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Volume Sitzung 43, 20. November 1924

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue1924 (Public Domain)

218 Sitzung ant 20. 
Folge einer Erklärung zum Heimstättengebiet (§ 10 
Abs. 1 des Preußischen Ausführungsgesetzes zum 
Reichsheimstättengesetz Ziffer VIII der Preußischem 
Ausführung,Sbestimntitugen) ist, daß Anlägen, die die 
Verwendung des Gebietes für Heimstätten beeinträch 
tigen würden, daselbst nicht errichtet werden dürfen. 
Wenn also ein Gebiet zum Heimstätten gartengebiet 
erklärt ist, so bedeutet dieses, daß Baulichkeiten, die 
nicht dem Garteubetriebe dienen, sondern ihm abträg 
lich sind dort nicht errichtet werden dürfen. Die 
näheren Vorschriften werden zweckmäßig im Wege der 
Pvlizeiverordnuug zu regeln sein. (§ 10 Abs. 1 
Satz 2.) Es ist nicht etwa nötig, daß alsbald alle 
dort liegenden Gärten zu Neichsheimstättenrecht aus» 
gegeben werden — dies ist zwar das Ziel—, aber 
seine Verwirklichung kann allmählich erfolgen. Da 
mit ist aber das Gelände der Bebauung im wesent 
lichen entzogen und der beabsichtigte Zwech vorerst 
erreicht." 
Meine Damen und Herren! Ter Erlaß des Preußi 
schen Wohlsahrtsmiuisters bezieht sich tiuf den § 30 
des ReichsheimslätleugesetzeS, Absatz 2, der besagt, daß 
in besonderen Fällen, >oo ein besonderes Bedürfnis vor 
liegt, flanbflächeu ausnahmsweise als Heimstättengrund- 
ftücfe ausgegeben werden können, die ans Einsaniilien-> 
haus oder Nutzgarten bestehen, oder Grundstücke, die 
für nicht gewerbsmäßige gärtnerische Nutzung, Klein 
gärten, Laubeuland bestimmt find. 
Meine Damen und Herren! Unsere Anfrage be 
zieht sich auf diesen letzten Absatz des § 30 .des Reichs 
heimstättengesetzes. Wiederholte Anträge der Klein 
gärtner beim Städtebauamt auf Ausweisung von soge 
nannten Dauetkleingartenkolonien in den Bebauungs 
plänen haben bisher leider eine Berücksichtigung bei 
der Aufstellung des jetzt von der Einheitsgemeinde Groß 
Berlin festgelegten Bebauungsplanes nicht gefunden. 
Weite Kreise — nicht nur der Kleingärtner, sondern) 
darüber hinaus der gesamten bodenreformerischen Be 
völkerung — haben das als einen außerordentlich starken 
Mangel empfunden. Rund 170000 Kleingärtner, die 
ihre Gärten heute zum großen Teil auf baureifen Ge 
länden oder aber auf Gelände haben, das jedenfalls in 
absehbarer Zeit als banreifes Gelände angesprochen wer 
den kaun, streben darauf hin, nun endlich ein dauerndes 
Gebiet zu bekommen. Sie wissen heute nicht, ob sie 
ihre Scholle, die sie durch viele Mühe und Arbeit erst, 
zu nutzbringendem Kulturboden umgewandelt haben, be 
halten können oder ob diese Scholle mit der fortschrei 
tenden Bebauung ihnen wieder verloren gehen wird, 
womit denn die aufgewendete Mühe und die Arbeit illu 
sorisch gemacht werben würde. 
Meine Damen und Herren! Die Kleingartenbewe 
gung ist ott und für sich eine außerordentlich junge Be 
wegung. Wir hatten in Berlin in den Jahren der 
Vorkriegszeit — bis 1910 — außerordentlich wenige 
Kleingärten, während in Mitteldeutschland, ganz be 
sonders aber in Sachsen, die Kleingärten schon seit 
Jahrzehnten vor dein Kriege volkstümliche Einrich 
tungen waren. Besonders der Leipziger Arzt Dr. Schie 
ber und sein Schwiegersohn, der Schuldirektor Hau- 
schild, hatten vor mehr als 50 Jahren fit Sachsen 
die ersten sogenannten Schirebervereine gegründet, die 
ursprünglich den Zweck hatten, durch Schaffung von 
Spielplätzen die Kinder den Gefahren der Straße zu 
entziehen und so die Spielplätze als einen erzieheri 
schen Zweck und als ein erzieherisches Mittel einzu 
führen. Kurze Zeit darauf bildeten sich um diesen 
Spielplätzen sogenannte Schrebergärten. So wurden ans 
diesen Schrebervereineu nachträglich Schreber-Garten- 
Vereine, die sich neben der Jugendpflege auch zugleich 
der Bearbeitung der Gärten, die als Pacht gärten auf 
gezogen wurden, angelegen sein ließen. 
Meine Damen und Herren! Diese Bewegung hat 
sich daun lange Jahre hindurch nur auf Mitteldeutsch 
land beschränkt, und nicht ganz ein Jahrzehnt vor dem 
Kriege fand daun diese Bewegung u. a. auch in Berlin Ein 
gang, allerdings kamt ich sagen unter der Bezeichnung 
der wilden Laubenkolonien. In Berlin hatte der Ge 
neralpächter das Land in den Händen und verpachtete 
die Parzellen an diejenigen, die ihm angenehm waren 
und von denen er die höchste Pacht erhalten konnte. 
Meistenteils kam noch hinzu, daß dieser Generalpächter 
November 1924. 
zu gleicher Zeit der sogenannte Vereinsgastwirt oder 
