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Volume Sitzung 46, 18. Dezember 1924

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1924 (Public Domain)

286 Sitzung am 18. 
Ich glaube, den Wortlaut des Reverses genau im Kopfe 
zu haben. Ich wiederhole, daß ich von der letzten Fassung 
spreche und daß sie für alle Beteiligten gelten soll. Dabei 
sind die Ansprüche, welche die Beteiligten bezüglich Ruhe 
gehalt mid Hinterbliebenenversorgung haben, ausdrück 
lich von dem Verzicht ausgenommen, also die Ansprüche 
gegenüber der Stadt. Von einer Verweisung aus die neue 
Rnhegchaltseinrichtnng der Straßenbahn ist mit keinem 
Wort die Rede. 
Ich glaube, daß Herr Kollege Lange auch über den 
Inhalt dieses letzten Reverses nicht im Zweifel sein kann, 
denn Herr Kollege Lange, Sie sind ja hervorragend an 
der Abfassung des Wortlautes des letzten Reverses be 
teiligt gewesen. 
(Stadtv. Lange: Gegen den ich aber Stellung 
genommen habe!) 
Hinterher! 
(Stadtv. Lange: Nein, in der Aussichtsratssitzuug!) 
(Stadtv. Müller-Franken: So sehen Aussichts- 
rätc aus!) 
Es war in Ihrem Einverständnis! 
(Stadtv. Lange: Nein, nein, ich habe im Auf sichts 
rat dagegen Stellung genommen!) 
(Stadtv. Müller-Franken: Au weh Lange! — Ich 
möchte Sie mal im Aufsichtsrat sehen!) 
Stadtv. Wolfs: Meine Damen und Herren! Es 
sind heute hier wohl die Redner aller Parteien zu 
Worte gekommen, und alle haben sich dahingehend ge 
äußert, daß das Vorgehen der Betriebsgesellschaft zu ver 
urteilen ist. Das Verlangen, einen derartigen Revers 
zu unterschreiben, das ist hier allgemein geäußert, stellt, 
gelinde gesagt, eine Nötigung dar. 
Wie ist nun aber dieser ganze Zustand entstanden, 
wenn loir rückwärts gehen und die Sache betrachten? 
Einmal ist hier die Abbanverordnung herangezogen 
worden, um die Angestellten ihrer ehemaligen Rechte 
verlustig zu erklären. Sie sind einmal von der Stadt 
gekündigt worden und dann in das neue Verhältnis über 
nommen. Durch die Kündigung hat mau erwirkt, daß 
ihre alten Rechte als Festangestellte verloren gingen. 
Nur soweit der Paragraph, ich glaube 21 der Abbauver- 
vrdnnng in Frage kommt, sind natürlich ihre Rechte 
gewahrt. Man hat also hier eine Abbauverordnung, die 
von allen Parteien des Hauses mit Ausnahme meiner 
Partei ehemals gebilligt worden ist, dazu benutzt, um 
Angestellte und Arbeiter ihrer Rechte verlustig zu erklären. 
Daß muß einmal festgestellt werden. 
Ferner sagt der Herr Kämmerer Karding, daß sich die 
Straßenbahn in dem letzten Jahre derartig gut ent 
wickelt habe, daß sie nur zu loben sei. Ja, wenn mir 
aber die Anstellungsverhältnisse gegen früher be 
trachten, so sind doch besonders die Arbeiter heute be 
deutend schlechter gestellt als früher. Früher war der 
Achtstundentag bei der städtischen Bahn eingeführt, heute 
ist eine dauernde Arbeitsverläugerung durchgesetzt. Ja, 
von einem Achtstundentag redet man heute nicht mehr. 
Es sind auch die freien Tage: so gut wie aufgehoben. 
Ich glaube, die kommen alle 3 Wochen mal vor. 
Das alles wird hierbei von demi Herrn Kämmerer 
vergessen. Auf Kosten der Arbeitnehmer einen derartigen 
Betrieb in kurzer Zeit hoch zu bringen, ist natürlich 
dann leicht. 
(Hört, hört!) 
Jetzt komme ich zu Herrn Kollegen Flatau: 
Herr Kollege Flatau sagte, daß der Magistratsver 
treter nicht hier ist, der int Anssichtsrat sitzt. Es ist 
doch einer Ihrer Herren, ein sozialdemokratischer Ver 
treter, 
(Hört, hört!) 
der es nicht für nötig hält, hier, wenn Arbeiterinteressen 
auf dem Spiel stehen, zu erscheinen. Ich meine, Sie 
müßten natürlich einen Einfluß auf Ihre Herren, die 
im Magistrat sitzen, ausüben, daß sie mindestens dann 
erscheinen, wenn die Sache zur Sprache steht, die sie 
zu verleiten haben. 
(Stadtv. Dr. Weyl: Hat Herr Flatau das nicht 
