660 Sitzung am 1.
Papier aüsnehmen, aber wenn es sich darum handelt,
sie in die Praxis überzuführen, tun Sie, wenn Sie
die Macht haben, was Ihnen beliebt.
(Zuruf bei den Sozialdemokraten: Es hört sich
furchtbar schön an, wie Sie das sagen!)
) " '
Stabtb. Troll: Meine Damen und Herren!. Wenn
der Herr Kollege Urich glaubt, daß wir durch seine
massiven Angriffe davon' abgehalten werden, künftig
hin Mißstände in Berliner Bezirksämtern und Bezirken
zur Sprache zu bringen, dann irrt er sich gewaltig. Es
ist ja bekannt, daß der Herr Urich in seinen mtquali-
sizierten Angriffen weit über das Maß hinausgeht. Er
ist ja oft genug von seinen eigenen Parteigenossen zur
Rechenschaft darüber gezogen worden.
(Stadtv. Urich: Das ist Schwindel!)
'(Glocke.)
(Borst. Haß: Herr Kollege Urich, bitte doch solche
Zurufe zu unterlassen. Ich rufe Sie dafür zur
Ordnung!)
(Stadtv. Urich: Er darf aber so etwas nicht sagen!)
Was Schwindel ist, werde ich gleich ausführen. Herr
Urich hat nämlich behauptet, ich hätte 'auf die Gewerk
schaften verwiesen und hätte da Sachen zur Sprache ge
bracht, wie er sie vorhin in seiner Rede hier zum besten
gegeben hat.
Bon dem, was er gesagt hat, ist nicht ein Wort
wahr. Was ich gesagt und angeführt habe, ist folgen
des: Ich habe gesagt, es haben drei Aerzteverbindungen
die Sperre verhängt, und zwar gemeinschaftlich. Daraus
ist zu entnehmen, daß es sich um einen außerordentlich
schweren Fall handelt. Das beweist einmal die Einig
keit der sonst getrennte Wege gehenden Organisationen
und das beweist ferner, daß sie zu dieser schweren Maß
nahme der Sperre gegriffen haben, um die Ehre und
das Recht ihrer Standesgenossen zu wahren. Und dann
habe ich auf die Gewerkschaften hingewiesen und gesagt,
Sie, meine Herren von der Linken, wissen in diesen
Dingen genauer Bescheid als ich. Sie wissen, daß Ge
werkschaften und andere Organisationen zu der Maß
regel der Sperre nur in äußerst schwerwiegenden Fäl
len greifen.
Das ist das ganze, Herr Kollege Urich, was ich
gesagt habe und nicht das, was Sie vorhin ausgeführt
haben. Es lohnt sich aber nicht, auf die Ausführungen
und auf die Anwürfe des Herrn Kollegen Urich näher
einzugehen, sie richten sich selbst.
Nun zu den Ausführungen des Herrn Dr. Wehl:
Herr Dr. Wehl hat an zwei Stellen von Pflicht
verletzung, einmal sogar von „grober" Pflichtverletzung
dieser beiden Schulärzte gesprochen. Ich muß diesen
Ausführungen ganz entschieden zu Ehren dieser beiden
Herren widersprechen. Die beiden Herren genießen auf
dem Wedding allergrößtes Ansehen. Erst 'vor kurzem
hat Herr Kollege Kreuziger sich lobend und anerkennend
über den einen der beiden Herren mir gegenüber aus
gesprochen. Herr Krenziger muß ja den Herrn kennen,
es ist einer der beiden besprochenen Schulärzte, der
an seiner Schule selbst zu tun hat.
Meine Damen und Herren! Um was dreht es sich
hier? Es ist festgestellt, und Herr Kollege Falkenberg
hat das in seiner Rede mit Deutlichkeit ausgesprochen,
daß die Kündigung nicht erfolgt ist wegen der Amts
führung dieser beiden Herren, sondern in einem Falle
wegen des Alters und in dem andern Falle wegen un
liebsamer Kritik, die der Betreffende an den Zuständen
im Bezirk Wedding ausgeübt hat. Das steht fest.
(Zuruf links: Unbewiesen!)
Selbst der Vertreter im Bezirksamt, Herr Stadtarzt
Dr. Drucker, hat nicht das Wort Disziplinlosigkeit ge
braucht, das der Herr Magistratsvertreter glaubte an
tuenden zu dürfen, sondern er hat nur gesagt, daß die
ser letztere Herr, der Herr Matzdorff, entlassen worden
ist, weil er es nicht verstanden hätte, Vertrauen zwi
schen sich und dem Bezirksamt herzustellen. Das, meine
Herren, klingt doch ganz anders als das, was der Herr
Magistratsvertreter ausgeführt hat:
(Zuruf rechts: Sehr richtig, das klingt anders!)
