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Volume No. 3, 31. Januar 1918

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue45.1918 (Public Domain)

Sikzung am 31. Januar 1918, 
Äi- 
m 
gefichert. . Ach, das hätte man. doch. in der 12jährigen 
Herrschaft des Soziglistengesezes kennen lernen sollen 
und daraus seine Folgerungen gezogen haben müssfen. 
Der Vorwärts wurde verboten, und es war keine Mög- 
lichkeit vorhanden, in informierender Form zu den Ar- 
beitern zu reden. Sie konnten sich nicht versammeln. 
Meinen Sie = es müßte ja wirklich in den Adern 
ver Arbeiter fein warme38 Blut mehr vorhanden sein =, 
daß die Empörung nicht emporlodern mußte! 
Hoffen wir, daß es möglich sein wird, vielleicht 
in. Laufe des morgigen Tages eine andere Stimmung 
bei der Regierung vorzufindon. Wenn wir die Unter- 
stübung der städitschen Behörden, des Magistrats finden 
jvürden, so wäre das eine nicht zu unterschäßende Unter- 
stüßung. Darum bin ich der Meinung: der Antrag, 
der von den Kollegen Boerner und Genossen gestellt iwor- 
den ist, sollte einem Widerstand in der Stadtverordneten- 
versanmlung nicht begegnen dürfen und nicht begegnen; 
als liberale Männer müßten Sie ihm zustimmen. Es 
wird noch manches anders werden; noch manche Lehre, 
vor der man sich heute noch verschließt, wird nicht mehr 
an taube Ohren schlagen, sondern man wird ihr Ver- 
ständnis entgegenbringen. Man hat schon sehr viel 
in den 31% Jahren gegenüber den vorwärt3 und 
auswärts strebenden Arbeiterbewegungen im Vergleich 
zu früheren Anschauungen revidieren müssen; ich bin 
überzeugt, main wird es auch in der Zukunst tun müssen. 
Darum werden wir für den Antrag Boerner und Ge- 
nossen stimmen. Der Sache glauben wir damit ganz 
objektiv zu dienen, ohne daß wir von unserer seitherigen 
Haltung, bis ***+* wenigstens noch nicht, abzuweichen ge- 
somnen sind. 
E3 wäre besser, wenn die Stadtverordnetenversamms- 
lung dent Antrage zustimmen würde. Aber nach den 
Darlegungen des Kollegen Cassel ist daran kaum zu 
denfen. Es wäre besser insofern, als dadurch nach- 
träglich zum Ausdruck gebracht würde, daß die Bürger- 
schaft Berlins das sreie Vereins- und Versammlungsrecht 
allen ihren Bürgern in jeder Lebenslage, auch in der 
heutigen unter dem Belagerungszustand, gewährleisten 
will. Wenn nicht, so werden wir uns auf unsere eigne 
Krast verlassen müssen, werven unsere eigenen Wege 
gehen müssen; aber wir müssen uns dann ausbitten, 
ns nicht damit zu kommen, wir hätten irgend etwas 
getan, wovon Sie keine Kenntnis gehabt hätten. Kollege 
Weyl hat schon darauf hingewiesen: wir warnen. Sie. 
Wir warnen Sie aber nicht nur, sondern wir fordern 
Sie zur Mitarbeit auf. 
gerufen haben, und ich will und kaun die Flugblätter 
hier nicht vortragen; aber der Inhalt dieser Flugblätter 
ist. in weiten Kreisen bekannt. Den Ausbruch des Streiks 
fönnein wir von den Zielen, die darin der Arbeiterbevölke- 
rung vorgestellt werden als durch brutale Macht er- 
veichbar, nicht trennen. Wir können nicht den Hinweis 
übersehen, der sich darin findet, daß der Massenstreik am 
einer anderen Stelle die begonnene Revolution zum Siege 
führen wird. Meine Freunde stehen auf dem Stand- 
punkt, wenn wir heute ven Antrag, den die Herren 
Kollegen Boerner und Genotsen gestellt und Herr Weyl 
in ver ihm eigenen scharfen temperamentvollen Art be- 
gründet hat, zustimmen, sv geben wir damit eine 
Sympathicerflärung für diesen politischen Streik, 