deutlich genug gesagt?) 
Ja, das hat er gesagt, aber Sie müssen derartig auf 
Ihre Leute drücken, das es anders wird. So ist es 
von mir gemeint. 
Dezember 1924. 
Natürlich stehen wir vollständig auf dem Standpunkt, 
daß loir uns einig dahin warnt, daß sämtliche Ange 
stellte, die jetzt hier in Frage stehen — es sind glaube ich 
48 —, wieder eingestellt werden und meine Fraktion steht 
auf dem Standpunkt: zu den alten Bedingungen, zu den 
ihnen günstigsten Bedingungen, die zu ermöglichen sind. 
Stadtv. Müller-Franken: Meine Damen und 
Herren! Der Herr Kämmerer Karding hat uns gesagt, 
ivas wir der Leitung der Berliner Straßenbahn denn 
eigentlich zu verdanken haben, daß die Straßenbahn, 
obwohl sie einmal im Zusammenbruch gewesen ist, es bis 
heute soweit gebracht hat. 
Ich glaube, tvenu mau jemanden von dieser Stelle 
aus den Tank aussprechen kann, kann es nur ein 
au das Berliner Publikum sein, das diese Rücksichtslosig 
keiten der Straßenbahn mit einer Geduld bisher er 
tragen hat, 
(Sehr richtig!) 
zu der nur das Berliner Publikum! überhaupt fähig ist, 
das nach meiner Auffassung das geduldigste ist, das man 
überhaupt in allen Großstädten findet. 
'(Sehr richtig!) 
Was ist denn dabei? Das Unternehmen wächst doch ganz 
von selbst. Man könnte die Straßenbahn noch schlechter 
leiten, als sie geleitet wird, trotzdem muß sie sich mit der 
wirtschaftlichen Verbesserung der Lage, bei der lieber* 
füllung, bei der ganzen Betriebsweise entwickeln. 
(Stadtv. Dr. Wehl: Bei dem Mangel an Konkurrenz!) 
Also Monopolstellung. Meine sehr verehrten Damen 
und Herren, lvas wollen wir denn machen? Ver 
gnügen machts nicht, aber fahren müssen loir doch, 
(Stadtv. Dr, Weyl: Richtig!) 
weit wir ja doch nichts anderes haben. 
Also, den Dank der Straßenbahn ausznsprechen, das 
halte ich für wirklich sehr deplaziert. 
(Stadtv. Dr. Weyl: Sehr richtig!) 
Ich habe immer die Auffassung, wenn man von der 
Straßenbahn und seiner Leitung spricht, denkt man immer 
an das Grundelement dort: Rücksichtslosigkeit, Rück 
sichtslosigkeit gegen den Verkehr, 
(Sehr richtig!) 
gegen das Großberliner Publikum und — das habe ich 
schon einmal an dieser Stelle gesagt — Rücksichtslosigkeit 
gegenüber dem alten guten Personal, das man früher ge 
habt hat. Wie es mit dem.andern ist, weiß ich augen 
blicklich nicht. 
Ich höre, daß der Revers, den ich einmal von dieser 
Stelle ans gcgeiselt habe, geändert worden ist. Aber die 
Wirkung des Reverses ist doch meines Erachtens be 
stehen geblieben trotz der Aenderung. Die Leute sitzen 
doch immer noch draußen, 
(Sehr richtig!) 
und es kommt doch nicht ans den Revers an, sondern 
aus die Tatsache, daß die Leutes draußen sitzen. 
Also, ich weiß nicht, warum wir uns dann zufrieden 
geben, daß der Revers mit oder ohne Zustimmung des 
Kollegen Lange geändert worden ist, uns kommt es 
darauf an, daß die Wirkung des Reverses aufgehoben wird 
Das ist bisher tatsächlich noch nicht geschehen. 
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich 
muß immer wieder sagen, ich wundere mich über diesen 
Aussichtsrat, den die Straßenbahn Berlin hat. Ich würde 
mir als Leiter eines Werkes auch so einen Aufsichtsrat 
zusammensuchen, 
(Heiterkeit.) 
wie ihn die Straßenbahn hat. Diesem Anssichtsrat müßte 
man eigentlich einmal Vorlesungen über die Frage halten: 
Wie benehme ich mich als Aufsichtsrat, 
(Heiterkeit. — Hört, hört-Rufe.) 
denn das scheint er noch nicht zu wissen. Er kommt 
hierher, beklagt sich, er schimpft, aber im Aufsichtsrat 
scheint leider die Direktion und nicht unsere Vertreter 
die erste Flöte zu spielen. 
(Sehr gut!)' 
Das ist falsch. Deshalb haben wir sie nicht in den 
Aufsichtsrat geschickt. 
(Sachen, — Bravorufe.)
	        
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