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Volume Sitzung 2., 15. Januar 1925

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1925 (Public Domain)

84 Sitzung am 
nicht gefuttert werden." Meine Damen und Herren, 
ich fürchte sehr, es wird die Zeit kommen, wo die 
deutsche Bevölkerung sehr gern das Gefrierfleisch neh 
men wird, weil es die Kosten für das frische Fleisch 
nicht aufbringen kann. 
(Große Unruhe durch Gespräche. — Glocke.) 
(Vorst.-Stellv. Dr. Caspari: Ich bitte doch um 
etwas mehr Ruhe, ich höre die Gespräche des 
Hauses deutlicher als den Redner!) 
Es ist des weiteren auf eine Eingabe der Stadt 
ärzte hingewiesen worden. Diese Eingabe ist merkwür 
digerweise nicht nur an die Gesundheitsdeputation ge 
gangen, an die vorgesetzte Behörde, sondern sie ist auch 
an die Mitglieder der Gesundheitsdeputation und an 
die breitere Oeffentlichkeit, auch an die Presse, ver 
sandt worden. Meine Damen und Herren, ich finde 
dieses Vorgehen zunächst merkwürdig. Ich bin der 
Meinung, wenn die Bereinigung der Stadtärzte irgend 
welche Klagen hat, dann müßten diese Stadt 
ärzte sich zunächst erst einmal mit einer wohl begrün 
deten Eingabe an ihre vorgesetzte Behörde wenden 
und diese auffordern, angebliche Mißstände abzu 
stellen. Das ist nicht geschehen, sondern man ist sofort 
an die Oeffentlichkeit gegangen. Das können wir nicht 
billigen und wir halten den Weg, den die Herren Be 
zirksärzte gegangen sind, nicht für den richtigen. In 
dieser Eingabe ist auch eine Bemerkung enthalten, die 
Widerspruch erregen muh. Darin heißt es, daß man 
darauf hingewiesen hätte, daß der Fettkostsatz zu gering 
sei. Praktisch bestünde außerdem ein Mangel an Fett 
in der Ernährung. „Wenn auch in der Beköstigungs 
ordnung an Fett 400 g wöchentlich, also täglich rund 
73 g, vorgesehen seien, so würden die 30 g Margarine 
als Brotaufstrich nach den gemachten Erfahrungen 
tatsächlich von den Kranken zurückgewiesen, sodaß die 
Margarine-Brotschnitten statt in den Magen der 
Kranken in die Abfalltonne wandern. Es nütze daher 
nichts, bei der Krankenkost diese Fettmengen theore 
tisch in Ansatz zu bringen, denn praktisch kämen sie 
nicht zur Geltung. 
Meine Damen und Herren! Ich habe eigentlich 
geglaubt, es mühte Aufgabe der Bezirksärzte sein, in 
ihren Krankenhäusern die Patienten darauf hinzu 
weisen, daß es durchaus unrichtig ist, die Margarine 
fortzuwerfen. Denn es wird sich kein bedeutender 
Hygieniker oder Nahrungsmittelchemiker finden, der 
auf dem Standpunkt steht, daß bezüglich des Nähr 
wertes die Margarine minderwertiger ist als Butter. 
(Lachen links.) 
Es wäre wünschenswert, daß die Bevölkerung in 
weiten Kreisen über diese Dinge aufgeklärt würde. 
Denn die Tatsache besteht, daß man für die Hälfte 
Geld die gleiche Menge Fett unseren Patienten zu 
führen könnten. Im übrigen, meine Damen und 
Herren, ist ja allbekannt, daß weite Kreise des Mittel 
standes heute nicht in der Lage find, sich frische Butter 
zu leisten, sondern zur Margarine greifen, wenn Sie 
wollen, greifen müssen. Das ist eine Tatsache, die ich 
von meinem Standpunkte aus durchaus nicht bedaure. 
Nun, meine Damen und Herren, ist von dem 
Herrn Kollegen Thurm getadelt worden, daß der 
Herr Bürgermeister den Ausschuß nur aus Aerzten 
zusammengesetzt hatte. Das ist an und für sich nicht 
ganz richtig, insofern, als nur in e r st e r Linie der 
Herr Bürgermeister sachverständige Aerzte zur Mit 
arbeit herangezogen hat. Aber, meine Damen und Her 
ren, wir sind durchaus nicht etwa der Meinung, daß 
der Ausschuß nur aus Aerzten bestehen soll, im Gegen 
teil ist jedermann willkommen, der davon etwas ver 
steht und der etwas zu sagen hat. Es wäre sehr gut 
möglich gewesen, daß ein Nahrungsmittelchemiker in 
diesen Ausschuß gewählt worden wäre, wenn er uns 
zur Verfügung gestanden hätte. Denn, meine Her 
ren, die ganze Frage muß doch auch theoretisch be 
leuchtet werden, und wenn auch der .fierr Kol 
lege Thurm mit einer gewissen Mißachtung von 