Vereinsbudiker, wie damals der Berliner Ausdruck hieß, 
war und daß er dann bei der Verpachtung wesentlichen 
Wert darauf legte, daß die Leute bei ihm auch erheblich 
in der Kreide standen. Daten sie das nicht, so mußten 
sie damit rechnen, daß sie bei der nächsten Verpachtung 
ausfielen. 
Dann kam der Krieg. Der Krieg hat für die ge 
samte Kleingarteubewegnng einen erheblichen Aufschwung 
gebracht, konnte sich doch die Regierung infolge der Er- 
uährungsschwierigkeiten im Kriege nicht davon abhalten 
lassen, mich die Kleingärten durch Verordnungen unter 
Schutz zu stellen. Sie wirkte darauf hin, daß nicht von 
Seilen des Eigentümers die Kündigung ohne weiteres 
ausgesprochen werden durfte. Die Kleingärten sollten 
die Ernährungsschwierigkeiten durch eine intensive Be 
wirtschaftung mit beseitigen helfen- Nachdem nun die 
Verhältnisse günstiger geworden sind, nachdem vor allen 
Dingen die Eruähruugsschwierigkeiteu erheblich nachge 
lassen haben, und nachdem weiter ein Teil derjenigen 
Kleingärtner, die während des Krieges nur aus Er 
nährungsbedürfnissen heraus. Um ihren mageren Tisch 
mit etwas Gemüse zu bedecken, zum Kleingarten ge 
griffen haben, die sogenannten Kartoffel- und Kriegs- 
kleingärtuer inzwischen ihre Scholle wieder aufgegeben 
haben, hat aber ein erheblicher Teil der Kleingärtner heute 
den kulturielleu, bett sozialen und den gesundheitlichen 
Wert der Kleingärten eingesehen. Ich möchte dabei 
erwähnen, daß allerdings ein Teil dieser Kleingärtner 
deswegen die Scholle aufgegeben hat, weil die Entfer 
nungen, die die Kleingärtner zu den Kleingärten zurück 
zulegen hatten, ganz erheblich waren und weil durch die 
Entfernungen eine erhebliche Verteuerung eintrat. 
Ein erheblicher Teil der Kleingärtner hat auch tu 
Zukunft das größte Interesse daran, daß ihm der Klein 
garten, der ihm eilte Erholungsstätte, eine Stätte der 
körperlichen und seelischen Gesundung darstellt, bleibt, 
daß er diese Kleingärten sich für die Zukunft sichern kann. 
Da leider die Gemeinden bisher wenig, ganz besonders 
aber Berlin außerordentlich wenig dafür getan hat, daß 
— Wie alle modernen und weitschauenden Städtebauer 
das heute verlangen — Kleingartengebiete in die städti 
schen Bebauungsplätte aufgenommen werden, daß diese 
Gebiete als sogenannte dauernde Grünflächen ausgewiesen 
werden, sind die Kleingärtner heute mit berechtigten For 
derungen sowohl an Reich und Staat als auch an die 
Gemeinden herangetreten, um diesen ihren Wünschen 
Geltung zu verschaffen, um die Gemeinden zu veran 
lassen, besonders bei der Aufstellung der Bebauungspläne 
Dauetkleingarteugeläude auszuweisen. 
Meine Domen und Herren! Wenn man bedenkt, daß 
die Eiichcttsgiemieinbe heute einen Flächeninhalt von 
87 744,22 ha aufweist gegenüber einer Flächengröße von 
6 586,32 ha vor der Eingemeindung!, so kann man sich 
'vorstellen, daß neben "der politischen Einheit, die hervor 
gegangen ist ans der wirtschaftlichen Einheit, die Berlin, 
ja schon vor der Eingemeindung darstellte, und die 
deswegen ganz besonders die Sozialdemokratie veran 
laßt Hat, sich mit aller Energie für eine Einheitsgemeinde 
auszusprecheu und für sie zu wirken, daß die starke Zu 
nahme der Flächengröße sowie der Personenzahl eine ge 
wisse, sagen wir mal vorsichtige Behandlung dieser ge 
samten Angelegenheit dem Städte-Bauamt zur Aufgabe 
gemacht hat. Darüber hinaus muß man allerdings, wenn 
man diese Flächenzone der Einheitsgemeinde betrachtet, sich 
sagen, daß, nachdem die Einheitsgemeinde politisch vor 
handen ist, auch im Laufe der Zeit städtebaulich zu einer 
organischen Einheit zusamuieugeschwrißt werden muß und 
daß bei der Aufstellung eines Bebauungsplanes für die 
^Einheitsgemeinde, die ja zur Grundlage haben muß, daß 
die bisherigen einzelnen Bebauungspläne der früheren 
Einzelgemetuden verschwinden müssen, und dafür ein 
sogenannter Generalbebau ungspl an für die Einheit ^ge 
meinde Berlin Platz greifen muß. Und da kann mau 
schon fordern, daß bei der Aufstellung dieses neuen Be 
bauungsplanes für die Einheitsgemeinde Berlin der For 
derung der Kleingärtner auf Ausweisung von Daitcr- 
Ileingartenkolonien im Bebauungsplan Rechnung getragen 
werden muß, deswegen, weil daran fast alle gartenlosen 
Mietkaserneubewohner interessiert sind und weil heute 
viele Städtebauer dafür eintreten. Ich erinnere da nur 
ott Professor Dr. Schnnmcher-Hamburg, den Professor au
	        
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