Wenn weiter behauptet worden ist, ich hätte das
Verhalten des Herrn Matzdorff zum Bezirksamt gut-
Oktober 1925.
geheißen, so weise ich darauf hin, daß ja die Allfrage
und die Bitte um Belege eigentlich ganz überflüssig
war. Das Material war ja zum größten Teil in dem
Artikel, der in einer wissenschaftlichen Zeitschrift er
schienen war, niedergelegt.
(Stadtv. Urich: Ich habe ihn ja vorgelesen!)
Und wenn der Herr ans die Anfrage erwiderte, er sei
mit der Sammlung des Materials noch nicht zuende,
(Stadtv. Urich: Er kann doch das Material hin
schicken, was er schon hat!)
wenn er noch nicht zu genügendem Material gekommen
ist, kann man ihn deswegen doch auch nicht verurteilen.
Nein, Sie können die Sache drehen und wenden wie
Sie wollen, es ist und bleibt so: Der Herr ist wegen
seiner freien Meinungsäußerung gemaßregelt worden,
(Widerspruch links. — Stadtv. Dr. Kirchner: Sehr
richtig!)
und das ist das Schwere der Sache. Ich weiß heute
noch nicht, welcher Partei hie Herren angehören. Herr
Dr. Wehl ist ja genauer orientiert, er behauptet, daß
die beiden Herren der Deutschnationalen Partei ange
hören. Mir ist davon bis heute nichts bekannt. Herr
Dr. Weyl scheint besser in den Reihen der Deutsch
nationalen Bescheid zu wissen als diejenigen, die selbst
der Partei angehören.
(Lachen links. Zuruf: Natürlich!)
Nun möchte ich die Herren bitten, doch einmal zu *
überlegen, wie die Arbeiter und die Betriebsräte sich
einem Falle gegenüber verhalten hätten, der so liegt,
wie dieser mit den beiden Schulärzten. Wenn ein
Arbeitgeber einen Arbeitnehmer mit der Begründung
entlassen wollte, der Arbeiter habe es nicht verstanden,
ein Vertrauensverhältnis zwischen sich und dem Arbeit
geber herbeizuführen, dann möchte ich wissen, was Ihre
Betriebsräte zu einem solchen Fall sagen würden.
(Rechts: Sehr gut!)
Nein, meine Damen und Herren, auf Grund der Ver
fassung hat jeder Deutsche das Recht der freien Mei
nungsäußerung, und das ist den Herren hier beschränkt
worden durch das Vorgehen des Bezirksamts.
(Stadtv. Dr. Weyl: Das glauben Sie doch selber
nicht!)
(Zurufe.)
(Stadtv. Dr. Weyl: Herr Troll und die Ver
fassung!)
Stadtv. Pattloch: Meine Damen und Herren! Ich
glaube, es ist doch durchaus notwendig, noch einmal |
die Daten in die Erinnerung zu rufen, es könnte in der
Oeffentlichkeit sonst falsch verstanden werden.
Herr Dr. Matzdorsf hat am 25. Oktober 1924 den
Artikel in der Aerztekorrespondenz geschrieben, in dem
er erklärte: „In meiner Praxis liegen derartige Fälle
vor, und bitte ich alle Kollegen hiermit, mir ähnliche
Vorkommnisse schriftlich mitzuteilen."
(Rechts: Tuberkulose!)
Als Schularzt. Mein Gott, er war doch Schularzt!
(Zuruf links: Er hat nicht unterschrieben: Neben
amt!)
(Stadtv. Dr. Weyl: Seine Erfahrungen kommen
doch aus der Schularzttätigkeit!)
(Zuruf links: Da hat er keine Erfahrung!)
(Zuruf rechts: Privatpraxis!)
Aus der Privatpraxis über eine städtische Einrichtung?
Dann wird er ant 1. November schriftlich gebeten,
er möchte die Freundlichkeit haben, Mitteilungen über
solche Fälle zu machen. Er hat ja selber in seiner Zei
tung geschrieben: Mir sind schon mehrere solcher Fälle
vorgekommen: Dann braucht er sie doch nur mitteilen,
er hat bis jetzt noch keinen mitgeteilt.
(Stadtv. Dr. Weyl: Als ehrlicher Mann hätte er
dann schreiben müssen: Ich habe keine Erfah
rungen!)
Dann wird er am 6. Januar 1925 nochmals ge
beten, er wird gemahnt, das Material einzureichen.