(sehr richtig!) 
nd das darf ein deutscher Mann nicht tun. 
(Lebhaster Beifall und Widerspruch.) 
Ein politischer Streif in diesem Moment schädigt unser 
Vaterland in einer Weise, wie es gar nicht gesagt wer- 
ven fami. 
(Beifall und Widerspruch.) 
Ich gehe auf Einzelheiten nicht ein. Die ganzen 
Ausführungen haben gezeigt, daß es fich um eine rein 
volitische Debatte handelt, und ich lehne es ab, mich 
hier über politische Ziele dieser Art zu streiten. Dafür 
ist im Lande des allgemeinen Wahlrechts der Reichstag 
da und nicht die Berliner Stadtverordnetenversamm- 
lung. Hier können wir uns auf diese Dinge nur in- 
soweit einlassen, als wir es tun müssen, um die Ab- 
lsehmung des Antrages zu begründen. Weil wir feine 
Sympathieerklärnng für einen rein politischen Streik 
abgeben wollen, müssen wir diesen Antrag ablehnen. 
Meine Herren, schon Herr Kollege Cassel hat darauf 
hingewiesen : wenu es sich um einen Streik handelt 
zwischen Arbeitgebern und. Arbeitern, um die üblichen 
Machtkämpfe über die Arbeits3bedingungen usw., haben 
Sie immer die städtischen Behörden bereit gefunden, 
zu vermitteln und den Frieden herzustellen; aber dazu 
sind die städtischen Behörden nicht da, in einen politi- 
schen Kampf einzugreifen, und weil wir das nicht 
wollen, lehnen wir den Antrag ab. 
Meine Hexren, ih habe uur noch eine Bemerkung zu 
machen. Es ist hier die Rede von 700 000 Streifenden. 
I< gestehe ganz ehrlich, daß ich nach den Mitteilungen, 
die ich erhalten habe, diese Zahl für ganz phantastisch 
übertrieben halte. 
(Sehr richtig!) | 
Die Zahl der in den Ortskrankenkassen Berlins. zur Zeit 
eingeschriebenen Arbeiter beträgt 1 240 000 Köpfe. Daß 
da nicht 700000 Mann heute streiken können, wo sich 
der Streif, wie Sie wissen, auf ein allerdings sehr 
großes Gewerbe in Berlin in der Hauptsache beschränkt, 
das können Sie sich denken. 
(Zuruf: Großberlin!) 
= Zh spreche von Großberlin. 1240000 Köpfe in 
Großberlin! Dix Ziffer geht Ihnen alle a<t Tage 
zu; wahrscheinlich werfen Sie sie immer in den Papier- 
korb. Zh habe sie zufällig gestern gelesen und möchte 
Ihnen hier damit auswarten.. Aber wenn wir %*/,; Mil- 
lionen Krankenkassenpflichtige haben, wo die Dienstboten, 
einen Beamten usw. immer noch dabei sind, so ist es 
unmöglich, daß wir heute 700 000 Streifende haben 
können. Das ist selbstverständlich, und ich wollte das nur 
gesagt haben, um nicht eine Legendenbildung hinaus5- 
gehen zu lassen. - 
"Im übrigen möchte ich mich namens meiner Freunde 
(Brävo!) 
Stadtv. Mommsen: Meine Herren, wenn wir den 
Ausführungen, die Herr Kollege Pfannkuch in der ruhigen 
Art, die wir an ihm kennen, und die ihn auch heute 
nicht verlassen hat, folgen, sv werden wir manche Punkte 
darin finden, denen wir als liberale Männer durchaus 
zustimmen. Ueber die Frage, daß wir für das freie 
Verein8- und Versanmmlungsrecht sind, brauchen wir uns 
hier nicht zu unterhalten. | 
Insofern könnten wir uns mit dem Antrage einver« 
standen erflären. Aber Sie können dein Antrag, der 
sehr geschickt formuliert ist, doch nicht. davon trennen: 
vas ist denn eigentlich der Zweck und die Ursache dieses 
Streiks, der jezt zum Schaden unseres Vaterlandes in 
Berlin und auch in einzelnen anderen Städten -- es 
ist ja hauptsächlich Berlin -- ausgefochten wird. Meine 
Herren, Sie haben hier nicht die Flugblätter vorgetragen, 
die zum Streif mit dem Beginn am 28. Januar auf
	        
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