den Kalorien sprach, so muß ich sagen, erst 
mit Hilfe der Kalorienberechnung ist eine wissen 
schaftliche Bewertung der ganzen Nahrungsmittel 
frage erzielt worden. Denn man kann auch als reiner 
15. Januar 1925. 
Praktiker die theoretische und wissenschaftliche Be 
trachtungsweise dieser Frage nicht außer Acht lassen. 
Meine Damen und Herren! Ich möchte aber noch 
weiter darauf hinweisen, daß die Mitglieder der Deut 
schen Volkspartei sehr wohl den Wunsch haben, die 
Zustände in den Krankenhäusern zu bessern, be 
sonders, wenn Zustände herrschen, die haarsträubend, 
nur unglaublich genannt werden müssen. Ich gestatte 
mir, hier gleich eine Anfrage zu verlesen, die wir ein 
gebracht haben und die ein ganz eigenartiges Licht 
doch auf manche Lieferungen, auf manche Zustände in 
der Stadtgemeinde Berlin werfen. Die Anfrage 
lautet: 
Die Lieferungen von Fleisch- und Wurstwaren 
aus der städtischen Fleischerei Hobrechtsfelde an die 
städtischen Krankenhäuser sind in letzter Zeit mehr 
fach beanstandet und zurückgewiesen worden. Wie 
ein Magistratsvertreter in einem Ausschuß zugeben 
muhte, sind an die Krankenhäuser Wurstwaren ge 
liefert worden, welche Haare, Zähne, in einem Falle 
auch Tuchfetzen, enthielten. 
(Zuruf: Unerhört!) 
Wie gedenkt der Magistrat diese unglaublichen 
Zustände zu ändern. 
(Zuruf: Der sozialistische Magistrat!) 
(Stadtv. Dr. Weyl: Nur bei den Bürgerlichen kann 
das nicht vorkommen!) 
Meine Damen und Herren, wenn das vor dem 
Kriege vorgekommen wäre, Herr Kollege Weyl, dann 
hätte man von kapitalistischer Profitwirtschaft ge 
sprochen: 
(Zuruf links. — Glocke.) 
Heute, wo Hobrechtsfelde liefert, ist das etwas anderes. 
(Stadtv. Streiter: Das ist ein sozialistischer Betrieb!) 
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Dorst. Stellv. Dr. Caspari: Weitere Wortmel 
dungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. 
Das Schlußwort hat der Berichterstatter, Herr Dr. 
Kirchner. 
Stadtv. Dr. Kirchner (Schlußwort): Meine Damen 
und Herren! Eine eingehende Schluhbemerkung er 
übrigt sich. Ich möchte nur einiges hervorheben, was 
mir bei der Besprechung aufgefallen ist. Ich muß 
sagen, daß mir der Beschluß des Haushaltsausschusses, 
die ganze Sache eingehend durch die Gesundheitsdepu 
tation prüfen zu lassen, nach wie vor richtig erscheint. 
Es kann nicht angehen, daß man einfach die Sätze für 
die Ernährung schematisch erhöht, denn täglich finden 
Schwankungen statt zwischen dem, was auf dem 
Markte für eine bestimmte Menge Geld geliefert wer 
den kann. Vom wirtschaftlichen Standpunkte aus 
können wir nicht sagen, soviel Geld ist dann not 
wendig, sondern wir müssen fragen: Wieviel Nähr 
wert ist erforderlich, um einen Menschen ernähren zu 
können, wieviel Eiweißstoffe, wieviel Kohlehydrate, 
wieviel Fett und dergl.? Deshalb finde ich es abwegig, 
wenn Herr Kollege Thurm sich darüber lustig machen 
zu dürfen glaubt, daß wir nach Kalorien zu rechnen 
gewöhnt sind. Die Kalorien bedeuten, daß die betref 
fenden Nahrungsmittel, welche dem Körper zugeführt 
werden, um die Verluste des Körpers wieder zu er 
setzen, denselben Verbrennungswert haben müssen wie 
das, was dem Körper durch den Lebensprozeß ent 
zogen wird. Es ist also eine durchaus wissenschaftliche 
Grundlage, auf die die ganze Frage gestellt werden 
muß, und sie ist es auch bisher in allen Kranken 
häusern auf diesem Grundsatz gewesen. Es wäre ein 
großer Fehler, wenn man jetzt etwas andere» machen 
wollte. Ich weiß auch nicht, welche Grundlage Herr 
Thurm nehmen will für seine Feststellungen, das ent 
zieht sich meiner Beurteilung. 
Ebensowenig kann ich billigen, was Herr Thurm 
über das „verfluchte Gefrierfleisch" gesagt hat. Denn, 
meine Damen und Herren, das Gefrierfleisch ist in 
seinem Nährwert genau ebenso zu bewerten wie Frisch 
fleisch. Ich habe während des Krieges und nach dem 
Kriege wiederholt selber davon genossen und es sehr 
gut befunden.
	        
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