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Sißung-am 24. Oktober 1918.
jpiel3weise, wie München, Bre8lau auf Gutachten der
zuständigen Aerzte und auch der Pädagogen die Schulen
mit einem Mal geschlossen sind, dann muß unsere Berliner
Bevölkerung, die Kinder in die Schule gehen läßt, darüber
arg erstaunt sein, warum unsere Medizinal- und unsere
Schulverwaltung diesen. Standpunkt nicht eingenommen
hat. Jnsbesondere, m. H., ist es um so notwendiger, als,
wie ich mir habe sagen lassen, die Gefahr der Diphtherie
in einer Reihe von Schulen augenblilich wieder höher
steigt, als es bisher der Fall war. Schon auch aus
Rücksicht auf, diese tückische Seuche iit e8 doch. wohl
angebracht, mit einem Schlage ein paar Wochen hindurch
die Schulen zu schließen. Auf wie lange man sie schließen
soll, könnte der Pädagoge fragen. Nun, bis mindestens
die Krankheit ihren Höhepunkt überschritten hat! Dasselbe
ist nolwendig sür die Fortbildungsschulen, die-Lesehallen usw.
- Nun gebe ich sehr. wohl zu bedenken, daß, wenn die
Schulen geschlossen sind, die Kinder unter Umständen in
eine Häuslichkeit kommen, die auch aus den verschiedensten
Gründen recht wenig hygienisch eingerichtet ist. Deswegen
stehen „meine Freunde, auf dem Standpunkt, , mit den
gesunden Kindern sollten Lehrer und Lehrerinnen Ausflüge
und Landpartien machen. Das ist gerade in der jekigen
Zeit noch. sehr wohl möglich. Dann findet noch eine
ordentliche Durchlüftung der Körper statt. "
Wir können auch einen Schritt weitergehen, wenn
das auch nicht eine unmittelbare Aufgabe dex Stadt ist;
aber die Stadt wäre wohl: in der Lage, die zuständigen
Behörden nach »dieser Richtung aufmerksam zu machen.
M. H., Sie haben jetzt alle Gelegenheit, bei uns die
Straßenbahnwagen, die Wagen. der Untergrundbahn und
Hochbahn zu benußen. Was3 .sür eine Luft in diesen
„Bazillenkutschen“ herrscht, darüber brauche 1ch nicht näher
zu sprechen. E3 müßte möglich sein, dafür zu sorgen,
daß eine ständige kräftige Durchlüftung der Wagen statt-
findet; dadurch würde mancher Krankheitskeim verschwinden.
Wenn wirklich irgendein ängstlicher Mensch sagt, er könne
es vor Zugluft nicht aushalten, so schadet das nicht3;
durch die Zugluft bekommt er noch keine Influenza. In
Kopenhagen 3. B. besteht diese Vorschrift schon längere Zeit.
Ferner müßten die Menschen daran erinnert werden, sich
häufig die Hände zu waschen und den Mund auszuspülen.
Auch bei den Schalltrichtern der öffentlichen Fernsprecher
ist die größte Vorsicht geboten,
M. H., wenn die Menschen: dann krank sind, kann
allerdings die Medizinalverwaltung ihnen nicht sagen:
geht mal schnell zum Doktor! Denn die Aerzte sind heute
jo. überlastet, daß sie in der Tat nicht in der Lage sind,
all den Wünschen Rechnung zu tragen. Gerade aus diesem
Grunde ist es notwendig, die Bevölkerung durch öffentliche
Proflamation darauf hinzuweisen, daß sie recht verständig
handelt, wenn sie schon frühzeitig, wenn die ersten Zeichen
des Sdnupfens usw. auftreten, dagegen 'etwas tut,
daß sie durch feuchte Wickel, durch Abwaschungen, durch
den Genuß von heißem Tee, was. in vielen Fällen gute
Erfolge bringt, die Krankheit im Entstehen beeinflussen
fann, und wenn wirklich der Arzt benachrichtigt werden
muß, dann aus Rücksicht auf .die Verhältnisse. der Arzt
möglichst in der Vormittagssprechstunde bestellt werden soll-
Ins3bejondere halte ich es für notwendig, daß auch von
öffentlicher Stelle =- das ist inzwischen auf meine Ver-
anlassung geschehen -- die Bevölkerung. darauf aufmerksam
gemacht wird, daß es ein grober Unfug. ist, daß Leute-
