Path:
Volume No. 15, 27. Juni 1918

Full text: Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung der Haupt- und Residenzstadt Berlin (Public Domain) Issue45.1918 (Public Domain)

Sitzung am 27. Juni 1918; 
223 
EZ 
LD 
ordentlich vielen Fällen zur Absezung der Kriegsunter- 
stüßung bei denjenigen Frauen gekommen, die sich in Arbeit 
befanden. Und, m.H., bei dieser Absezung derUnterstüßungen 
ist man recht verschieden vorgegangen. So war eine Frau 
aus der- 10 CG Kommission im Norden Berlins = die 
ja im allgemeinen ziemlich berüchtigt ist, namentlich in 
bezug auf die Mietsunterstühungen = bei mix und klagte 
mir ihr Leid, daß ihr die Unte-stüßzung abgenommen sei. 
3<h fragte nach dem Grunde, Ja, sie wäre in Arbeit, 
und es wäre ihr erflärt worden, ihr Arbeit verdienst be- 
trage 35. 46, infolgedessen könne sie keine Kriegsunter- 
stüßung erhalten. Die Frau hat nun von diesem Ver- 
dienst von 35 4 sich und ein Kind zu erhalten; das Kind 
bedarf der Aufsicht, weil die Frau bei Tage tätig ist, und 
sie muß für die Boaufsichtigung 20 4 im Monat bezahlen. 
Weiter hat sie davon, da sie infolge ihrer Arbeit schon 
lange feine Mietsunterstüßung bezieht, auch noch eine 
Miete von 28 46 zu decken, so daß von ihrem eigenen 
Verdienst ihr knapp 100 4 zum Lebenöunterhalt ver- 
bleiben. In einer anderen Kommission ist die Unter- 
stüzung abgelehnt worden, weil die Frau, die in einem 
Ministerium beschäftigt war, ein monatliches Einkommen 
von 160 46 hatte. Sie ist allerdings alleinstchend; aber 
jie hat 950 46 Miete zu bezahlen, das sind 78 46 monat- 
lim. Der Mann war Apothekergehilfe und hat infotge- 
dessen vielleicht Anspruch auf solche Wohnung; sie läßt sich 
ja jo schnell nicht wieder aufgeben, und das verlangen 
wir ja eigentlich auch nicht. Die bisherigen Verhältnisse 
jolle4 möglichst aufrechterhalten werden. Der Frau, welche 
außerdem noch für ihre Schwiegermutter mit zu sorgen 
hit, ist die Unterstüßung erst dann gewährt, nachdem sie 
tanf geworden und insolgedessen von der Ministerialstelle 
entlassen war. Aus der 13 A Kommission war vor kurzem 
ebenfalls eine Frau bei mir und klagte mir ihr Leid: sie 
habe zwar einen Verdienst von wöchentlich 50 4, infolge- 
dessen sei ihr die Unterstüßung entzogen worden, aber sie 
habe auch für ein Kind zu sorgen und habe eine Miete 
von 388 4 zu zahlen, auch für die Beaufsichtigung ihres 
Kinde3 müsse sie mindestens 20 4 aufwenden, sie sei bis 
vor fünf oder jec<3 Wochen häufig krank gewesen und 
töne infolge ihrer Krankheit auch jextt niht andauernd 
die schwere Arbeit leisten, die nun einmal von ihr in der 
Munitior fabrik gefordert werde; um die 50 4 zu 
verdienen, müsse sie 11 Stunden arbeiten. Dazu 
kommt, daß sie einen Weg zur Arbeitsstelle von einer 
Stunde und zurück wieder von einer Stunde zu machen 
habe, so daß hierfür in8gesamt 13 Stunden in Betracht 
kommen. Die Frau bat mich um Wiedergewährung der 
Unterstüßung. Jh konnte nichts anderes tun, als sie an 
den betreffenden Herrn Stadtrat verweisen, um dort 
ihre Bitte um Wiedergewährung erneut vorzutragen. In 
der Kommission, welcher ich angehöre, der Kommission 
13 B, wo ich seit Beginn des Krieges mitarbeite, haben 
einzelne Bezirksvorsteher ebenfalls bei eine:n Verdienst 
von 38 bis 40 4 die Absekung der Kricg3unterstüßung 
beantragt. E83 sind Beschlüsse gefaßt worden, bei einem 
Verdienst von 40 16 die Kriegsunterstüßung für die Frau 
allein abzusehen; sind Kinder vorhanden, sollen für die 
Kinder die Unterstüßungen weitergezahlt werden; aber bei 
einem Verdienst von 50 4 ist die Absezung auch bei 
Kindern beschlossen worden, 
nommen wird, wenn eine einzelne Frau ein Einkommen 
von 50 6 hat. Auch in der - Kommission 6, m. H,, 
in welcher unser Herr Kollege Loeser mitarbeitet, bleibt 
die Unterstüßung bei einem Einkommen von wöchentlich 
90 bis 55 46 bestehen. Man kann also wirklich sagen: 
in diesen beiden Kommissionen wird mit demjenigen 
Wohlwollen verfahren, welches die Regierung auch im all- 
gemeinen gefordert hat. Es ist bedauerlich, m. H., daß 
es nicht in allen Kommissionen so ist, wie e8 unseren 
Kriegsteilnehmern gegenüber sein sollte. 
