Sitzung am 27. Juni 1918;
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ordentlich vielen Fällen zur Absezung der Kriegsunter-
stüßung bei denjenigen Frauen gekommen, die sich in Arbeit
befanden. Und, m.H., bei dieser Absezung derUnterstüßungen
ist man recht verschieden vorgegangen. So war eine Frau
aus der- 10 CG Kommission im Norden Berlins = die
ja im allgemeinen ziemlich berüchtigt ist, namentlich in
bezug auf die Mietsunterstühungen = bei mix und klagte
mir ihr Leid, daß ihr die Unte-stüßzung abgenommen sei.
3<h fragte nach dem Grunde, Ja, sie wäre in Arbeit,
und es wäre ihr erflärt worden, ihr Arbeit verdienst be-
trage 35. 46, infolgedessen könne sie keine Kriegsunter-
stüßung erhalten. Die Frau hat nun von diesem Ver-
dienst von 35 4 sich und ein Kind zu erhalten; das Kind
bedarf der Aufsicht, weil die Frau bei Tage tätig ist, und
sie muß für die Boaufsichtigung 20 4 im Monat bezahlen.
Weiter hat sie davon, da sie infolge ihrer Arbeit schon
lange feine Mietsunterstüßung bezieht, auch noch eine
Miete von 28 46 zu decken, so daß von ihrem eigenen
Verdienst ihr knapp 100 4 zum Lebenöunterhalt ver-
bleiben. In einer anderen Kommission ist die Unter-
stüzung abgelehnt worden, weil die Frau, die in einem
Ministerium beschäftigt war, ein monatliches Einkommen
von 160 46 hatte. Sie ist allerdings alleinstchend; aber
jie hat 950 46 Miete zu bezahlen, das sind 78 46 monat-
lim. Der Mann war Apothekergehilfe und hat infotge-
dessen vielleicht Anspruch auf solche Wohnung; sie läßt sich
ja jo schnell nicht wieder aufgeben, und das verlangen
wir ja eigentlich auch nicht. Die bisherigen Verhältnisse
jolle4 möglichst aufrechterhalten werden. Der Frau, welche
außerdem noch für ihre Schwiegermutter mit zu sorgen
hit, ist die Unterstüßung erst dann gewährt, nachdem sie
tanf geworden und insolgedessen von der Ministerialstelle
entlassen war. Aus der 13 A Kommission war vor kurzem
ebenfalls eine Frau bei mir und klagte mir ihr Leid: sie
habe zwar einen Verdienst von wöchentlich 50 4, infolge-
dessen sei ihr die Unterstüßung entzogen worden, aber sie
habe auch für ein Kind zu sorgen und habe eine Miete
von 388 4 zu zahlen, auch für die Beaufsichtigung ihres
Kinde3 müsse sie mindestens 20 4 aufwenden, sie sei bis
vor fünf oder jec<3 Wochen häufig krank gewesen und
töne infolge ihrer Krankheit auch jextt niht andauernd
die schwere Arbeit leisten, die nun einmal von ihr in der
Munitior fabrik gefordert werde; um die 50 4 zu
verdienen, müsse sie 11 Stunden arbeiten. Dazu
kommt, daß sie einen Weg zur Arbeitsstelle von einer
Stunde und zurück wieder von einer Stunde zu machen
habe, so daß hierfür in8gesamt 13 Stunden in Betracht
kommen. Die Frau bat mich um Wiedergewährung der
Unterstüßung. Jh konnte nichts anderes tun, als sie an
den betreffenden Herrn Stadtrat verweisen, um dort
ihre Bitte um Wiedergewährung erneut vorzutragen. In
der Kommission, welcher ich angehöre, der Kommission
13 B, wo ich seit Beginn des Krieges mitarbeite, haben
einzelne Bezirksvorsteher ebenfalls bei eine:n Verdienst
von 38 bis 40 4 die Absekung der Kricg3unterstüßung
beantragt. E83 sind Beschlüsse gefaßt worden, bei einem
Verdienst von 40 16 die Kriegsunterstüßung für die Frau
allein abzusehen; sind Kinder vorhanden, sollen für die
Kinder die Unterstüßungen weitergezahlt werden; aber bei
einem Verdienst von 50 4 ist die Absezung auch bei
Kindern beschlossen worden,
nommen wird, wenn eine einzelne Frau ein Einkommen
von 50 6 hat. Auch in der - Kommission 6, m. H,,
in welcher unser Herr Kollege Loeser mitarbeitet, bleibt
die Unterstüßung bei einem Einkommen von wöchentlich
90 bis 55 46 bestehen. Man kann also wirklich sagen:
in diesen beiden Kommissionen wird mit demjenigen
Wohlwollen verfahren, welches die Regierung auch im all-
gemeinen gefordert hat. Es ist bedauerlich, m. H., daß
es nicht in allen Kommissionen so ist, wie e8 unseren
Kriegsteilnehmern gegenüber sein sollte.
