Sitzung am 30. April 1925. 377
solches Mißverhältnis vorstellt, wie er das Fortbestehen
eines solchen Mißverhältnisses verantworten will, lute
es z. B. zwischen den Bezirken Wedding und Zehlen
dorf bei allen Etatspositionen in die Erscheinung tritt.
Sehen Sie sich zunächst einmal die Ausgaben und die
Einnahmen der allgemeinen Verwaltung dieser beiden
Bezirke an. Sehe» Sie sich in der ersten Ausstellung,
die in der allgemeinen Uebersicht gegeben ist, bei der
allgemeinen Verwaltung, an den Bezirk Krcuzberg, wo
sie mehr als 4X- Millionen Mark betragen, und dann
sehen Sie sich an den Bezirk Zehlendorf, der allerdings
auch fast den 4. Teil, vielleicht sogar noch mehr als den
4. Teil, an Ausgaben abzudecken hat. Bei dem Bezirk
Zehlendorf, der mit mehr als l'A Millionen Verweil
tungsunkvsten arbeitet — ganz abgesehen davon, daß die
Bevölkerung des letzten Bezirks nur den 10. Teil der
Bevölkerung von Krenzberg ausmacht _ —, tritt noch
etwas anderes sehr interessant in die Erscheinung: Die
Einnahmen aus dem Bezirk betragen für Kreuzberg
ungefähr den 6. Teil der Ausgaben, für Zehlendorf sind
n it r 712 von den Ausgaben durch Einnahmen des Be
zirks gedeckt. Ja, meine Damen und Herren, wo bleibt
dann eigentlich der Sinn, den das Gesetz Groß-Berlin
haben sollte? Dieses Gesetz wollte nämlich, daß die
Lasten der Arbeiterbezirke, der Bezirke, die außerordent
lich viel für Wohlfahrts-Ausgaben, für Jugend
pflege usw. aufwenden müssen, gerecht verteilt werden.
Die reicheren Bezirke, zu denen ja Zehleudorf ohne wei
teres zu rechnen ist, sollten an der Deckung dieser Aus
gaben beteiligt werden, und welches Bild bietet uns der
gegenwärtige Etat? Tie Ausgaben für Wohlfahrts
pflege und dergleichen in den Arbeiterbezirken wie
Kreuzberg, Wedding, Neukölln sind wesentlich einge
schränkt, wenn man nämlich die Ansprüche, die berech
tigter Weise die werktätige Bevölkerung dort stellen darf,
zii Grunde legt. Dagegen sind die Ausgaben der reichen
Bezirke noch außerordentlich gewachsen, und fragen wir
nach den Einnahmen aus diesen Bezirken, dann trägt
Wedding eine doppelt so große Last als Zehlendorf mit
den prozentual vielfach höheren Ausgaben.
Meine Damen und Herren, damit ist das Urteil
über die Zerschlagung Groß-Berlins in einzelne Be
zirke gesprochen, und es ist dem gegenwärtigen Magistrat
zum Vorwurf zu machen, daß er alles daran gesetzt hat,
selbst das.innere Berlin in 6 selbständige Verwaltungs
körper zu zerschlagen. Man hat hier im Innern Ber
lins 6 einzelne Verwaltungsbezirke eingerichtet. Man
hat, was früher undenkbar war, diesen 6 Verwaltungs
bezirken die Bewirtschaftung der Krankenhäuser in eige
4ier Regie, in eigener Verwaltung übergeben. Von einer
Zentralverwaltung ist fast nichts mehr übrig geblieben.
Gerade bei der 'Krankenhausverwaltung hat sich die
Zentralverwaltnng nur das Virchow-Krankenhaus und
die. Verwaltung in Buch vorbehalten. Meine Damen
und Herren, das ist ein durchaus ungesunder Zustand.
Es wäre denkbar, die Verwaltung zu zentralisieren und
unter Beseitigung der 20 Verwaltungsbezirke und der
in diesen 20 Verwaltungsbezirken entstehenden Verwal
tungsausgaben für Bezirksämter, Bezirksverordneten-
Versammlungen usw. aufzugeben und da für eine zen
trale Verwaltung von Berlin und deren die reinen Ver
waltungskosten auf den 20.' Teil der gegenwärtig ge
forderten Ausgaben zu reduzieren, wenn man nur den
Mut hätte, zentral zu verwalten. Wenn heute die So
zialdemokraten in dem Organisationsausschuß, der die
neue Verwaltung in Groß-Berlin regelt, fast immer
mit den Vorschlägen des Herrn Oberbürgermeisters
einverstanden sind und übereinstimmen, dann zeugt das
davon, daß sie von ihrem alten Grundsatz — allerdings
auch einer, der aus dem Jahre 1920 stammt —> näm
lich eine zentrale Verwaltung Groß-Berlin zu schaffen,
nichts mehr wissen wollen, sondern daß sie mithelfen,
nun noch den letzten Rest zentraler Verwaltung zu zer
schlagen, Berlin wieder in einzelne Bezirke aufzuteilen
und dadurch die Verwaltung zu verteuern, den Lasten
ausgleich, der einmal erstrebt war, unmöglich zu machen
und besonders die reicheren Bezirke zu bevorzugen, was
einmal die Inanspruchnahme durch Steuern anbetrifft
und aus der anderen Seite durch Aufwendungen, die
noch durch bedeutende Ausgaben für die Bezirke ge
macht werden. Sehen Sie sich einmal in den Bezirken
die Kapitel „Jugendwohlfahrt" und „Allgemeine Wohl
fahrt" an. Ter Bezirk Zehlendorf ist in der glücklichen
Lage, nur etwa den 14. Teil der Ausgaben für die all
gemeine Wohlfahrt in Anspruch nehmen zu müssen, den
z. B. der Bezirk Wedding mit der höchsten Summe von
i 174 670 Jt in Anspruch nimmt. Ebenso liegt es bei
der Jugendwohlfahrt. Auch da steht der Bezirk Wed
ding mit weit über 1 Million wieder au der Spitze,
während sich Zehlendorf mit 81 000 Jl bescheiden kann.
