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Volume Sitzung 2. (38.), 26. November 1925

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1925 (Public Domain)

762 Sitzung am 26. 
Es wird Ihnen doch Wohl klar sein, daß die Ver 
mehrung der Arbeitslosen und die Erhöhung der Mittel, 
die wir brauchen, um diese Arbeitslosen vor dem Ver 
hungern zu schützen, immer wieder zum Teil auch 
neue Lasten für die andern Arbeitenden bringen. 
(Zurufe.) 
Wenn Sie das nicht verstehen können, tut cs mir leid, 
dann hat es auch gar keinen Zweck, daß Sie weiter 
zuhören. 
Es wird also für uns unbedingt notwendig feilt, 
wenn wir wirklich Hilfe schaffen wollen und wenn es 
Ihnen mit der Unterstützung der Arbeitslosen ernst ist, 
die Gründe aufzudecken, die dauernd die Zahl 
der Arbeitslosen verinehreu werden. 
(Zurufe bei den Kommunisten: Jetzt kommt das 
Manuskript von 1914!) 
(Lachen.) 
Ia, es ist außerordentlich bedauerli ch, 
daß auch Sie jetzt lachen, wenn von der 
Not der Arbeitslosen die Rede ist. 
(Zurufe bei den KauMUnisten. — Große Unruhe. 
— Glocke.) 
Es ist das auch ein Beweis dafür, daß es Ihnen gar 
nicht ernstlich darum zu tun ist, Abhilfe zu schaffen, 
denn wenn cs Ihnen damit ernst wäre, 
(Zurufe bei den Kommunisten.) 
dann würden Sic endlich einmal die Mittel und Wege 
ergreifen, die wirklich Rettung bringen können. 
(Zurufe.) 
Oft genug ist darüber bereits gesprochen worden. Aber 
mich'soll Ihr Lachen durchaus nicht daran hindern, vor 
der Oeffentlichkeit zu zeigen, wie wenig Sie wirklich 
tun wollen, um eine Aenderung unserer traurigen Ver 
hältnisse herbeizuführen. Ich werde mir trotzdem ge 
statten, noch einmal den Finger auf die Wunde zu legen. 
Nicht um Ihretwillen! Daß Sie nicht zu überzeugen sind, 
weiß ich selbst, aber ich hoffe doch, daß dieses oder jenes 
Wort in der Oeffentlichkeit endlich einmal Eindruck 
machen kann, denn Sic werden es erleben, daß die Zeit 
kommt, wo keine Hilfe mehr geschafft werden kann, 
weil das Deutsche Reich vollständig bankerott ist. 
(Zurufe. — Lärm. — Glocke.) 
(Zurufe v. d. Tribüne.) 
(Vorst.-Stellv. Fabian: Ich mache wiederholt 
darauf aufmerksam, daß die Tribüne jede Bei 
falls- oder Mißfallensäußerung zu unterlassen hat. 
Ich bitte, das oben auf der Tribüne zu befolgen. 
. Sie fördern durch Beifalls- oder Mißfallensänße- 
rungen keineswegs die Arbeiten, sondern können sie 
höchstens stören,' was nicht in Ihrem Interesse 
liegen wird!) 
(Zuruf: Wenn Kunze unter die Propheten geht!) 
Ich komme also noch einmal darauf zurück, daß 
von Ihrer Seite selbst zugegeben wird, daß die Arbeits 
losenziffer von Woche zu Woche wächst. 
(Zuruf: Das haben Sie schon zehnmal gesagt!) 
Wenn ich mich nicht irre, wurde hier die Zahl 8000 
für jede Woche genannt. Sie wächst aber nicht nur in 
Berlin, sondern auch im ganzen Reiche, überall. Und 
darum ist es notwendig, daß diejenigen, die ernstlich 
über dieses Problem nachdenken wollen, sich mit den 
wirklichen Ursachen beschäftigen. 
Ich möchte mir zunächst gestatten, Ihnen einige 
Zahlen zu nennen. Warum haben wir keine Arbeit? 
Weil wir die Waren, die wir selbst erzeugen könnten 
mit unsern Arbeitern, vom Auslande beziehen. Als ich 
vor einigen Wochen in Dresden war, fiel mein Blick 
auch in den Handelsteil einer großen Dresdner Zeitung. 
Da las ich folgendes: „Unsere Kattun-Industrie geht 
ihrem Ende entgegen, weil die Grossisten nicht mehr 
bei den deutschen Fabriken bestellen, sondern in Amerika 
ihre Aufträge tätigen." Warum? Weil die amerikanische 
Ware, also Kattunwaren, trotz des Zolles von 
100%, der auf diesen Waren liegt seil dem 
neuesten S ch u tz z o l l g e s e tz, noch' 27% billiger 
ist als die deutschen Kattunwaren. 
(Zuruf bei den Kommunisten: Trotz niedriger 
Löhne in Deutschland!) 
November 1925. 
Diese Tatsache trifft aber nicht nur auf diesen Teil der 
deutschen Industrie zu, sondern auch auf jeden andern 
Teil. Es ist ja dadurch bewiesen, daß wir im vorigen 
Jahre für über 3 M i l l a r d e n G v l d m a r k 
