Path:
Volume Sitzung 7., 19. Februar 1925

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1925 (Public Domain)

138 ; Schumi mit 19. Februar 1925. 
die bereits verausgabten 100 000 dl zu übernehmen 
und dem Wunsche Rechnung getragen hat, indem der 
Ausschuß mit Mehrheit dafür stimmte, muß ich im 
Namen der Kommunistischen Fraktion erklären, daß 
wir gegen diese Vorlage sind. Wir können absolut die 
Notwendigkeit nicht anerkennen, dem Verein Deutsch- 
stämmiger aus Rußland eine Bürgschaft in Höhe von 
100 000 dl zu geben. Warum? Liegt irgend eine 
Notwendigkeit vor, daß die Deutschstämmigen aus 
Rußland eine Extraschule haben müssen? Die Not 
wendigkeit liegt absolut nicht vor, denn dieser Teil 
der Bevölkerung kann in den allgemeinen Schulbe- 
trieb eingeordnet werden, genau so, wie es mit den 
Tausenden geschieht, die sich in Deutschland aushalten 
und anderen Nationen angehören. Man sagt ja, wir 
brauchen diese Schule, damit die Kinder gut die rus 
sische Sprache erlernen können. Nun, meine Damen 
und Herren, wer hat nicht das Bedürfnis, eine fremde 
Sprache zu erlernen? Ich glaube, unsere Kinder und 
so viele Kinder der arbeitenden Bevölkerung Berlins 
haben dasselbe Bedürfnis, eine fremde Sprache zu 
erlernen. Sie haben aber nicht die Mittel dazu, um 
dieses zu ermöglichen, sie haben nicht solche guten 
Fürsprecher in der rechten Seite dieses Hauses, die 
Bür-Achten im Werte von 100 000 dl zur Verfügung 
stellt, um ein solches Erziehungsunternehmen einzu 
richten und zu unterhalten. 
Aber noch mehrt Sie haben auch auf Anregung 
und durch Zustimmung der rechten Seite dieses 
Hauses hier beschlossen, daß die Kinder der 
Ausländer, die bereits feit Jahrzehnten in 
Berlin ihren Wohnsitz haben, aber nicht natu 
ralisiert sind, ein viel höheres Schulgeld bezahlen 
müssen und nicht die Vergünstigung haben, wie hier 
eine bestimmte Schicht von Menschen. Darüber hin 
aus gibt es in Berlin unzählige Ausländer, die seit 
Jahrzehnten in Berlin ihren Wohnsitz haben, die ver 
heiratet sind, hier jahraus jahrein ihre Steuern zahlen, 
aber in dem Augenblick, wo sie erwerbslos werden, 
nicht in den Genuß der Erwerbslosenunterstützung 
kommen. 
Man sieht also hier ganz deutlich, wie mit 
zweierlei Maß gemessen wird. Man unterstützt hier 
Bestrebungen unter dem Deckmantel des von Ihnen 
so gern vorgeschobenen allgemeinen Wohls, obwohl 
ganz andere Interessen dabei eine Rolle spielen, die 
mit der allgemeinen Wohlfahrt absolut nichts zu tun 
haben. 
Wenn man sich nun die Frage vorlegt, wie 
kommt es, daß gerade der Verein Deutschstämmiger 
aus Rußland so von der rechten Seite des Hauses un 
terstützt und ihr Begehren befürwortet wird, so be 
kommt man einigermaßen einen Einblick, wenn man 
weiß, daß bestimmte Personen diese Institution be 
günstigen und welchen Zweck und welche Bedeutung 
diese geschaffene Institution hat. 
Vor mir liegt die Abschrift eines Briefes des 
Herrn Oberbürgermeisters vom 8. Juni 1922. Dieses 
Schreiben beschäftigt sich mit dem Deutsch-russischen 
Realgymnasium — also des dafür in Frage kommen 
den Vereins. Der Herr Oberbürgermeister stellt dort 
dem Vorstand des Deutsch-russischen Realgymnasiums 
eine Empfehlung aus, daß es wohltätige Zwecke ver 
folgt usw. und sagt dann: Die Schule hat den Zweck, 
daß die jungen Leute später als Externe ihre päda 
gogische Prüfung in Deutschland bestehen und dann 
als Pioniere des Deutschtums nach Rußland in lei 
tende Stellen zurückkehren sollen. 
Ich frage Sie, meine Damen und Herren, was 
soll das bedeuten, daß die dort in der Schule erzogenen 
Kinder als Pioniere des Deutschtums in leitende Stel 
len noch Rußland gehen sollen? Welches Deutschtum 
soll denn dort vertreten werden, das Deutschtum des 
Herrn Ludendorff oder das Deutschtum der Klassen- \ 
Justiz, der Korruption, der Barmat, der von Zitze 
witz usw., 
(Zuruf rechte: Koenen!) 
in dem wir uns befinden? Ich glaube, die russische 
Bevölkerung lehnt ein derartiges Deutschtum der 
Klassenjustiz, des Herrn Ludendorff, und der 
Barmatleute ab. Sie haben sich mit anderen Dingen 
zu beschäftigen und werden sich für derartige Pioniere, 
die Sie ihnen hinschicken wollen, bedanken. 