wenn sie irgendeine Spur von Kopfshmerzen usw. merken,
zum näcsten Apotheker oder Drogenhändler laufen und
Aspirintabletten in Massen essen... Das ist ein grober
Unfug und hat viel dazu- beigetragen, daß die Menschen
infolge Herzs<wäche der Krankheit zum Opfer gefallen
jind.“'
. Es ist auch gesagt worden, daß es in unseren Kranken-
häusern an Pflegepersonen und Aerzten mangelt. Da
muß es möglich sein, fich mit der Militärverwaltung in
Verbindung zu sezen, um Aerzte und Pflegepersonen ab-
kommandieren zu lassen. |
Dann aber, m. H., komme ich noch zu einer Ver-
pflichtung der Stadt. Zur Behandlung der Kranken jind
feuchtwarme Abwaschungen, Umschläge und dergleichen
notwendig und das Trinken warmer Getränke, Das hat
der Magistrat inzwischen eingesehen, und er hat beim
Oberkommando beantragt, daß den glücklichen Leuten, die
in ihrer Wohnung über Warmwasser verfügen, das warme
Wasser nicht mehr eingeschränkt wird, wie das bisher .be-
kanntlich der Fall war. Auf Veranlassung de3 Magistrats
hat die Kohlenstelle von Großberlin, wie Sie wohl gestern
gelefen haben, verfügt, daß für die Zeit vom 24. Oktober
bis 24, November von morgens 8 bi8 abends 10 Uhr
Abgabe von Warmwasser erfolgen soll. Es handelt sich
aber nur um einen beschränkten Teil der Bevölkerung;
was wird mit den Armen, was wird mit dem Mittel"
stand, die nicht das Glürk haben, in Häusern mit Warm-
wasserversorgung zu wohnen? Da sagt der Magistrat:
Für HauShaltungen in Wohnungen mit Ofenheizung
kann bei Grippeerkrankungen für den gleichen Zeitraum
auf Antrag eine Sonderkarte bi3 zu 2 Ztr. gegen ein
von der Gemeinde nachzuprüfendes ärztliches Zeugnis
abgegeben werden. Sonderzuweisungen von Gas
sind unzulässig.
I< bedauere, daß im Magistrat niemand siht, der
die praktischen Verhältnisse bei den kleinen Leuten zu
beurteilen vermag. Was soll mit den 2 Ztr. angefangen
werden? Mit den 2 Ztr. ist eine Frau vielleicht imstande,
alltäglich den Ofen zu heizen; aber daß sie noch imstande
jein soll, damit Warmwasser herzustellen, das. ist aus-
geschlossen.
Nun kommt noch eins in Betracht. Zur selben Zeit,
wo der Magistrat für die wohlhabendere Bevölkerung. die
unbeschränkte Inanspruchnahme der Warmwasserversorgung
erlaubt, gleichviel ob einer die Grippe hat oder nicht, wird
ven armen Leuten vorgeschrieben: nur erst, wenn sie ein
von der Gemeinde nachzuprüfendes ärztliches Zeugnis vor-
legen, was natürlich mit Kosten verbunden ist, können
sie eine Sonderkarte bi3 zu 2 Ztr. erhalten. Daß dabei
Kohlen übrig bleiben, um auf dem Kochherd sich Wasser
für warme Umschläge zu beschaffen, . ist, wiegesagt, „aus-
geschlossen.
„Sonderzuweisungen von Gas“, heißt es in der Ver-
fügung weiter, „sind unzulässig“. Sie sehen .an diesem
einen Beispiel, wie parteiisch und ungerecht der Magisirat
verfuhr, als ex diese Verfügung lo8gelassen hat: die wohl-
habenden Leute mit und ohne Grippe bekommen für vier
Wochen warmes Wasser, und die Armen werden darauf
hingewiesen, sich Kohlen zu beschaffen! Zu gleicher Zeit
=- das muß die kleinen Leute natürlich noch mehr ver-
biltern =- teilt der Magistrat mit, daß zur Absperrung
des Gases bei . ständigem Ueberschreiten. des. Ver-
brauches geschritten. wird; wenn der Verbraucher mehr
Ga3 fonsumiert, wird .ihm gedroht, daß er als
verschwenderischer Verbraucher kein Gas - mehr er-
halte! Da müßten doch Mittel ausfindig gemacht
werden, um den kleinen Leuten so viel Gas und Kohlen
zur Verfügung zu stellen, al3 sie nötig haben, um ihre
franken Angehörigen zu betreuen. Genau so, wie auf