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nicht gefuttert werden." Meine Damen und Herren,
ich fürchte sehr, es wird die Zeit kommen, wo die
deutsche Bevölkerung sehr gern das Gefrierfleisch neh
men wird, weil es die Kosten für das frische Fleisch
nicht aufbringen kann.
(Große Unruhe durch Gespräche. — Glocke.)
(Vorst.-Stellv. Dr. Caspari: Ich bitte doch um
etwas mehr Ruhe, ich höre die Gespräche des
Hauses deutlicher als den Redner!)
Es ist des weiteren auf eine Eingabe der Stadt
ärzte hingewiesen worden. Diese Eingabe ist merkwür
digerweise nicht nur an die Gesundheitsdeputation ge
gangen, an die vorgesetzte Behörde, sondern sie ist auch
an die Mitglieder der Gesundheitsdeputation und an
die breitere Oeffentlichkeit, auch an die Presse, ver
sandt worden. Meine Damen und Herren, ich finde
dieses Vorgehen zunächst merkwürdig. Ich bin der
Meinung, wenn die Bereinigung der Stadtärzte irgend
welche Klagen hat, dann müßten diese Stadt
ärzte sich zunächst erst einmal mit einer wohl begrün
deten Eingabe an ihre vorgesetzte Behörde wenden
und diese auffordern, angebliche Mißstände abzu
stellen. Das ist nicht geschehen, sondern man ist sofort
an die Oeffentlichkeit gegangen. Das können wir nicht
billigen und wir halten den Weg, den die Herren Be
zirksärzte gegangen sind, nicht für den richtigen. In
dieser Eingabe ist auch eine Bemerkung enthalten, die
Widerspruch erregen muh. Darin heißt es, daß man
darauf hingewiesen hätte, daß der Fettkostsatz zu gering
sei. Praktisch bestünde außerdem ein Mangel an Fett
in der Ernährung. „Wenn auch in der Beköstigungs
ordnung an Fett 400 g wöchentlich, also täglich rund
73 g, vorgesehen seien, so würden die 30 g Margarine
als Brotaufstrich nach den gemachten Erfahrungen
tatsächlich von den Kranken zurückgewiesen, sodaß die
Margarine-Brotschnitten statt in den Magen der
Kranken in die Abfalltonne wandern. Es nütze daher
nichts, bei der Krankenkost diese Fettmengen theore
tisch in Ansatz zu bringen, denn praktisch kämen sie
nicht zur Geltung.
Meine Damen und Herren! Ich habe eigentlich
geglaubt, es mühte Aufgabe der Bezirksärzte sein, in
ihren Krankenhäusern die Patienten darauf hinzu
weisen, daß es durchaus unrichtig ist, die Margarine
fortzuwerfen. Denn es wird sich kein bedeutender
Hygieniker oder Nahrungsmittelchemiker finden, der
auf dem Standpunkt steht, daß bezüglich des Nähr
wertes die Margarine minderwertiger ist als Butter.
(Lachen links.)
Es wäre wünschenswert, daß die Bevölkerung in
weiten Kreisen über diese Dinge aufgeklärt würde.
Denn die Tatsache besteht, daß man für die Hälfte
Geld die gleiche Menge Fett unseren Patienten zu
führen könnten. Im übrigen, meine Damen und
Herren, ist ja allbekannt, daß weite Kreise des Mittel
standes heute nicht in der Lage find, sich frische Butter
zu leisten, sondern zur Margarine greifen, wenn Sie
wollen, greifen müssen. Das ist eine Tatsache, die ich
von meinem Standpunkte aus durchaus nicht bedaure.
Nun, meine Damen und Herren, ist von dem
Herrn Kollegen Thurm getadelt worden, daß der
Herr Bürgermeister den Ausschuß nur aus Aerzten
zusammengesetzt hatte. Das ist an und für sich nicht
ganz richtig, insofern, als nur in e r st e r Linie der
Herr Bürgermeister sachverständige Aerzte zur Mit
arbeit herangezogen hat. Aber, meine Damen und Her
ren, wir sind durchaus nicht etwa der Meinung, daß
der Ausschuß nur aus Aerzten bestehen soll, im Gegen
teil ist jedermann willkommen, der davon etwas ver
steht und der etwas zu sagen hat. Es wäre sehr gut
möglich gewesen, daß ein Nahrungsmittelchemiker in
diesen Ausschuß gewählt worden wäre, wenn er uns
zur Verfügung gestanden hätte. Denn, meine Her
ren, die ganze Frage muß doch auch theoretisch be
leuchtet werden, und wenn auch der .fierr Kol
lege Thurm mit einer gewissen Mißachtung von
den Kalorien sprach, so muß ich sagen, erst
mit Hilfe der Kalorienberechnung ist eine wissen
schaftliche Bewertung der ganzen Nahrungsmittel
frage erzielt worden. Denn man kann auch als reiner
15. Januar 1925.
Praktiker die theoretische und wissenschaftliche Be
trachtungsweise dieser Frage nicht außer Acht lassen.