Einfuhrüberschuß gehabt haben, und daß wir 
in diesem Jahre bis jetzt, soweit ich unterrichtet bin, 
schon wieder über 3 Millarden Mark 
Einfuhrüberschuß haben, daß also sämtliche deut 
schen flüssigen Zahlungsmittel, die, wenn ich richtig 
berichtet bin, nach dem lebten Reichsbanrausweis 
5% Milliarden Mark betragen, gar nicht ausge 
reicht hätten, diesen Einfuhrüberschuß 
zu bezahlen. Man hat sich in unserm deutschen 
Wirtschaftsleben bisher nur damit helfen können, daß 
Man einen großen Teil dieser Waren durch kurz 
fristige Kredite, durch Wechsellredite deckte, und 
diese Wechsellredite lasten wie ein Damoklesschwert auf 
der deutschen Wirtschaft und führen, wenn die Wechsel 
nicht prolongiert werden, zu den dauernd zunehmenden 
Konkursen und zu den dauernd zunehmenden Arbeiter- 
entlassungen. 
(Sehr richtig!) 
Und darum wäre es nur angebracht, daß wir uns als 
größte Gemeinde des Staates damit beschäftigten, wie 
wir diese Ursachen des Zusammenbruchs unserer Wirt- 
chaft — der wird unbedingt in absehbarer Zeit er- 
olgen müssen — endlich einmal beseitigen können. 
Ich habe hier schon vor einiger Zeit gesagt, daß die 
Ursache nicht in den Arbeiterlöhnen liegen kann, weil es 
nachgewiesen ist, d a ß i n A m e r i k a d i e A r b e i t e r- 
löhne bereits dreimal so hoch sind als 
in Deutschland. Ich habe damals, als wir uns 
auch über die Arbeitslosigkeit unterhielten, darauf hin 
gewiesen, daß der Hauptgrund — wenigstens einer der 
Hauptgründe — der ist, daß das amerikanische Kapital 
bei weitem billiger ist als das deutsche. Und solange 
wir eben die kapitalistische Wirtschaft haben, — die 
können Sie vorläufig nicht abschaffen — müssen wir 
das in Rechnung stellen. Wenn der Amerikaner heute 
noch — ich habe eben erst gestern die Zinssätze aus den 
Zeitungen ersehen — im Durchschnitt 3—4% Zinsen 
zu zahlen hat, während wir jetzt noch 18, 24 und 30% 
Zinsen zahlen, dann kann die Ware in Deutschland 
nicht billiger werden, denn diese Zinsen werden nicht 
einmal auf die Ware gelegt, sondern werden sich jedes 
mal bei dem Unternehmer, der mit der Fertigstellung 
der Ware zu tun hat, auswirken. Da wir bei unserm 
komplizierten Wirtschaftsbetriebe meistens 3,- 4 und 
5 Stellen brauchen, ehe aus dem Rohstoff die Fertig 
ware geworden ist, so wirken sich diese Zinsen nicht auf 
24 oder 30%, sondern auf 100 und 120% aus. 
Das ist der eine Grund, der immer wieder neue 
Arbeitslosigkeit schafft. Und der zweite Grund sind die 
geradezu wahnwitzigen staatsfeindlichen Stenern, die 
auf unserer Wirtschaft ruhen, die drüben in Amerika und 
auch in andern Ländern nicht vorhanden sind. Ich will 
Ihnen wieder ein Beispiel bringen, das ich eben heute 
aus der Zeitung entnommen habe: Die große Ma 
schinenfabrik Humbold weist in ihrem Geschäftsbericht 
nach, daß heute bei ihr auf der Tonne Erzeugnisse 
30% Jt steuerliche Abgaben gegen 4% M 
vor dem Kriege liegen. 
Das ist der zweite Grund, der unsere Waren so 
viel teurer macht als die des Auslandes. Und wenn 
Sie eben nicht daran denken, diesen beiden Gründen auf 
den Leib zu rücken, wenn Sie nicht durch Ihre Reichs- 
tagsfraktioncn dahin wirken, daßderZins w n ch e r 
in Deutschland endlich abgestellt w i r d, 
daß diese wahnwitzige B e st e u e r u n g der 
deutschen Wirtschaft aufhört, baun können 
Sie jeden Monat hier mit Anträgen kommen, den Ar 
beitslosen zu helfen, sie werden in absehbarer Zeit nicht 
mehr imstande sein, ihnen zu helfen, weil nichts mehr 
da ist, weil unsere Geldmittel, die wir doch brauchen, 
um helfen zu können, samt und sonders nach dem Aus 
lande abfließen werden; denn das einzige, was unsere 
Regierung heute kennt, ist der Strohhalm, an den sie 
sich klammert und mit dem sie untergehen wird: Kredite 
und immer wieder Kredite. 
Also, unsere Politik steht unter dem Schlagwort: 
„Kredite". Das Dawesgutachten ist angenommen wor 
den, um Kredite zu bekommen, der Locarnovertrag 
soll wieder angenommen werden, um Kredite zu be-
	        
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