(Sehr richtig!)
M. H., ähnliche Beispiele kann ich auch in bezug
auf Anrechnung des Einkommen3 der. Kinder anführen.
Da ist einer Frau, deren Mann vor kurzem einberufen
ist, die Unterstüßung versagt worden, weil die eine Tochter
einen Verdienst von 38 4 und der Junge von 16 Jahren
einen Verdienst von 23 4 hat, Das ist zusammen
allerdings ein Verdienst von 61 46; aber, m. H., es sind
auch drei erwachsene Personen, die davon leben sollen,
und davo.1 soll auch noch gleichzeitig die Miete aufgewendet
werden, so daß also in diesem Falle die Anrechnung
des Verdienste3 dex Kinder nicht in Betracht kommen sollte.
Aehnliches Unterschiede, m. H, bestehen bei der Fest-
sezung der Unterstüßung an die Eltern. Da war von
einzelnen Bezirksvorstehern beantragt, die Unterstüßung
bei einem Verdienst von 30 4 abzulehnen, von anderen,
erst von 40 4 an. Ebenso ist e3 bzi den Kindern, die
da3 15. Lebenöjahr zurückgelegt haben und sich in der
Lehre befinden. Dort wird bei einem wöchentlichen Ver-
dienst von 10 bis 12 4 öfters zur Absezung geschritten;
vielfach haben die Lehrlinge das 15. Leben3jahr über-
schritten, und es erfolgt die Absezung der Unterstüzung.
Wir sollten in diesen Fällen tolerant sein. Es handelt
sich darum, die jungen Leute kräftig und gesund zu er-
halten; auf ihnen beruht die Zukunft unserer gesamten
Industrie und des Handwerks. Infolgedessen sollten wir
in dieser Beziehnng nicht rigoros verfahren.
Daß auch die krieg8getrauten Frauen vielfach Grund
zu Beschwerden haben, weiß ich aus Erfahrung. Es heißt
nach dem Gesez: wo sich in den- Verhältnissen der kriegs-
getrauten Frau nicht3 geändert hat, soll die Unterstüßung
nicht gezahlt werden. Aber diese krieg8getrauten Frauen,
soweit sie sich bei den“ Eltern befinden, haben doch das
Verlangen und das Bedürfnis, sich einen eigenen Haus-
stand zu begründen. Erst dieser Tage schreibt eine Frau,
daß sie sich jeht vor kurzer Zeit hat trauen lassen; sie
sei allerdings 3?/,/ Jahre mit ihrem jetzigen Manne
gegangen, und da dieser jehige Mann endlich sein Ver-
sprechen. wahrgemacht und sie geheiratet habe, sei ihr ein-
ziges Bestreben, sich einen eigenen Hausstand zu gründen;
dazu reicht aber ihr Verdienst nicht aus. In solchen
Fällen sollen wir auch Entgegenkommen zeigen und das
als Veränderung des bisherigen Zustandes ansehen und
die Gründung eines eigenen Hausstandes ermöglichen,
damit der Mann, wenn er entlassen wird oder auf Urlaub
kommt, auch sein eigenes Heim vorfindet.
M. H., in bezug auf die Mietsunterstüßung herrscht
ebenso ein Unterschied in den 23 Kommissionen, wie ich
es Ihnen in bezug auf die Kriegsunterstüßungen ge-
schildert habe. Die Hausbesizer haben in dieser Be-
ziehung eine große Protestversammlung gehabt, in der
Herr Rechtganwalt Walther die Wünsche der Hausbesißer
dargelegt hat Herr Stadtrat Franz und Herr Magistrat3-
rat Liebrecht waren von seiten des Magistrat3 anwesend,
und sie wecden die Sch'neicheleien gehört haben, die dem
Berliner Magistrat in bezug auf die Mietsunterstüßung
M. H., Sie sehen schon aus diesen Beispielen, wie
buntschec>ig die Entscheidungen in den einzelnen Kom-
missionen sind. I< kann Ihnen mitteilen, daß in der
Kommission 2, in welcher Herr Kollege Ladewig den
Vorsit führt, eine Absezung der Unterstüßung nicht vorge-