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Volume Sitzung 1., 8. Januar 1925

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1925 (Public Domain)

Sitzung tim 8. 
Dazu stimmen noch die schönen Ausführungen, die 
Herr Dr. Saltzgeber hier gemacht hat über die jetzt 
ausgebrochene allein selig machende Demokratie. 
(Stadtv. Dr. Wehl: Ausgebrochen?) 
Ja, ausgebrochen, Herr Dr. Wehl, hoffentlich freuen Sie 
sich darüber, daß sie endlich einmal ansgebrochen ist. 
Herr Dr. Saltzgeber hat ausgeführt, daß den Sozial 
demokraten ohne weiteres der Vorsteher zustünde näm 
lich nach der Begründung, die Ihre Fraktion, Herr 
Kollege Koch, gegeben hat, um einen eigenen Kandi 
daten für beit Vorsteherposten zu empfehlen. 
Nun, meine Damen und Herren, wenn man boshaft 
wäre, könnte man das, was eben hier passiert ist, als eine 
große politische Perversität bezeichnen, 
(Große Heiterkeit.) 
■ daß nämlich gerade die Parteien, die so außerordentlich 
über die Demokratie und über „die Rechte der stärksten 
Parteien" geredet haben, nachher, wenn es sich um 
Kommunisten handelt, einfach die Rechte der Parteien, 
die deren Stimmenzahl den nächsten Anspruch sichert, 
mit Füßen treten. Also, Herr Hermann, Heuchelei und 
nichts als Heuchelei, wenn es Ahnen so in den Kram paßt. 
Wo es um die Interessen des Bürgertums geht, halten 
Sie mit ihm zusammen wie Pech und Schwefel. 
(Zurufe links.) 
Daß Ihnen das unangenehm ist, meine Herren, glaube 
ich sehr gern. Sv etwas hören Sie nicht gern. Sie 
sind Demokraten dann, wenn es der Bourgeoisie nützt, 
Sie sind Verräter des Proletariats, eine bürgerliche 
Partei, wie die anderen, die bei jeder Gelegenheit. . . . 
(Zurufe von den Kommunisten und von der Tribüne, 
großer LärmZ 
Vorst. Haß: Ich bi te die Besucher der Tribüne, 
sich jeden Eingriffes in die Verhandlungen zu ent 
halten ! 
(Erneuter Lärm und Zurufe von der Tribüne.) 
Es wäre ja nicht das erste Mal, daß im Aufträge der 
äußersten Rechten der sozialdemokratische Vorsteher die 
Polizei holt, das haben wir ja hier schon erlebt und 
wer werden es x-mal wieder erleben. Jetzt zeigt es 
sich aber und gilt es, festzustellen, daß dieser Hinweis 
aus das demokratische Wahlergebnis eben nichts weiter 
I ist als Heuchelet. Sie haben' das heute dokumentiert. 
Wir werden davon Notiz nehmen und uns danach ein 
richten. 
(Zuruf links: Ihr seid Heuchler und Demagogen!) 
Vorsteher Haß: Wegen des Vorwurfes der Heuche 
lei, soweit er sich ans'Personen bezogen hat, rufe ich 
Sie zur Ordnung, Herr Kollege Dörr! 
Das Wort hat Herr Kollege Dittmann. 
Stadtv. Dittman«: Meine Damen und Herren! 
Fist aller Ruhe möchte ich gegenüber dein Herrn Dörr 
einfach folgendes feststellen: 
Wir als Sozialdemokraten stehen aus deut Stand 
punkt, 
(Zurufe/ von der Tribüne.) 
daß die stärkste Fraktion den Vorsteher zu stellen hat 
und daß die nächststärksten Fraktionen der Reihe nach die 
Vorsteher-Stellvertreter usw. stellen müssen. Voraus 
setzung dafür, daß mit die Ansprüche anderer Fraktionen 
unterstützen, ist aber, daß diese Fraktionen unsern eigenen 
Anspruch respektieren. Für den Kandidaten einer Frak 
tion zu stimmen, die ihrerseits nicht für unsern Kandi 
daten stimmt, haben wir gar keine Veranlassung und da 
die Kommunisten nicht bereit waren, auch hier nicht und 
überall nicht, wo es sich um ähnliche Wahlen gehandelt 
hat, unserem berechtigten Anspruch entsprechend für unsern 
Kandidaten einzutreten, lag für uns gar kein Anlaß vor, 
für den Kandidaten der Kommunisten zu stimmen. 
Andererseits stelle ist fest, daß sowohl die Demo 
kratische Fraktion wie die Fraktion des Zentrums, also 
beide, unsern berechtigten Anspruch aus den ersten Vor 