(Zuruf rechts: Koenen!) 
Aber es zeigt ganz deutlich, warum gerade die rechte 
Seite des Hauses sich so warm für diese Kreise ein 
setzt. 
Inzwischen haben wir nun noch erfahren, daß die 
finanzielle Seite jenes Unternehmens eine sehr 
kitzlige ist. 
Der Herr Berichterstatter hat bereits mitgeteilt, 
daß dem Ausschuß ein Schreiben der Rechtsanwälte 
Heine und Karge vorlag. In diesem Schreiben wer 
den im Aufträge des Bankhauses Erfelius die heftig 
sten Vorwürfe gegen den Vorstand jenes Vereins er 
hoben. Man argumentiert dort mit Ausdrücken, die 
hier als nicht parlamentarisch bezeichnet werden 
würden. 
Also, es zeigt sich, daß auch der geschäftliche Teil 
dieses Unternehmens sicherlich nicht so ist, wie es wün 
schenswert wäre, und ich sage, wir können absolut 
nicht einsehen, aus welchem Grunde hier einer be 
sonderen Kategorie, einer Spezialschicht der Bevölke 
rung eine Bürgschaft übergeben werden soll. Mit 
derselben Berechtigung können morgen andere Lands 
mannschaften und Vereine an die Stadt Berlin her 
antreten — z. B. die Vertriebenen aus Horthy- 
Ungarn — mit derselben Argumentation, mit 
derselben Begründung, und können von uns Bürg 
schaften über Bürgschaften verlangen. Ich bin davon 
überzeugt, daß sie dann diesen Bürgschaften nicht die 
Zustimmung geben werden. 
Doch an eins möchte ich noch erinnern: 
Welches Geschrei und welches Getue wurde von 
der rechten Seite des Hauses hervorgerufen, als — 
im Jahre 1920, glaube ich, war es — von feiten der 
Berliner Volksbühne eine Bürgschaft von 150 000 dl 
verlangt wurde, ein gutfundiertes Unternehmen, das 
hunderttausend und mehr zahlende Mitglieder hat. 
Damals kam die Volksbühne mit dem Ersuchen, eine 
Bürgschaft im Werte von 150 000 Reichsmark zu be 
kommen, um den Bau des eingegangenen Theaters, 
die Kroll-Oper am Königsplatz fortzusetzen. Und da 
war es die rechte Seite des Hauses, die für die Ber 
liner arbeitende Bevölkerung keinen Pfennig hatte,die 
aber alles zur Verfügung stellt für reaktionäre, kontra- 
revolutionäre Organisationen. 
Dorff. Haß: Ich möchte zunächst den Herrn Kol 
legen Gäbe! darauf aufmerksam machen, daß die An 
frage Drucks. 541 durchaus nicht in der Versenkung 
verschwunden ist, sondern durch Beschluß der Stadt 
verordnetenversammlung dem Ausschuß mit über 
wiesen war. 
(Stadtv. Gäbel: Steht nicht auf der Tages 
ordnung!) 
Sie war damals mit überwiesen. Der Herr Bericht 
erstatter hat allerdings nicht Bezug darauf genom 
men. Aber jedenfalls ist sie nicht verschwunden. 
(Stadtv. Dr. Caspari: War ja zurückgezogen!) 
(Stadtv. Gäbel: Ist nicht zurückgezogen worden!) 
Der Herr Stadtkämmerer hat zunächst das Wort. 
Sfabffämmerer Dr. Karding: Meine Damen 
und Herren! Ick) glaube, daß ich es wohl nicht nviig 
habe, ernstlich den Magistrat gegen die Andeutung 
in Schutz zu nehmen, als ob er seine Vorlage vor 
datiert hätte, mit nicht den Eindruck zu erweckem daß 
sie erst durch die Anfrage der Freunde des Herrn 
Kollegen Gäbel hervorgerufen fei. Die Vorlage des 
Magistrats ist zeitlich ungefähr zusammengefallen mit 
der Anfrage, aber ohne durch diese Anfrage hervor 
gerufen zu sein. 
Sfabfo. horlih: Meine Damen und Herren! Wir 
sind sehr erstaunt darüber und erheben dagegen Ein 
spruch, daß vom Magistrat eine so wichtige Vorlage 
erst so spät der Stadtverordnetenversammlung zur 
Kenntnis gegeben wird. Es ist ein ganz unhalt 
barer Zustand, wenn ein Kredit, der bereits im April 
bewilligt worden ist, Gegenstand einer Vorlage erst 
im November desselben Jahres wird.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.