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Volume Sitzung 18., 30. April 1925

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1925 (Public Domain)

Sitzung am 30. April 1925. . 36o 
Situation zum Anlaß einer solchen weiteren Verschlech 
terung nehmen, nicht zutrifft. Wenn aber, bei int würde 
jedenfalls die Verantwortung dafür nicht bei uns 
liegen. 
(Links: Sehr wahr!) 
Meine Damen und Herren! Wir haben jetzt einen 
bürgerliche n Magistrat, von dein ich schon sagte, 
daß er in allen Fragen, die ein besonderes Maß von 
Verantwortungsbewußtsein erfordern, gern die U n t e r- 
st ü tz u n g der Sozialdemokratischen F r a k- 
t i v n akzeptiert. Um so auffälliger ist es und um so 
seltsamer berührt es, daß zwei Stellen dieses Magistrats 
sich auch jetzt noch in dem Traume wiegen, eine aus 
gesprochen antisozialdem okratische Po 
litik, eine Politik der Sammlung des Bürgerblocks 
gegen die berechtigten Ansprüche der Sozialdemokratie 
treiben zu können. 
(Stadtv. Dr. Wehl: Hört, hört!) 
Ich meine den Dezernenten für die allgemeine 
Wohlfahrt und den Dezernenten für das Schul 
wesen. Der Herr Kämmerer hat besorgte Worte über 
das Anschwellen der Ausgaben für Wohlfahrtszwecke 
gesprochen. Wir klagen nicht darüber, wir suchen diese 
Änsgabepvsten zu verstehen und zu begreifen, daß das 
Sinken der allgemeinen Wohlfahrt ganz von selber die 
Ausgabe für ihre Wiederherstellung steigern muß und 
daß wir noch lange an den Kriegsfolgen und an den 
Versäumnissen vergangener Zeiten zu heilen haben 
werden. 
Wenn aber die Stadt solche Lasten auf sich nimmt 
im Bewußtsein ihrer Verantwortung für die Nöte 
der Bevölkerung, dann muß die Kontrolle über die 
Verwendung dieser Gelder bei der Stadt sein. 
' (Links: Sehr richtig!) 
dann müssen in steigendem Maße st ä d t i s ch e Ein 
richtungen geschaffen werden für solche Wohlfahrts 
zwecke. Wir können es nicht dulden, daß derselbe' 
Magistrat, der die Entkommunalisierung wirtschaft 
licher Betriebe mit Erfolg verhindert hat, eine Po 
litik offener oder versteckter Entkommunalisierung auf 
sozialpolitischem Gebiete betreibt. 
(Links: Sehr gut! Sehr richtig!) 
Wir chcrden uns jedenfalls auch weiterhin dagegen 
mit allen Kräften wehren, und wir hoffen, daß der 
Magistrat einsehen wird, daß gerade das Gebiet der 
Wohlfahrtspflege das allerungeeignetste ist, um die 
Fiasko Politik des Bürgerblocks fortzu 
setzen. 
(Links: Sehr wahr!) 
Noch schlechter, meine Damen und Herren, steht es 
allerdings auf dem Gebiete des Schulwesens, und 
man würde dem Vorgehen des neuen Herrn Stadtschul 
rats zuviel Ehre antun, wenn man von Politik sprechen 
würde. Die bewußte Brüskier u it g der 
stärksten Fraktiv n dieses Hauses wird zu einer 
Erschwerung der Verwaltung führen, für die wir jeden 
falls jede Verantwortung ablehnen müßten. Die 
Deutschnationalen und der Vorsitzende der Deputation 
warfen sich wochenlang gegenseitig die Bälle zu, mit die 
Sozialdemokratie systematisch aus allen Ausschüssen der 
Deputation h i n a u s z u d r ä n g e l n, 
(Links: Hört, hört!) 
ein Vorgang, der innerhalb der Berliner Verwaltung 
mir immerhin ohne Beispiel zu sein scheint. Daß die 
gesamte Schulpolitik der neuen Aera von demselben 
Geiste getragen ist, ist darnach kein Wunder. 
(Stadtv. Dr. Wehl: Nennen Sie das Geist?) 
Der Herr Dezernent hat ans seiner Vorliebe für Pri- 
vatschulcn kein Hehl gemacht. Wir bedauern, daß die 
Finanzverwaltung dieser Politik der V e r - 
s ch w e n d it n g, die Hundertausende an überflüssige 
Privatschulen hinauswirft, die 65jährige Studiendirek 
toren im Gegensatz zu allen andern Verwaltungszweigen 
der Stadt im Amte läßt, 
(Zustimmung und: Sehr richtig! links.) 
keinen Einhalt geboten hat. 
Um so energischer fordern wir, daß notwendige 
Schulausgaben nunmehr nicht beschnitten wer 
den. Darüber, daß hier der Rotstift der Kämmerei — 
ebenso wie auf dem Gebiete des Krankenhauswescns 
mitten in ganz unvermeidbare Ausgaben hineingefahren 
