Stellen brauchen, ehe aus dem Rohstoff die Fertig
ware geworden ist, so wirken sich diese Zinsen nicht auf
24 oder 30%, sondern auf 100 und 120% aus.
Das ist der eine Grund, der immer wieder neue
Arbeitslosigkeit schafft. Und der zweite Grund sind die
geradezu wahnwitzigen staatsfeindlichen Stenern, die
auf unserer Wirtschaft ruhen, die drüben in Amerika und
auch in andern Ländern nicht vorhanden sind. Ich will
Ihnen wieder ein Beispiel bringen, das ich eben heute
aus der Zeitung entnommen habe: Die große Ma
schinenfabrik Humbold weist in ihrem Geschäftsbericht
nach, daß heute bei ihr auf der Tonne Erzeugnisse
30% Jt steuerliche Abgaben gegen 4% M
vor dem Kriege liegen.
Das ist der zweite Grund, der unsere Waren so
viel teurer macht als die des Auslandes. Und wenn
Sie eben nicht daran denken, diesen beiden Gründen auf
den Leib zu rücken, wenn Sie nicht durch Ihre Reichs-
tagsfraktioncn dahin wirken, daßderZins w n ch e r
in Deutschland endlich abgestellt w i r d,
daß diese wahnwitzige B e st e u e r u n g der
deutschen Wirtschaft aufhört, baun können
Sie jeden Monat hier mit Anträgen kommen, den Ar
beitslosen zu helfen, sie werden in absehbarer Zeit nicht
mehr imstande sein, ihnen zu helfen, weil nichts mehr
da ist, weil unsere Geldmittel, die wir doch brauchen,
um helfen zu können, samt und sonders nach dem Aus
lande abfließen werden; denn das einzige, was unsere
Regierung heute kennt, ist der Strohhalm, an den sie
sich klammert und mit dem sie untergehen wird: Kredite
und immer wieder Kredite.
Also, unsere Politik steht unter dem Schlagwort:
„Kredite". Das Dawesgutachten ist angenommen wor
den, um Kredite zu bekommen, der Locarnovertrag
soll wieder angenommen werden, um Kredite zu be-