steherposten anerkannt haben. Demzufolge haben wir uns 
aus den Standpunkt gestellt, daß wir auch den Anspruch 
der Demokraten und auch des Zentrums, selbst wenn er 
nrcht offiziell erhoben ist, anerkennen und aus diesem 
Januar 1925. 5 
Grunde haben wir in dem Wahlgange, der eben vor 
sich gegangen ist, für einen Kandidaten des Zentrums 
gestimmt. 
(Zuruf: Für die 8 Mann!) 
(Zuruf: Aus die Qualität kommt es an!) 
Das ist die einfache Erklärung, die ich hier gebe. 
(Große Unruhe im Saal durch Gespräche. Glocke.) 
Ich kann ja solange warten, bis die Herren etwas 
ruhiger sind, ich brauche mich ja nicht übermäßig anzu 
strengen. 
Vorst. Haß: Ich bitte die Herrschaften, ihre 
Plätze einzunehmen! 
(Zurus links: Wir können hinten nichts hören!) 
(Stadtv. Schwarz: Ich kann nicht mehr sitzen!) 
Vorst. Haß: Ich muß aber sehr darum bitten, 
daß die Plätze eingenommen werden! 
(Redner fortfahrend) Meine Damen und Herren! Herr 
Dorr hat gemeint, es sei fraglich, ob es überhaupt zu 
lässig ist, Stimmen für gültig zu erklären, die abge 
geben sind für einen Stadtverordneten, der nicht offiziell 
vorgeschlagen ist. Meine Damen und Herren, das ist keine 
Zweifelsfrage. Es sind also die Stimmen gültig, die 
für einen Stadtverordneten abgegeben werden, denn jeder 
Stadtverordnete ist wählbar. Ich darf nur darauf hin 
weisen, daß z. B. im Reichstage der Herr Löbe überhaupt 
nicht offiziell in der Plenarsitzung des Reichstages vor 
geschlagen ist. Trotzdem ist er gewählt worden und er ist 
der Präsident des Reichstages. Ich glaube, darüber sind 
sich die Juristen einig, daß da keine Zweifelsfrage vor 
liegt. Das möchte ich auch noch klargestellt haben. 
Stadtv. Dörr: Ein paar Worte nur. 
(Große Unruhe durch Gespräche.) 
Vorst. Haß: Bitte um Ruhe! 
Ich habe sehr ruhig mit angehört, lvas Ihr Herr 
Dittmann hier sagte, ich hoffe, Sie werden auch das 
zur Kenntnis nehmen können, tpas ich dazu zu sagen habe. 
(Zurus links: Das kommt aus Ihre Worte an! Nur, 
wenn es was Vernünftiges ist!) 
Die Art der Beeinflussung, die Herr Dittmann hier 
beliebt hat, erinnert sehr stark an einen Prozeß in Magde 
burg, Ivo man eine ähnliche Methode versucht hat, 
(Lachen.) 
wo mit ähnlicher Methode Herr Dittmann zu beweisen 
suchte, daß ein sehr nützlicher Landesverrat kein Lan 
desverrat .gewesen ist. < ' „ ' 
Vorst. H a ß: Herr Kollege Dörr, das ist aber nicht 
zur Geschäftsordnung! 
Ja, es dient aber zur Begründung meiner Einwen 
dungen.. I 
Vorst. Haß: Das kann ich nicht anerkennen! 
Wenn es Ahnen auch unangenehm ist, >es gehört doch dazu, 
da ist nichts zu machen. 
Im übrigen hat sich Herr Dittmann hier eine Ver 
gewaltigung der Geschäftsordnung geleistet, denn er hat 
gemeint, daß Kandidaten nicht vorgeschlagen zu werden 
brauchen. Wenn die Vorschläge der Kandidaten nicht 
voraus gingen, dann wäre eine Wahl überhaupt unmög 
lich. Sie. haben vorhin erst hier festgestellt, daß es mög 
lich ist, wenn nur ein Vorschlag erfolgt, auf eine 
weitere Wahl zu verzichten. Der Vorschlag der kleinen 
Achtmüunersraktion, des Zentrums, ist nicht gekommen, 
die Sozialdemokraten haben sich beflissen gefühlt, trotz 
dem eine der kleinsten Fraktionen, eine bürgerliche Frak 
tion, hier zu wählen. Es ist selbstverständlich, wie Herr 
Dittmann ganz richtig erklärte: Eine Hand wäscht die 
andere, 
(Zurufe, Lachen.) 
mit dein Zentrum und den Demokraten leben Sie tut 
sehr schönen, glücklichen Verhältnis, und ich bin davon 
überzeugt, binnen kurzer Zeit wird auch die Deutsche 
Volkspartet wieder m ihre Atme zurückkehren, Sie werden 
mit Stresemaun dann so gut auskommen können, wie 
Sie es bisher konnten. 
(Zurus links: Und Sie mit Koch!)
	        
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