ist, scheint mir kein Zweifel bestehen zu können. Das 
gilt ganz besonders auch von Turnhallen, an 
denen ja ein erschreckender Mangel in den östlichen und 
nördlichen Bezirken besteht. 
Meine Freunde sind von jeher für eine energische 
Förderung der Leibesübungen und des 
Sports eingetreten. Um so mehr sind wir allerdings 
verpflichtet, es auszusprechen, daß Leibesübungen und 
Sport niemals Selbstzweck werden dürfen, wie es hier 
in Berlin allmählich zu geschehen ,cheint. Um so ent 
schiedener dürfen und müssen wir uns gegen den Fim 
mel wenden, der sich gewisser Kreise bemächtigt hat und 
der von echter Sport- und Körperpflege genau so weit 
entfernt ist wie die veraltete frühere Verachtung der 
sogenannten Leibesübungen. 
Was soll man dazu sagen, daß man in Berlin allen 
Ernstes daran geht, das Turnen und den Sport in den 
Schulen einer besonderen Deputation zu unterstellen! 
Muß man ausgerechnet im Jahrhundert des Sports erst 
daran erinnern, daß die Leibesübungen ein ebenso in 
tegrierender Bestandteil der gesamten Erziehung sind 
wie die Geistesübungen? Warum will man da nicht 
gleich den Gesangsunterricht der Kunstdeputation unter 
stellen? Warum will man nicht für den Religions 
unterricht eine besondere Deputation für „Religions- 
Übungen" einrichten? 
(Heiterkeit links.) 
Nur wenn wir den Schulen lassen, was ihnen 
gehört, werden wir den Leibesübungen und dem Sport 
als einer der wichtigsten Volksausgaben und den sie 
tragenden Vereinen gerecht werden/werden wir ihnen 
geben können, was ihnen gehört. 
Wir sehen, meine Damen und Herren, auch im 
Zeitalter der Sparsamkeit wird noch viel unnötige Ar 
beit geleistet, wird viel wertvolle Kraft auf sehr Ueber- 
flüssiges verschwendet. Ein gewisses Durcheinander in 
der Verwaltung scheint uns schon jetzt zu beweisen, daß 
der Abbaut in M agistrat doch keine so ganz harm 
lose Sache war, als die man sir früher immer hinzustel 
len beliebte. Allmählich regt sich ja auch in den einst so 
abbauwütigen Parteien schon wieder der Wunsch nach 
Neubesetzung der abgebauten Stellen. 
(Zurufe links.) 
Diese Parteien rechnen auf das kurze Gedächtnis dieses 
Hauses und darüber hinaus der Berliner Bevölkerung. 
(Links: Sehr richtig!) 
Ach nein, meine Damen und Herren von den 
bürgerlichen Parteien, so vergeßlich ist die Berliner Be 
völkerung wirklich nicht, sie wird an den Skandal 
dieses Abbaues noch recht lange denken. 
(Links: Sehr richtig!) 
Sie wird es nicht vergessen, daß es der viel geschmähte 
s o z i a l i st i s ch e M a g i st r a t war, der die Stadt 
Berlin über die f ch l i nt nt ft c it Zeiten h in = 
weggeb r a ch t hat. 
(Zurufe rechts. — Links: Sehr richtig!) 
Der Herr Kämmerer hat schon darauf hingewiesen, 
— er hat nur in einer Minute verzeihlichen Vergessens 
nicht den sozialistischen Magtstrckt dabei erwähnt 
—, daß die Propheten des Bankervtts, die da in den 
Reihen der Kollegen Koch und Steiniger gesessen habest 
und bei denen der Wunsch der Vater des Gedankens 
war, nicht auf ihre Rechnung gekommen sind. 
(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) 
Die Mehrheit dieses Hauses hat es mit ihrem 
politischen Gewissen für vereinbar gehalten, diesen Ma 
gistrat nach dem Rezept des Mohren, der seine Schuldig 
keit getan hat, zu behandeln. Aber diese „Mehrheit" 
— mit Gänsefüßchen — hat die Rechnung ohne die 
Bevölkerung unserer Reichshauptstadt gemacht. 
(Links: Sehr richtig!) 
(Zuruf des Stadtv. Dr. Kirchner.) 
Jawohl, Herr Kollege Kirchner, gerade die letzten Wah 
len haben ja doch wohl den Beweis erbracht, daß die 
Bevölkerung Berlins noch immer das Vorrecht für sich 
in Anspruch nehmen darf, besonders „helle" zu sein. 
(Heiterkeit. — Links: Sehr richtig!) 
Berlins Bevölkerung hat das Spiel durchs ch a it t. 
Hier in Berlin haben ja die Parteien des 
Reichsblocks und die K o m nt unistische Pa r- 
tei, ihre allezeit willkommene S t e i g b ü g e l h a l -
	        
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