(Sehr richtig!) 
M. H., ähnliche Beispiele kann ich auch in bezug 
auf Anrechnung des Einkommen3 der. Kinder anführen. 
Da ist einer Frau, deren Mann vor kurzem einberufen 
ist, die Unterstüßung versagt worden, weil die eine Tochter 
einen Verdienst von 38 4 und der Junge von 16 Jahren 
einen Verdienst von 23 4 hat, Das ist zusammen 
allerdings ein Verdienst von 61 46; aber, m. H., es sind 
auch drei erwachsene Personen, die davon leben sollen, 
und davo.1 soll auch noch gleichzeitig die Miete aufgewendet 
werden, so daß also in diesem Falle die Anrechnung 
des Verdienste3 dex Kinder nicht in Betracht kommen sollte. 
Aehnliches Unterschiede, m. H, bestehen bei der Fest- 
sezung der Unterstüßung an die Eltern. Da war von 
einzelnen Bezirksvorstehern beantragt, die Unterstüßung 
bei einem Verdienst von 30 4 abzulehnen, von anderen, 
erst von 40 4 an. Ebenso ist e3 bzi den Kindern, die 
da3 15. Lebenöjahr zurückgelegt haben und sich in der 
Lehre befinden. Dort wird bei einem wöchentlichen Ver- 
dienst von 10 bis 12 4 öfters zur Absezung geschritten; 
vielfach haben die Lehrlinge das 15. Leben3jahr über- 
schritten, und es erfolgt die Absezung der Unterstüzung. 
Wir sollten in diesen Fällen tolerant sein. Es handelt 
sich darum, die jungen Leute kräftig und gesund zu er- 
halten; auf ihnen beruht die Zukunft unserer gesamten 
Industrie und des Handwerks. Infolgedessen sollten wir 
in dieser Beziehnng nicht rigoros verfahren. 
Daß auch die krieg8getrauten Frauen vielfach Grund 
zu Beschwerden haben, weiß ich aus Erfahrung. Es heißt 
nach dem Gesez: wo sich in den- Verhältnissen der kriegs- 
getrauten Frau nicht3 geändert hat, soll die Unterstüßung 
nicht gezahlt werden. Aber diese krieg8getrauten Frauen, 
soweit sie sich bei den“ Eltern befinden, haben doch das 
Verlangen und das Bedürfnis, sich einen eigenen Haus- 
stand zu begründen. Erst dieser Tage schreibt eine Frau, 
daß sie sich jeht vor kurzer Zeit hat trauen lassen; sie 
sei allerdings 3?/,/ Jahre mit ihrem jetzigen Manne 
gegangen, und da dieser jehige Mann endlich sein Ver- 
sprechen. wahrgemacht und sie geheiratet habe, sei ihr ein- 
ziges Bestreben, sich einen eigenen Hausstand zu gründen; 
dazu reicht aber ihr Verdienst nicht aus. In solchen 
Fällen sollen wir auch Entgegenkommen zeigen und das 
als Veränderung des bisherigen Zustandes ansehen und 
die Gründung eines eigenen Hausstandes ermöglichen, 
damit der Mann, wenn er entlassen wird oder auf Urlaub 
kommt, auch sein eigenes Heim vorfindet. 
M. H., in bezug auf die Mietsunterstüßung herrscht 
ebenso ein Unterschied in den 23 Kommissionen, wie ich 
es Ihnen in bezug auf die Kriegsunterstüßungen ge- 
schildert habe. Die Hausbesizer haben in dieser Be- 
ziehung eine große Protestversammlung gehabt, in der 
Herr Rechtganwalt Walther die Wünsche der Hausbesißer 
dargelegt hat Herr Stadtrat Franz und Herr Magistrat3- 
rat Liebrecht waren von seiten des Magistrat3 anwesend, 
und sie wecden die Sch'neicheleien gehört haben, die dem 
Berliner Magistrat in bezug auf die Mietsunterstüßung 
M. H., Sie sehen schon aus diesen Beispielen, wie 
buntschec>ig die Entscheidungen in den einzelnen Kom- 
missionen sind. I< kann Ihnen mitteilen, daß in der 
Kommission 2, in welcher Herr Kollege Ladewig den 
Vorsit führt, eine Absezung der Unterstüßung nicht vorge-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.