Das ist ganz selbstverständlich, da dort die Bevölkerung
sich zum größten Teil zusammensetzt aus Villenbesitzern
oder immerhin aus Leuten in gesicherter Lebensposi
tion. Diese brauchen die Aufwendungen der Stadt nicht
in Anspruch zu nehmen. Auf der anderen Seite liefern
sie aber auch für die übrigen Bezirke, die schwer unter
diesen Lasten seufzen, keinerlei Zuschüsse aus den Steuer
quellen, die hier in diesen reicheren Bezirken zu er
schließen wären. Wenn Sie nun aber den Magistrat vor
die Frage stellen, ob er nun in den Bezirken, die diese
Zuwendungen der Zentralverwaltung am allernotwen-
digsten haben, besonders im Kapitel der Parkverwal
tung z. B. in den Arbeiterbezirken, erhebliche Aufwen
dungen macht für das, was man optimistisch und etwas
euphemistisch die „Lungen der Großstadt" nennt, für
öffentliche Plätze, Spielplätze, Parks und dergl. mehr,
dann muß man wieder darauf antworten, daß der Ma
gistrat es fertig bringt, in diesem Etat der Berliner
Stadtverordnetenversammlung zuzumuten, gerade für
die Bezirke, wo man nicht von einer Not der Bevölkerung
sprechen kann, wo man nicht davon reden kann, daß da am
dringendsten öffentliche Plätze, Parkanlagen und dergl.
notvendig sind, die allerhöchsten Aufwendung» zu
machen. Es kann dem Herrn Kämmerer nicht entgan
gen sein, daß z. B. der Bezirk Zehlendorf 600 000 Jt
für öffentliche Plätze und Parkanlagen in Anspruch
nimmt, die im Kapitel VII stehen, daß man dagegen
dem Bezirk Wedding mit der zehnfach höheren Bcvölke-
rungszifser, mit seinen vielfach größeren elenden Arbei
tervierteln draußen in der Ackerstraße, Brunnenstraße,
Badstrahe, und wie die Straßen alle heißen, nur drei
mal soviel für öffentliche Plätze und Parks zur Ver
fügung stellt.
Meine Damen und Herren! Diese Konstatierung
der Bevorzugung reicherer Bezirke zieht sich wie ein
roter Faden durch den ganzen Etat. Mögen Sie sich
das Kapitel „Bildungswesen" oder „Schulen" auf
schlagen, Sie werden immer wieder auf die Feststellung
treffen, daß der Magistrat es unterlassen hat, den Aus
gleich, der eigentlich durch das Gesetz Groß-Berlin her
beigeführt werden sollte, nun seinerseits herbeizuführen
und zu verankern, daß die reicheren Bezirke zu den Lasten
der ärmeren herangezogen werden. Umgekehrt ist es.
Die Arbeiterbezirke Groß-Berlins bezahlen heute ihre
Steuern, damit in Zehlendorf Park- und Gartenanlagen
geschaffen werden. So ist der tatsächliche Zustand in
Groß-Berlin geworden.
Nun ein paar Worte zu der Zentralverwaltung: Es
ist ja bemerkenswert, daß der Aeltesten-Ausschuß es
für ausreichend gehalten hat, zu den 20 Bezirken und
zu der Zentralverwaltnng % Stunden Redezeit im
Höchstfälle zu gwähren. Das kennzeichnet das Verant
wortungsgefühl der meisten der Parteien, die hier im
Hause vertreten sind.
(Stadtv. Merten: Sie waren doch damit einver
standen, Sie haben nicht gemuckt!)
Herr Merten, es ist schwer für eine einzelne Partei,
wo bei der Größe der anderen Parteien, die der einzelnen
Partei gegenübersteht, ein Widerspruch erfolglos sein
muß, Widerspruch zu erheben. Ich denke aber trotzdem
hier wenigstens das Wichtigste aus dem Etat der Zen
tralverwaltung vortragen zu können:
Sie finden bei der Zentralverwaltung in erster
Linie bei der Personalbesvldung einen Posten von fast
28 Millionen Goldmark. Meine Damen und Herren!
Wenn Sie daran denken, wie heute die unteren und
mittleren Beamten der Stadt besoldet werden, dann
sollte man meinen, es wäre eine gewisse weise Zurück
haltung angebracht gewesen bei der Dotierung der
höheren Posten im Magistrat. Denn wenn mit der
Nichtaufhebung des Sperrgesetzes die Beamten auch um
die letzte Hoffnung betrogen worden sind, dann ist es
ganz selbstverständlich, daß gerade in dieser Zeit, wo man