Meine Damen und Herren! Ich möchte aber noch
weiter darauf hinweisen, daß die Mitglieder der Deut
schen Volkspartei sehr wohl den Wunsch haben, die
Zustände in den Krankenhäusern zu bessern, be
sonders, wenn Zustände herrschen, die haarsträubend,
nur unglaublich genannt werden müssen. Ich gestatte
mir, hier gleich eine Anfrage zu verlesen, die wir ein
gebracht haben und die ein ganz eigenartiges Licht
doch auf manche Lieferungen, auf manche Zustände in
der Stadtgemeinde Berlin werfen. Die Anfrage
lautet:
Die Lieferungen von Fleisch- und Wurstwaren
aus der städtischen Fleischerei Hobrechtsfelde an die
städtischen Krankenhäuser sind in letzter Zeit mehr
fach beanstandet und zurückgewiesen worden. Wie
ein Magistratsvertreter in einem Ausschuß zugeben
muhte, sind an die Krankenhäuser Wurstwaren ge
liefert worden, welche Haare, Zähne, in einem Falle
auch Tuchfetzen, enthielten.
(Zuruf: Unerhört!)
Wie gedenkt der Magistrat diese unglaublichen
Zustände zu ändern.
(Zuruf: Der sozialistische Magistrat!)
(Stadtv. Dr. Weyl: Nur bei den Bürgerlichen kann
das nicht vorkommen!)
Meine Damen und Herren, wenn das vor dem
Kriege vorgekommen wäre, Herr Kollege Weyl, dann
hätte man von kapitalistischer Profitwirtschaft ge
sprochen:
(Zuruf links. — Glocke.)
Heute, wo Hobrechtsfelde liefert, ist das etwas anderes.
(Stadtv. Streiter: Das ist ein sozialistischer Betrieb!)
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Dorst. Stellv. Dr. Caspari: Weitere Wortmel
dungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Das Schlußwort hat der Berichterstatter, Herr Dr.
Kirchner.
Stadtv. Dr. Kirchner (Schlußwort): Meine Damen
und Herren! Eine eingehende Schluhbemerkung er
übrigt sich. Ich möchte nur einiges hervorheben, was
mir bei der Besprechung aufgefallen ist. Ich muß
sagen, daß mir der Beschluß des Haushaltsausschusses,
die ganze Sache eingehend durch die Gesundheitsdepu
tation prüfen zu lassen, nach wie vor richtig erscheint.
Es kann nicht angehen, daß man einfach die Sätze für
die Ernährung schematisch erhöht, denn täglich finden
Schwankungen statt zwischen dem, was auf dem
Markte für eine bestimmte Menge Geld geliefert wer
den kann. Vom wirtschaftlichen Standpunkte aus
können wir nicht sagen, soviel Geld ist dann not
wendig, sondern wir müssen fragen: Wieviel Nähr
wert ist erforderlich, um einen Menschen ernähren zu
können, wieviel Eiweißstoffe, wieviel Kohlehydrate,
wieviel Fett und dergl.? Deshalb finde ich es abwegig,
wenn Herr Kollege Thurm sich darüber lustig machen
zu dürfen glaubt, daß wir nach Kalorien zu rechnen
gewöhnt sind. Die Kalorien bedeuten, daß die betref
fenden Nahrungsmittel, welche dem Körper zugeführt
werden, um die Verluste des Körpers wieder zu er
setzen, denselben Verbrennungswert haben müssen wie
das, was dem Körper durch den Lebensprozeß ent
zogen wird. Es ist also eine durchaus wissenschaftliche
Grundlage, auf die die ganze Frage gestellt werden
muß, und sie ist es auch bisher in allen Kranken
häusern auf diesem Grundsatz gewesen. Es wäre ein
großer Fehler, wenn man jetzt etwas andere» machen
wollte. Ich weiß auch nicht, welche Grundlage Herr
Thurm nehmen will für seine Feststellungen, das ent
zieht sich meiner Beurteilung.
Ebensowenig kann ich billigen, was Herr Thurm
über das „verfluchte Gefrierfleisch" gesagt hat. Denn,
meine Damen und Herren, das Gefrierfleisch ist in
seinem Nährwert genau ebenso zu bewerten wie Frisch
fleisch. Ich habe während des Krieges und nach dem
Kriege wiederholt selber davon genossen und es sehr
gut befunden.